Ein Blick zurück auf inspirierende Sozialismustage
Die SAV hatte zu einem intensiven Osterwochenende eingeladen: Über sechzig RednerInnen in 35 Workshops, vielen solidarisch-kontroversen Debatten, aber auch Aktionen und Kultur standen auf der Tagesordnung. 520 TeilnehmerInnen lauschten und diskutierten, lernten und berichteten. Der Kongress war vor allem auch von den vielen internationalen Gästen geprägt.
von Sebastian Rave, Bremen
Die Eröffnungsveranstaltung mit dem Titel „Zwischen Angst und Hoffnung: Weltweit gegen den Kapitalismus“ machte den internationalistischen Anspruch der Konferenz besonders deutlich: Giuliano Brunetti von ControCorrente berichtete aus Italien, das von einer wirtschaftlichen und politischen Krise geprägt ist. Seine Einschätzung, dass auch bei den anstehenden Neuwahlen „die Ungewissheit die einzige Gewissheit“ sei, fasste den Zustand des globalen Kapitalismus gut zusammen. Ismail Okay von Sosyalist Alternatif, der türkischen Schwesterorganisation der SAV, zeichnete das Bild einer Türkei in der Krise, in der das Referendum über das Präsidialsystem das letzte Mittel Erdogans sei. Und auch wenn Ismails Einschätzung, dass das Nein gewinnen würde, zwei Tage später durch massive Wahlmanipulation widerlegt wurde, wurde deutlich, dass die politische Lage in der Türkei äußerst explosiv bleiben wird.
Kapitalismus außer Kontrolle
Hannah Sell, stellvertretende Generalsekretärin der Socialist Party in Großbritannien, stellte ihre Rede unter die Überschrift eines „Kapitalismus außer Kontrolle“, in dem die Wahl von Trump und das Brexit-Votum von der Mehrheit des Kapitals ungewollte Geschehnisse waren. Mario Kunze, Gewerkschaftsaktivist im Krankenhauskonzern Vivantes, stellte eine Einkaufsliste des Widerstands zusammen: Neben kämpferischen Gewerkschaften und einer LINKEN, die ihren Namen verdient, müssten wir „Klassenbewusstsein einpacken, sonst verhungern wir“.
Lucy Redler analysierte in einem von ständigem Applaus unterbrochenen Schlusswort die Situation in Deutschland. Martin Schulz sei von Gabriel zu St. Martin gemacht worden, verteidigt aber weiterhin mit Hartz IV Armut per Gesetz. Das neue Wahlprogramm der LINKEN, mit dem sich laut Medien die „LINKE links überholt“, hätte zwar noch etwas Luft nach links oben, eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen sei damit aber eigentlich unmöglich. Ohnehin sei die Hoffnung, dass die SPD soziale Politik machen würde ungefähr so realistisch wie die Annahme, der Bundesnachrichtendienst würde Nachrichten verbreiten. Mary Burns im Film „Der Junge Karl Marx“ zitierend rief sie mit den Worten „Glück bedeutet Auflehnung“ zu den G20-Protesten am 8. Juli nach Hamburg, zur Unterstützung der Streiks in Krankenhäusern sowie zu einem kämpferischen Bundestagswahlkampf auf.
Linke Kontroversen
Der nächste Tag war geprägt von spannenden teils kontroversen, aber immer solidarisch geführten Debatten. So wurde im Workshop „Gibt es Alternativen zur LINKEN“ mit VertreterInnen von DKP, der Interventionistischen Linken und der Piratenpartei über das Verhältnis von Reform und Revolution, linke Organisationskonzepte und Internationalismus gestritten. In einem weiteren Workshop diskutierten Katharina Doll, Sprecherin des Bundesarbeitskreises Revolutionäre Linke in der Linksjugend [’solid] und die [’solid]-Bundessprecherin Caroline Tischner über den Zustand des Jugendverbands, das Verhältnis zu Partei und Rot-Rot-Grün im Wahlkampfjahr sowie das antirassistische Profil der Linksjugend.
Ein Highlight war sicherlich die Diskussion zwischen dem Parteivorsitzenden der LINKEN Bernd Riexinger, Lucy Redler und Ali Al-Dailami (Geschäftsführender Parteivorstand DIE LINKE) unter dem Titel „Ready to govern?“. Lucy Redler warnte vor Illusionen in die SPD, und rief dazu auf, dass DIE LINKE nicht als Waggon an den Schulzzug gekoppelt wird, sondern dass die Leute, die Hoffnungen in soziale Verbesserungen haben, zum Aussteigen aus diesem Zug gebracht werden. Während Bernd Riexinger den Kurs der Parteiführung („Weder Regierungswahlkampf noch Oppositionswahlkampf“) verteidigte, machte Ali Al-Dailami klar, dass es kein „linkes Lager“ gebe und es eine „antikapitalistische Partei gegen das Establishment“ brauche.
Viel zu lernen
Im 100. Jahr der Oktoberrevolution ging es in vier Workshops darum, Lehren aus den Erfahrungen mit der Überwindung des Kapitalismus in Russland, aber auch mit dem Stalinismus zu ziehen. Neben mehreren Einführungen in die verschiedenen Aspekte des Marxismus (Wirtschaftstheorie, Geschichte, Feminismus, Philosophie) spielten gewerkschaftliche und betriebliche Kämpfe eine größere Rolle. So konnten Michael Quetting (Gewerkschaftssekretär ver.di Region Saar Trier), Carsten Becker (Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe Charité) und Johanna Henatsch (ver.di Vivantes) für eine Diskussion um den Kampf für mehr Personal in den Krankenhäusern gewonnen werden.
In einem weiteren Workshop diskutierten mit Charlotte Rutz-Sperling (Therapeutin Vivantes), Ronald Tamm (Botanischer Garten), Daniel Fechner (Vivantes Service GmbH), Wolfgang Wendt (BVG), Daniel Turek (CFM) Gewerkschaftsaktive über die Kämpfe für eine Rückführung aller Tochterunternehmen in die jeweiligen Muttergesellschaften (Bericht folgt auf www.archiv.sozialismus.info).
Neben den vielen Workshops stellte der neu gegründete manifest-Verlag noch sein beeindruckendes Programm vor. Das breite Angebot von linken Büchern und Broschüren kam gut an: An dem Büchertisch wurden alleine dieses Wochenende Bücher für 4000 Euro verkauft – Geld, das direkt in den Druck von mehr Büchern investiert werden kann.
Rechtsruck oder Polarisierung?
Mit dem Aufstieg der Rechten beschäftigte sich die Podiumsdiskussion „What the Trump? Rückt die Welt nach rechts?“ am Samstag abend. Sascha Staničić, Bundessprecher der SAV, Bernd Riexinger und Jess Spear aus den USA analysierten das Phänomen des modernen Rechtspopulismus, für das Donald Trump, Marine Le Pen, die FPÖ und die AfD als Beispiele angeführt wurden. Diese seien laut Sascha Staničić ein Ausdruck der politischen Krise des Kapitalismus und einer Polarisierung, die von Rechtspopulisten genutzt werden kann, wenn sie ein größeres Anti-Establishment-Image haben als linke Parteien. Bernd Riexinger erklärte den rechten Aufmarsch auch mit dem Neoliberalismus, der zu Deinudstrialisierung und verschärfter Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse geführt habe. Dafür sei auch die Politik der Sozialdemokratie verantwortlich. Jess Spear machte auf die beeindruckende Welle des Widerstands gegen Trump aufmerksam. Sie warnte aber auch: „Wenn der liberale Flügel der Anti-Trump-Bewegung die Führung über die Bewegung gewinnt, wird die Bewegung verlieren“.
Von Madrid bis Berlin: Kämpfen, um zu gewinnen!
Einen optimistischen Ton setzte die Abschlussveranstaltung. Ursel Beck (SAV Stuttgart) berichtete von der beeindruckenden Gegenwehr, die MieterInnen in Stuttgart mit Hilfe der LINKEN gegen Mietsteigerungen und Wohnungsmangel leisteten. Ruth Coppinger, sozialistische Parlamentsabgeordnete in Irland, schilderte den mit harten Bandagen geführten Kampf gegen die Erhebung von Wassergebühren in Irland. Neunzehn AktivistInnen, unter ihnen ihr Parlamentskollege und Genosse Paul Murphy, sind derzeit mit langen Gefängnisstrafen bedroht, weil sie bei einem Protest das Auto der Vize-Premierministerin für zwei Stunden blockiert haben. Auch die Frauenbewegung leiste beeindruckende Gegenwehr gegen das Abtreibungsverbot in Irland. Ulla Hedemann, Sprecherin der ver.di Betriebsgruppe an der Charité, berichtete von dem Kampf um mehr Personal im Krankenhaus, der in Berlin als erstes zum Abschluss eines Tarifvertrags für mehr Personal geführt hat. Andere Krankenhäuser müssen jetzt nachziehen, um das ganze Gesundheitssystem zu verändern.
Ana Garcia, Vorsitzende der spanischen Schülergewerkschaft Sindicato de Estudiantes, sprach zum Schluss. Sie schilderte den erfolgreichen Kampf gegen die Wiedereinführung eines Gesetzes aus der Franco-Zeit, das den Zugang von Arbeiterkindern zu höherer Bildung massiv erschwert hätte. Die Schülergewerkschaft mobilisierte die Jugend: „Wir sind Arbeiterkinder, wir werden keine Reichtümer erben, sondern nur die Rechte, die unsere Eltern und Großeltern erkämpft haben. Wenn ihr Krieg wollt, könnt ihr ihn haben!“ Zwei Millionen SchülerInnen gingen auf die Straße, und drei Streiktage später war ein historischer Sieg gewonnen. Izquierda Revolucionaria, die Organisation, von der die Schülergewerkschaft ins Leben gerufen wurde, hatte gleichzeitig zu den Sozialismustagen ihren Kongress. Als Ana Garcia berichtete, dass bei diesem Kongress die einstimmige Entscheidung gefällt wurde, sich mit dem CWI zu vereinigen, brach stürmischer Beifall aus und es gab Standing Ovations.