Bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen am 18. September fuhren SPD und CDU historisch schlechte Ergebnisse ein. Die Grünen konnten davon nicht profitieren und verloren ebenfalls leicht. DIE LINKE legte vor allem im Westteil der Stadt zu. Die AfD ist mit zweistelligen Ergebnissen in beiden Teilen der Stadt eine ernste Bedrohung.
von Michael Koschitzki, Berlin
Der Berliner Rot-Schwarze Senat war die unbeliebteste Landesregierung der Bundesrepublik. Keine andere kam auf so niedrige Zustimmungswerte. Steigende Mieten, eine katastrophale Situation in der Verwaltung, Versagen bei der Versorgung von Geflüchteten und gescheiterte Projekte wie der BER ließen den Unmut wachsen.
SPD und CDU holten mit jeweils 21,6 und 17,6 Prozent die schlechtesten Ergebnisse ihrer Parteien seit es das Abgeordnetenhaus gibt. So unbeliebt waren sie, dass selbst 6,7 Prozent wieder die FDP wählten. Trotzdem versucht sich die SPD als Wahlgewinnerin zu geben. Wenn mit einbezogen wird, dass ein Drittel gar nicht erst zur Wahl gegangen ist, schrumpft ihr Ergebnis auf 14,5 Prozent. Eine halbe Millionen BerlinerInnen über 18 Jahren durften laut Berechnungen von Organisation of Citizens of Europe gar nicht wählen, weil sie keinen deutschen Pass haben.
Gefahr von Rechts
Die AfD kommt auf 14,2 Prozent der Stimmen und zieht mit 25 Abgeordneten ins Abgeordnetenhaus ein. Sie holte im Ostteil der Stadt fast 17 Prozent und insgesamt fünf Direktmandate. In den Stadtteilen Heinersdorf, Hohenschönhausen, Hellersdorf und Schöneweide konnten sie auf frühere rechte Kampagnen gegen Moscheen und Geflüchtetenunterkünfte aufbauen. In Hohenschönhausen wurde mit Kay Nerstheimer ein ehemaliges Mitglied von Die Freiheit, der noch 2012 mit der German Defence League eine faschistische Miliz aufbauen wollte, ins Abgeordnetenhaus gewählt. Mit der AfD ziehen mehrere ehemalige Mitglieder von Die Freiheit, UnterstützerInnen der Patriotischen Plattform und mit Mitgliedern der Jungen Alternative Berlin wie Thorsten Weiß auch Rechte aus dem Umfeld der Identitären Bewegung ins Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) ein. Außerdem kommt die AfD in Fraktionsstärke in alle BVVn und wird fünf Stadträte stellen. Es wählten mit 18 Prozent deutlich mehr Männer die AfD als Frauen, von denen „nur“ 11 Prozent für die AfD stimmten.
Von den AfD-WählerInnen sagten 91 Prozent, die AfD würde vor allem gewählt, um ein klares Zeichen gegen die anderen Parteien zu setzen. Sie konnte dadurch von ihrem Image als Protest-Partei und als Stimme gegen die Etablierten profitieren. Sie hat bei Arbeitern und Erwerbslosen ihre höchste Zustimmung. Während das Thema Flüchtlinge nur für ein Viertel der WählerInnen wahlentscheidend und dem Rest die Themen soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft und Arbeit sowie Bildung mehr am Herzen lag, stellte es für AfD-Wähler das wichtigste Thema da. 99 Prozent der AfD-WählerInnen finden gut, dass sie den Zuzug weiter begrenzen will, 95 Prozent finden gut, dass sie die Ausbreitung des Islams in Deutschland verhindern will. Die AfD organisierte im Wahlkampf kaum Kundgebungen, setzte auf das Thema Sicherheit, aber versuchte auch soziale Fragen immer wieder aufzubringen und mit Zuwanderung zu vermischen, um sich einen sozialen Anstrich zu geben.
Dass die etablierten Parteien am rechten Rand fischen wollten, wie zum Beispiel der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel, der erfolgreich eine Burka-Debatte lostrat, spielte der AfD in die Hände, weil ihre islamophoben Argumente dadurch mehr Legitimität und Gewicht bekamen.
Die AfD bekam dadurch 39.000 Stimmen von ehemaligen CDU-Wählern und holte auch bei der SPD 24.000 Stimmen. Circa 12.000 ehemalige WählerInnen der LINKEN wählten die AfD. Im Wahlkreis Hohenschönhausen verlor sie 9,7 Prozent bei den Erststimmen (die SPD verlor 17,1 Prozent) und der oben genannte Kay Nerstheimer holte dort mit einem Prozent Vorsprung vor Ines Schmidt (LINKE) den Wahlkreis. Es muss dringend diskutiert werden, wie eine Strategie für die Partei aussehen kann, die AfD zu bekämpfen und sich dort weiter aufzubauen.
Ebensoviele Stimmen wie von den etablierten Parteien gewann die AfD von Nichtwählern (69.000) und nochmal 49.000 von anderen Parteien. Letzteres waren vor allem die Verluste der NPD (21.000 Stimmen) und Pro Deutschland (10.000 Stimmen) sowie die 14.000 Stimmen von Die Freiheit, die in der AfD aufgegangen war. Die NPD ist damit trotz ihres aggressiven Wahlkampfes in Teilen Ostberlins in keiner BVV mehr vertreten.
LINKE legt zu
DIE LINKE konnte ihr Ergebnis um 3,9 Prozent verbessern. Das sind fast 88.500 WählerInnen mehr als bei der Abgeordnetenhauswahl 2011, wo sie für zehn Jahre Rot-Rot abgewählt wurde. Am Anfang dieser Regierung stand sie jedoch zu Zeiten des Berliner Bankenskandals noch mit 111.000 WählerInnen mehr da als jetzt da. Ein Drittel hat sie seit der Regierungsbeteiligung immer noch verloren. DIE LINKE konnte jetzt ihr Wahlergebnis im Schnitt in Ostberlin halten, verlor aber teilweise dramatisch in den äußeren Ostbezirken. Sie legte vor allem in Westberlin zu, wo sie ihr Ergebnis mehr als verdoppelte.
Die Verbesserungen sind vor allem Resultat von fünf Jahren Opposition und dass sie, wenn auch auf niedrigem Niveau, mehr als Partner von Bewegungen wahrgenommen wurde. 97 Prozent der LINKE WählerInnen sagen, sie bemühe sich am stärksten um sozialen Ausgleich, 90 Prozent schreiben ihr zu, für Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt zu stehen. Nur zehn Prozent der Wähler meinten, der Spitzenkandidat sei wichtig für ihre Wahlentscheidung gewesen.
Flächendeckend konnte sie in Westberlin ihre Unterstützung verbessern und zieht in alle Bezirksverordnetenversammlungen ein. Höchste Zuwächse, wenn auch von niedrigem Niveau hatte sie in Tempelhof Schöneberg. Die höchsten Ergebnisse in Westberlin hatte sie in Stimmbezirken und Wahlkreisen in Kreuzberg und in Nordneukölln. Der Neuköllner Bezirksverband hebt sich von der Politik des Landesvorstands durch eine Ablehnung von Regierungsbeteiligung, durch stärkere Bewegungsorientierung und zahlreiche Kampagnen gegen Mietsteigerung, Rassismus, TTIP, Bebauung des Tempelhofer Feldes und Abtreibungsgegner ab. In Nord-Neukölln holten alle drei DirektkandidatInnen über 20 Prozent der Stimmen. SAV- und linksjugend [’solid] Mitglied Sarah Moayeri sprach sich explizit gegen eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen aus und holte im Wahlkreis eins 21,2 Prozent der Stimmen und damit fast zwei einhalb Mal so viele Stimmen, wie zur letzten Abgeordnetenhauswahl (8,8 Prozent). Die BO-Reuterkiez und linksjugend [’solid] Berlin Kreuzkölln machten einen kämpferischen Wahlkampf mit lokalem Material, zahlreichen Aktionen und Infotischen und verbanden ihre Kampagne mit Kämpfen an den Berliner Krankenhäusern, Anti-AfD- und Schülerprotesten. Neben dem Wahlkampf waren Mitglieder der SAV gemeinsam mit anderen dabei aktiv, eine stadtweite Kampagne zur Aufklärung über die AfD und Aktionen zu organisieren.
Widerstand aufbauen
Die wachsende Unterstützung für DIE LINKE in der Stadt ist eine gute Grundlage Widerstand weiter aufzubauen. DIE LINKE sollte sich konsequent an die Seite aller derjenigen stellen, die sich beispielsweise gegen Mietsteigerungen und Zwangsräumungen wehren, derjenigen, die bei den Volksbegehren für mehr Demokratie und bessere Radwege aktiv sind, an die Seite der Streikenden in den Krankenhäusern und den Schulen sowie den AktivistInnen und Ehrenamtlichen, die sich für Geflüchtete einsetzen.
98 Prozent der LINKE WählerInnen sagen, dass sie es gut fänden, wenn DIE LINKE am Senat beteiligt werde. Rot-Rot-Grün hat von den möglichen Koalitionen, auch wegen der Wut auf Henkel und die CDU, die höchsten Zustimmungswerte von 49 Prozent, obwohl das so genannte rot-rot-grüne Lager zusammen fünf Prozent der Stimmen verlor. Eine Mehrheitskoalition ohne CDU und AfD müsste DIE LINKE umfassen. In Berlin wird aber nur mit Wohnungsnot, Niedriglohn, schlechter Verwaltung, Prestigeprojekten und Abschiebungen Schluss gemacht werden, wenn man bereit ist, sich mit den Reichen und der Bundesebene anzulegen. Das ist mit SPD und Grünen nicht zu machen, den Parteien die in den Taschen der Berliner Baulobby und Investoren stecken und auf Bundesebene die Steuern und Gesetze mit gemacht haben. Wie sollte DIE LINKE Berlin damit umgehen?
Sie sollte erklären, dass sie jedem Wahlversprechen von SPD und Grünen, jeder Verbesserung für die Lebenslage der arbeitenden und erwerbslosen Menschen dieser Stadt zustimmen wird, aber jede Verschlechterung ablehnen. Sie sollte bereit sein, einer SPD-Grünen-Minderheitsregierung ins Amt zu verhelfen, um die CDU und AfD zu verhindern, sich aber nicht durch eine Koalitions- oder Tolerierungsvereinbarung binden lassen. An konkreten Inhalten und der Politik von SPD und Grünen sollte DIE LINKE das ihren WählerInnen erklären, die derzeit noch eine Beteiligung befürworten.
Doch davon ist der Landesvorstand der LINKEN und die Fraktion leider noch weit entfernt. Am Wahlabend sagte Spitzenkandidat Klaus Lederer nur, die Basta-Politik der SPD müsse ein Ende haben und wollte nicht mal Mindestbedingungen für eine Koalition formulieren. Wenn DIE LINKE in die Regierung ginge, könnte sie zu Beginn einige Verbesserungen und Reformen präsentieren. Sobald es aber, auch im Falle eines wirtschaftlichen Einbruchs, mehr Unzufriedenheit mit der Regierung gibt, käme die parlamentarische Opposition nur noch von rechts und könnte zu einer weiteren Stärkung rechter Kräfte führen. Auch deshalb sollte DIE LINKE eine Regierungsbeteiligung ablehnen.
Jugendliche lehnen AfD ab
Unter WählerInnen von 18 bis 24 Jahren hat die AfD „nur“ acht Prozent. Bei den U18 Wahlen schnitt sie noch viel schlechter ab. Auch wenn der Anteil von Jugendlichen, die für Rechte gestimmt hat, nicht zu unterschätzen ist, ist das Potenzial für Gegenwehr gegen Rechts unter ihnen am größten. DIE LINKE konnte unter Jugendlichen zulegen und schneidet jetzt bei ihnen genauso ab, wie in anderen Altersgruppen. Doch stellt sie für viele noch keine linke Alternative da. Deshalb landen auch Kräfte wie DIE PARTEI unter Sonstigen am stärksten und ziehen sogar mit zwei Sitzen in die Friedrichshain-Kreuzberger BVV ein.
Und gerade für Jugendliche steht die nächsten Jahre viel auf dem Spiel. Werden die Schulen saniert und die Lehrer vernünftig bezahlt werden? Wird in bezahlbaren Wohnraum investiert werden, der es Jugendlichen erlaubt auszuziehen? Wird für Geflüchtete genug getan werden oder werden sie abgeschoben? Werden die Reichen für nötige Investitionen in Soziales und Arbeit herangezogen werden oder wird nur von einer Tasche in die andere verteilt?
Die AktivistInnen der verschiedenen Volksbegehren, die StreikaktivistInnen an Krankenhäusern und bei LehrerInnen, die Refugee-AktivistInnen und viele andere, werden die nächsten Wochen die Koalitionsverhandlungen verfolgen und beurteilen, ob ihre Forderungen berücksichtigt werden. DIE LINKE und Grüne stehen unter Druck dort etwas zu liefern. Wie viel das sein wird und wie die reale Umsetzung im Regierungsalltag läuft, wird sich noch zeigen. Nötig ist aber den Widerstand für unsere Forderungen aufrechtzuerhalten und zu steigern. Daran werden wir mithelfen.