Warum DIE LINKE ihre Partner nicht bei SPD und Grünen suchen sollte
In der LINKEN wird vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahlen derzeit rauf und runter diskutiert, ob es ein linkes Lager gibt. Ist es sinnvoll, SPD und Grüne als potenzielle Bündnispartner zu betrachten und die eigene Strategie darauf auszurichten?
von Sebastian Rave, Bremen
Die Theorie der politischen Lager ist relativ jung, und wurde Mitte der 1980er von Heiner Geißler (damals CDU-Generalsekretär) vor dem Hintergrund eines neuen Vier-Parteien-Systems entwickelt. Nach ihm waren damals zwei Lager entstanden: Das „bürgerliche Lager“ aus Union und FDP und das „linke Lager“ aus SPD und den noch jungen Grünen. Seine Schlussfolgerung war, dass es darauf ankomme, bei Wahlen eine Mehrheit für das eigene Lager herzustellen. Es nütze nichts, wenn man Stimmen nur zu Lasten des eigenen Lagerpartners gewinnt. Also müsse man Anhänger des anderen Lagers überzeugen, wofür eine gemäßigte Politik der Mitte nötig sei.
Tatsächlich bildeten sich die Mehrheiten der Koalitionen auf Bundes- und Landesebene bis vor wenigen Jahren innerhalb dieser Lager.
Mittlerweile gibt es aber ein Sechs-Parteien-System, in dem die AfD (noch) keine Koalitionsoption darstellt, sich also auch nicht einem Lager zuordnen lässt. Die Grünen sind weit nach rechts gerückt und haben begonnen mit der CDU zu koalieren. Vor allem aber hat sich die SPD verändert. Der Wahlkampf von Schröder 1998 war ein Paradebeispiel von einem Lagerwahlkampf: Von vornherein auf Rot-Grün ausgerichtet, und vor allem: Mit einer Geißlerschen „Politik der Mitte“, was Schröder sogar gleich als Wahlkampfmotto nahm.
SPD verbürgerlicht
Die Politik dieser „neuen Mitte“, namentlich der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr (in Jugoslawien) und vor allem die Agenda-2010, enttäuschten viele, die sich eine linkere Politik nach sechzehn Jahren Kohl erhofft hatten. Das schlägt sich in den Wahlergebnissen nieder: 1972 kam die SPD noch auf 45 Prozent, Bei der letzten Bundestagswahl 2013 waren es gerade noch 25 Prozent. Ein weiteres, noch folgenreicheres Ergebnis war die sich beschleunigende Entleerung der Sozialdemokratie. Hatte diese 1976 noch über eine Million Mitglieder mit einem relativ hohen Aktivitätsgrad, sind heute noch etwas mehr als 450.000 übrig geblieben, davon viele Karteileichen. Auch die soziale Zusammensetzung hat sich verändert. Die SPD ist schon lange „entproletarisiert“ und hat eine weitestgehend abgeschlossene Verbürgerlichung erfahren.
Dieser Umstand war im Endeffekt der Auslöser für die Gründung der WASG und später der LINKEN als mittlerweile einzige Partei, deren Programm sich klar gegen Kürzungen ausspricht, für eine Millionärssteuer, gegen Bundeswehreinsätze, gegen Asylrechtsverschärfungen etc. Vor allem aber ist DIE LINKE die einzige Partei, die sich eine grundlegend andere Gesellschaft vorstellen kann: „Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.“
Wie man dieses andere Wirtschafts- und Gesellschaftssystem erreicht, war schon immer Gegenstand hitziger Diskussionen in der Arbeiterbewegung. Die Frage, ob man sich an Regierungen mit prokapitalistischen Parteien beteiligt, ist dabei nicht eine Frage der Taktik, sondern eine strategische Grundsatzfrage. Es geht im Endeffekt darum, ob man sich an der Exekutive eines bürgerlichen Staats beteiligen will. Schon im Juli 1899 schrieb Rosa Luxemburg: „Ein prinzipieller Gegner des Bestehenden hingegen steht vor der Alternative: entweder auf Schritt und Tritt der bürgerlichen Mehrheit in der Regierung Opposition zu machen, d.h., tatsächlich kein aktives Mitglied der Regierung zu sein (…) oder aber die Sache schließlich mitzumachen, die täglich zur Erhaltung und zum Fortlauf der Staatsmaschine in jedem Regierungszweig notwendigen Funktionen zu verrichten, d.h., tatsächlich kein Sozialist, wenigstens nicht in den Grenzen des Regierungsamtes, zu sein.“
Bündnis gegen AfD?
Ein weiteres Argument, was gerne für ein rot-rot-grünes Lager ins Spiel gebracht wird, ist das eines Bündnisses gegen die AfD. Um das zu entkräften muss man kurz beleuchten, was die AfD stark gemacht hat. Bei Umfragen sagen Mehrheiten von AfD-WählerInnen immer wieder, dass sie die AfD aus Protest wählen. So in Sachsen-Anhalt nach den Landstagswahlen, wo nur 27 Prozent die AfD „aus Überzeugung“ wählten, aber 64 Prozent „aus Enttäuschung von anderen Parteien“. Der Aufstieg der AfD ist nur vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der bürgerlichen Demokratie zu verstehen: Es gibt eine enorme Entfremdung vom bürgerlichen Politikbetrieb, der Kapitalismus kommt wirtschaftlich nicht in die Pötte, die geopolitische Stabilität kollabiert und sorgt für historische Fluchtbewegungen. Die AfD schafft es unter diesen Umständen, sich (im übrigen völlig zu unrecht) als Anti-Establishment-Partei zu präsentieren.
Aber ist es eine gute Idee, sich dann mit genau diesem Establishment gegen die AfD zu verbünden, das die AfD erst stark gemacht hat? Wenn man im Sportunterricht sein Team wählt, sollte man beim Tauziehen die Augen aufmachen. Wenn sich der vermeintliche Teamgenosse während des Tauziehens umdreht und dem Gegner hilft, hat man sich den falschen Bündnispartner ausgewählt.
Auch wenn sich SPD und Grüne nicht eignen, um die AfD zu bekämpfen oder um soziale Gerechtigkeit zu erreichen: Es gibt ein linkes Lager. Allerdings heißt das nicht „R2G“. Wir müssen unsere Tauziehpartner woanders suchen: Menschen, die von Hartz IV betroffen sind, Jugendliche, die sich gegen Rassismus wehren, GewerkschafterInnen, die für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen… Nutzen wir die Bundestagswahlen 2017 dafür, diese Leute davon zu überzeugen, mit uns für eine grundlegend andere Gesellschaft zu kämpfen. n
Sebastian Rave ist Mitglied im Landesvorstand der LINKEN in Bremen