Macht und Profit statt vernünftige Verkehrspolitik
In den letzten Jahren war es in den bundesweiten Medien um Stuttgart 21 still geworden. Dass weiterhin jeden Montag Hunderte durch die Stuttgarter Innenstadt demonstrieren (am 8. August soll es die 333. Montagsdemo geben), schafft es nicht in die Schlagzeilen. Zwei Bahn-Aufsichtsratssitzungen im Juni, die Ankündigung, dass das Projekt teurer und später fertig werde, die Ankündigung, dass der zuständige Bahn-Manager Volker Kefer aussteigen werde, änderten das.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Eigentlich gab es keine wirklich neuen Entwicklungen beim Bau von S21. Vielmehr wurde die Kluft zwischen der Realität und den Beteuerungen der Bahn so unerträglich, dass die Bahn ein paar Zugeständnisse an die Realität machen musste. Die Warnungen der Bewegung gegen S21 bezüglich der technischen Schwierigkeiten des Baus und der Kostensteigerungen bestätigen sich immer mehr. Im Dezember bezifferte ein Gutachten des Planungsbüros Viereff & Rössler die Kosten für S21 auf 9,8 Milliarden Euro. Ein Ausstieg aus dem Projekt würde selbst bei gleichzeitiger Modernisierung des Bahnhofs noch 5,9 Milliarden einsparen, befand ein weiteres Gutachten vom Februar.
Zerstörung der Stadt als Druckmittel
Die Bewegung zeigt weiterhin ein beeindruckendes Maß an Fachkompetenz, Engagement, Kreativität und Ausdauer. Leider zählt das alles bei Stuttgart 21 nicht. Es ging von vornherein um Macht und Profit.
Angesichts der Kostensteigerung fehlen bisher die nötigen Gelder, um fertig zu bauen, aber es ist genug Geld da, um noch weiter zu bauen (Anfang des Jahres waren 1,5 Milliarden verpulvert), die Stadt zu zerstören und Fakten zu schaffen. Die Eingriffe in das tägliche Leben der Bevölkerung nehmen zu. Seit Mai sind wegen der Baumaßnahmen stark frequentierte Stadtbahnrouten für Jahre gesperrt. Wenn ihnen bei einem halb fertigen Projekt das Geld ausgeht, dann haben sie großes Erpressungspotenzial, um den SteuerzahlerInnen das Geld für einen Weiterbau aus den Rippen zu schneiden.
S21 scheitert nicht von selbst
Deshalb ist die in der Bewegung gegen S21 verbreitete Hoffnung, dass das Projekt bald an seinen Widersprüchen und Geldmangel scheitern werde, problematisch. Juristen setzen auf das Aktienrecht, das der Bahn AG unwirtschaftliche Projekte verbietet, Aufsichtsräte, die ihnen wissentlich zustimmen, sogar mit Gefängnis bedroht. Aber wann packt unsere Justiz schon die Herrschenden wirklich am Kragen, wenn sie gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen? Dass die teilweise Entschwärzung von Akten, die die massive Einflussnahme der Merkel-Regierung auf den Bahn-Aufsichtsrat Anfang 2013 belegen, erreicht wurde, wird eher politische als strafrechtliche Folgen haben.
Die Bewegung war dann am stärksten, als sie durch massenhaften zivilen Ungehorsam ihre Entschlossenheit demonstrierte, das Projekt wirklich zu stoppen. Außerdem ist der Brückenschlag zu anderen Themen (in Stuttgart, aber auch zum Beispiel zum Widerstand gegen unnütze Großprojekte anderswo) wichtig. Das geschieht teilweise, bei Montagsdemos haben schon Streikende und auch ein Flüchtlingsaktivist geredet, aber das ist ausbaufähig.
Wolfram Klein ist Mitglied in der LINKEN Bad Cannstadt und seit 1995 aktiv gegen Stuttgart 21