Euro-Nationalismus contra Rechtspopulismus?
Seit mehreren Monaten laufen in mehreren europäischen Städten jeden Sonntag Demonstrationen unter dem Titel „Pulse of Europe“. Die TeilnehmerInnenzahlen sind teils beeindruckend: 6.000 in Köln, 1.500 in Dresden,… Die Zahlen schwanken von Woche zu Woche, dennoch kann man nicht übersehen, dass mit „Pulse of Europe“ ein neues politisches Phänomen entstanden ist.
von Steve Hollasky, Dresden
Die Gründe sich den sonntäglichen 14-00-Uhr-Demos anzuschließen mögen im Einzelnen unterschiedlich sein. Dennoch kreisen sie immer wieder auch um ähnliche Positionen. „Mich beängstigt das Anwachsen rechtsextremer Kräfte“, erklärte ein jugendlicher Teilnehmer dem Autor dieses Artikels auf Nachfrage. „Die Demos gegen PEGIDA sind mir zu radikal, aber man muss gegen den wachsenden Rassismus etwas tun“, erklärte eine andere. „Trump, PEGIDA, die AfD… Wenn ich das alles so sehe, dann denke ich, es muss sich jetzt was ändern!
Doch wenn man gerade glaubt, auf eine eher gemäßigten Kundgebung gegen das Anwachsen rechter Parteien, Bewegungen und Stimmungen zu sein, machen einem gut gekleidete Herren in Anzügen klar, dass man sich täuscht. Es geht um mehr. Da ist dann von den ökonomischen Vorteilen der EU die Rede und davon, dass Deutschland nun mal eine Exportnation sei und dass man das nicht aus dem Auge verlieren dürfe
Und dann, beinahe wieder im Einklang, hört man das stets wiederkehrende Argument: „Bei Pulse of Europe geht man endlich mal für und nicht gegen etwas auf die Straße.“ Nämlich für die in vielen Lobeshymnen besungene EU
Die soziale Zusammensetzung der „Pulse-of-Europe“-Demos scheint von Stadt zu Stadt zu variieren und ist auch vor Ort eher heterogen. Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Ursachen: Die unumstrittene Führung von „Pulse of Europe“, die dieses nur vorgeblich basisdemokratische Unternehmen steuert und den inhaltlichen Rückzug großer Teile der traditionellen Linken.
Das Ehepaar aus Frankfurt
Was haben „Greenfort“ und „Freshfields Bruckhaus Deringer“ gemeinsam? Beides sind Anwaltskanzleien für Wirtschaftsrecht und beide haben sich für die Seite entschieden, auf der sie stehen wollen, beide beziehen Unternehmerpositionen. Und beide sind Bestandteil des Karriereweges von Dr. Daniel Röder.: Von 2001 bis 2005 arbeitete er bei „Freshfields“ und gründete dann gemeinsam mit anderen Anwälten eine Art Auskopplung: „Greenfort“. „Greenfort“ beriet unter anderem die chinesische Firma Shanghat Yiqian Trading beim Kauf des Flughafens Frankfurt-Hahn. Der ging auf diese Weise aus dem Besitz des Landes Rheinland-Pfalz an die Kapitalisten aus China über – „Greenfort“ hilft bei Privatisierungen. Röders politische Positionen dürften klar sein. Sowohl „Freshfields“ als auch „Greenfort“ wenden sich an mittlere und große Unternehmen
Daniel Röder und seine Ehefrau stießen das Projekt „Pulse of Europe“ an. Im Interview mit „Echo-online“ erklärte Röder: „Die Botschaft heißt Europa. Die EU steht am Scheideweg und die Parteien machen business as usual. Wir wollen, dass sie Konzepte entwickeln, die Europa voranbringen, die Menschen für die europäische Idee begeistern.“ Wie diese „europäische Idee“ aussieht bleibt bei Röder und ebenso bei „Pulse of Europe“ eher nebulös. Nicht nebulös hingegen ist der wenig – oder eher gar nicht – demokratisch legitimierte Führungsanspruch von „Frankfurt“
Diskutiert man mit OrganisatorInnen von „Pulse of Europe“ ist das Verhalten des Herrn Röder hin und wieder Thema. Ganz gern wird der Ausdruck „die Vorgaben aus Frankfurt“ verwendet. Frankfurt gibt den Regionalgruppen das Thema der Demonstrationen und Kundgebungen vor. Die Reaktionen darauf scheinen verschieden zu sein. Die einen beachten die Vorgaben kaum, die anderen sehen sie quasi als eckige Klammern an, die es auszufüllen gilt und die letzten streiten sich in sozialen Netzwerken mit Röder herum
Aus Frankfurt kam beispielsweise auch die „Vorgabe“, dass die Kundgebungen mit dem Singen der Europa-Hymne zu beenden seien
Röders Klasseninteresse ist aufgrund seiner beruflichen Stellung kaum zu übersehen, klar scheint auch, dass er dies innerhalb von „Pulse of Europe“ durchsetzt. Seine Ansprache an die ökonomischen Interessen von Unternehmern und Kapitalisten, die mit Export, Handel und Tourismus ihren Reibach machen füllt die Demonstrationen mit jenen anzug- und kostümtragenden Herren und Damen, die den Wirtschaftsraum EU ungern verlieren wollen.
Campino, die EU und die Linke
Als die „Toten Hosen“ in Dresden auf einer der wöchentlichen Gegendemos gegen PEGIDA spielten, wurde der Sänger der Band, Campino, von der Presse zu seiner Position bezüglich der politischen Situation gefragt. Campino, der ohne Frage weithin als „Altlinker“ angesehen werden dürfte, erklärte, wir würden in fragilen Zeiten leben, was ohne Zweifel wahr ist und forderte dann alle auf, die an die europäische Idee glauben, auf die Straße zu gehen. Das Teuflische daran ist, dass gerade die EU die Vision eines vereinten Europas zerstört. Das Europa von heute – das Europa der EU – ist der größte Waffenexporteur der Welt und produziert somit Fluchtursachen. Es schottet sich dennoch ab und lässt so das Mittelmeer zum Massengrab werden. Es ist ein Europa, welches einseitig durch die herrschenden Klassen der starken Staaten, also Frankreich und vor allem Deutschland geführt wird und Spanien und Griechenland Hungerkuren verordnet, die dort zu irrsinnigen sozialen Zuständen führen. Das Europa von heute – das Europa der EU – ist ein Europa des Demokratieabbaus. Man muss nur nach Polen oder Ungarn sehen oder nach Frankreich, wo seit über einem Jahr Ausnahmezustand herrscht. Ein Ausnahmezustand, der unfähig ist Terror-Anschläge zu verhindern, sehr wohl aber dazu in der Lage ist Demonstrationen der sozialen Bewegung zu behindern
Nur sprechen die meisten Linken und die Gewerkschaftsführungen das kaum noch aus. So wird die EU scheinbar zum Schutzschild gegen die wachsende Rechte
Zu Beginn der 50er Jahre warnte ausgerechnet der erste Vorsitzende der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg, Kurt Schumacher, im Angesicht der „Montanunion“ vor dem sogenannten „4-K-Europa“, einem Europa, das klerikal, konservativ, kartellistisch und kapitalistisch sein würde und das die ArbeiterInnenbewegung abzulehnen habe. Schumacher beschrieb mit diesen Worten auch die EU von heute. Nur, während die Herrschenden sich ihre EU formten, fiel die Kritik großer Teile der Linken an diesen Zuständen selbst hinter die Kritik von Kurt Schumacher zurück
Stattdessen wird mit dem Begriff des „Neustarts der EU“ der Eindruck erweckt dieses kapitalistische Staatenbündnis ließe sich einfach zu einer friedlichen und sozialen Union reformieren. Und die Weigerung die EU als das zu sehen was sie ist – demokratiefeindlich, kapitalistisch und gefährlich, weil sie soziale Leistungen schleift, Waffen exportiert und Geflüchtete aussperrt – führt dazu, dass Menschen wie Campino auf einer Demonstration, die das Europa von heute wegen der Abschottungspolitik angreift, zum Kampf für Europa auffordert – ohne zu sagen, was für ein Europa er meint
Doch solange auf der Linken solche Positionen vorherrschen, erscheint die EU eben vielen Jugendlichen als Schutzschild vor Rechtspopulisten
Und so lange die Linke keine positive Vision von dem anzubieten hat, wohin sie die Gesellschaft entwickeln will, solange sie keine massenhaften Kämpfe für billigen Wohnraum, Bleiberecht, gegen Privatisierungen und für mehr Personal an Schulen und in Krankenhäusern anzubieten hat, solange droht sich dieser Zustand nicht zu ändern. Und solange können Projekte wie „Pulse of Europe“ auch zeitweiligen Zulauf von Menschen haben, die ehrlich gegen Rassismus kämpfen wollen.
Kritikloses Feiern der EU
Die von der Bühne aus präsentierten Inhalte sind nicht selten dünn. Im Wesentlichen wird der „europäische Gedanke“ gefeiert, ohne genau zu sagen, was dieser denn sei. Es wird davon gesprochen, dass die EU auch eine Werteunion sei. Nur selten werden diese Werte dargestellt und wenn doch, so sind es Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit. Dass eine Kluft zwischen den von „Pulse of Europe“ als Werte der EU dargestellten Partizipationsrechten und der Realität in vielen EU-Ländern liegt, wird selten thematisiert. Der Großteil der Reden lässt sich mit deren häufigen Abschlusssätzen trefflich zusammenfassen: „Vive L‘Europe! – Es lebe Europa!“ Leider wird kaum davon gesprochen was für ein Europa man meint: Das Europa der unsagbar Reichen, die nicht fliehen müssen, oder das Europa der Armen, die künstlich in Konkurrenz zu Geflüchteten gebracht werden
Immer wieder wird von Frieden geredet. „Siebzig Jahre Europa, heißen auch siebzig Jahre Frieden“, verkündete einer der Redner in Dresden. Der Satz offenbart das gesamte Problem von „Pulse of Europe“ deutlich. Sicher wird der Redner nicht den Kontinent Europa gemeint haben, denn der ist bedeutend älter als siebzig Jahre, er wird die EU gemeint haben. Doch diese Institution ist weder siebzig Jahre alt, noch ist sie seit siebzig Jahren friedlich. In den sieben Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Herrschenden verschiedener europäischer Mächte an imperialistischen Kriegen beteiligt (Entkolonialisierungskriege: Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien; Falkland-Inseln: Großbritannien; Serbien: europäische NATO-Staaten, inklusive Deutschland; Irak: Großbritannien, Polen, Spanien) und haben kräftig Geld mit Waffenlieferungen verdient
Ja, so die Veranstalter von „Pulse of Europe“, man müsse „Misstrauen ernst nehmen“ und „Reformen sind notwendig“, wie es im Dresdner Faltblatt von „Pulse of Europe“ heißt. Doch was für Reformen sollen das sein? Wie sollte die EU nach Ansicht von „Pulse of Europe“ aussehen
Unterhält man sich mit OrganisatorInnen, so geben sie unumwunden zu, dass es da ganz verschiedene (und durchaus auch miteinander unvereinbare) Vorstellungen innerhalb von „Pulse of Europe“ gäbe. Man wolle nur die „Europäische Union“ erhalten. Und so nehmen auch an „Pulse of Europe“ Menschen teil, die einen stärkeren Zusammenschluss der Nationalstaaten befürworten und Menschen, die das genaue Gegenteil wollen. Wieder andere präferieren das letzten Endes auf Schäuble zurückgehende Modell des „Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten“… Irgendwie scheint in „Pulse of Europe“ jedeR an sein/ihr eigenes Europa bzw. die Vision davon zu glauben
Noch dazu sind auch in dieser Frage die einzelnen Gruppen vor Ort sehr unterschiedlich. Das führt auch dazu, dass in Köln der linke Kabarettist Jürgen Becker eine klar antirassistische und zu großen Teilen linke politische Rede halten konnte
Gleichzeitig steht „Pulse of Europe“ mit dem Singen der Europa-Hymne und dem ständigen Lobpreisen der EU für eine Art gemäßigten „Euro-Nationalismus“, den die Veranstalter dem vielfach aggressiven Nationalismus von PEGIDA, AfD und Co. entgegenhalten.
Wohin geht „Pulse of Europe“?
Noch immer versucht sich „Pulse of Europe“ räumlich auszudehnen. Allerdings stagnieren die TeilnehmerInnenzahlen im Moment. Schulprojekte, monatliche, statt wöchentliche Demos sollen der Ausweg sein. Doch um „Pulse of Europe“ neuen Schwung zu verleihen, wird mehr nötig sein als der häufig wiederholte Aufruf zum Wählengehen. Selbstverständlich sagt „Pulse of Europe“ auch nicht, wen man denn nun wählen sollte. Das wäre auch deshalb schwer, weil die einzelnen Gruppen in den verschiedenen Städten ganz unterschiedlich politisch verortet sind. Von Grün bis konservativ gibt es nach Aussagen aus OrganisatorInnenkreisen alles bei „Pulse of Europe“
Über kurz oder lang wird das scheinbar um Dominanz bemühte „Ehepaar aus Frankfurt“ mit den von ihm gegebenen Richtlinien für vermehrte Konflikte innerhalb von „Pulse of Europe“sorgen, gerade, weil die Bewegung zwar versucht die kleinbürgerliche Mitte zu bewegen, das aber von unterschiedlichen politischen Standpunkten aus tun wird. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass wir es mit einer dauerhaft anwachsenden sozialen Bewegung zu tun haben
Die weitere Entwicklung von „Pulse of Europe“ wird jedoch auch von zwei Dingen abhängen: Von weiteren möglichen Erfolgen rechtspopulistischer Parteien und Gruppen in Ländern der EU. Dies kann das Bedürfnis nach öffentlichem Protest gegen Rassismus und Rechtspopulismus verstärken. Und – und das ist der zweite wesentliche Aspekt – sollte es der Linken weiterhin nicht gelingen diesem Wunsch einen adäquaten Ausdruck zu verleihen, dann kann auch eine einigermaßen eigenartige Gruppe wie „Pulse of Europe“ daraus wieder Profit schlagen.
Was muss die Linke jetzt tun
Es kann beim Umgang mit „Pulse of Europe“ keinen Masterplan für linke AktivistInnen geben. Für einen solchen ist „Pulse of Europe“ (noch) zu heterogen. Klar ist, dass sie sich nicht zum Teil davon machen darf. Inwiefern Linke den TeilnehmerInnen der sonntäglichen Demos aber Diskussionsangebote machen und dort auch erscheinen sollten, hängt von den örtlichen Umständen ab. Während in Köln Jürgen Becker antirassistische Reden hält und in Dresden hin und wieder kritische RednerInnen am offenen Mikro sprechen können, haben OrdnerInnen in der sächsischen Landeshauptstadt AktivistInnen von „Mission Lifeline“, die Geld für die Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer sammeln, das Verteilen von Flyern auf der „Pulse-of-Europe“-Kundgebung verboten
Doch gerade mangels entsprechender Angebote kann nicht ausgeschlossen werden, dass gerade Jugendliche, die gegen den Erfolg rechter Gruppen protestieren wollen, zu „Pulse of Europe“ gehen. Gerade deshalb ist es notwendig von Fall zu Fall zu entscheiden. Wo immer sich Chancen bieten Menschen kennenzulernen, die nicht aus dem Gefühl heraus sich vor der EU – dem Europa der Herrschenden – verbeugen zu wollen zu „Pulse of Europe“ gehen, sondern, weil sie den Siegen auf der Rechten etwas entgegensetzen wollen, sollten AntirassistInnen und Linke mit ihnen die Diskussion suchen
Doch auch im Fall von „Pulse of Europe“ bleibt eine Antwort unerlässlich: Gerade Gewerkschaften und DIE LINKE wären in der Pflicht endlich die Wut über Sozialabbau, Bleiberechtsverschärfungen, Waffenexporte, steigende Mieten… auf die Straße zu tragen und zu organisieren. Würde das endlich geschehen, wäre dieser Artikel hier wahrscheinlich unnötig.