Imperialistische Politik verschlimmert die Lage
Vor zwei Jahren begann in Irak und Syrien die „Operation Inherent Resolve“ (dt.: „Operation Natürliche Entschlossenheit“) gegen den „Islamischen Staat“, auch als „Daesh“ bezeichnet, unter US-amerikanischer Führung. Vor kurzem bejubelte US-Präsident Barack Obama die Erfolge seines Feldzugs. Es ist schwierig, die von offiziellen Regierungsquellen stammenden Zahlen einer unabhängigen Prüfung zu unterziehen. Nicht zu leugnen ist sicher, dass der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) im Laufe der letzten Monate bedeutende Teile seines Pseudo-Kalifats eingebüßt hat. Ebenso unbestreitbar ist, dass die Zahl der Kämpfer, Waffen und Finanzmittel, auf die der IS zurückgreifen kann, geringer wird.
von Serge Jordan
Kürzlich vertrieben die von den USA unterstützten Kräfte den IS aus der nordsyrischen Stadt Manbidsch, wodurch eine wesentliche Versorgungsroute gekappt worden ist. Dieser Erfolg hat zu Siegesfeiern der lokalen Bevölkerung geführt, in deren Verlauf Männer ihre Bärte abgeschnitten haben und Frauen ihre Niqabs verbrannten. Das ist der jüngste einer ganzen Reihe von militärischen Rückschlägen, die der IS sowohl in Syrien wie auch im Irak einstecken musste.
Wenn westliche Regierungschefs so tun, als würden sie die menschlichen Verluste bedauern, die auf Angriffe des IS zurückzuführen sind, dann wird die ganze Heuchelei des Imperialismus offenkundig. Denn gleichzeitig legen sie den Mantel des Schweigens über die steigende Zahl der zivilen Opfer, die ihren Bombardierungen geschuldet sind.
Nur Wenige werden das Ende der reaktionären Herrschaft des IS in Manbidsch bedauern. Doch die Blockade der Stadt hat schreckliche Folgen für die Bevölkerung der Stadt gehabt. Am 19. Juli sind, fern ab des Medieninteresses, etliche ZivilistInnen durch US-Militärschläge in der Stadt und in einem benachbarten Dorf ums Leben gekommen. Einige Quellen sprechen von 117 Toten.
Unterdessen werden weiterhin hunderte von Menschen zu Opfern des IS oder kommen bei weltweiten Terroranschlägen ums Leben, die auf IS-nahe Gruppen zurückzuführen sind. Diese Struktur profitiert von einem großen Netzwerk an Unterstützern im Nahen Osten aber auch in Afrika, Südostasien und Europa. Der IS versucht, seine territorialen Verluste am Boden dadurch zu kompensieren, dass er sich stärker den „konventionellen“ terroristischen Methoden zuwendet. Durch mörderische Handlungen sollen Feinde erschreckt und die eigene Anhängerschaft gestärkt werden.
Am 3. Juli wurden in Bagdad beim schwersten Bombenanschlag im Irak seit 2003 mehr als 300 Menschen getötet. Die Zunahme von Terroranschlägen in der westlichen Welt beweist, dass die Beschneidung demokratischer Rechte und restriktive Maßnahmen kein effektives Gegenmittel sein können.
Das gilt umso mehr, da gleichzeitig eine Politik der Austerität fortgesetzt wird, mit der die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spielräume stark beschnitten werden. Zudem werden theokratische Monarchien in der Golfregion unterstützt, die ihre wahabitische Ideologie in aller Welt verbreiten wollen. Rücksichtslose Bombardierungen, die vornehmlich in islamischen Staaten durchgeführt werden, sind Wasser auf die Mühlen der spalterischen Darstellungen des IS. All das schafft ein Klima, in dem die „einfache“ Bevölkerung einer zunehmenden Terrorgefahr ausgesetzt wird.
Das schwindende „Kalifat“
Von Anfang an war ziemlich klar, dass es der IS schwer haben würde, stark urbanisierte Zentren allein durch die Macht der Angst unter seiner Kontrolle zu halten. Das martialische Auftreten des IS ist rasch mit militärischem Druck von außen und mit der Wut der Bevölkerung im Innern konfrontiert worden. Im vergangenen Mai behauptete Abu Muhammad al-Adnani, ein Sprecher des IS, dass sein Gruppe „nicht um Landgewinne“ kämpfe. Damit sollte die eigene Anhängerschaft offenkundig auf die Möglichkeit vorbereitet werden, weitere territoriale Verluste hinnehmen zu müssen.
Es sind allerdings zwei vollkommen verschiedene Dinge, dem IS militärische Niederlagen zu bereiten oder die Ursachen, die zu seinem weiteren Erstarken führen, zu eliminieren. Aber auch von der erstgenannten Möglichkeit sind wir meilenweit entfernt. Zuletzt gab es nur prahlerische Verlautbarungen vom Imperialismus der westlichen Welt über militärische Erfolge im Kampf gegen rechtsgerichtete islamistische Gruppierungen, die danach durch Folgeereignisse widerlegt wurden. Das weckt Erinnerungen an das Beispiel der angeblichen Niederlage der Taliban in Afghanistan im Jahr 2001. Heute haben dieselben Taliban in demselben Staat mehr Land unter ihrer Kontrolle als zu irgendeinem Zeitpunkt seit 2001.
In einem Artikel vom Juni 2015 auf unserer internationalen Website www.Socialistworld.net stellten wir fest: „Selbstverständlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Allianz unter Führung des Westens dem IS einige entscheidende Militärschläge versetzen und die Dschihadisten aus manchen bedeutenden Gebieten zu vertreiben kann, die bisher noch von ihnen kontrolliert werden. Doch an ihre Stelle werden ähnlich oder sogar noch barbarischere Organisationen treten, wenn die tiefer liegenden Ursachen, die den IS überhaupt erst gestärkt haben, nicht angegangen werden“ (vgl.: http://www.socialistworld.net/mob/doc/7241).
Teile des IS können sich in neue Bewegungen verwandeln. Die gesellschaftlichen Kräfte hinter der Existenz des IS werden sich nicht einfach in Luft auflösen, wenn es zu keiner echten Veränderung kommt. Genaue BeobachterInnen der Kriegssituation in Syrien warnen vor dem wachsenden Einfluss der fundamentalistischen Gruppe Dschabhat al-Nusra (Al-Nusra-Front), die heute unter der Bezeichnung Dschabhat Fatah asch-Scham firmiert und bei der es sich demnach um eine Formation handelt, die dem IS „taktisch, personell und was ihre Waffentechnik angeht bei weitem überlegen ist“, so der britische Korrespondent Robert Fisk. Diese Gruppe führt eine Gegenoffensive gegen die Kräfte des Assad-Regimes in Aleppo durch und wird dabei militärisch wie finanziell von Saudi Arabien und Katar unterstützt. Bei diesen beiden Ländern handelt es sich um den wichtigsten Markt für Waffenverkäufe aus den USA.
2007 wurde Al Kaida im Irak (AQI) für zerstört erklärt, als die „Anbar-Erwache-Bewegung“, eine Vereinigung von der US-Armee bewaffneter sunnitisch-arabischer Stämme, sich mit den Besatzern vereinten, um AQI in der Provinz West-Anbar zu bezwingen. Heute handelt es sich beim IS um nichts anderes als die Wiederauferstehung von AQI in noch monströserem Ausmaß. Das zeigt, dass die imperialistischen Mächte zwar in der Lage sind, vorübergehend militärische Schlachten für sich zu entscheiden. Weil die ökonomischen, sozialen wie auch die politischen Bedingungen aber intakt bleiben, die dem IS erst zum Aufstieg verholfen haben, werden damit jedoch nur die Samen für künftige Katastrophen gesät.
Wettlauf zwischen den imperialistischen Mächten
Zweifellos ist die Schwächung des IS für die einflussreichen Strategen des Imperialismus ein wichtiges Ziel. Es geht dabei sowohl um Prestige-Fragen aber auch um die Gewährleistung eines gewissen Grads an Stabilität für die Investitionstätigkeit der Konzerne aus den jeweiligen westlichen Staaten. Wenn es um die geopolitischen Überlegungen sämtlicher großer kapitalistischen Mächte dieses Planeten geht, kommt dem Nahen Osten weiterhin eine Schlüsselrolle zu. Wer Zugang zu Märkten und Energiequellen will, muss sicherstellen, dass er Kontrolle und politische Einflussnahme in der Region ausüben kann.
Hinter dem Kampf gegen den IS steht das Streben nach viel größeren strategischen Zielen. Aus diesem Grund dient der „Kampf gegen den IS und den Terrorismus“ auch als Feigenblatt, hinter dem jede kapitalistische Macht ihre ureigenen imperialistischen Ziele verbirgt. Deshalb waren die scheinbaren gemeinsamen Interessen und die Zusammenarbeit im globalen Kampf gegen den IS von Anfang an brüchig. Der Grund dafür liegt in den unterschiedlichen und in Konkurrenz zueinander stehenden Zielen der verschiedenen beteiligten Mächte, wie auch ihrer Stellvertreter.
Die momentanen Vorbereitungen zur Rückeroberung des Kernlands des sogenannten „Kalifats“ des IS werden diese Widersprüche mit größter Wahrscheinlichkeit noch stärker in den Vordergrund treten lassen. Es geht hierbei um die irakische Stadt Mossul und um Rakka in Syrien. Letztere wird von der russischen und syrischen Regierung sowie von amerikanischen, britischen, französischen und jordanischen Luftstreitkräften rücksichtslos angegriffen.
Die Auseinandersetzung darüber, wer in den Gebieten, aus denen die Dschihadisten vertrieben worden sind, das Sagen haben soll, befindet sich in vollem Gange. Das zeigt sich übrigens auch an der gesteigerten Beteiligung der US-amerikanischen Streitkräfte. Im April dieses Jahres hat US-Präsident Obama 250 „Spezialkräfte“ in den Norden Syriens entsandt. Diese ergänzen die 50 US-Soldaten, die dort bereits waren. Es geht hierbei zwar noch um eine kleine Anzahl an Militärkräften, jedoch handelt es sich um die größte Aufstockung US-amerikanischer Kräfte in Syrien seit Beginn dieses Krieges.
Fotoaufnahmen des BBC haben den Beleg dafür erbracht, dass auch britische Sondereinsatzkräfte in geheimer Mission an den Kämpfen in Syrien beteiligt sind. Dass man dabei verstärkt auf sogenannte Sondereinsatzkräfte zurückgreift, soll verhindern, dass parlamentarische Kontrollgremien einen genauen Überblick darüber haben, welche Verbände sich in welchen Kriegsgebieten befinden. Der Tod von drei französischen Soldaten in Libyen hat zum ersten Mal bestätigt, dass Paris ebenfalls mit „Sondereinsatzkräften“ geheime Militäroperationen in diesem Land durchführt – und dies bereits seit Monaten.
Im Juli sind zusätzliche 560 US-amerikanische Soldaten in den Irak verlegt worden. Offiziell sollen sie bei der Rückeroberung von Mossul behilflich sein. Damit befinden sich wieder fast 5000 Armeeangehörigen aus den USA im Irak.
Obama hat das Präsidentenamt mit dem Versprechen übernommen, die Soldaten nach Hause zu holen. Er wird seine Amtszeit nun beenden und dabei sogar noch weitere Einheiten nach Syrien und in den Irak verlegen. Dem IS sind von der Luft aus ernstzunehmende militärische Rückschläge versetzt worden. Dennoch sind sich die USA bewusst, dass sie diese Erfolge nicht voll und ganz auskosten können, so lange sie keine Bodentruppen in der Region haben. Gleichzeitig gilt, dass eine breit angelegte Militärintervention zum jetzigen Zeitpunkt in Syrien (ganz zu schweigen vom Irak) politisch für sie nicht durchzusetzen ist.
Der Irak
Im Irak hat der US-Imperialismus ein entsetzliches Erbe hinterlassen, von dem sich das Land nicht wieder erholt hat. Trotz der grauenvollen IS-Propaganda und der entsprechenden Gewaltorgie, die zweifelsohne das Bewusstsein der im Westen lebenden „einfachen“ Leute ergriffen hat, deuten die Meinungsumfragen darauf hin, dass ein signifikanter Anteil von US-AmerikanerInnen dagegen ist, Truppen in den Irak oder nach Syrien zu schicken, um dort gegen den IS zu kämpfen. Eine beständige Mehrheit ist darüber hinaus der Ansicht, dass es ein Fehler war, überhaupt Einheiten geschickt zu haben.
Im Zuge der Kämpfe zur Rückeroberung von Ramadi und Falludscha aus der Gewalt des IS mussten die US-Strategen anerkennen, dass US-Kampfjets zwar Luftunterstützung geben können, aber der eigentliche Kampf gegen den IS an die vom Iran unterstützten schiitische Milizen am Boden übertragen werden müsste. Viele dieser schiitischen Milizen haben sektiererische Gräueltaten an ortsansässigen SunnitInnen verübt. Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben detaillierte und glaubwürdige Angaben über standrechtliche Hinrichtungen, Folter, Prügel, Verschleppungen und Schändung von Leichen, die von diesen Gruppierungen ausgeübt wurden. Diese Gewalt kann nur dazu dienen, die Sektierertum weiter anzufachen und somit direkt Gruppen in die Hände zu spielen, die dem IS vergleichbar sind und die sich selbst als Beschützer der SunnitInnen gegenüber der Verfolgung unter der Führung von Schiiten darstellen.
Durch das Aufstocken der US-amerikanischen Truppenkontingente im Irak versucht der US-Imperialismus zu einem gewissen Maß Kontrolle und politischer Einflussnahme am Boden zu erlangen. Zudem soll so die wachsende Einflussnahme des Iran zurückgedrängt werden. Allerdings sollen politische Verwerfungen in der Region sowie im eigenen Land als Folge einer wirklich großen Mobilisierung des US-Militärs verhindert werden.
Im Juli hat Schiiten-Führer Muktada al-Sadr seine Anhängerschaft öffentlich dazu aufgerufen, amerikanische Soldaten ins Visier zu nehmen, die als Teil der Militärkampagne gegen den IS in den Irak verlegt worden sind. Ähnliche Äußerungen kamen auch von anderen schiitischen Milizen. „Sie hassen uns weiterhin genauso stark wie sie den IS hassen“, so ein ehemaliger US-Geheimdienstoffizier im Irak mit Blick auf diese Kräfte. Das ist lediglich ein weiterer Hinweis darauf, dass sich der US-Imperialismus auf sehr dünnem Eis bewegt.
Den wahren Albtraum erleben jedoch die lokal ansässigen Irakerinnen und Iraker. Der Austausch sunnitischer Todesschwadronen des IS durch schiitische Todesschwadronen bedeutet gewiss nicht, dass sich ihre Lebenssituation zum Guten verändern wird. Viele von ihnen sind nicht in ihre Heimatorte zurückgekehrt – aus Angst vor sektiererischen Repressalien oder einfach, weil ihre Häuser in den Kämpfen zerstört wurden. Berichte deuten darauf hin, dass alle Gemeinden von Minderheiten (JesidInnen, TurkmenInnen, ChristInnen) Angst haben, in ihre angestammten Gebiete zurückzukehren, wenn diese erst einmal vom IS aus ähnlichen Gründen „befreit“ worden sind. Mehr als 3,3 Millionen IrakerInnen gelten derzeit als Vertriebene im eigenen Land, und in den kommenden Monaten werden voraussichtlich noch viele weitere dazukommen. Demgegenüber warnt die UNO schon davor, dass die drohende Schlacht um Mossul zu „massenhaften zivilen Opfern“ und zur „größten und dramatischsten humanitären Krise der Welt“ führen wird.
Syrien
In Syrien laufen die meisten Versuche der USA zur Rückgewinnung des eigenen Einflusses darauf hinaus, unterschiedliche Rebellengruppen zu unterstützen, sie zu bewaffnen und auszubilden. Dieser Ansatz ist in den meisten Fällen in einem Fiasko geendet. Die herausragende Ausnahme bildete in diesem Zusammenhang die immer engere Kooperation der USA mit den kurdischen KämpferInnen der YPG („Volksverteidigungseinheiten“), die in Verbindung mit der PYD („Partei der Demokratischen Union“) stehen.
Letztere hat im Norden des Landes die kurdische Enklave Rojava etabliert und ist korrekter Weise für ihr heldenhaftes Vorgehen und ihre Erfolge, dem IS militärische Niederlagen zu bereiten, gelobt worden. Dieses entschlossene Vorgehen auf dem Schlachtfeld ist zweifelsohne und zum größten Teil auf ihre Hoffnungen zurückzuführen, eine andere Art von Gesellschaft in Rojava aufbauen zu können, die auf der Solidarität der Völker, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und dem Recht der KurdInnen basiert, ihre Zukunft nach Jahren der Unterdrückung selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.
Ihr Erfolg wurde von den großen imperialistischen Mächten nicht übersehen, welche in opportunistischer Manier auf den fahrenden den Zug der YPG aufgesprungen sind. Das wurde besonders im letzten Jahr deutlich, als sich die von Washington unterstützten „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) bildeten. Dieses breite Militärbündnis umfasst auch einige arabische Stämme. Das Rückgrat bilden jedoch die Einheiten der YPG. Die SDF ist die militärische Kraft, die den kürzlichen Rückzug des IS aus Manbidsch herbeiführte, wenn auch mit heftiger Luftunterstützung von Seiten der US-geführten Koalition.
Das CWI ist der Meinung, dass zeitlich begrenzte, taktische Vereinbarungen und der Austausch von Waffen oder Informationen zuweilen notwendig sein können, um die Mörderbanden des IS zu bekämpfen. Dennoch hätte die PYD bzw. die YPG strikt die Unabhängikeit der Aktion und des Programms von allen imperialistischen Kräften wahren sollen und stattdessen hörbar vor deren Manövern warnen müssen. Der Versuch der USA, das Vorgehen der YPG zu beeinflussen, ist genauso Teil der Kampagne gegen den IS, wie ihr Wille, die radikalsten und progressiven Seiten des syrisch-kurdischen Programms zurückzudrängen.
Die frühen Warnungen des CWI, dass Truppen der YPG verstärkt als Fußsoldaten für die Kriegsziele des US-Imperialismus genutzt würden, scheinen sich durch die letzten Entwicklungen leider zu bestätigen. Im letzten Mai wurden sogar US-amerikanische Soldaten fotografiert, wie sie Abzeichen der YPG auf ihrer Uniform trugen.
Zur gleichen Zeit hat die Führung der PYD enge Verbindungen zu den Herrschenden Russlands aufgebaut. Das beinhaltet die Eröffnung eines Moskauer Büros im Frühjahr, sowie die Koordinierung einiger ihrer militärischen Vorstöße im Norden Aleppos mit russischen Luftangriffen. Das passiert trotz der verheerenden Auswirkungen der russischen Bombardements auf lokale Gemeinden, welche vielen ZivilistInnen das Leben kosteten und die Infrastruktur weitgehend zerstört hatten.
Der PYD-Vertreter Abd Salam Muhammad Ali erklärte dagegen im Februar: „Die Partei der PYD hat den russischen Einsatz in Syrien seit der ersten Tage willkommen geheißen und unterstützt.“ Imperialistische Kräfte sind aber nicht für ihre Herzlichkeit gegenüber KurdInnen bekannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Annäherung zwischen dem türkischen Präsidenten Erdoğan und dem russischen Präsidenten Vladimir Putin eine Verschiebung der russischen Außenpolitik auslöst, welche sich nun gegen die PYD selbst wenden könnte. Am Donnerstag, den 18. August, sind Kampfflugzeuge des syrischen Regimes Luftangriffe im Nordosten von Hasaka geflogen – das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass Assad in diesem Ausmaß Stellungen der PYD attackiert hat. Das steht symbolisch für all die Wendungen in den Kriegshandlungen der regionalen und internationalen Mächte. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer prinzipiellen, unabhängigen Politik der ArbeiterInnenklasse – ohne Vertrauen in kapitalistische Regime, deren Interessen auf Macht, Prestige und Profiten basieren.
Die KämpferInnen der YPG dürfen keine Anstrengungen sparen, um zu verhindern, dass sie mit der Zerstörung und den Massakern an ZivilistInnen durch US- oder russische Bomben in Verbindung gebracht werden. Diese Art von Verbrechen liefern den Dschihadisten ganze Filmstreifen an Propagandamaterial und neue potenzielle Rekruten. Wenn die YPG sich nicht klar davon distanziert, kann sie das von den in mehrheitlich-arabischen Gebieten lebenden Schichten isolieren, welche sie doch eigentlich vom IS befreien wollen.
Das ist eine kritische Frage, zumal Rojava von allen Seiten unter Druck steht: das türkische Regime im Norden, der IS im Süden und eine feindliche Regierung von Irakisch-Kurdistan im Osten. Der einzige Weg aus dieser Sackgasse ist die Anwendung einer Strategie, welche die aktive Unterstützung der Arbeitenden und Armen – international und über alle ethnischen und sektiererischen Grenzen hinweg – sichern kann.
Der Kampf der Massen
Das verlangt nach einem Programm, welches nicht nur allen Völkern gleiche Rechte zugesteht, sondern auch für die Überführung des riesigen Reichtums der Region in demokratische Kontrolle und Verwaltung wirbt, um so einen gesicherten Lebensstandard für alle zu garantieren.
Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums vom 15. Juli belaufen sich die gesamten Kosten der Militäroperationen im Zusammenhang mit dem IS seit deren Beginn am 8. August 2014 auf 8,4 Milliarden US-Dollar. Eine demokratische, sozialistische Planung der internationalen Wirtschaft würde sicherstellen, dass ein solch gigantischer Betrag an Geldern zum Wohle der Menschen investiert würde, nicht zu ihrer Vernichtung.
Die Mehrheit der Menschen im Nahen Osten sehnen sich nach einem Leben frei von rücksichtsloser, mittelalterlicher IS-Herrschaft. Doch genauso sehnen sie sich nach einem Leben frei von den Peitschen der Armut, der Ausbeutung, der sektiererischen Regierungen, der imperialistischen Interventionen und der Diktaturen. Die meisten Städte, aus denen der IS hinausgeworfen wurde, liegen in Trümmern und die Zahl der Flüchtlinge schießt in neue Höhen. Ein wichtiger Faktor sind die Luftangriffe durch die Imperialisten wie auch durch Assad. Das zeigt, zu welchem Preis die „Befreiung“ erkauft wird, wenn sie mit Bomben statt durch Erhebungen der irakischen und syrischen Massen bezahlt wird.
Außerdem bleibt die Frage offen, was nach dem Rückzug des IS kommen soll. Die imperialistischen Mächte, die lokalen kapitalistischen Regimes oder die Milizen der Sekten sind offensichtlich nicht daran interessiert, den Kampf der Massen um ihre Lebensbedingungen voranzutreiben. Es sind eben jene Lebensbedingungen, welche das IS und andere reaktionäfer dschihadistische Gruppen in Abwesenheit einer klaren Alternative stark werden ließen. Die unablässige Bombardierung dicht besiedelter Gebiete macht es nur noch schlimmer.
Darum dürfen die vom IS befreiten Zonen nicht in den Händen von Armeeoffizieren, imperialistischen Militärberatern oder Sektenmilizen bleiben, die sich nur selbst an der Kriegsbeute bereichern wollen. Sie müssen stattdessen unter die demokratische Kontrolle der lokalen Bevölkerung gestellt werden – über gewählte Komitees und Räte bestehend aus ArbeiterInnen und Armen aller nationalen und ethnischen Gruppen. Solche Komitees könnten die Selbstverteidigung der Menschen gegen reaktionäre Milizen und Besatzerarmeen auf einer massenhaften und nicht-sektiererischen Basis organisieren. Sie wären ein Hebel für den vereinten Kampf gegen alle kapitalistischen und feudalen Kräfte, die den Menschen Elend und Zerstörung bringen.
Serge Jordan ist Mitglied im Internationalen Sekretariat des „Komitees für eine Arbeiterinternationale“ Der Artikel erschien auf socialistworld.net am 20. August 2016