Spanien: Sánchez gewinnt Vorwahlen | PODEMOS veranstaltet Massenkundgebung

Herrschende Klasse schießt sich selbst ins Knie!

Pedro Sánchez hat bei den parteiinternen Vorwahlen der sozialdemokratischen PSOE („Partido Socialista Obrero Español“) einen erdrutschartigen Sieg errungen und ist nun erneut Generalsekretär der Partei. Bei einer historisch starken Wahlbeteiligung von 80 Prozent der Parteimitglieder kam er auf 50 Prozent. Susana Díaz, die vom rechtslastigen Parteivorstand ins Rennen geschickt worden war, erreichte 40 Prozent und auf Patxi Lopez entfielen 10 Prozent der Stimmen. Der Erfolg von Sánchez ist eine gute Nachricht für alle, die gegen die rechts-konservative PP-Regierung kämpfen wollen, sodass diese so schnell wie möglich zu Fall gebracht wird.

Artikel der Leitung von „Izquierda Revolucionaria“* aus dem spanischen Staat

Sánchez‘ Sieg bedeutet die größte interne Niederlage für die bürokratische Parteiführung, welche von Felipe González und der Kaste der „Regionalbarone“ dominiert wird. Exakt diese Gruppe hatte jüngst einen parteiinternen Putsch gegen Sánchez durchgeführt. In erster Linie aber haben die PSOE-Mitglieder der Strategie der Bourgeoisie, eine stabile Regierung im spanischen Staat sicherzustellen, einen harten Schlag versetzt.

Weil bei der entsprechenden Abstimmung im Parlament Abgeordnete der PSOE gefehlt haben, konnte die Regierung des konservativen Rajoy von der „Partido Popular“ (PP) gewählt werden. De facto wurde damit eine große Koalition geschaffen. Diese Strategie ist von den Parteimitgliedern abgelehnt worden. In der herrschenden Klasse stellt sich nach diesem unerwarteten Abstimmungsergebnis die Frage: Was nun? Viele sprechen schon jetzt von einer möglichen Spaltung der PSOE.

Eine beschämende Niederlage für Parteivorstand und Bourgeoisie

Das Abstimmungsergebnis ist eine beschämende Niederlage für die Partei-Bürokratie, die Sánchez in den vergangenen Monaten so unerbittlich angegriffen hat. Außer in Andalusien, wo Diaz das Rennen für sich entscheiden konnte, sowie in Gipuzkoa und Biscaya, wo die meisten Stimmen auf Lopez entfielen, hat Sánchez in sämtlichen regionalen Parteigliederungen gewonnen.

Trotz der Tatsache, dass Diaz bei der Wahlaufstellung 6.500 mehr Nominierungen bekommen hatte, hat Sánchez Diaz mit 10 Prozent Unterschied und 15.000 mehr Stimmen geschlagen. Damit hat sie am Ende 1.000 Stimmen weniger erhalten als sie zuvor an Nominierungen auf sich vereinen konnte. Demgegenüber bekam Sánchez mehr als 20.000 Stimmen mehr als er im Vorfeld an Nominierungen erlangen konnte! Sánchez war in 36 Provinzen erfolgreich, während Diaz nur die Gesamtzahl der andalusischen Provinzen sowie Ávila, Badajoz, Cuenca und Huesca für sich entscheiden konnte. In Katalonien holte Sánchez 82,4 Prozent, auf den Balearen 71 Prozent, in Kantabrien 70,5 Prozent und in Navarra 70 Prozent. In Galizien erreichte er 65 Prozent, 63 Prozent in Valencia und 49,5 Prozent in Madrid.

Sogar in den Regionen, die von den „Baronen“ der PSOE geführt werden, die Sánchez feindlich gegenüberstehen, hat er klare Siege eingefahren. Bedeutsam ist auch, dass Diaz ihre schwersten Niederlagen in Katalonien, dem Baskenland und in Galizien – also den historisch bedeutsamen Nationalitäten im spanischen Staat – einstecken musste. Ihr spanisch-nationalistischer Wahlkampf ist energisch zurückgewiesen worden.

Der Erfolg von Sánchez ist ein schwerer Schlag für den Parteiapparat, der die Mitgliederschaft trotz allen Drucks und Zwangsausübung nicht überzeugen konnte. Auch Felipe González, José Luís Rodríguez Zapatero und all die anderen früheren Parteigrößen, die die PSOE in diese tiefe Krise geführt haben, haben nicht aufgehört, Sánchez mit ihren Beleidigungen und Attacken schlecht zu machen. Sie nannten ihn das „Krebsgeschwür der PSOE“, „das U-Boot von PODEMOS“, „den Separatisten gegen die Einheit Spaniens“ usw. Diese Beleidigungen sind in allen Mainstream-Medien verbreitet worden. Sie erwiesen sich als Bumerang.

Ähnlich wie beim Parteitag von PODEMOS, der im Februar stattfand und von Versuchen der Bourgeoisie und ihrer Medien gekennzeichnet war, die Partei schlecht zu machen, haben die Menschen auch jetzt mit ganzer Entschiedenheit dagegen reagiert. Wenn die Niederlage von Iñigo Errejón bei den parteiinternen Abstimmungen von PODEMOS ein Schlag gegen den Versuch war, diese neue Partei zu zähmen und sie zu einem weiteren Diener kapitalistischer Interessen zu machen, so stellt die Niederlage von Susana Diaz bei den internen Wahlen der PSOE einen umso schwereren Schlag dar.

Die PSOE war eine Stütze des kapitalistischen „Regimes von 1978“. Sie führte Regierungen an, die die Wirtschaft in der Zeit der „Transformation“ ganz im Sinne des Großkapitals verwaltet haben. Felipe González wurde zum Vertrauensmann der herrschenden Klasse, der all ihre imperialistischen Abenteuer unterstützt hat, das Arbeitsrecht „reformierte“, Renten-„Reformen“ durchführte und im Bildungsbereich „Reformen“ umsetzte, die die Grundlage für das lieferten, was die PP in den letzten Jahren getan hat. González zerstörte die staatliche Industrie, privatisierte Unternehmen und strategisch wichtige Branchen, um der Oligarchie Gewinne zu verschaffen. So wurden durch ihn hunderttausende würdevolle und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze vernichtet.

Bei der Einführung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und Niedriglöhnen nahm er eine Pionier-Rolle ein. Er griff wieder auf das Mittel des staatlichen Terrorismus zurück, um gegen die ETA vorzugehen und brachte repressive Gesetze durch, um gegen demokratische Rechte und nationale Bestrebungen der baskischen Bevölkerung vorzugehen. Damit wurde die Grundlage für den spanischen Nationalismus gelegt. González entwickelte verschiedene politische und private Verbindungen zur Elite, begünstigte die Korruption und die Einsetzung von PSOE-Politikern in führende Körperschaften großer multinationaler Konzerne. Vor allem ging er gegen die konsequenteren Elemente der sozialistischen Parteibasis vor. So kam es zu einer regelrechten Welle an Ausschlüssen, die sich gegen abweichende Meinungen richtete. Felipe González war der unangefochtene Vater der Rechtsentwicklung der PSOE, die ganz nach Art von Tony Blair in Großbritannien und dem Rest der internationalen Sozialdemokratie ablief.

Was das angeht, ist die Niederlage von Susana Diaz für diesen arroganten und korrupten Apparat viel mehr als nur ein Ärgernis. Die Bourgeoisie hatte große Hoffnungen darauf gesetzt, dass dieser Apparat weiter die Kontrolle über die PSOE behält und dass die Agenda weiterhin aus Kürzungen und Austerität besteht. Selbst wenn am Ende die Spaltung der Partei gestanden hätte, so war man doch davon ausgegangen diese parteiinternen Wahlen zu gewinnen und die innerparteilichen WidersacherInnen, für die Sánchez steht, loszuwerden. Letztlich sind aber all ihre „schönen“ Pläne durchkreuzt worden. Indem sie versucht haben, die Politik der Sozialdemokratie in Frankreich und Griechenland wieder einzusetzen, haben sie eine Rebellion der Parteibasis hervorgerufen, die nur vergleichbar ist mit dem Erstarken der sozialistischen Linken unter der Führung von Francisco Largo Caballero im Oktober 1934.

Lehren aus der Geschichte

Diese Analogie ist von verschiedenen rechtslastigen PSOE-Vertretern als Drohkulisse herangezogen worden. Auf diese Weise wollten sie vor den Folgen warnen, die eine Wahl von Sánchez demnach nach sich ziehen würde. Sie warnten davor, dass die Instabilität des Systems dadurch noch weiter zunehmen würde. Dieser Vergleich mit der Geschichte liefert – bei aller Vorsicht, die nötig ist, weil der Klassenkampf in Spanien natürlich noch nicht das vorrevolutionäre Ausmaß der damaligen Zeit angenommen hat – einige ähnliche Elemente, die eine nähere Betrachtung verdienen.

Die Krise der spanischen Sozialdemokratie ist Teil eines allgemeinen internationalen Prozesses und geht auf ihre Verschmelzung mit der herrschenden Klasse zurück sowie auf ihre Zustimmung zu neoliberalen Maßnahmen, die sie in der Aufschwungphase angewendet hat. Der Niedergang der Sozialdemokratie, der in allen westlichen Ländern wie auch in Lateinamerika zu beobachten ist, ist durch die große Rezession von 2008 noch beschleunigt worden.

Die Zersetzung der europäischen Sozialdemokratie in den 1930er Jahren war allgemein auf ganz ähnliche Faktoren wie heute zurückzuführen: Auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch, der mit dem Crash von 1929 einsetzte, eine Legitimationskrise der bürgerlichen Demokratie, eine Verarmung der Mittelschicht und eine politisch wie auch gesellschaftlichen Polarisierung, in deren Verlauf Millionen von ArbeiterInnen und jungen Leuten nach links gingen. Es kam aber auch zum Erstarken faschistischer Organisationen, die einen bedeutenden Teil der traditionellen Wählerschaft der Rechten für sich gewinnen konnten.

Auch heute sind im spanischen Staat eine zunehmende Polarisierung, eine Krise der bürgerlichen Demokratie, eine Explosion an Korruptionsaffären, von der die großen bürgerlichen Parteien betroffen sind, eine Verschärfung der nationalen Frage und ähnliche Tendenzen festzustellen. Das alles sind Elemente, die auch die Phase nach der Ausrufung der Zweiten Republik in den 1930er Jahren gekennzeichnet haben. Natürlich gibt es Unterschiede zu damals, die nicht geringzuschätzen sind. Wichtig ist dabei jedoch, die grundlegende Dynamik der Ereignisse zu begreifen. Auch was die Entwicklung der wichtigen politischen ProtagonistInnen angeht, so gibt es einige Ähnlichkeiten.

Largo Caballero galt als Führer der rechtesten und reformistischsten Fraktion innerhalb der PSOE. Seine Sporen hatte er sich in der letzten Phase des Parteivorsitzenden Pablo Iglesias „verdient“, als der Begründer des spanischen Sozialismus sich standfest in Richtung Klassen-Kollaboration und „gradueller Wandel“ entwickelt hatte. Sowohl in der PSOE als auch dem Gewerkschaftsbund UGT hatte er wichtige Funktionen inne. Caballero arbeitete eng mit Julián Besteiro zusammen und setzte sich aktiv gegen eine Integration der PSOE in die Dritte Internationale ein. Sein Reformismus brachte ihn sogar dazu, im Staatsrat des Diktators Primo de Rivera mitzuarbeiten. Das geschah zu einer Zeit, da der größte Gewerkschaftsbund des Landes, die CNT, brutal verfolgt und unterdrückt wurde. Die Jugendverbände der „Kommunistischen Partei“ wurden in die Illegalität gezwungen.

Derselbe Caballero, der in der republikanisch-sozialistischen Regierung nach dem 14. April 1931 Arbeitsminister wurde, durchlebte die ganze Katastrophe sozialdemokratischer Politik. Man versuchte die Quadratur des Kreises: Ohne mit der Logik des Kapitalismus zu brechen, sollten fortschrittliche Reformen durchgebracht werden. In der Praxis bedeutete dies die Umsetzung derselben kapitalistischen Politik wie immer und den Zusammenprall mit der eigenen sozialen Basis. Es war die linksgerichtete Radikalisierung der sozialistischen Parteibasis, die Largo Caballero davon überzeugte, die konsequent sozialistische – ja sogar marxistische – Politik neu zu entdecken. Diese Parteibasis hatte einfach genug von den Betrügereien und der durchsichtigen Rhetorik, die nichts an der Lage veränderten. Außerdem war sie durch die zunehmenden Erfolge der Reaktion und des Faschismus alarmiert.

Caballero scheiterte mit seinem Versuch, die PSOE in eine marxistische Massenpartei zu verwandeln. Allerdings war seine und vor allen die Rolle seiner Nachfolger entscheidend, um einen fast kampflosen Sieg des Faschismus zu verhindern, wie er in Deutschland und Italien möglich war. Dass bekannte PSOE-VertreterInnen heute die Person Largo Caballero in Verruf bringen wollen, zeigt, welche Art von Partei diese Damen und Herren aufrechterhalten wollen.

In der Geschichte kommt der Rolle des Individuums große Bedeutung zu. Von MarxistInnen ist das nie geleugnet worden. In vielen führenden PolitikerInnen widerspiegeln sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen in der einen wie der anderen Richtung. Auch reagieren sie auf Ereignisse, die zu tiefgreifenden Veränderungen in der weiteren Entwicklung führen können. Felipe González, Blair, Craxi, Papandreou und ein ganzes Heer weiterer steht für die Niederlagen der Arbeiterklasse und jungen Leute bei den großartigen Kämpfen der 1970er Jahre, während des Nachkriegsaufschwungs und des Zusammenbruchs des Stalinismus. All diese Faktoren liefern die Grundlage für den rabiaten Rechtsruck der traditionellen Organisationen der Arbeiterklasse, der sozialdemokratischen und vieler kommunistischer (sprich: stalinistischer) Parteien; von den Gewerkschaften ganz zu schweigen. Es war ein weltweites Phänomen, das auf eine Niederlage der Arbeiterklasse zurückzuführen ist und die ihrerseits zu einer schweren ideologischen Niederlage für die Linke geführt hat. Damit einher gingen alle möglichen rechtsgerichteten Ideen von der Marktwirtschaft, mit denen die Parteibasis torpediert worden ist.

Doch der Maulwurf der Geschichte gräbt sich immer weiter durch das Erdreich. Was wie der Triumph des Kapitalismus aussah, schlug sich rasch ins Gegenteil um. Das Beben, von dem das System in Form der Wirtschaftskrise erfasst worden ist, hat alles auf den Kopf gestellt. Wie in den 1930er Jahren hat das zu politischer Instabilität geführt, die sämtliche herkömmlichen Formen der bürgerlichen Herrschaft erfasst und die Strukturen, auf denen die politische Stabilität ehedem aufbaute, in die Krise gestürzt hat.

In Spanien ist das Ende des Zwei-Parteien-Systems die Folge der großen Rezession und des daraus resultierenden Leids Millionen von Erwerbsloser, der sozialen Spaltung, der Ausbreitung des prekären Beschäftigungssektors und der um sich greifenden Verarmung. Wesentlich bei all dem ist jedoch zu begreifen, dass sich das gesellschaftliche Kräfteverhältnis verändert hat und dass Millionen von Beschäftigten, jungen Leuten und Teile der Mittelschicht nach links gerückt sind, weil sie in dieser nicht hinnehmbaren Situation nach einer Lösung Ausschau halten.

Diese Veränderungen der objektiven Lage und der Wandel des Bewusstseins der Unterdrückten sind es, die die Krise der Sozialdemokratie und das Auftauchen von Strukturen bzw. Phänomenen wie PODEMOS, „France Insoumise“, Jeremy Corbyn in Großbritannien oder SYRIZA in Griechenland erklären können. Dies ist auch der Schlüssel, will man den Sieg von Sánchez verstehen.

Wir wollen das, was geschehen ist, nicht abtun. Das Vorgehen von Pedro Sánchez steht für einen Bruch mit seiner jüngsten Vergangenheit. Er hat sich von einer Marionette des Parteiapparats zum Widerstand gegen die Attacken von González und all der arroganten regionalen Parteivorsitzenden entwickelt, deren einziges Talent darin besteht, den Mächtigen zu dienen. Er hat – gezwungen aufgrund der üblen Umstände – sein Amt (als Generalsekretär der PSOE im Herbst letzten Jahres; Anm. d. Übers.) niedergelegt, blieb aber standhaft und sprach sich bis zum Schluss dagegen aus, Rajoy von der PP zum Regierungschef zu wählen. Er hat keinen Kampf abgeblasen sondern einen Kampf begonnen, dabei schwere Hürden in den Weg gelegt bekommen und den Gegenwind der Medien erleben müssen, die alles Mögliche getan haben, um ihn zu vernichten. Er hat sich an die Parteimitgliedschaft gerichtet und auf sie gestützt und auf Grundlage einer klaren Maßgabe mobilisiert: Zurückgewinnung der PSOE als eine linke Partei, die unabhängig von der PP ist. Das hat sich bezahlt gemacht. Jetzt genießt Sánchez unter den Parteimitglieder und den PSOE-WählerInnen Autorität – bei weitem mehr als irgendeinE andere VertreterIn der Partei. Außerdem hat er die Sympathien vieler ArbeiterInnen und junger Leute gewinnen können, die beim letzten Mal PODEMOS gewählt haben.

Pedro Sánchez muss das Steuer nach links reißen und zusammen mit „Unidos Podemos“ eine Einheitsfront bilden

Im Leitartikel der „El País“ vom 22. Mai werden die Perspektiven beschrieben, die sich der herrschenden Klasse und dem rechten Flügel der PSOE angesichts des Siegs von Sánchez nun bieten: Krieg, Krieg, Krieg. Wir zitieren aus dieser „Verkündigung“, um über jeden Zweifel erhaben zu sein:

„Der Sieg von Pedro Sánchez bei den Vorwahlen der PSOE bringt die Partei in eine der schwierigsten Situationen in ihrer langen Geschichte. Die Rückkehr ins Amt des Generalsekretärs durch einen Parteivertreter, dessen Vergangenheit so eng mit Wahlniederlagen, internen Querelen und ideologischen Winkelzügen verknüpft ist, kann nur Anlass zu großer Sorge sein […] Die programmatischen und organisatorischen Vorschläge von Sánchez erinnern uns an andere Erfahrungen – vom ‚Brexit‘ über das Referendum in Kolumbien bis zum Wahlsieg von Trump – wobei sich Emotionen und Empörung über Vernunft, Argumente und Fakten hinweggesetzt haben. Spanien hat seinen eigenen populistischen Moment erlitten. Und er wurde innerhalb einer Partei durchlitten, die so wichtig für die Regierbarkeit unseres Landes ist. Dasselbe ist in den letzten Monaten dem französischen Sozialismus widerfahren, der sich unter dem radikalen Benoît Hamon kurz davor befindet, von der Bildfläche zu verschwinden. Eine ähnliche Katastrophe kündigt sich in der britischen ‚Labour Party‘ an, wo der Populist Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden gewählt wurde. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die PSOE nicht einer ähnlichen Gefahr unterliegen kann. In all diesen Fällen hat sich – wie im Falle von PODEMOS und Trump – die Demagogie, die von ‚unten gegen oben‘ spricht, über die Wahrheit, Werte und die Vernunft hinweggesetzt […] Bedauerlicherweise wird das Projekt Sánchez die ohnehin schon schwere Krise der Partei weiter verschärfen. Dabei hat dieses Projekt keinerlei Unterstützung von irgendjemandem, der für das 22-jährige Erbe der PSOE als Regierungspartei oder irgendwie für den regionalen Einfluss der Partei stehen würde […].“

Aus Sicht der Tageszeitung „El País“ hat Pedro Sánchez den Status „Staatsfeind Nummer eins“. Mit einer Kombination aus Lügen und Unterstellungen wird er in einem Atemzug mit Trump, dem „Brexit“, Pablo Iglesias und PODEMOS genannt. Der Generalvorwurf lautet: Populismus! Natürlich ist es schockierend mit ansehen zu müssen, wie die alten Veteranen dieser Zeitung immer noch regelmäßig einen derartigen Nonsens verbreiten. Es zeigt sich daran aber, wie verzweifelt sie versuchen, eine Zeit herbeizureden, in der sie mit uneingeschränkter Macht tun und lassen konnten, was sie wollten. Konfrontiert mit einer Situation, in der die eigenen Prophezeiungen wieder und wieder konterkariert werden, und im Angesicht mit Menschen, die ihnen Widerstand entgegensetzen (in diesem Fall sind es vermehrt kämpferische SozialistInnen, die „mit Wahrheit, Werten und Verstand nichts mehr zu tun haben“), beginnen die KommentatorInnen der „El País“ dieselbe Verzweiflung und den ganzen Hass ihrer Klasse zu versprühen, wie ihre Oberherren in den Konzernzentralen es ihnen vormachen.

Kaum jemand wird bezweifeln, dass die heilige Allianz aus Kapitalisten, dem rechtsgerichteten Parteiapparat und den systemtreuen Medien sofort Gewehr bei Fuß stehen wird, wenn sie eine Möglichkeit wittern, Pedro Sánchez zerstören zu können. Genau dasselbe haben sie im Falle von Pablo Iglesias versucht und auch Jeremy Corbyn macht diese Erfahrung. So wird es jeder und jedem ergehen, die/der eine Herausforderung für sie darzustellen scheint. Aus diesem Grund hat es so große Bedeutung, welche Strategie Sánchez nun verfolgen wird.

Die Vorteile, die es hätte, wenn er die „Einheit“ mit dem rechts ausgerichteten Parteiapparat suchen würde, würden Sánchez nur nutzen, wenn er politischen Selbstmord begehen oder all das bisher Erreichte wieder über Bord werfen will. Eine Aussöhnung mit den „Partei-Baronen“ ist unmöglich. Das gilt vor allem, wenn er eine wirklich linke Politik betreiben, die Kürzungen beenden und die PP aus der Regierung katapultieren will. Sánchez sollte klarstellen, dass er mit diesen Leuten keine Deals machen und ihnen keine Zugeständnisse machen wird. Jede Geste in ihre Richtung und in ihrem Sinne, wäre so, als würde er sich selbst die Schlinge um den Hals legen. Der Parteiflügel um Patxi Lopez ist nichts anderes als das Trojanische Pferd des Apparats, mit dem Sánchez kaltgestellt werden soll. Im Zuge des parteiinternen Wahlkampfs, so hatte Sánchez erklärt, war er Teil desselben Projekts wie das des Apparats.

Sánchez muss sich auf die ganze Macht der Mitgliedschaft stützen und auf die Begeisterung, die er innerhalb und außerhalb der Partei hervorgerufen hat, um sein Programm klar zu definieren. Dieses kann nur das komplette Gegenteil zu den Kürzungen und Attacken auf unsere demokratischen Rechte sein. Und es muss zur Bildung eines politischen Bündnisses mit „Unidos Podemos“ (dem Wahlbündnis von PODEMOS, der „Vereinten Linken“ und anderen) führen, um die PP so bald als möglich aus dem Amt zu jagen.

Die Haltung von Susana Diaz und den „Parteibaronen“ aus den Regionen gegenüber dem Misstrauensantrag, den „Unidos Podemos“ auf den Weg gebracht hat, war einfach nur beschämend. Damit hat man sich ganz klar auf dieselbe Seite der Barrikade geschlagen, auf der auch die PP steht. Man hat somit deutlich gemacht, dass man lieber die Regierung stützt, die für Korruption und brutale Angriffe auf die Arbeiterklasse steht. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Sánchez die Bereitschaft zeigt, die Initiative von „Unidos Podemos“ zu unterstützen, seine Position zu korrigieren oder zumindest einen neuen Misstrauensantrag auszuhandeln, wie von Pablo Echenique von PODEMOS vorgeschlagen. Dies ist es, was die Parteimitglieder und die gesamte Linke erwarten und sich erhoffen.

Die großartige Mobilisierung durch „Unidos Podemos“ am 20. Mai mit zehntausenden von TeilnehmerInnen auf der Puerta del Sol (der größte Platz in Madrid) war der beste Beweis dafür, dass die nötigen Bedingungen für den Sturz der PP auf der Straße zu finden sind und nicht im Parlament. Es ist nötig, für dieselbe Atmosphäre der sozialen Rebellion zu sorgen, die zwischen 2011 und 2014 Bestand hatte. Der „Geist der Indignados“ muss wiederbelebt werden und es muss zu Massenmobilisierungen kommen bis hin zum Generalstreik, um Rajoy zum Rücktritt zu zwingen.

Sánchez muss begreifen, dass man ihm keine Minute Zeit zum Durchatmen zugestehen wird. Wenn er seine Versprechungen erfüllen will, dann muss er eine feste Basis an UnterstützerInnen in allen Parteigliederungen schaffen, die mit der politischen Kultur brechen, die die PSOE zum Pfeiler kapitalistischer Stabilität hat werden lassen. Er muss das Programm des Sozialismus neu entdecken, das nur marxistisch sein kann. Es bleibt also abzuwarten, ob er in der Lage sein wird, diesen Weg einzuschlagen und den Parteiapparat zu konfrontieren, der alles Erdenkliche tun wird, um ihn ein zweites Mal loszuwerden – sogar unter Inkaufnahme einer möglichen Spaltung der Partei. Der erste Test wird der Bundesparteitag der PSOE sein, der im Juni stattfinden wird.

Wie auch immer die weitere Entwicklung aussehen wird: Was in der PSOE stattgefunden hat, hat wie die Kundgebung auf der Puerta del Sol gezeigt – die Dinge sind veränderbar. Wir können und wir müssen eine starke revolutionäre linke Organisation aufbauen, um die Gesellschaft zu verändern.

 

*Die IR befindet sich zurzeit mit dem Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI; internationale sozialistische Organisation, deren Sektion in Deutschland die SAV ist) in einem fortgeschrittenen Fusionsprozess, welcher in diesem Jahr vollendet werden soll. Ausführliche Artikel zur Fusion finden sich ebenfalls auf www.archiv.sozialismus.info
Dieser Artikel erschien in englischer Übersetzung zuerst am 25.05.2017 auf www.socialistworld.net