Interview mit Taro Tatura, Jugendvertreter in der Tarifkommission und Mitglied der Betriebsgruppe*
Bei Lufthansa Technik (LHT) wurden neue Tarifverträge abgeschlossen, mit denen der Standort der Triebwerksüberholung in Deutschland gesichert werden soll. Die ver.di-Jugend Betriebsgruppe bei LHT kritisiert diesen Abschluss.
Euer Arbeitgeber drohte Anfang des Jahres mit der Verlagerung des Standorts der Triebwerksüberholung ins Ausland. Was war der Hintergrund?
Die Hersteller von Flugzeugtriebwerken fahren eine neue Strategie – sie wollen zukünftig auch selbst an den Gewinnen aus der Wartung teilhaben. Verträge mit Betrieben wie LHT machen sie nun unter Vorgaben beim Stundensatz. In diesem Fall war die Forderung nach einem Stundensatz von neunzig US-Dollar. Die Stundensätze bei LHT lagen weit darüber. LHT hat schnell gesagt, dass sie die Verträge unterschreiben werden und haben dann einen „Beitrag“ der Arbeitnehmer gefordert, ansonsten würde nach Osteuropa verlagert.
Was sollte der Arbeitnehmer-Beitrag sein?
LHT forderte so gut wie alles, was ein richtiger Horrorkatalog beinhaltet: Eine abgesenkte Gehaltstabelle für den Triebwerksbereich, eine dauerhafte Arbeitszeitverlängerung von 37,5 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich, Eingriffe beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Absenkung der Urlaubstage auf 25 Tage bei Neueinstellungen, die Absenkung aller Schichtzulagen und vieles mehr. Selbst bei der Erfüllung aller Forderungen soll ein Abbau von 700 der 2000 Arbeitsplätze erfolgen.
Wie hat ver.di darauf reagiert?
Die Geschäftsfeldtarifkommission hat dem Arbeitgeber zunächst zu verstehen gegeben, dass diese Forderungen absolut überzogen sind. Dennoch sah sie ihre Aufgabe darin, eigene Ideen zu entwickeln, wie der Tarifpartner zur Problemlösung beitragen kann. So wurden Tarifverträge zur Abfindung und Altersteilzeit vorgeschlagen. In monatelangen Verhandlungen ist der Arbeitgeber jedoch nicht von seiner Maximalforderung abgerückt. Die stetige Erpressungssituation hat dazu geführt, dass ver.di trotz einem Abwehren der Maximalforderungen immer mehr Zugeständnisse machte.
Es wurden jetzt Tarifverträge abgeschlossen. Was beinhalten diese?
Einen so genannten Arbeitszeitkorridor von 39,5 Stunden. Die KollegInnen arbeiten jetzt also zwei Stunden länger ohne Lohnanpassung. Die Schichtzulagen werden für die dienstälteren gestrichen und die Zuschläge teilweise deutlich abgesenkt. Es wurde im Gegenzug ein kollektiver Kündigungsschutz für den Triebwerksbereich zugestanden. Im Zuge eines neuen Qualifikationssystems werden alle neu Eingestellten sowie die Beschäftigten der untersten Qualifikationsstufe schlechter gestellt. Die bereits beschlossene Vergütungserhöhung ab dem 1.1.2017 wird von 2,2 auf 0,33 Prozent reduziert. Es gibt aber auch Reduzierungen in anderen Bereichen von LHT, als so genannter Solibeitrag. Die zwei Zugeständnisse des Arbeitgebers bestanden in der Beschäftigungssicherung von 1300 MitarbeiterInnen in Deutschland bis 2026. Dies wurde im Tarifvertrag festgeschrieben, allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass ab dem Jahr 2020 bei „wirtschaftlicher Härtelage“ nach Einschätzung von LHT ein Prozess mit Schlichtungsverpflichtung eingeleitet werden kann. Wenn ein Schlichterspruch innerhalb von sechs Monaten nicht zu einem von LHT gewünschten Ergebnis führt, hat LHT ein Sonderkündigungsrecht. Also kann die Beschäftigungssicherung unter Berücksichtigung aller Fristen schon 2022 beendet sein.
Das zweite Zugeständnis war eine Ergebnisbeteiligung der Mitarbeiter-Innen, wenn eine bestimmte Marge überschritten wird.
Ihr habt von der ver.di-Jugend Betriebsgruppe der LHT einen kritischen Brief verfasst – was ist eure Haltung?
LHT konnte sich weitgehend durchsetzen. Errungenschaften, die vor Jahren erkämpft wurden, sind abgegeben worden. Die untersten Lohngruppen werden am härtesten getroffen, weil sie zusätzlich zu allen Verschlechterungen auch noch abgruppiert werden! Die vermeintliche Beschäftigungssicherung ist zudem eine Mogelpackung. Denn der Vertrag sieht für LHT eine Ausstiegsmöglichkeit zu dem Zeitpunkt vor, zu dem es sich für LHT erstmals tatsächlich lohnt, die Wartung ins Ausland zu verlagern – nämlich dann, wenn die Wartung der jetzt neu auf dem Markt kommenden Produkte in großem Maßstab beginnt.
Der dritte Punkt ist die Reduzierung der Vergütungserhöhung. Das halten wir auch für ver.di für tödlich. Wir haben dadurch das gesamte Konzept in Frage gestellt, dass Lohnverzicht und die weiteren massiven Zugeständnisse Arbeitsplätze sichern. Schon in der Vergangenheit wurde vielfach das Gegenteil bewiesen. Und der Arbeitgeber wird den Abschluss als Blaupause nutzen.
Gibt es da was neues?
Schon jetzt laufen Verhandlungen für den Bereich der Flugzeugüberholung in Hamburg, wovon vierhundert Arbeitsplätze betroffen sind. Der Arbeitgeber hat gesagt, dass er sich maßgeblich am Verhandlungsergebnis für den Triebwerksbereich orientieren will. Diesmal ist das Argument etwas allgemeiner: Auf dem Markt wird eben billiger produziert.
Was wäre aus deiner Sicht nötig?
Es ist abzusehen, dass sich die Arbeitgeberseite Bereich für Bereich vorknöpfen will, um einerseits die Tarifverträge anzugreifen und andererseits die Kolleginnen und Kollegen zu spalten. Mit dem Kurs der so genannten Sozialpartnerschaft ist ver.di zum Scheitern verurteilt. Ein kämpferischer Kurs der Gewerkschaft wäre dringend nötig. Um dahin zu kommen, müssen sich fortschrittliche Kolleginnen und Kollegen vernetzen und Strategien erarbeiten, um aus der Defensive zu kommen. Bestandteil einer Strategie müsste sein, dass wir dem Lufthansa-Konzern einen Strich durch die Rechnung machen und nicht zulassen, dass ein Bereich nach dem anderen raus gegriffen wird. Wir müssen überlegen, wie wir den Kampf auf das Bodenpersonal im gesamten Konzern ausweiten können. Von ver.di-Tarifverträgen sind rund 33.000 MitarbeiterInnen betroffen. Zum einen stehen nach der Kündigung vom Rationalisierungsschutz konzernweite Verhandlungen an und zum anderen steht 2018 die neue reguläre Konzerntarifrunde vor der Tür. Eine kämpferische Tarifrunde mit offensiven Forderungen für alle – für einen ordentlichen Sockelbetrag zum Beispiel, aber auch andere Forderungen – könnte ver.-
di wieder in die Offensive bringen und zu der Gewerkschaft machen mit der sich die KollegInnen identifizieren.
Äußerst wichtig wäre außerdem eine Vernetzung und Solidarisierung der Beschäftigten in der Luftfahrttechnik weltweit, damit das Ausspielen gegeneinander endlich ein Ende hat – im Sinne der Beschäftigten und im Sinne der Sicherheit der Fluggäste, Besatzungen und der Menschen am Boden.
* Funktionsangabe dient nur der Kenntlichmachung der Person