Zum Tod von Dario Fo

Foto: By Original: Dario Fo Upload: Nick.mon Vectorization: Carnby [Public domain], via Wikimedia Commons
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„Unsere Empörung müssen wir hinausschreien“

Dario Fo ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Der Literaturnobelpreisträger war nicht nur ein großer Künstler, sondern er hat seine Kunst mit dem Kampf für eine andere Gesellschaft verbunden. Aus diesem traurigen Anlass veröffentlichen wir hier eine besprechung seines autobiografischen Buches „Die Welt, wie ich sie sehe“ aus dem Jahr 2008:

 

Der Rotbuch-Verlag hat ein interessantes und unterhaltsames Buch von Dario Fo, Jahrgang 1926, herausgebracht. In „Die Welt, wie ich sie sehe“ kommentiert der große italienische Satiriker, Schriftsteller, Theatererregisseur und linke politische Aktivist in einem Gespräch mit der Journalistin Giuseppina Manin nicht nur Politik, Religion, Kultur, den Zustand Italiens und der Welt. Der Leser und die Leserin erfahren auch viel über das ereignisreiche, kreative und vielfältige Leben des Literaturnobelpreisträgers aus dem Jahre 1997.

von Sascha Stanicic, Berlin

Nach der Lektüre dieses Buches kann man nur staunen – über die universale Bildung, über die vielen geistreichen Ideen und Standpunkte, über die übersprühende Energie, über die Empörung angesichts der herrschenden Verhältnisse, über die Lebenslust dieses Mannes, der es in seinem bisherigen Leben nicht nur auf 47 Komödien und 82 Regiearbeiten brachte, sondern auch 47 Prozesse und dutzende Festnahmen zu seiner Biographie zählt. Und irgendwie ist man sich sicher, dass sich diese Zahlen noch steigern werden.

Das 190 Seiten umfassende Buch liest sich schnell und leicht, nicht zuletzt weil es zwischen den verschiedenen Themen springt und sich Fos Humor wie ein roter Faden durch seine Äußerungen zieht. Er selbst sagt, dass ihn sein Leben mit „fast übertriebener Großzügigkeit behandelt“ habe und er seine Träume erfüllen konnte. Als die „vielleicht höchste Gottesgabe“ bezeichnet er die „Ironie und die Selbstironie“. Humor ist das große Thema seines Lebens. Humor war und ist seine Waffe im politischen Kampf, den er (nicht nur) von der Theaterbühne aus führt. Dazu sagt er: „Am meisten gefiel mir ein Satz, den man vor einigen Jahrzehnten auf vielen Mauern lesen konnte: „Unser Gelächter wird euch begraben“. Eine Einladung, die traurige Politikerklasse auszulachen und wegzufegen. (…) Die religiöse und politische Macht lacht nie. Je absolutistischer und diktatorischer ein System ist, desto größer die Traurigkeit und Finsternis in seiner Umgebung. Wenn in einem solchen System ein Gelächter explodiert, entfaltet es die Kraft einer Bombe, die den ganzen Apparat des Terrors verreißt und die Menschen von ihrer Angst befreit.“ Dario Fo hat viele solcher Lach-Bomben gezündet und die herrschende Klasse Italiens ist regelmäßig aufgrund Fo“scher Explosionen erzittert.

So war die Reaktion auf die Verleihung des Literaturnobelpreisträgers an diesen Clown und Hanswurst (Fo über Fo) entlang klassenpolitischer Linien in Italien sehr unterschiedlich: „Während die internationale Presse und das ausländische Fernsehen bei mir vor der Haustür standen, um mich zu interviewen, versuchten sie in Italien, mit allen Mitteln das Echo auf den skandalösen Preis abzuwürgen. O ja, es war wirklich ein großer schöner Spaß. Abgesehen von dem Vergnügen, dem Stolz und der Befriedigung danke ich den sympathischen schwedischen Akademiemitgliedern noch heute dafür, dass ich so wunderbar viel zu Lachen hatte.“

Doch zu Lachen hatten Fo und seine Lebenspartnerin und Theaterkollegin Franca Rame – die mit Fo in einem Atemzug genannt werden muss, weil sie seine Arbeit stark beeinflusste und sie ihr Leben lang kooperieren – nicht immer in ihrem Kampf gegen Kirche, Kapitalismus und Mafia in Italien. Zensur, Boykott ihrer Stücke durch die Kirche, Bedrohungen durch die Mafia und die Entführung und Vergewaltigung Franca Rames durch vier Rechtsextremisten im Jahr 1973 musste das vielleicht berühmteste, aber sicherlich kontroverseste Künstlerpaar Italiens erleiden. Die Reichen, Mächtigen und die politische Rechte Italiens konnten aber weder die Kreativität noch den Kampfgeist von Fo und Rame brechen. Auch das war ein Grund für die Verleihung des Nobelpreises, in dessen Begründung es heißt: „Weil er die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet.“

Dario Fo bekam aber nicht nur Ärger mit dem offiziellen und kapitalistischen Italien. Seine Unabhängigkeit, seine Ablehnung jeglicher Unterdrückung und die daraus resultierende Kritik am Stalinismus ließen ihn auch bei der Führung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) in Ungnade fallen. 1969 boykottierte die Spitze der KPI eine Tournee von Rame und Fo, wie Fo sagt war die Parteiführung „alarmiert durch unsere Kritik am Stalinismus, die wir vortrugen, und andererseits auch von unserer Kritik an den sozialdemokratischen Positionen der Partei“.Franca Rame trat in diesem Zusammenhang aus der Partei aus. Zu seinem Verhältnis zur KPI schreibt Fo: „Theater kann man nicht unter Kontrolle einer Partei spielen. Wir pfiffen darauf. Ob die KPI mit uns einverstanden war oder nicht, störte uns nicht. Unser Adressat war ein anderer: die Leute.“ Fo berichtet auch über die vielen Schwierigkeiten, seine Stücke in den damaligen stalinistischen Staaten aufzuführen. Aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings und die Zensur seiner Stücke in den Ostblock-Staaten entzog Fo diesen Staaten für einige Zeit die Zustimmung zur Aufführung seiner Werke.

Das Fo“sche Theater ist politisch, es ist Volkstheater und es ist dialektisch. Zu seinem Kunstverständnis sagt er: „Denn die Kunst ist, wie das Theater, nie ein Selbstzweck, sondern immer nur ein Mittel. Ein großartiges Sprungtuch, um etwas anderes zu erreichen: die Wissenschaft, das Wissen, die Wahrheit. In meinem ganzen Leben habe ich nie etwas geschrieben, um die Leute nur zu unterhalten. Durch meine Texte zieht sich stets der Riss, der Gewissheiten in die Krise stürzt, Meinungen mit einem Fragezeichen versieht, Empörung weckt, die Köpfe öffnet. Der Rest, die Schönheit um der Schönheit willen, das L“art pour l“art, interessiert mich nicht.“

Ausgehend von dieser Grundhaltung hat Dario Fo alle wichtigen politischen und sozialen Fragen auf die Bühne gebracht. Und vor allem hat er immer wieder die Kämpfe der italienischen Arbeiterklasse und der Linken und die Lebens- und Arbeitssituation der einfachen Leute dargestellt und damit in Frage gestellt.

Fo berichtet in dem Buch über Aufführungen vor Belegschaften, in denen die gesundheitsbedrohlichen Arbeitsbedingungen thematisiert wurden. In einer der beeindruckendsten und bewegendsten Anekdoten berichtet er von einer Aufführung vor FIAT-Arbeitern und ihren Frauen, in der entlarvt wurde, dass bestimmte Tätigkeiten in der Fabrik zu Impotenz führen konnten. Ein Tabuthema unter den Arbeitern bis zu diesem Zeitpunkt. Fo berichtet, dass am Ende einer Aufführung ein junger Mann den Arm hob: „Sehr blass, die Stimme gebrochen vor Erregung, sodass er kaum reden konnte. „Seit Monaten“, bekennt er, „hängt bei uns der Haussegen schief. Meine Frau ist davon überzeugt, dass ich eine Geliebte habe.“ Beklemmende Pause. Dann wendet er sich an die Frau, die neben ihm sitzt, fixiert sie und fährt fort: „Schau, Liebes.“ Dabei deutet er mit dem Finger auf die Bühne. „In Wahrheit geht es mir so wie dem Arbeiter in dem Stück. Der Arbeiter in dem Stück bin ich.“ Im Saal schreckliches Schweigen. Er setzt sich wieder und fängt an, zu weinen.“

Dario Fo und Franca Rame haben nicht nur die Themen der einfachen Leute, der ArbeiterInnen, Unterdrückten, nicht zuletzt der Frauen, auf die Bühne gebracht. Sie haben ihre Stücke permanent weiter entwickelt. Keine Aufführung glich der anderen, weil sie aktuelle Ereignisse aufgriffen, den Inhalt der Stücke dem Publikum anpassten und weil sie nach den Aufführungen mit den ZuschauerInnen diskutierten und deren Anregungen in ihre Arbeit einfließen ließen: „… am wichtigsten war uns das Danach. Die künstlerische Provokation sollte ja das Publikum veranlassen nachzudenken und zu diskutieren. Ich glaube, das war damals das erste Mal, dass politisches Theater im wahren Sinne des Wortes systematisch in Szene gesetzt wurde.“

So erfährt man in diesem Buch sehr viel über Dario Fo, sein Leben und seine Ansichten. Über Kunst, Geschichte, Kultur. Über seinen Umgang mit dem Alter und dem Schlaganfall, den er vor einigen Jahren erlitt. Und seine Gedanken zum Tod: „Ich habe keine Angst vor dem Tod. Was mir missfällt, ist die Vorstellung, nicht mehr zu leben. Das Leben hat es meistens gut mit mir gemeint. Es hat mir mehr Wünsche erfüllt, als ich in der Schublade hatte, da ich noch klein war. Ich muss deshalb zugeben, dass es mir ein wenig leidtut, es zu verlassen. Doch davon abgesehen, jagt der Tod mir keine Angst ein. Ich bin nicht gläubig, ich stelle mir kein Jenseits vor. Andererseits ist es kein Herumschweifen in der Metaphysik, wenn ich darauf hoffe und mir vorstelle, dass etwas von unserem Geist überlebt. Wenigstens solange es Menschen gibt, die sich an uns erinnern und von uns angeregt werden. (…) vor dem Tod darf man nicht die Rollläden herunter lassen und so tun, als gäbe es ihn nicht. Besser, sich gut stellen mit ihm. Wenn man jung ist, ist es schwierig, ihn zu verstehen und zu akzeptieren. Solange du jung bist, sterben immer die anderen. Heute hingegen trifft es meinen besten Freund, meinen Bruder, morgen vielleicht schon mich. Wen es trifft, den trifft es, der Tod ist unvernünftig und ungerecht. Es gibt nur drei Haltungen, die den Gedanken der Endlichkeit erträglich machen – das Spiel, die Ironie und den Mut. Sonst ist er eine Quelle der Verzweiflung, der Wehmut und der Schmerzen.“

So kann nur ein Mensch über den Tod sprechen, der sein Leben über die Maßen gelebt hat – und der keine Anstalten macht, damit aufzuhören. Sein politisches Engagement wird Fo, der zwei Mal für das Amt des Mailänder Bürgermeisters kandidierte, genauso fortsetzen, wie seine künstlerische Tätigkeit – ob als Autor, Regisseur oder Maler. Sein Wahlspruch für die Kampagne für das Bürgermeisteramt war: „Ich bin kein Gemäßigter“ – auch eine Art zu sagen, dass man für eine radikale Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse eintritt. „Unsere Empörung müssen wir hinausschreien“, sagt Fo ganz am Anfang des Gesprächs mit Giuseppina Manin. Wahrscheinlich ist es die Empörung, die er sich bewahrt hat, die ihn sagen lässt: „Ich habe noch viel vor.“

Dario Fo mit Giuseppina Manin: Die Welt, wie ich sie sehe; Rotbuch Verlag Berlin, 191 Seiten, gebunden, 19,90 Euro