Ein Blick zurück nach vorn
Der nachfolgende Text von Sascha Stanicic erschien als Beitrag in dem Sammelband “Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden – Die Linke und das Regieren”, der Ende August 2016 im PapyRossa-Verlag erschienen ist.
2017 wird auch das zehnjährige Jubiläum der Gründung der Partei DIE LINKE markieren. Die Parteigründung wurde von den meisten Beteiligten mit großer Euphorie und hohen Erwartungen vollzogen. Endlich war eine starke und stärker werdende Partei links der Sozialdemokratie eine realistische Chance.
Vor der Fusion waren WASG und Linkspartei.PDS (wie die PDS inzwischen hieß) beim gemeinsamen Wahlantritt 2005 mit 8,7 Prozent in den Bundestag eingezogen, nachdem die PDS im Jahr 2002 die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr erreicht hatte. Neun Jahre später, im Frühsommer 2016, liegt DIE LINKE, nachdem sie 2013 mit 8,6 Prozent ins Parlament eingezogen war, in Meinungsumfragen zwischen acht und zehn Prozent. Das nennt man Stagnation.
Die Euphorie der Fusionstage ist verflogen, die Erwartungen und Prophezeiungen der Schaffung einer starken und stärker werdenden einheitlichen Linkspartei sind nicht in Erfüllung gegangen. 2007 hatte die Partei 71.711 Mitglieder, im Jahr 2015 waren es 58.989. Viele Aktivistinnen und Aktivisten der ersten Stunde, vor allem aus der WASG, haben sich aus der aktiven Parteiarbeit zurückgezogen oder sind gar aus der Partei wieder ausgetreten. Sicher sind auch viele neue Mitglieder dazu gekommen, aber der große Aufbruch zu einer neuen starken und einheitlichen Linken ist irgendwo und irgendwann stecken geblieben.
Der Autor dieser Zeilen gehörte zusammen mit anderen Mitgliedern der WASG, vor allem des Berliner Landesverbands, und der SAV zu den KritikerInnen der Art und Weise und der politischen Basis, auf der die Fusion zwischen WASG und Linkspartei.PDS vollzogen wurde. Nicht selten wurden wir in der Gründungsperiode der Partei als Spalter bezeichnet, weil wir die Euphorie nicht teilen konnten und einige Warnungen aussprachen. Es lohnt sich, die Debatten der Jahre 2005 bis 2007 zu rekapitulieren und unsere Warnungen mit der heutigen Situation zu vergleichen. Vielleicht kann daraus ja etwas zu lernen sein für den Aufbau der LINKEN zu einer starken und stärker werdenden Kraft in der Bundesrepublik.
WASG und PDS
Die Gründung der WASG war eine Reaktion auf die Agenda 2010 der SPD/Grüne-Regierung unter Gerhard Schröder und Joseph „Joschka“ Fischer. Sie markierte die Erkenntnis einer wachsenden Schicht von Lohnabhängigen und Erwerbslosen, dass die SPD keine Vertretung der kleinen Leute mehr ist, keine Arbeiterpartei, nicht einmal mehr eine sozialdemokratische Partei im historischen Sinne des Wortes, sondern eine durch und durch prokapitalistische Partei, die sich nicht einmal der neoliberalen Hegemonie entgegenstellt, sondern diese festigt und voran treibt. Aber nicht nur das. Eine neue Partei war nötig, weil die existierende Partei links von der SPD – die PDS – keine Alternative war, um eine starke politische Interessenvertretung von ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen aufzubauen. Warum? Zweifellos spielten auch historische Gründe eine Rolle: die Tatsache, dass die PDS die Nachfolgepartei der SED war und nie ein für alle unmissverständlich nachvollziehbarer Bruch stattgefunden hatte, machte sie für einen Teil der arbeitenden Bevölkerung unwählbar, egal wie viele Erklärungen gegen Stalinismus und Ein-Parteien-Staat sie beschlossen hatte. Aber für viele war bedeutsamer, dass die PDS in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dazu übergegangen war, in Koalition mit der Sozialdemokratie eine Politik gegen ihr eigenes Programm umzusetzen (siehe dazu die Texte von Edeltraut Felfe und Lucy Redler in diesem Buch). Die Folge war nicht nur, dass die Partei Glaubwürdigkeit und WählerInnen verlor. Nicht zuletzt die Verbindung zu Menschen, die in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegen die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse kämpften, wurden nachhaltig beschädigt. Die WASG war also eine Reaktion auf die Rechtsentwicklung sowohl der SPD als auch der PDS.
Die Situation war paradox, denn auf dem Papier war die PDS eine sozialistische Partei, die den Kapitalismus in Frage stellte, die WASG aber eine Sozialstaatspartei mit keynesianischer Wirtschaftspolitik. Einige ihrer Führungskräfte vertraten anfangs sogar die Position, die Partei solle weder links noch rechts sein, in der Hoffnung durch eine solche Positionierung auch in die Arbeitnehmerbasis der CDU/CSU einzudringen. Auf dem Papier stand die WASG also rechts von der PDS. In der lebendigen Realität des Klassenkampfs war es aber umgekehrt. Nicht nur weil die WASG eine rebellische, lebendige, oftmals unberechenbare Partei war, in der viele, die direkt von Sozialkürzungen und Arbeitsplatzvernichtung betroffen waren, sich organisierten und die Partei an gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfen ausrichten wollten. Sondern auch, weil die WASG in der Frage der Regierungsbeteiligung – ohne eine klare prinzipielle Haltung zu haben – einen sehr pragmatischen Klassenstandpunkt einnahm, der sie in Konflikt mit dem kapitalistischen Establishment und dem System insgesamt bringen musste. Sie lehnte kategorisch eine Regierungsbeteiligung ab, die zu Sozialkürzungen, Privatisierungen und Personalabbau führt. Unter den damaligen Bedingungen der Agenda 2010-Politik der SPD und den Erfahrungen in Berlin war das gleichbedeutend mit einer Absage an rot-rote oder rot-rot-grüne Koalitionsgedanken. Das war der entscheidende Unterschied zur politischen Praxis der PDS und das sollte zur Hauptkontroverse in der Fusionsdebatte werden.
Kontroversen um die Fusion
Dabei ging es nicht um abstrakte Meinungsverschiedenheiten unterschiedlicher politischer Ideologien. Insbesondere in Berlin fanden sich linke AktivistInnen und viele Mitglieder der WASG in den sozialen Kämpfen der Stadt in Opposition und Widerstand zum rot-roten Senat wieder. Die PDS stand auf der anderen Seite der Barrikade, wenn es zum Beispiel um die Ausgliederung des Servicebereichs am Universitätsklinikum Charité und dessen Teilprivatisierung, um die Privatisierung von Wohnraum, die Kürzung des Blindengeldes und ähnliches ging. Der Widerspruch war fundamental, denn eine Partei kann nicht gleichzeitig Regierung und Opposition, Sachverwalterin kapitalistischer Missstände und vorwärtstreibende Kraft zur Überwindung dieser Zustände sein.
Die Berliner WASG warnte, dass die Regierungsbeteiligung in Berlin ein Präzedenzfall für die neue Linke würde, wenn die Frage nicht vor einem Zusammenschluss der beiden Parteien geklärt würde. Der Landesvorstand erklärte: „Die Belastung für den Neuformierungsprozess der Linken ist die Politik der Berliner Linkspartei.PDS, die sich im Widerspruch zu den programmatischen Aussagen von WASG und Linkspartei.PDS befindet.“ Sie machte immer wieder deutlich, dass sie für einen Neuformierungsprozess der Linken war, eine neue Linke aber eine Politik des Sozialabbaus, der Privatisierungen und des Stellenabbaus in Regierungskoalitionen nicht akzeptieren dürfe.
Doch der Zug rollte. Angetrieben von einem PDS-Apparat, der erkannte, dass eine Fusion mit der WASG die Rettung ihrer Pöstchen und Privilegien bedeutete (schließlich war die Partei zu einer Regionalpartei Ost im Niedergang geworden und nach 2002 nur noch durch zwei direkt gewählte Abgeordnete aus Berlin im Bundestag vertreten). Angetrieben von Oskar Lafontaine, der seine persönliche Autorität massiv einsetzte, um die Fusion schnell, auf WASG und Linkspartei.PDS begrenzt und die Politik des rot-roten Senats akzeptierend (so griff Lafontaine persönlich in den Abgeordnetenhauswahlkampf 2006 in Berlin ein und rief dazu auf die Regierungspartei PDS statt der oppositionell kandidierenden Berliner WASG zu wählen), durchzusetzen. Und sicher auch angetrieben von der Hoffnung vieler, durch eine gemeinsame Partei die relative Isolation der Linken links von der Sozialdemokratie zu überwinden.
Für eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Praxis der PDS war wenig Zeit und Raum in diesem Prozess. Für eine Einbeziehung der vielen linken Kräfte, die außerhalb von WASG und Linkspartei.PDS waren, ebenfalls. Der neuen Partei wurde ein Grundwiderspruch in die Wiege gelegt, der seit nunmehr neun Jahren eine massive Bremse für ihren Aufbau und ihre Stärkung darstellt. Die Akzeptanz von Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien ist der Geburtsfehler der Partei DIE LINKE.
Im März 2007 schrieb ich über die Aussichten einer fusionierten Partei: „Es ist davon auszugehen, dass die Partei in Ost- und Westdeutschland von Zusammensetzung, Wahrnehmung und gesellschaftlicher Rolle her große Unterschiede aufweisen wird. Im Osten wird sie eine Fortsetzung der L.PDS sein, dominiert von Kommunal- und Landtagsabgeordneten und hauptamtlichen FunktionärInnen. Eine solche Partei wird nicht die geringste Anziehungskraft oder Dynamik entwickeln. Sie wird von einer Mehrheit der Arbeiterklasse als etablierte Kraft betrachtet, die sie auf kommunaler Ebene vielfach und zumindest schon in zwei Bundesländern als Regierungspartei erlebt hat. Ist sie in der Opposition, wird sie – mangels Alternative – bei Wahlen den einen oder anderen Erfolg erzielen können.
Im Westen gibt Oskar Lafontaine der zukünftigen Partei ein anderes Gesicht und dort ist sie noch nicht so weitgehend in den Parlamentarismus und Staatsapparat integriert wie im Osten. (…)
Auf der Wahlebene wird es bundesweit und in den meisten Bundesländern keine substanzielle linke Alternative neben der zukünftigen fusionierten Linkspartei geben und diese wird Wahlerfolge erzielen können. (…) Aber Wahlerfolge führen nicht automatisch zu Mitgliederwachstum. Und selbst ein gewisses Mitgliederwachstum führt nicht automatisch zu mehr AktivistInnen, wie das Beispiel der Sozialistischen Partei in den Niederlanden zeigt. Erfolg für eine linke Partei muss sich letztlich daran messen, ob sie einen Beitrag dazu leistet den Widerstand der Arbeiterklasse und Jugend zu stärken und deren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verteidigen. Die Berliner L.PDS ist das beste Beispiel dafür, dass Wahlerfolge auf Sand gebaut sind, wenn sie nicht dazu genutzt werden: nach dem großen Wahlerfolg 2001 führte die Regierungsbeteiligung zum Verlust von 50 Prozent der Wählerstimmen im Jahr 2006.“
Innere Verfasstheit
Die Akzeptanz von Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien, selbst wenn sie zu Sozial- und Stellenabbau und Privatisierungen führen, hatte als konstitutives Element der neuen Partei auch wichtige Folgen für ihre innere Verfasstheit. Denn das verstärkt eine Fokussierung auf parlamentarische Arbeit, eine Stärkung der Macht der Parlamentsfraktionen, die Entstehung materieller Eigeninteressen bei einer wichtigen Schicht der ParteifunktionärInnen und MandatsträgerInnen etc. In den Augen vieler Menschen ist DIE LINKE der linke Teil des Establishments. Niemand würde in der Politprofi-Partei darauf kommen, den Slogan aus WASG-Gründungstagen „Jetzt wählen wir uns selbst“ zu verwenden. Regierungsbeteiligungen und eine auf Regierungsbeteiligungen ausgerichtete Politik führt unter den gegenwärtigen Verhältnissen geradezu zwangsläufig zu einer Schwächung der Parteibasis, zu Top-Down-Prozessen und dazu, dass Positionen häufiger durch ParteiführerInnen in den Medien deklariert als auf Parteitagen erarbeitet werden.
Nun stimmt es, dass der Erfurter Parteitag im neuen Grundsatzprogramm der LINKEN so genannte rote Haltelinien festgeschrieben hat. Das ist sicher auch Folge davon, dass die Auseinandersetzung um die Frage der Regierungsbeteiligung auch nach der Parteigründung nie aufhörte, weil Parteilinke bei diesem Thema keine Ruhe gegeben haben. Dass diese Haltelinien aber keine Garantie dagegen sind, dass sich die Partei auf kommunaler und auf Landesebene nicht an Koalitionsregierungen zur Verwaltung der Missstände beteiligt, hat sich in Brandenburg und Thüringen – und in der positiven Reaktion großer Teile der Partei(führung) auf diese Regierungsbeteiligungen gezeigt. Dass rein negative Mindestbedingungen letztlich bedeuten, dass man sich an einer Regierung beteiligen könnte, die den Status quo – und damit die Kürzungen der letzten zwanzig und mehr Jahre – festschreibt, kommt hinzu.
Das Problem der Regierungsbeteiligung besteht aber ohnehin auf zwei Ebenen für linke Parteien: erstens in Bezug auf Koalitionen mit Parteien wie SPD und Grünen, die Kapitalinteressen vertreten und bei denen es schwer vorstellbar ist, dass DIE LINKE nicht ihre Seele verkaufen muss, um auf die Regierungssessel zu kommen. Zweitens wenn linke Parteien gänzlich die Regierung übernehmen, aber nicht einen Kurs der Konfrontation und des Bruchs mit den kapitalistischen Strukturen und Eigentumsverhältnissen eingehen, wenn sie nicht auf den Aufbau organisierter Gegenmacht der Arbeiterklasse setzen. In dieser Situation befindet sich DIE LINKE in Deutschland noch nicht, sehr wohl aber andere linke Parteien international, wie Syriza in Griechenland oder die linken Kräfte in Venezuela oder Bolivien in den 2000er Jahren. Diese Erfahrungen haben gezeigt: dann können die Linken durch die Kapitalistenklasse erpresst, sabotiert und letztlich zur Kapitulation gebracht oder gestürzt werden. Deshalb ist die Auseinandersetzung um die Frage der Regierungsbeteiligung im Kern eine Debatte über grundsätzliche strategische Ausrichtungen zum Aufbau sozialistischer Parteien und zur sozialistischen Veränderung der Gesellschaft.
Daher wäre es für die Linken in der LINKEN auch fatal, die Debatte auf eine Frage der Taktik und der Präsentation von Positionen zu reduzieren. Über Taktik sollte man ohnehin erst reden, wenn man bei den Grundsätzen Einigkeit erzielt hat. Dann geht es darum, den besten, also für möglichst viele Menschen nachvollziehbaren Weg zu finden, diese Grundsätze zu vermitteln. Die Vermittlung darf aber nicht dazu führen, dass am Ende etwas anderes dargestellt wird, als die Grundsätze. Wenn man eigentlich grundsätzlich gegen Koalitionen mit SPD und Grünen ist, aber eine Argumentation vorbringt, die die eigene Bereitschaft zum Mitregieren betont, damit SPD und Grüne der Koalition eine Absage erteilen, gehen die Grundsätze verloren. Dabei ist das auch gar nicht nötig, denn für eine prinzipielle Haltung gegen Regierungskoalitionen mit prokapitalistischen Parteien ist sehr wohl massenkompatibel zu argumentieren.
Der Widerspruch zwischen Befürwortung und Ablehnung von Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien bzw. im Rahmen der kapitalistischen Ordnung ist jedenfalls fundamentaler Art. Er ist Ausdruck unterschiedlicher programmatischer Vorstellungen, unterschiedlicher strategischer Konzepte, letztlich unterschiedlicher Zielsetzungen (Kapitalismus gestalten oder überwinden). Die Koexistenz dieser Ansätze innerhalb der Partei DIE LINKE erscheint als Pluralismus, ist aber in seiner Wirkung eine schwere Hypothek und eine Bremse für den Aufbau einer kämpferischen sozialistischen Partei. Ergebnis ist, dass DIE LINKE zwei Parteien in einer ist.
Wenn es der LINKEN nicht gelingt, diesen Widerspruch aufzulösen und unmissverständlich zu einer sozialistischen Anti-Establishment-Partei des Widerstands zu werden, wird sie bestenfalls weiter stagnieren, schlimmstenfalls droht eine Entwicklung ähnlich der Rifondazione Comunista in Italien.
Vorschlag für eine Musterargumentation „Warum wir nicht mit SPD und Grünen koalieren“
DIE LINKE ist die einzige Partei, die die Interessen von abhängig Beschäftigten und sozial Benachteiligten vertritt. (…) Wir können nur eine Politik mittragen, die nachhaltig die Lebenssituation von ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen gleich welcher Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religionszugehörigkeit – verbessert. (…) Zur Zeit gibt es für eine solche Politik keinen Koalitionspartner und DIE LINKE ist noch zu schwach, um alleine eine Regierung bilden zu können. Auch mit SPD und Grünen ist eine solche Politik nicht umsetzbar.
Das gilt, auch wenn beide Parteien vor Wahlen gerne „links blinken“ und soziale Forderungen aufstellen. Wir messen PolitikerInnen und Parteien lieber an dem, was sie tun, statt an dem, was sie sagen. SPD und Grüne sind nicht nur verantwortlich für Hartz IV und Agenda 2010 – und damit für die schlimmsten Verschlechterungen an den sozialen Sicherungssystemen in Deutschland. (…) SPD und Grüne zeichnen auch für die ersten Kriegseinsätze der Bundeswehr verantwortlich – auf dem Balkan und in Afghanistan. (…) In der ersten Großen Koalition hat die SPD der Rente ab 67 zugestimmt, beide Parteien haben die Europa-Politik von Merkel mit ihrer Zustimmung zu den Bankenrettungsprogrammen mitgetragen. Sie sind Verteidiger der Schuldenbremse und des europäischen Fiskalpakts. Auf Kommunal- und Landesebene tragen beide Parteien Kürzungspolitik auf dem Rücken der Mehrheit der Bevölkerung mit. (…)
Auch die Erfahrungen der PDS und der LINKEN in Regierungskoalitionen mit der SPD zeigen, dass dort immer linke Inhalte über Bord geworfen werden mussten, um diese Koalitionen aufrechtzuerhalten, und PDS und LINKE eine Politik mitgetragen haben, die gegen die eigenen Grundsätze verstößt. (…) Die Folge solcher Regierungsbeteiligungen war auch immer die Schwächung von PDS bzw. LINKE, weil sie als unglaubwürdig erschienen und viele Menschen zurecht der Meinung sind, dass man für Sozialabbau keine linke Partei braucht.
Dass SPD und Grüne eine solche Politik betreiben hat nichts damit zu tun, wie gerade die innerparteilichen Kräfteverhältnisse aussehen oder welche Spitzenleute gerade zu sagen haben. Diese Politik ist Ausdruck des Charakters beider Parteien und der Interessen, denen sie sich verpflichtet fühlen. SPD und Grüne verteidigen die Marktwirtschaft, sie nennen es „soziale Marktwirtschaft“, aber es ist letztlich nichts anderes als eine auf Privateigentum an Banken und Konzernen, Marktkonkurrenz und Profitlogik basierende kapitalistische Gesellschaft.
DIE LINKE ist der Überzeugung, dass nur im Kampf gegen diese Marktinteressen und die dahinter stehenden Personengruppen von Kapitaleigentümern und Großunternehmern, tatsächliche Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung erzielt werden können. Dazu bedarf es sozialer und gewerkschaftlicher Kämpfe und Bewegungen und des Aufbaus von Massenorganisationen der abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen – es bedarf gesellschaftlicher Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse und die herrschende Politik. Durch den Druck solcher Bewegungen – von Streiks und Demonstrationen – können auch bürgerliche Regierungen zu zeitweiligen Zugeständnissen gezwungen werden. (…)
Für DIE LINKE ist der Aufbau solcher Proteste und Widerstandsbewegungen die Hauptaufgabe ihrer Politik – und auf Basis solcher Bewegungen wollen wir eine starke Massenpartei, wie es die SPD Ende des 19. Jahrhunderts war, aufbauen, die die Interessen der einfachen Leute vertritt. Unsere Positionen in Parlamenten stellen wir in den Dienst dieser Aufgabe. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass jede Verbesserung durch Regierung und Kapital bei nächster Gelegenheit wieder in Frage gestellt werden wird und nachhaltige Verbesserungen nur möglich sind, wenn die ausbeuterische, umweltzerstörende und krisenhafte kapitalistische Wirtschaftsweise überwunden und durch eine sozialistische Demokratie ersetzt wird.
Solange für eine solche Politik keine Regierungsmehrheit möglich ist, sehen wir unseren Platz in der parlamentarischen Opposition und unsere KoalitionspartnerInnen in den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften. Das bedeutet nicht, dass wir eine Politik des Nein-Sagens und der Fundamentalopposition vertreten oder nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Wir verstehen, dass viele Menschen sich von einem rot-rot-grünen Regierungswechsel eine sozialere Politik erhoffen. An der LINKEN wird eine sozialere Politik nicht scheitern, wenn SPD und Grüne sie tatsächlich umsetzen wollen. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten, CDU/CSU-geführte Regierungen abzuwählen und rot-grünen Regierungen so ins Amt zu verhelfen. Wir garantieren außerdem Zustimmung zu jedem Gesetzesentwurf, der die Lebenssituation der abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, sozial Benachteiligten, RentnerInnen oder Jugendlichen verbessert. Zustimmung zu Sozialabbau, Streichung von Stellen im öffentlichen Dienst, Privatisierungen, Aufrüstung, Diskriminierung von MigrantInnen und anderen Menschen, einer militaristischen Außenpolitik etc. wird es von uns jedoch nicht geben. Deshalb können wir keiner SPD-Grünen-Regierung einen Blankoscheck ausfüllen, indem wir ihr als Koalitionspartner beitreten oder sie per Tolerierungsvertrag unterstützen. Wir werden im Parlament eine Politik der Einzelfallentscheidung umsetzen und je nach Inhalt der Gesetzesinitiativen entscheiden. (…)
Die ungekürzte Fassung dieser Musterargumentation kann auf sozialismus.info, der Website der SAV, gefunden werden: www.archiv.sozialismus.info/2014/06/die-linke-und-das-regieren/
Gleiss/Höger/Redler/Stanicic – Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden; 256 Seiten, Paperback, PapyRossa Verlag, ISBN 978-3-89438-623-8, 14,90 EUR Zu bestellen: hier klicken