Interview mit Carsten Becker, Sprecher ver.di Charité*
Ihr habt im letzten Jahr den bundesweit ersten Tarifvertrag für Personalmindeststandards und Gesundheitsschutz in einem Krankenhaus erkämpft. Jetzt ist die ver.di-Betriebsgruppe an die Öffentlichkeit getreten und fordert weitere Verbesserungen. Warum?
Wir haben schon beim Abschluss gesagt, dass so ein Tarifvertrag zu erkämpfen die eine, aber die Umsetzung die zweite und wahrscheinlich die größere Hürde ist. Der Tarifvertrag, so wie er sich in dem vergangenen Jahr gestaltete, hat zum einen deutlich gemacht, dass wir mit den Mindeststandards, die wir gefordert und festgelegt haben, gar nicht so schlecht liegen. Er zeigt also deutlich mehr Personalbedarf auf, als die Charite derzeit vorrätig hat. Was wir aber auch festgestellt haben, ist, dass es an diversen Stellen Verzögerung gegeben hat, was die Umsetzung angeht, Nichteinhaltung von bestimmten tariflichen Regelungen und auch Umgehung von diesen Mindeststandards. Pauschal sagt die Charité, man könne nicht so schnell so viele Fachleute bekommen. Aber der Tarifvertrag beinhaltet auch ein Konsequenzmanagement, das Leistungseinschränkung auf diversen Ebenen bedeutet. Wichtig ist die Erkenntnis, dass man in einem Tarifvertrag tatsächlich auch Regelungen festschreiben muss, die bedeuten, dass es für den Arbeitgeber letztendlich teurer wird, wenn er sich nicht an die Mindeststandards hält, als wenn er sie umsetzt. Das haben wir in dieser ersten Fassung nicht geschafft.
Was wären denn aus eurer Sicht nötige Maßnahmen, um eine Umsetzung des Tarifvertrags und damit eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu gewährleisten?
Die nötigen Maßnahmen sind klar strukurierte „Wenn-Dann“-Regeln. Das ist die Erfahrung, die wir in dieser einjährigen Umsetzung des Tarifvertrages gemacht haben. Die Charité ist ein Großbetrieb und hat deswegen nicht nur ein Management, sondern vielschichtige Managementebenen und vielschichtige Rollen. Deswegen bedarf es aus unserer Sicht eines Tarifvertrages, der klare „Wenn-Dann“-Regeln enthält. Das heißt, wenn der Mindeststandard nicht eingehalten wird, dann passiert Folgendes. Und das muss in einem gewissen Automatismus passieren, so dass die Konsequenzen für den Arbeitgeber spürbar sind.
Der Arbeitgeber behauptet, ver.di sei verantwortlich, dass Pflegekräfte eine Beschäftigung bei der Charité meiden, weil ihr die Situation schlecht redet und den Betrieb als tarifpolitisches Experimentierfeld missbraucht. Was sagst du dazu?
Das ist ein gewichtiges Argument des Arbeitgebers und wir sehen uns damit konfrontiert. Aber wie sollen wir anders agieren? Wir sind zum einen davon überzeugt, dass wir nicht für eine schlechte Stimmung sorgen, sondern dass wir die schlechte Stimmung, die konkret vor Ort ist, aufzeigen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Zweitens ist es wichtig für den Arbeitgeber, endlich zu begreifen, dass wir felsenfest der Meinung sind, dass viele Beschäftigte die Charité noch nicht verlassen haben, weil sie darauf hoffen, dass solche tariflichen Regelungen zu besseren Arbeitsbedingungen führen. Außerdem führt ein Fortschreiben von schlechten Arbeitsbedingungen mit nur kleinen partiellen Verbesserungen sicher nicht zu einer erhöhten Attraktivität der Charite. Deswegen sind wir zutiefst davon überzeugt, dass wenn dieser Tarifvertag verbessert wird, sich schließlich auch die Bewerberlage verbessert. Wir streiten deshalb für einen verbesserten Tarifvertrag Gesundheitsschutz.
Kann es denn wieder zum Arbeitskampf um diese Frage kommen?
Das ist die natürliche Dynamik der Tarifverhandlungen. Nach Beschluss der ver.di-Tarifkommision in Rückkopplung mit den TarifberaterInnen endet der Tarifvertrag Anfang Juli. Wir wollen bis dahin die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen haben, so dass es einen nahtlosen Anschluss zu dem Folgevertrag gibt. Damit wären Arbeitskämpfe obsolet. Andere Varianten schließen wir nicht aus. Deswegen sind wir gerade in einer Befragung der Beschäftigen darüber, zu welchen Aktivitäten sie bis zum Streik bereit sind. Resonanz ist bisher, dass die Kollegen durchaus bereits sind, mit einem Arbeitskampf dafür zu sorgen, dass wir zu einer Weiterentwicklung des bestehenden Tarifvertrages kommen.
An der Charité findet derzeit auch eine Auseinandersetzung um die ausgegliederte und teilprivatisierte Tochtergesellschatf CFM (Charité Facility Management) statt. Seit Jahren fordert ver.di einen Tarifvertrag für die Beschäftigten und eine Wiedereingliederung in die Charité. Nun hat der neue rot-rot-grüne Senat beschlossen, die Teilprivatisierung rückgängig und die CFM damit zu einer hundertprozentigen Tochter der Charité zumachen. Sind die Ziele der Kolleginnen und Kollegen damit erreicht?
Die Ziele der Kollegen und die Ziele von ver.di sind damit natürlich noch lange nicht erreicht. Es ist schon mal ein Teilerfolg, dass die CFM zu einer hundertprozentigen Tochter wird. Aber wir haben auch andere ausgegliederte Bereiche, wo die Eigentümerschaft zu 100 Prozent bei der Charite liegt, es aber auch dort zu Tarifflucht kommt und zu Einstellung von Beschäftigten, die für die gleiche Arbeit weniger Gehalt bekommen und längere Arbeitszeiten haben. Diese Diskrepanz haben wir in allen Töchtern der Charité und diese Diskrepanz gilt es zu überwinden. Da ist unsere klare Haltung, dass die tarifliche Regelung, die wir an der Charité haben, auch für die Beschäftigten der Tochtergesellschaften gelten muss. Das muss das Ziel sein – und so haben wir eigentlich auch die Koalitionsvereinbarungen verstanden. Aber da sehen wir noch nicht die starken Bemühungen der Landesregierung. Da muss deutlich der Druck erhöht werden. Da die Ausgliederung der CFM unter einer rot-roten Regierung stattgefunden hat, ist DIE LINKE aus unserer Sicht in einer besonderen Verantwortung, hier zu zeigen, wie sie gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Lohnungleichheit vorgehen möchte.
Mit Carsten Becker sprach Aleksandra Setsumei.
*Angabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person