Spielräume, Blankochecks und Systemkritik

img_20161002_180510Bericht vom Berliner Landesparteitag der LINKEN

Vor 142 Delegierten und zahlreichen Gästen der verschiedensten, politischen Initiativen beriet der außerordentliche Parteitag der Berliner LINKEN über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grüne. Trotz breiter Zustimmung für diesen Schritt gab es nicht wenige zumindest kritischere Stimmen.

von Tom Hoffmann, Berlin

Vor dem Neuen Deutschland-Haus hatten sich am Freitag Abend bereits zahlreiche Initiativen versammelt, darunter Beschäftigte der 2006 ausgegliederten Charité-Facility-Management sowie von Vivantes, AktivistInnen für ein Nachtflugverbot und UmweltschützerInnen. Sie versuchten den Delegierten vor der Sitzung deutlich zu machen, welche Erwartungen sie und ihre Kämpfe mit der LINKEN verbinden.

Wie den Erwartungen und Forderungen gerecht werden – das war auch das Thema der durchaus vielseitigen Diskussion vor der Abstimmung. Klaus Lederer, Spitzenkandidat und LINKE-Landesvorsitzender, sprach sich in seiner Eingangsrede deutlich für Koalitionsverhandlungen aus. Dies war ebenfalls die Empfehlung des Landesvorstands, welcher sich bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen so entschieden hat und dessen Antrag nun zur Abstimmung vorlag. Lederer betonte in seiner Rede die Erwartungshaltung, die die meisten LINKE-WählerInnen an die Partei stellen. Die LINKE müsse vorhandene Spielräume nutzen und „dem Wachstum in der Stadt eine soziale und demokratische Richtung geben“. Dafür reiche kein halbes Okay aus der Partei – eine Botschaft an die KritikerInnen der Parteilinken. Durch die Themen, welche die Partei im Wahlkampf gesetzt hatte, gäbe es nun in den Verhandlungen die Grundlage für Veränderungen. Aus Berlin solle so auch ein Signal für den Bund ausgehen. Dass Lederer von den Sondierungsgesprächen jedoch keine konkreten Inhalte berichtete, stieß bei mehreren Anwesenden auf Kritik. Friederike Benda, Mitglied im Landesvorstand und der linksjugend [’solid], meinte, es wäre „fatal, mit einem Blankocheck in diese Verhandlungen zu gehen.“

Die Debatte zur Abstimmung wurde vor allem durch die zwei Änderungsanträge der Bezirksverbände Tempelhof-Schöneberg und Neukölln belebt. Diese schlugen Mindestbedingungen für Koalitionsverhandlungen vor, wie zum Beispiel die Ablehnung der Freihandelsabkommen TTIP und CETA im Bundesrat, die Rückführung der ausgegliederten Tochterfirmen und der Bau von 100.000 Sozialwohnungen. Lucy Redler, Delegierte für die Antikapitalistische Linke, Mitglied des Parteivorstands und auch der SAV, sprach sich für das ins Amt bringen einer rot-grünen Minderheitsregierung aus. Die LINKE würde so einer Ablösung der Großen Koalition nicht im Weg stehen, sich aber gleichzeitig „alle Freiheit der Kritik bewahren“ und für „eine grundlegende Änderung der Verhältnisse kämpfen“ können.

Die Änderungsanträge wurden schließlich nach einer teils doch kontroversen Diskussion mit großer Mehrheit abgelehnt. In einem sehr emotionalen Redebeitrag erklärte Harald Wolf, Wirtschaftssenator unter Rot-Rot, er wäre dagegen, die Verhandlungen zum Scheitern zu verurteilen, bevor diese begonnen hätten. Stattdessen werde man hart in die Gespräche gehen und sich „mit der sozialdemokratischen Baumafia anlegen müssen.“ Es bleibt wohl strittig, ob man überhaupt mit Vertretern der Baumafia regieren sollte. Der Antrag zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen wurde jedenfalls bei großer Mehrheit, einer Reihe von Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen angenommen. Der kurze Parteitag spiegelte so auch die politische Breite der Berliner Linkspartei wider. Die einen wollen das kapitalistische System sozialer verwalten, die anderen kritisieren es grundlegend.

Bericht in der Abendschau des RBB:
http://www.morgenpost.de/videos/berlin/abendschau/article208330517/Abendschau-vom-30-09-2016.html
(ab 1:37)