Zehn Vorschläge für einen rebellischen Anti-Establishment-Wahlkampf der LINKEN
Ziel der LINKEN ist die Änderung der Macht- und Kräfteverhältnisse. Wir wollen diesen Kapitalismus abschaffen und aus einer Minderheitsposition in eine gesellschaftliche Mehrheitsposition gelangen. Dies ist nur möglich, wenn wir uns an realen Bewegungen beteiligen, diese voran treiben und uns dadurch verankern. Und es setzt den Aufbau der LINKEN als Trägerin wesentlicher sozialer Forderungen verknüpft mit dem Kampf für eine nichtkapitalistische, sozialistische Gesellschaft voraus. Lasst uns den Bundestagswahlkampf und die Zeit davor nutzen, um mit Menschen ins Gespräch über Alternativen zu kommen und sie zu begeistern, selbst aktiv zu werden.
Diskussionsbeitrag von Lucy Redler, Mitglied des Parteivorstands DIE LINKE, des BundessprecherInnenrats der AKL und der SAV
ANGER
1. Wir können das beste Wahlergebnis unserer Geschichte erreichen, wenn wir einen Bundestagswahlkampf gegen das Establishment und Konzernmacht führen und als Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse, das neoliberale Einparteienkartell und damit gegen Krieg, Klimawandel, Armut und obszönen Reichtum einiger Weniger antreten. DIE LINKE Hessen hat auf ihrem Landesparteitag am 12./13. November 2016 richtigerweise beschlossen: „Wir setzen uns innerhalb der Partei für einen kämpferischen Bundestagswahlkampf ein, in welchem wir uns als konsequente soziale Opposition positionieren und verlässliche Kraft im Lager der Solidarität sind.“ Wir kämpfen gegen die Macht der Banken und Konzerne, für ein Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und vertreten antikapitalistische und sozialistische Lösungen. Dazu gehört, dass wir die Erhöhung des Rüstungsetats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts heftig kritisieren. All das muss sich in unserem Auftreten und Slogans widerspiegeln. Wir drücken nicht „Liebe“ aus wie im Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern, sondern berechtigte „Wut“ auf die da Oben und „Empörung“ und lernen aus dem Vorwahlkampf von Bernie Sanders, der mit klaren Forderungen gegen die Klasse der Milliardäre den Standpunkt der Arbeiterklasse zum Ausdruck brachte. Wir wollen all jene erreichen, die von der Krise des System betroffen sind oder sich Sorgen machen, dass sie es sein werden. Das sind nicht nur, aber auch die heutigen NichtwählerInnen.
2. Das Gros der Menschen liest keine ellenlangen Wahlprogramme. Wichtig sind zuspitzende Slogans, die unser Programm ausdrücken. Hier ein paar Ideen für solche Slogans:
● Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten
● Sparpaket für den Rüstungsetat jetzt
● Kitaplätze statt rassistische Hetze
● Renten rauf – Rüstungsetat runter
● Krieg ist Terror – Abzug aller Truppen jetzt
● Miethaie zu Fischstäbchen
● Keine Rendite mit der Miete
● Systemwandel statt Klimawandel: Macht der Banken und Konzerne brechen
● Bankenmacht brechen: Deutsche Bank & Co in demokratisches öffentliches Eigentum
● Nach dem NSU-Terror: Geheimdienste abschaffen
● Parallelgesellschaften bekämpfen: Reichtum besteuern – Millionärssteuer jetzt!
● #notmykanzler-Plakate mit Merkel und Gabriel/Schulz mit drei Stichpunkten ihrer Bilanz: Kriegseinsätze, Hartz IV, Erbschaftssteuer verhindert
● Großplakate wie im niedersächsischen Kommunalwahlkampf in Oldenburg
HOPE
3. Eine erfrischende Radikalität muss sich auch in unserem Auftreten widerspiegeln. Die Menschen würden aufhorchen und begeistert sein, wenn DIE LINKE erklärt, dass sie Privilegien für Abgeordnete ablehnt und die von ihr gewählten MandatsträgerInnen dazu verpflichtet, alles über den Betrag hinaus zu spenden, der ihrem vorigen Einkommen entspricht beziehungsweise über das Einkommen einer/eines LehrerIn hinausgeht. Damit würde sich DIE LINKE an der Praxis der Socialist Party Irland, der KPÖ Graz und der Sozialistischen Partei in den Niederlanden orientieren.
4. Die soziale Frage gehört in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Wir müssen klassenpolitische Antworten und Alternativen im Interesse aller Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten geben – von dauerhaft hier lebenden Menschen und Geflüchteten. Wesentliche Themen dafür sind: Mieten, Gesundheit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Rente, obszöner Reichtum und Armut. Soziale Sicherheit ist unsere Alternative zu mehr Aufrüstung, mehr Polizei und dem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Weitere zentrale Themen sollten für uns sein: Krieg/Frieden, Ökologie, Antirassismus, EU und Antisexismus. Zu all diesen Themen entwickelt die Partei zuspitzende Forderungen. Manche bestehen bereits wie 100.000 Pflegekräfte mehr, 12 Euro Mindestlohn jetzt, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, sanktionsfreie Mindestsicherung von 1050 Euro statt Hartz IV, die Ablehnung und Beendigung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr, den Stopp der Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA, die Einführung einer Millionärssteuer, ein Sparprogramm für den deutschen Rüstungsetat und einiges mehr. Prominent sollten wir ebenfalls das Bleiberecht und gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen, die Abschaffung der Schuldenbremse, ein Nein zur EU der Banken und Konzerne, die Schaffung von jährlich 250.000 neuen kommunal gebauten Wohnungen, einen sofortigen Mietpreisstopp, radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und auch die Überführung von Banken (und bitte nicht nur die Deutsche Bank sondern alle Banken!) und Konzernen in demokratisch kontrolliertes und verwaltetes öffentliches Eigentum aufwerfen.
5. Wir müssen selbstbewusst und offensiv gegen den Rassismus der AfD, der Nazis und der etablierten Parteien antreten. Wir sagen kompromisslos Nein zu Asylrechtsverschärfungen, Abschiebungen und dem Sterben im Mittelmeer. Nicht die Geflüchteten sind das Problem, sondern die neoliberale Kahlschlagspolitik der Bundesregierungen der letzten dreißig Jahre – egal ob CDU/CSU, FDP, SPD oder Grüne daran beteiligt waren. Es darf keine Abstriche bei unserer Politik für die Rechte von Geflüchteten und das Bleiberecht für alle hier lebenden Menschen geben – weder verbal in Äußerungen unseres Spitzenpersonals noch in der Praxis von Landesregierungen, an denen DIE LINKE beteiligt ist. Wir verstecken das Thema nicht, sondern greifen es offensiv auf und nutzen den Wahlkampf, um das Bewusstsein in der Gesellschaft darüber zu erhöhen, wer für fehlende Kita-Plätze und steigende Mieten verantwortlich ist, und rassistische Vorurteile zurückzudrängen. Rassismus spaltet uns in dem notwendigen gemeinsamen Kampf gegen steigende Mieten und prekäre Lebensverhältnisse. DIE LINKE sollte leicht verständliches Argumentationsmustermaterial für Mitglieder und Nichtmitglieder zum Programm der AfD für die Agitation in Betrieben, an Haustüren, am Infotisch erstellen. Die AfD ist eine neoliberale Partei, die das Rentenalter hochsetzen, Frauen zurück an den Herd schicken, die Erbschaftssteuer abschaffen und Wohnungen privatisieren will. Das beste Mittel gegen Rassismus ist das Aufzeigen gemeinsamer Klasseninteressen und die Überwindung von Spaltung im Kampf für soziale Verbesserungen.
6. Wir brauchen ein Massenflugblatt mit einer Bilanz der realen Politik der anderen im Bundestag vertreten Parteien und einer Gegenüberstellung ihrer jetzigen Wahlversprechen und den Forderungen und Politik der LINKEN. Gleichzeitig veröffentlichen wir eine Aufstellung, was durch soziale Kämpfe und die Arbeiterbewegung alles erkämpft werden konnte. Hier sollen nur drei Beispiele genannt werden: 1. DIE LINKE und Gewerkschaften haben durch ihre Kampagnen die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, auch wenn dieser löchrig und unzureichend ist, durchgesetzt. 2. DIE LINKE Hessen spielte eine wesentliche Rolle dabei, gestützt auf Proteste, die Studiengebühren im Hessischen Landtag 2008 zu kippen. 3. Die KollegInnen von ver.di Charité setzten in einem erfolgreiche Streik den ersten Tarifvertrag in der Geschichte der Bundesrepublik für mehr Personal im Krankenhaus durch. DIE LINKE hat hier eine wichtige unterstützende Rolle gespielt. Wir sollten offensiv erklären, dass wir uns keinen Veränderungen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung durch gemeinsame parlamentarische Mehrheiten mit SPD und Grünen verweigern werden. Im Gegenteil sollten wir garantieren, allen positiven Maßnahmen im Einzelfall zuzustimmen. Wir sollten anbieten, im Falle einer ausreichenden Mehrheit eine rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt zu bringen. Dabei können wir von den Erfahrungen der rot-grünen Einheitsliste lernen, die das in Dänemark praktiziert hat. (1) Wir bewahren aber unsere Freiheit der Kritik und der Aktion, indem wir erklären, dass wir nicht bereit sind, SPD und Grünen durch Koalitionsbildung oder Tolerierungsvertrag einen Blankoscheck auszustellen.
ACTION
7. Wir müssen einen mitgliederaktivierenden Wahlkampf führen und die Mitgliedschaft in wesentliche Fragen wie der Wahlkampfausrichtung (bundesweit und vor Ort), des Programms, der Themen und der Slogans einbeziehen. Dazu sollte ein Wettbewerb zur Erarbeitung der besten Slogans dienen, der von Mitte Dezember bis Februar 2017 ausgeschrieben werden könnte. Auf der Grundlage entscheiden der Bundesausschuss und der Parteivorstand.
8. Unser Wahlkampf muss bewegungsorientiert sein. Wir nutzen den Wahlkampf, um uns in einem Bereich der Arbeiterbewegung – dem Bereich Krankenhäuser – exemplarisch zu verankern. Die Kampagne für 100.000 Pflegekräfte mehr im Rahmen von ‚Das muss drin sein‘, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in den Krankenhäusern und die Unterstützung der Kämpfe im Rahmen der Tarifrunde Entlastung bilden einen wesentlichen Pfeiler der Aktivität der LINKEN. Ein zweiter wichtiger Schwerpunkt der ‚Das muss drin sein‘-Kampagne bildet das Thema Mieten. Eine Verankerung in Mieterinitiativen setzt eine langfristige Arbeit voraus. Ein gutes Beispiel ist die Kampagne der Genossinnen und Genossen der LINKE in Stuttgart Bad Canstatt. Überall, wo Belegschaften kämpfen oder MieterInnen sich organisieren, muss DIE LINKE aktiv dabei sein. Wichtig wird auch sein, gemeinsam mit SDS und Linksjugend[’solid] zu den für Sommer 2017 geplanten Bildungsstreiks zu mobilisieren. Weitere bedeutende Themen im Jugendbereich sind unter anderen das verstärkte Auftreten der Bundeswehr an Schulen und Antisexismus. Unsere Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse werden wir auch bei den G20 Protesten Juli 2017 und weiteren möglichen Protesten gegen TTIP, CETA und TISA zum Ausdruck bringen.
9. Aufklären und selbst aktiv werden: Lasst uns mit den oben genannten Themen ab Januar 2017 vorrangig in soziale Brennpunkte gehen, in denen Lohnabhängige, Prekarisierte und Erwerbslose wohnen, an den ersten Haustürbesuchen der Partei anknüpfen und diese qualitativ ausweiten. Aufsuchender Wahlkampf muss nicht nur an Haustüren, sondern kann auch in Parks, Kneipen und Sportvereinen stattfinden. Bei all diesen Gelegenheiten müssen Angebote zur Aktivierung gemacht werden. Menschen können bei der Kampagne für 100.000 mehr Pflegekräfte mitmachen, bei Aktionen gegen die AfD, Jugendliche und Menschen die im Bildungswesen arbeiten, bei der Mobilisierung zum Bildungsstreik. Mit einem solchen Wahlkampf werden wir Tausende neue Mitglieder gewinnen können.
10. Was wir auf keinen Fall tun sollten:
● Den Eindruck zu erwecken, dass sich durch Stimmabgabe die herrschenden Verhältnisse ändern würden.
● Statt von „Systemversagen“ von „Staatsversagen“ zu sprechen, einen starken Staat zu fordern durch mehr Polizei und Überwachung und darüber zu reden „was unserem Land“ gut tun würde.
● Uns an AfD-Rhetorik anzunähern und von Obergrenzen, Kontingenten und Parallelgesellschaften zu sprechen.
● AfD-WählerInnen alle als Rassisten zu beschimpfen.
● Die ewige Debatte über r2g neu zu befeuern und Illusionen in die Reformierbarkeit von SPD und Grünen zu schüren, wie das derzeit zwanzig MdBs der LINKEN auf private Initiative im Bundestag mit Abgeordneten von SPD und Grünen versuchen. Es gibt kein linkes Lager. Das beste Beispiel dafür, welche Kräfte in der SPD dominant sind, ist die Aufstellung von Frank Walter Steinmeier – einem Architekten der Agenda 2010 – zum Bundespräsidentschaftskandidaten. Aufgabe der LINKEN ist nicht gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass ein Politikwechsel mit SPD und Grüne nicht an der LINKEN scheitert, sondern inhaltlich zu erklären, dass ein solcher seit Jahren an SPD und Grünen scheitert. Last but not least verweise ich noch auf den alten Spruch aus dem Johannes-Evangelium: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“
(1) Nachzulesen in einem Beitrag von Edeltraut Felfe „Wenn nicht gewagt wird, das Kapital anzugreifen…“ Linke Parteien und Regierungsprobleme auf Sḱandinavien, in: Gleiss/Höger/Redler/Stanicic: „Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden – Die Linke und das Regieren“, Papyrossa Köln 2016. Felfe erläutert darin, wie es der Einheitsliste gelang, durch diese Taktik ihre Freiheit der Kritik und Eigenständigkeit zu bewahren und bei Wahlen weiter zuzulegen.