Interview mit der Gewerkschafterin Katie Quarles
Katie Quarles ist Krankenpflegerin am United Hospital in Minneapolis, USA und Mitglied der Gewerkschaft MNA (Minnesota National Nurses Association). Katie war führend in der Organisation eines Streiks von ca. 5000 KrankenpflegerInnen im Bundesstaat Minnesota im September dieses Jahres. Sie ist auch Mitglied von Socialist Alternative.
Bis vor kurzem warst Du, zusammen mit Tausenden weiteren KrankenpflegerInnen, fünf Wochen im Ausstand in fünf Kliniken in und um die Stadt Minneapolis. Was war der Auslöser für euren Streik?
Wir hatten bereits seit Februar Vertragsverhandlungen mit Allina geführt, dem Unternehmen, dem mein Krankenhaus gehört. Uns ging es dabei um mehr Personal und um mehr Sicherheit am Arbeitsplatz, Lohnforderungen waren eher zweitrangig. Das Management wollte vor allem unsere Krankenversicherungspolicen verschlechtern, was sich dann zum Kernpunkt der Auseinandersetzung entwickelte. Hinter diesem vordergründigen Ziel verbarg sich allerdings die eigentliche Absicht, unsere Gewerkschaft durch eine Auseinandersetzung in der Frage entscheidend zu schwächen.
Krankenversicherungen sind in den USA nicht gesetzlich vorgeschrieben, wie ist das bei Euch im Betrieb geregelt?
Obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind, bieten einige Arbeitgeber ihren Beschäftigten Krankenversicherungen als eine Art Zusatzleistung an. Bei Allina sind in den letzten Jahren die Versicherungspolicen der Angestellten immer weiter verschlechtert worden, also zum Beispiel der Putzkräfte, PflegehelferInnen, sogar der Leitung, nur die Policen der KrankenpflegerInnen blieben dieselben wie zu Beginn der 1990er Jahre. Das lag an einer Klausel in diesen Verträgen, die vorschrieb, dass Veränderungen dieser Policen mit uns ausgehandelt werden müssen.
Kannst Du kurz erklären, was die neuen Pläne des Managements für Euch bedeutet hätten?
Es gab drei verschiedene Policen zur Auswahl, enthalten war zum Beispiel, dass wir uns behandelnde Ärzte im Krankheitsfall nicht mehr aussuchen dürfen, sondern nur Ärzte von Allina aufsuchen dürfen, wenn wir höhere Behandlungskosten vermeiden wollen. Außerdem vorgesehen waren noch höhere Zuzahlungen für verschiedene Dinge, wie bis zu 1500 US-Dollar im Jahr für Allergie- oder Bluttests, oder höhere Zuzahlungen bei Arztbesuchen.
Wie kam es letzten Endes zu Eurer Entscheidung, in den unbefristeten Streik zu treten?
Wir haben am Verhandlungstisch einfach nicht genug erreichen können. Nachdem der Vertrag Ende Mai ausgelaufen war, haben wir bereits Ende Juni sieben Tage lang gestreikt, danach aber auch bei weitem kein annehmbares Angebot erhalten. Es wurde immer offensichtlicher, dass Allina kein Interesse daran hatte, irgendetwas ernsthaft zu verhandeln oder uns die vorteilhaften Krankenversicherungspolicen etwa durch höhere Gehälter abzukaufen – die Krankenversicherung macht für den Arbeitgeber immerhin ungefähr ein Drittel meines Gehaltes als Teilzeitkraft aus. Sie haben uns regelrecht in den Streik getrieben. Allina wollte einfach zehn Millionen US-Dollar im Jahr durch schlechtere Policen einsparen. Wir wollten vor allem im Vertrag festgeschrieben haben, dass unsere Policen nicht weiter verschlechtert werden dürfen, wenn wir schon schlechtere Verträge akzeptieren müssen, aber darauf wollte Allina sich nicht einlassen. Daraufhin haben wir eine Urabstimmung eingeleitet, bei der die überwiegende Mehrheit (es ist nicht üblich bei uns, genaue Zahlen zu veröffentlichen) gegen die Annahme des schlechten Angebotes und für einen unbefristeten Streik gestimmt hat.
Ihr habt schließlich fünf Wochen durchgehalten, die KollegInnen haben immer wieder Angebote ausgeschlagen und weiter gestreikt. Worin bestand Eure Stärke?
Zum einen ist fast jedeR KrankenpflegerIn bei uns Gewerkschaftsmitglied. Diejenigen, die es nicht sind, müssen sonst eine Art Unterstützerbeitrag für die MNA zahlen, der fast neunzig Prozent des Gewerkschaftsbeitrages ausmacht, damit sie trotzdem vertreten werden. Insofern haben auch fast alle gestreikt. Zumal es bei uns nicht vorgesehen ist, Notdienste zu organisieren, hieß das für Allina, teure StreikbrecherInnen durch bestimmte Leiharbeitsfirmen anheuern zu müssen, die genau darauf spezialisiert sind. Diese wurden dann vor allem aus den Südstaaten eingeflogen (wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad und das Bewusstsein von Beschäftigten diesbezüglich niedriger ist). Allina musste ihre Unterkunft in Hotels bezahlen und weit höhere Gehälter von schätzungsweise siebzig US-Dollar pro Arbeitsstunde. Die meisten StreikbrecherInnen bekommen in dem Fall Zwei-Wochen-Verträge.
Ist das nicht sehr teuer für den Arbeitgeber, im Vergleich zu den erhofften Einsparungen?
Ja, genau das ist der Witz: Allina musste allein für die StreikbrecherInnen bei unserem einwöchigen Streik im Frühsommer über zwanzig Millionen US-Dollar ausgeben, also mehr als das Doppelte, was sie an uns pro Jahr zu sparen erhofften. Das hat uns klargemacht, dass es ihnen nicht ums Geld geht, sondern darum, die Gewerkschaften zu brechen. Sie haben offenbar lange für diese Auseinandersetzung gespart und dachten nicht, dass die KrankenpflegerInnen für den unbefristeten Streik stimmen würden. Dann glaubten sie, wir würden eh nicht länger als einen Monat aushalten, schließlich haben wir Streikenden unsere Krankenversicherung für Oktober verloren, weil die Beiträge nicht bezahlt wurden. Allina hat damit gerechnet, dass in dem Fall wieder genug KollegInnen arbeiten gehen würden, um den Streik endgültig zu brechen.
Aber dieser Fall ist nicht eingetreten …
Nein, da wir gut vorbereitet waren. Wir haben Mitte bis Ende September dauernd offene Versammlungen für alle KrankenpflegerInnen abgehalten, um aufzuklären und darüber zu informieren, wie so ein Streik durchszuhalten ist, was es für Möglichkeiten bezüglich der Krankenversicherung gibt usw. Wir haben Dinge wie „giving tree“, eine Art Tauschbörse, eingerichtet, wo Leute anonym angeben konnten, was sie brauchen, wieder andere Dinge gespendet haben, die dann entsprechend verteilt wurden. Das konnte alles mögliche sei, von Windeln, Babynahrung bis hin zu Spritgutscheinen. Die MNA konnte mit 20.000 Mitgliedern, von denen ein Viertel im Ausstand war, und einem relativ niedrigen Mitgliedsbeitrag von zwanzig US-Dollar im Jahr keine volle Streikkasse zur Verfügung stellen, die KollegInnen mussten sich individuell auf den Lohnausfall vorbereiten. Aber es gab einen Fonds für Härtefälle. Hinzu kamen Spenden andere Gewerkschaften wie zum Beispiel der SEIU mit 10.000 US-Dollar, aber auch Geldsammlungen durch ein Solidaritätskomitee der AFSCME.
Wir hatten insgesamt ganz gute Strukturen, etwa durch „strike captains“ auf jeder Station, die jeweils für ungefähr zehn KollegInnen zuständig waren, mit denen sie im Austausch standen, Informationen weitergeleitet haben, Umfragen und Stimmungsbilder unter den Leuten gemacht haben und solche Dinge.
Ich selbst war Teil des fünfzehnköpfigen Verhandlungsteams. Wir hatten bereits im März, dann im Juni Abstimmungen, wo die KollegInnen die Angebote abgelehnt hatten, dann weitere vor und während des Streiks.
Am 13. Oktober war dann die fünfte und letzte Abstimmung, bei der schließlich die Mehrheit für eine Annahme des angebotenen Vertrages gestimmt und den Streik beendet hat.
Ja. Wir hatten als Verhandlungsteam die Einladung des Gouverneurs angenommen, der sich in der Rolle eines Vermittlers in dieser Sache sah, und das Ganze auf seinem Gouverneurssitz mit fünf Delegierten des Teams bis zum Ende ausverhandeln wollte. Das Ergebnis ist keine Niederlage für uns, aber beide Seiten sind damit nicht zufrieden. Allina hat versprochen, unsere neuen Policen fünf Jahre lang nicht zu verschlechtern. Das ist mehr, als wir verlangt hatten, dazu kommen noch zusätzliche steuerfreie Einzahlungen des Arbeitgebers auf die Gesundheitskonten der Beschäftigten, aus denen Gesundheitskosten abgedeckt werden können. Wir geben allerdings unsere besseren Policen auf, einige davon laufen bereits im nächsten, die letzten in zwei Jahren aus, womit wir wiederum mehr verloren haben, als wir wollten.
Beim vorletzten Angebot hatten wir unsere Haltung dazu offen gelassen, diesmal hatten wir empfohlen, anzunehmen, da wir nicht davon ausgegangen sind, etwas besseres erreichen zu können. Unsere Kampfkraft fing an, schwächer zu werden, wir befürchteten, dass eine Weiterführung des Streiks schlecht ausgehen könnte. Nachdem wir zuvor jede Woche das Angebot des Arbeitgebers abgelehnt hatten, hatte dieses sich in der darauf folgenden Woche verbessert, wir haben also durch den Streik kontinuierlich Verbesserungen erreicht. Diesmal gingen wir allerdings davon aus, dass dies nicht so weitergehen und am Ende doch zu viele KollegInnen die Arbeit wieder aufnehmen würden.
Was ist Deiner Meinung nach die wichtigste Errungenschaft eures Streiks?
Die Politisierung meiner KollegInnen ist das Wichtigste. Leute, die noch niemals auf die Straße gegangen sind, haben eine kämpferische Aktion nach der anderen organisiert. Sie sind sich jetzt viel bewusster über die Rolle des Managements von Allina: im Vorstand sitzen schließlich Vertreter diverser großer Firmen, wie der Restaurant-Kette Buffalo Wild Wings, dem Lebensmittelkonzern General Mills oder der Investmentbank Piper Jaffray. Vielen ist nun klar, dass es auch bei so genannten Non-Profit-Unternehmen, wie denen im Krankenhausbereich nur um Geld geht und wie gut vernetzt die reichen ein Prozent untereinander sind. Immer, wenn die Chefs (CEOs) öffentlich aufgetreten sind, waren wir da, um sie zu nerven. Wir haben Protestaktionen bei der Aktionärsversammlung von General Mills gemacht, wir haben in der Nachbarschaft von Allina-Vorstandsmitgliedern Flugblätter verteilt und ihre Nachbarn gebeten, „yard signs“ (Schilder, A.d.Ü.) in Solidarität mit uns in den Vorgarten zu stellen. Und das alles haben zum Teil sehr schüchterne Krankenschwestern organisiert, die vorher noch nie politisch aktiv waren. Solche KollegInnen haben die wahre Bedeutung des Wortes Solidarität erkannt und es mit Leben gefüllt.