Über den Umgang mit den Gewalttaten in Süddeutschland
Die Ereignisse von Würzburg, München, Ansbach und Reutlingen sagen sehr viel mehr über die bundesdeutsche Gesellschaft, ihre PolitikerInnen und Medien aus, als über den Islam, Islamisten und über die so genannte innere Sicherheit.
Von Sascha Stanicic
Die Gewalttaten waren schrecklich und das Mitgefühl aller sollte den Opfern und ihren Hinterbliebenen gelten. Gerade aus Respekt vor diesen sollte ein sachlicher Umgang mit den Ereignissen stattfinden und ernsthaft diskutiert werden, ob es Wege geben kann, die solche Taten in Zukunft verhindern helfen können. Die Vorschläge, die aus den Reihen konservativer Staatsfetischisten aus CDU/CSU und den Rassisten der AfD kommen, sind dafür alle nicht geeignet.
Berichterstattung
Nach derzeitigem Kenntnisstand haben wir es in allen Fällen mit Einzeltätern zu tun, die weder im Auftrag irgendeiner terroristischen Vereinigung noch als Folge einer Mitgliedschaft oder Aktivität in einer Organisation handelten. Trotzdem wird in der Berichterstattung über alle vier Fälle diese Frage ausführlich behandelt. Im Fall des Mordes in Reutlingen sprechen einige Medien auch von einem Anschlag, obwohl es sich um eine Beziehungstat handelte. Die Tatsache, dass der Täter Syrer ist, reicht offenbar aus, um seine Nationalität und Religionszugehörigkeit zum Gegenstand der Berichterstattung zu machen. Als 2012 in Krailing ein Bayer seine zwei Nichten im Schlaf ermordete war in der Berichterstattung nicht zu finden, ob der Mann Christ, Atheist, CSU-Mitglied oder sonst etwas war – auch wurde seine deutsche Staatsangehörigkeit nicht sonderlich hervorgehoben.
Der Amokläufer von München hat sich in einem Video als „Deutscher“ bezeichnet, er hat „Scheiß-Türken“ gerufen und eine Zeugin berichtete, dass er einen ausländerfeindliche Spruch gerufen habe. Er wurde in Deutschland geboren und hatte die deutsche Staatsbürgerschaft. In seiner Wohnung wurden Unterlagen über den rassistisch und rechts-politisch motivierten Massenmord an sozialdemokratischen Jugendlichen durch Anders Breivik in Norwegen gefunden. Der Münchener Attentäter schlug am fünften Jahrestag dieses grausamen Verbrechens zu. Alle neun Opfer sollen Migrationshintergrund gehabt haben. Trotzdem wird er in den Medien konsequent als „Deutsch-Iraner“ bezeichnet und wurde noch nach Bekanntwerden des zitierten Videos in den Medien ein „islamistischer Hintergrund“ nicht ausgeschlossen. Dass ein rechtsradikal-rassistischer Hintergrund viel naheliegender ist, wird so gut wie nirgends erwähnt.
Als vor zwei Jahren in Mittelfranken ein Amokläufer zwei Menschen erschoss, wurde er in den Medien als „psychisch auffällig“ bezeichnet. Dass er Sportschütze war, wurde nicht zum Anlass genommen, diese Bevölkerungsgruppe (die ja immerhin bewaffnet ist) unter Generalverdacht zu stellen. Trotz intensiver Recherche im Internet, ist die Religionszugehörigkeit des Täters nicht zu ermitteln.
Terror verhindern?
Bei den Tätern von Würzburg und Ansbach handelte es sich offenbar tatsächlich um Männer, die zumindest Sympathien mit dem rechten politischen Islam hatten. Fragt man hier nach der konkreten Motivationslage oder Auslösern für die Tat, werden in den Medien der Tod eines Freundes des Würzburger Täters in Afghanistan und die drohende Abschiebung des Ansbacher Täters genannt. Läge da nicht die Schlussfolgerung nahe, dass ein Ende des Krieges in Afghanistan und ein Ende der menschenverachtenden Abschiebepolitik diese Taten „verhindert“ hätten?
International nehmen terroristische Anschläge durch den so genannten „Islamischen Staat“ oder andere zur Zeit zu und verunsichern viele Menschen. Das ist das Ziel der Täter. Sie setzen aber auch darauf, dass die Reaktion der westlichen Staaten, PolitikerInnen und Medien weitere junge Muslime in ihre Arme treibt. Denn diese stellen oftmals „den Islam“ oder „die Flüchtlinge“ als Gefahr dar und verstärken antimuslimischen Rassismus. Dabei sind „die“ Muslime genausowenig verantwortlich für den IS, wie „die“ Deutschen für den NSU und „der“ Islam ist nicht Ursache des Terrors, genauso wenig wie „das“ Christentum für den Terror des Klu-Klux-Klans in den USA oder der christlich-fundamentalistischen Lord’s Resistance Army in Uganda verantwortlich ist.
Gegen staatliche Aufrüstung
Die Verunsicherung vieler Menschen wird von pro-kapitalistischen Regierungen auch dazu genutzt, staatliche Organe weiter aufzurüsten und demokratische Rechte abzubauen. Sie behaupten, um die Bevölkerung wirkungsvoller vor Anschlägen schützen zu können, sei es notwendig den Datenschutz abzubauen, mehr Polizisten einzustellen oder sogar die Bundeswehr im Inneren einzusetzen. Alle Erfahrungen zeigen aber, dass der Ausbau staatlicher Macht letztlich gegen alle KritikerInnen, vor allem auch gegen die Arbeiterbewegung und die Linke, eingesetzt wird. Ein Blick nach Frankreich genügt, wo der seit neun Monaten geltende Ausnahmezustand gegen streikende ArbeiterInnen und ihre Gewerkschaften eingesetzt wurde und die staatliche Repression gegen die Massenproteste der letzten Monate enorm war.
Das ist ein Grund, staatliche Aufrüstung und den Ausbau staatlicher Willkürmöglichkeiten abzulehnen. Der andere ist, dass solche Maßnahmen den Terror nicht verhindern (können). Einzeltäter sind durch mehr Polizei nicht zu stoppen. Es sei denn, der Staat wird zu einem Spitzel-Staat ausgebaut, in dem bis in jede Wohnung und an jeden Arbeitsplatz geschnüffelt wird. Gleichzeitig wird eine Organisation wie der Islamische Staat so lange Mittel und Wege zur Durchführung von Attentaten finden, wie die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Existenz fortbestehen. Diese liegen im wesentlichen in der Ausbeutung der neokolonialen Welt, den Kriegen, der Unterstützung von Diktaturen im Nahen Osten und dem institutionalisierten Rassismus gegen Muslime und Geflüchtete in den westlichen Staaten. Will man dem IS den Boden entziehen, müssen diese Grundlagen beseitigt werden. Vor allem aber muss eine starke linke Alternative international aufgebaut werden, die der Spaltung durch Rassisten und durch die Kräfte des rechten politischen Islam den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen, Jugendlichen und Erwerbslosen – unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit – für soziale Verbesserung und gegen Krieg und Imperialismus entgegen stellt.
Dass einige Linke, wie Sahra Wagenknecht und Bodo Ramelow in dasselbe Horn wie bürgerliche Kräfte blasen, braucht niemand. Im Gegenteil: es schadet mehr, als es nutzt.
Sascha Stanicic ist verantwortlicher Redakteur der Solidarität und Bundessprecher der SAV.