De Maizières „Wir sind nicht Burka“ ist rassistisch und nationalistisch
Am 30. April wurde in der Bild am Sonntag ein Gastbeitrag des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) veröffentlicht, in dem er seine zehn Thesen über eine deutsche „Leitkultur“ präsentierte. Sein erneutes Eingreifen in die „Integrationsdebatte“ ist nicht zuletzt ein Ablenkungsmanöver in Zeiten der sozialen und politischen Polarisierung. SozialistInnen halten dem das Prinzip der internationalen Solidarität entgegen.
von Sönke Jansen, Dortmund
In den Thesen wird unter dem Motto „Wir sind nicht Burka“ eingefordert, sich an „soziale Gewohnheiten“ zu halten. Es gehöre ebenso zur deutschen Leitkultur, sich zur Begrüßung die Hand zu geben, wie sein Gesicht zu zeigen. Bildung, Leistungsdenken, Philosophie und Theater seien das, was die „Kulturnation“ Deutschland zu Weltruhm gebracht habe. Deutschland sei „christlich geprägt“ und Religion der „Kitt“, der die Gesellschaft zusammenhalte. Teil der Leitkultur sei auch das klare Bekenntnis zum „Westen“ und dem Militärbündnis Nato. Ein geeintes Europa müsse „deutschen Interessen“ dienen, ein starkes Deutschland sei ein Segen für Europa, denn Europa könne „ohne ein starkes Deutschland nicht gedeihen“ – so macht der Innenminister mal eben politische Meinungsfragen zu Kulturfragen und Linke, die NATO und EU ablehnend gegenüber stehen, wieder zu „vaterlandslosen Gesellen“.
Mit dem Leitkulturbegriff spricht de Maizière „zuerst und zunächst die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unseres Landes“ an. Diese müssten die Leitkultur an jene MigrantInnen vermitteln, die „bleiben dürfen“ – wer das Angebot der Leitkultur nicht annehme, bei dem „wird die Integration wohl kaum gelingen“. Verstöße gegen „unverhandelbare“ Prinzipien der deutschen Leitkultur seien nicht zu akzeptieren.
Wem nützt die Leitkultur-Debatte?
Möglicherweise hoffte de Maizière darauf, mit einer neuen Leitkulturdebatte seine Ministerkollegin Ursula von der Leyen aus dem öffentlichen Fokus zu rücken, die sich gerade in den Skandal um Neonazis und Rechtsterroristen in der Bundeswehr verstrickte. Sicherlich ging es ihm auch darum, kurz vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen mit dem Schlagwort „Leitkultur“ das nationale und konservative Profil der CDU zu schärfen.
De Maizière zeichnet mit seinen Thesen ein Gesellschaftsideal, in dem Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Leistung und soziale Sicherungssysteme Wohlstand und Gleichberechtigung für alle, die sich „an die Regeln halten“, bringen. Aber dieser Utopie einer harmonischen bürgerlichen Gesellschaft steht die schonungslose Realität des Kapitalismus gegenüber, die durch tiefe soziale Spannungen, Zukunftsängste und eine bedrohliche Weltlage geprägt ist. De Maizière als langjähriger Minister und seine CDU als Regierungspartei tragen die direkte Verantwortung dafür, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, dass der Arbeitsdruck zunimmt, dass Deutschland in Kriegen und Konflikten in aller Welt mitmischt, dass das deutsche Kapital seine Profite auf die rücksichtslose Ausnutzung seiner Vormachtstellung in Europa stützt. Die Vision der Einigung der Nation unter dem Banner der gemeinsamen Leitkultur wirkt angesichts dessen grotesk und unglaubwürdig. Eine erneute Debatte über „Integration“, „Werte“ und „Leitkultur“ ist auch ein Versuch, von der sozialen Frage und den Interessen von Beschäftigten, Jugendlichen, Erwerbslosen und RentnerInnen – der Arbeiterklasse – abzulenken.
Ein weiterer Effekt der Leitkultur-Debatte ist ein Befeuern rassistischer Spaltung in der Arbeiterklasse. An vielen Stellen wird mal zwischen den Zeilen, mal ganz offen mit Sätzen wie „Wir sind nicht Burka“, mit rassistischen Vorurteilen gegen Muslime und Muslimas gespielt.
Während de Maizière mit seinen Thesen die Verhältnisse in der deutschen Gesellschaft idealisiert und zur Unterordnung unter den Status quo aufruft, warnt er gleichzeitig davor, die Verhältnisse in Frage zu stellen und sich somit außerhalb der „deutschen Leitkultur“ zu stellen.
Kulturfragen sind Klassenfragen
Die wirkliche Spaltung unserer Gesellschaft besteht zwischen den Klassen: Die Reichen und Superreichen aus der Kapitalistenklasse sind zum Erhalt ihrer luxuriösen „Parallelgesellschaft“ auf Sozialabbau, Lohndumping, Umweltzerstörung, Krieg und den Abbau von Rechten der Arbeiterklasse angewiesen. Bürgerliche Medien und PolitikerInnen bemühen sich, die einander widersprechenden Klassengegensätze zu verschleiern, indem sie mehr oder weniger offen nationalistische Hetze und Politik betreiben. Der irische Sozialist Peter Hadden schrieb dazu:
„Der bürgerliche Nationalismus versucht diese Tatsache dadurch zu verschleiern, dass er betont, wir alle seien entweder französisch, englisch, deutsch etc. – egal ob wir in einem baufälligen Reihenhaus oder einer Villa leben, ob wir mit dem Bus oder einem Privathubschrauber reisen, ob wir untätig und arm von Stütze oder untätig und von Reichtum verwöhnt, von Aktien und Investitionen leben.” (Peter Hadden: Unruhige Zeiten)
Gemeinsam kämpfen
Für die Linke und die Arbeiterbewegung muss der Kampf gegen die Spaltung nach Hautfarbe und Herkunft verbunden sein mit dem gemeinsamen Kampf um gemeinsame Interessen. Unabhängig von Nationalität, Religion oder kulturellem Background haben lohnabhängig Beschäftigte ein gemeinsames Interesse an höheren Löhnen, Arbeitszeitverkürzung, sozialer Absicherung und bezahlbaren Mieten. Rassistische Hetze und nationalistisch aufgeladene Integrationsdebatten stehen dem gemeinsamen Kampf dafür im Weg. Denn: Nicht Geflüchtete nehmen uns bezahlbaren Wohnraum weg, sondern die Immobilienspekulanten. Nicht die türkische Kollegin vernichtet Arbeitsplätze, sondern das profitgetriebene Management.
Anstelle der „deutschen Leitkultur“ treten SozialistInnen für internationale Solidarität, gleiche Rechte unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Behinderung oder sexueller Orientierung, den Kampf gegen Nazis und Rassisten sowie den revolutionären Bruch mit der Herrschaft der Banken und Konzerne und den Aufbau einer weltweiten sozialistischen Demokratie ein.