Neue Töne: Diskussionen über Rot-Rot
Am Samstag, den 22. Oktober findet in Bremen der 19. Landesparteitag der LINKEN statt. Die Debatte im Haushaltsnotlageland wird bestimmt von parlamentaristischen Strategieerwägungen.
Von Sebastian Rave, Mitglied des Landesvorstands der Bremer LINKEN und des SAV-Bundesvorstands
Bremen bleibt Rekordmeister – zumindest bei der Kinderarmut. Bremerhaven führt bundesweit die Erwerbslosenstatistik an. Nirgends ist die Schere zwischen Arm und Reich größer als im kleinsten Bundesland. Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt bei fast 30.000 Euro; genau wie in Griechenland. Auch die Politik des Rot-Grünen Senats erinnert an Südeuropa: Der Schuldendienst hat Priorität und ist als „Schuldenbremse“ in die Verfassung eingetragen. Der einzige Gestaltungsspielraum scheint zu sein, zu entscheiden, wo man das fehlende Geld kürzt. Das „Ob“ scheint keine Frage mehr zu sein.
Bremer Filz
Die SPD ist seit bald 70 Jahren ununterbrochen an der Regierung der Hansestadt. Die Folgen eines dahinfaulenden Kapitalismus – und die Grenzen reformistischer Politik – werden hier besonders deutlich. Deindustrialisierung, Verarmung und verschärfte Ausbeutung gehen Hand in Hand mit Staatsversagen und politischem Filz. So ist in Bremerhaven ein Bürgerschaftsabgeordneter der SPD in einen Skandal verwickelt, bei dem es um den Aufbau von Ausbeutungsstrukturen geht. Etwa eintausend BulgarInnen mussten mieseste Jobs erledigen, die so schlecht bezahlt wurden, dass das Recht auf Aufstockungsleistungen vom Jobcenter bestand. Diese Leistungen wanderten dann aber in die Taschen einer kriminellen Ausbeutermafia, die zusätzlich noch Fördergelder von der EU und die Früchte der Arbeit der Ausgebeuteten bekamen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss beschäftigt sich nun mit der Frage, wie weit die Verbindungen zwischen den „gemeinnützigen Vereinen“, die für den Aufbau der betrügerischen Ausbeutungsstrukturen verantwortlich sind, und der SPD in Bremerhaven gehen.
Rot-Grün unter Druck
Das Elend in Bremen und Bremerhaven, zu dem noch die Pleite der Bremer Landesbank kommt, setzen den Senat gehörig unter Druck. Die Regierungsmehrheit in der Bürgerschaft ist auf zwei Sitze geschrumpft. Ein Misstrauensvotum überstand die grüne Finanzsenatorin Linnert kürzlich noch. Eigentlich sind erst 2019 wieder Bürgerschaftswahlen – ob der Senat aber so lange hält, scheint derzeit fraglich. Stabilisierend könnte die Angst vor dem nächsten Wahlergebnis sein. Umfragen deuten an, dass die rot-grüne Regierungskoalition ihre Mehrheit verlieren wird.
Das ist der Hintergrund, vor dem ein möglicherweise weichenstellender Parteitag der LINKEN stattfindet. Bis vor wenigen Wochen war die Lage hier klar: Die SPD kürzt und regiert, DIE LINKE macht dagegen Opposition, sowohl im Parlament als auch außerhalb. Ein schönes Beispiel dafür ist der Streichelzoo im von Erwerbslosigkeit geprägten Gröpelingen, den die SPD verhungern lässt. DIE LINKE im Bremer Westen startete eine Kampagne und übte zusammen mit der Linksfraktion politischen Druck aus, um die SPD dazu zu bewegen, die nötigen 400.000 Euro für das soziale Projekt bereit zu stellen. Die SPD blieb hart, was eigentlich kaum jemanden überraschte.
Rot-Rot in Bremen?
Um so überraschender war daher vor einigen Wochen ein Blogeintrag von der LINKEN Fraktionsvorsitzenden Kristina Vogt, in dem sie unter dem Titel „Wider das bremische Politikversagen – Time To Change“ die Machtfrage so stellte: „Warum soll Rot-Rot nicht auch einmal in einer westdeutschen Stadtstaat möglich sein?“ Ein paar Tage machte Kristina Vogt in einem Interview mit der Bremerhavener Nordsee-Zeitung klar, dass die Frage nicht nur rhetorisch gemeint war: „Ich sehe größere Schnittmengen mit der Sozialdemokratie. Bei der Arbeitsmarktpolitik, Ausbildung, Bildung und Sozialpolitik könnte man Übereinkünfte erzielen, da sind wir nicht sehr weit auseinander.“
Sowohl der freundliche Ton gegenüber der SPD als auch das offensive Vorgehen in den Medien überraschen viele in der Partei. Bisher war es unüblich, dass die Fraktionsvorsitzende sich bei so kontroversen Themen alleine äußerte. Bei der Frage, ob man der SPD bei der Einführung eines landesweiten Mindestlohns zustimmen sollte, gab es 2012 einen eigenen Landesparteitag. Die Entscheidung, wie sich die Linksfraktion bei dem Misstrauensantrag der CDU gegen Finanzsenatorin Linnert verhalten soll, wurde dem Landesvorstand übergeben. Der Vorstoß ist ein klarer Bruch mit den bisherigen demokratischen Traditionen der Partei, und stößt dementsprechend sauer auf.
Politikwechsel mit oder gegen die SPD?
Doch auch im Leitantrag des Landesvorstands zum Parteitag wird viel über einen nötigen Politikwechsel geschrieben. Es gelte, SPD und Grüne „bei ihren unaufgelösten Widersprüchen zu packen“ und „zu einem überfälligen Bruch mit neoliberalen, antisozialen, undemokratischen Politikverständnissen, Entscheidungen und Programmatiken zu drängen“.
Beiden Ansätzen gemein ist die Betrachtungsweise einer veränderten SPD als potenziellem Bündnispartner – zumindest als Perspektive. Die Wandlungsfähigkeit der SPD ist unbestreitbar. Die ehemalige Arbeiterpartei hat schon oft die Spur gewechselt, war für und gegen Krieg, hat Verbesserungen erkämpft und eigenhändig wieder eingestampft. Doch mit der Verwandlung von einer Arbeiterpartei in eine pro-kapitalistische Kürzungspartei (und dem Verlust der Hälfte ihrer Mitglieder seit 1990) hat sie ihren Charakter qualitativ verändert. Sie ist für Druck von unten ebenso viel oder wenig empfänglich wie die CDU. Von dieser unterscheidet sie sich im Grunde genommen nur noch in der Frequenz, mit der sie vor einer Wahl links blinkt.
Parlamentarische Winkelzüge
Paradoxerweise will von den Verantwortlichen in der LINKEN eigentlich niemand ernsthaft mit der SPD koalieren, erst recht nicht in Bremen, wo der Gestaltungsspielraum nur sehr begrenzt ist. Das Kokettieren mit den Sozialdemokraten wird von den meisten nur als taktisches Mittel gesehen, mit dem man die SPD vorführen will: Willigt sie in den geforderten „Politikwechsel“ nicht ein, gibt es keine Regierungsbeteiligung. Dem Wähler und der Wählerin soll so vermittelt werden, dass man ja nicht aus Prinzip „gegen alles“ ist, sondern schon eine ernst zu nehmende Partei ist, die auch „mitgestalten“ will.
Natürlich kann es hilfreich sein, die Plattform rund um ein Sondierungsgespräch nach einer Wahl zu nutzen, um deutlich zu machen, welche Politik man selbst verfolgt. Ein Koalitionsangebot sendet aber vor allem ein Signal nach außen: Es gibt ausreichend politische Schnittmengen für eine gemeinsame Regierung. Aber wo sollen diese bei SPD und LINKE liegen? Die SPD steht für Kürzungen (wenn auch mit angeblichen Bauchschmerzen), DIE LINKE dagegen. Die SPD ist für TTIP (auch nachdem Hunderttausende dagegen auf die Straße gingen), DIE LINKE dagegen. Die SPD macht den Streichelzoo dicht, DIE LINKE kämpft um seinen Erhalt. Dahinter stecken nicht nur verschiedene politische Positionen. Dahinter steht ein fundamental unterschiedliches Verständnis dieser Gesellschaft. Die SPD hat alle sozialistischen Phrasen längst über Bord geworfen. Sie ist fest verwurzelt in der (dank ihr immer weniger sozialen) Marktwirtschaft, und sieht ihre Aufgabe darin, die Sachzwänge, die das System ihr aufgibt, umzusetzen. Die LINKE hingegen ist nicht nur gegen diese Sachzwanglogik, sondern sie verfolgt das strategische Ziel, den Kapitalismus zu überwinden, und durch einen demokratischen Sozialismus zu ersetzen. Das Verwischen dieser grundlegenden Unterschiede wird zumindest bei den Teilen der Gesellschaft, die vom bürgerlichen Politikbetrieb besonders abgestoßen sind, zu einer Abkehr von der LINKEN führen. Die Idee, die AfD mit der SPD zu verhindern, geht voll nach hinten los.
Für eine kämpferische, linke Opposition
Die Debatte, die am Wochenende, und wahrscheinlich auch darüber hinaus geführt wird, ist Ausdruck von einem Problem, das die Partei schon länger hat: Sie verparlamentarisiert. Die parlamentarische Ebene wird immer wichtiger, was sich auch darin ausdrückt, dass die Fraktion ein politisches Übergewicht in der Partei hat. Tagespolitische Themen, welche die Fraktion beschäftigen, gewinnen in der parteiinternen Debatte die Oberhand über langfristigen, strategisch-gesellschaftlichen Fragen. Die Fraktion verfügt über ganz andere Mittel in der Öffentlichkeitsarbeit, über ganz andere Kontakte zur Presse als die Gesamtpartei. Das führt dann in kleinen Schritten zu dem, was eigentlich niemand in dieser Partei möchte: Einem Top-Down-Politikkonzept. Das ist natürliche Folge in einer Partei, die hauptsächlich über die Abgeordneten wahrgenommen wird, aber in den Stadtteilen nur schwach verankert ist und zu wenige Mitglieder hat. Der Aufbau der Partei wird aber nicht gelingen, indem man der SPD anbietet, das Elend mitzuverwalten. Stattdessen muss DIE LINKE bei jedem sozialen Projekt, was von Schließung bedroht ist, sofort an der Seite der Beschäftigten und Betroffenen stehen, und den politischen Kampf um den Erhalt des Projekts führen. In jedem abgehängten Stadtteil muss sie Anlaufstelle für Unzufriedene sein, die etwas verändern wollen. DIE LINKE muss den Menschen erklären, woher ihre Situation kommt, und mit ihnen dagegen vorgehen. Kurt Tucholsky sagte über die Sozialdemokraten in der Weimarer Republik: „Sie dachten, sie wären an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung“. Für diese Perspektive lohnt es nicht, eine kämpferische Oppositionsrolle aufzugeben. Wer für einen grundlegenden Wandel ist, kann nicht für eine Regierungsbeteiligung sein. Das gilt für Bremen ebenso wie für Thüringen, Berlin und den Bund.