Am Beispiel des Arbeitslosengeld Q
Muss man sich nach eintausend gebrochenen Wahlversprechen der SPD auch noch mit den Versprechungen 1001 bis 1010 befassen? Verzweiflung kann Menschen zu irrationalen Hoffnungen treiben. Sie greifen nach jedem Rettungsring, der ihnen zugeworfen wird. Aber ein Rettungsring der sich als Attrappe entpuppt, ist gefährlich. Man muss ihn aus dem Verkehr ziehen, bevor jemand darauf herein fällt.
von Georg Kümmel, Köln
Deshalb machen wir uns die Mühe, auch das 1001. Versprechen der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Schulz dem Echtheits-Test zu unterziehen – das „Arbeitslosengeld Q“.
Um der Kritik zu begegnen, Schulz‘ Versprechungen seien sehr vage, wurde im März vom SPD-Vorstand das Konzept des Arbeitslosengeldes Q verabschiedet. Demnach soll die Bundesagentur für Arbeit (BA) künftig verpflichtend einem Arbeitslosen, der auch drei Monate nach dem Jobverlust noch keine neue Stelle gefunden hat, ein Weiterbildungsangebot unterbreiten. Bisher liegt dieses Angebot im Ermessen der Arbeitsagentur. Erwerbslose kritisieren aber seit Jahren, dass es sich dabei meist um völlig nutzlose Maßnahmen wie Bewerbungstrainings handelt. Hilfreich sind diese sogenannten „Qualifizierungsmaßnahmen“ nur für die privaten Anbieter, die gut daran verdienen. An diesem Prinzip wird sich nichts ändern. Und wenn es sich um echte Qualifizierungsmaßnahmen handeln würde, die den Unternehmen bedarfsgerecht geschulte Beschäftigte liefern sollen, warum sollen die Unternehmer eigentlich nicht dafür bezahlen und zwar den vollen Lohn?
Verlängerung ist Ausnahme
Interessanter hören sich für viele die Pläne für die Bezugsdauer des ‚Arbeitslosengeld I‘ an. Zukünftig soll ein Arbeitsloser, der Anspruch auf Arbeitslosengeld I (ALG I) hat, für die Dauer der Qualifizierungsmaßnahme ebenfalls ALG I bekommen. Maximal sollen die TeilnehmerInnen von Qualifizierungsmaßnahmen bis zu 24 Monate zusätzlich finanziell unterstützt werden. Weil Arbeitslose über 58 Jahren bis zu 24 Monate das reguläre ALG I beziehen können, wäre im äußersten Fall eine Bezugsdauer von 48 Monaten für beide Leistungen zusammen denkbar.
Hört sich gar nicht so schlecht an. Was die breite Öffentlichkeit nicht weiß: Eine berufliche Weiterbildung wird auch heute ’nur‘ zur Hälfte auf die Bezugsdauer von ALG I angerechnet. Für unter 50jährige verlängert sich das ALG I daher vergleichbar maximal von sechs auf 12 Monate. Ganz zentral aber: sämtliche Erwerbslose, die bereits Hartz IV (Arbeitslosengeld II) beziehen, gehen dabei leer aus. Denn es geht ja immer nur um die BezieherInnen von Arbeitslosengeld I.
Hier wird die Methode Schulz deutlich: Es geht nicht um Fakten, sondern um die Vermittlung eines Eindrucks, eines Gefühls. Es wird einfach ein Botschaft transportiert: ‚SPD zu Korrekturen bei Hartz IV bereit‘, ‚Arbeitslosengeldbezug wieder bis zu vier Jahre‘. Das weckt Hoffnungen. Die Materie ist im Detail so kompliziert, dass die meisten WählerInnen gar nicht die Zeit haben um zu studieren, was sich für wen wirklich ändern würde. Für die große Mehrheit nämlich nichts oder fast nichts. Garniert werden diese Vorschläge mit weiteren kosmetischen Korrekturen. Das Schonvermögen eines Arbeitslosen soll von bislang 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr erhöht werden. Am Prinzip von Hartz IV, dem Prinzip der ‚Armut per Gesetz‘, ändert sich gar nichts. Wie nennt man einen Gebrauchtwagenhändler, der eine Schrottkarre neu lackiert? Schulz!
Der wahre Schulz
Wie die SPD hat auch Martin Schulz seine Geschichte von konkreten Maßnahmen gegen die tatsächlich „hart arbeitenden Menschen“, als deren Verteidiger und Retter er sich systematisch aufzuspielen versucht. Fabio De Masi (Europaabgeordneter für DIE LINKE) und sein Mitarbeiter Constantin Braun schreiben über sein Wirken als Präsident des Europäischen Parlaments: „Schulz… hat die Kürzungspolitik in Griechenland mit durchgedrückt und die Sozialdemokratie in Frankreich und Italien auf Reformen zu Lohn- und Rentenkürzungen wie mit der Agenda 2010 in Deutschland eingeschworen… .Und er hat eisern für die Konzernschutzabkommen der EU mit den USA (TTIP) sowie Kanada (CETA) gestritten… .“ (www.fabio-de-masi.de, 14.02.2017)
Gnadenlos systemtragend
Die SPD hat eine klare Linie: wenn sie sich entscheiden muss, zwischen den Interessen der Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen, RentnerInnen auf der einen Seite und den Interessen der Kapitalbesitzer auf der anderen Seite, entscheidet sie sich immer für die der Kapitalisten. Agenda 2010, Senkung der Unternehmenssteuern, Rentenkürzungen, Bundeswehreinsätze im Ausland – es ist immer dieselbe Methode: soziale Gerechtigkeit und Frieden in Worten – das Gegenteil in Taten. Sie kann nicht anders, Schulz kann nicht anders. Denn die SPD ist eine systemtragende Partei, egal wer gerade ihr Vorsitzender ist. Schon ein leichtes Schwächeln der Wirtschaft in Deutschland wird die Unternehmerverbände lauthals nach neuen „Spar“-Maßnahmen rufen lassen, und selbst aus den zartesten Versprechen von Martin Schulz werden neue, gnadenlose Kürzungsmaßnahmen werden.