Europa in der Krise

 

EuropabroschüreEine sozialistische Kritik der EU – Broschüre der SAV (2014)

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Vorwort von 2014

Wenn es um Europa geht, scheinen die Dinge auf dem Kopf zu stehen: Pro-kapitalistische Politiker geben sich weltoffen und geradezu internationalistisch und linke EU-KritikerInnen werden als rückwärtsgewandt und nationalistisch gebrandmarkt. Dürfen Linke gegen die EU sein? Und was ist die Alternative zu ihr?

Mit dieser Broschüre wollen wir dazu Analysen und Antworten aus marxistischer Perspektive anbieten. Wir beschäftigen uns mit Geschichte und Charakter der EU und vertreten die These, dass sie eine kapitalistische Institution ist, die nicht im Interesse der Bevölkerungsmehrheit reformiert werden kann. Wir untersuchen die Euro-Krise und stellen die Perspektive auf, dass diese nicht vorbei ist, sondern die Gemeinschaftswährung auf Dauer keinen Bestand haben kann. Wir machen Vorschläge, wie die Linke und die Arbeiterbewegung mit dem Thema Europa umgehen, welche Strategien sie einschlagen sollte. Und wir schlagen ein sozialistisches Programm zur Lösung der Krise vor.

Gerade für die Partei DIE LINKE ist die Haltung zur EU eine wichtige Frage. Deshalb haben wir ihr ein ganzes Kapitel gewidmet. SAV-Mitglieder sind aktiv in der Partei und treten für eine EU-kritische und konsequent sozialistische Positionierung ein. Eine solche lässt die Parteiführung bisher vermissen, was ein Faktor dafür ist, dass rechtskonservative EU-KritikerInnen wie die Alternative für Deutschland (AfD) einen gewissen Zulauf haben.

EU-Kritik ist nicht nationalistisch. Tatsächlich untergräbt diese kapitalistische EU selber eine wirkliche Vereinigung Europas. Eine solche wird nur von unten durchgesetzt werden können – gegen die mächtigen Kapitalinteressen der Banken und Konzerne. Der erste Schritt in diese Richtung ist der Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung, Sozialkürzungen und Privatisierungen. Nötig ist vor allem die Solidarität mit den Bewegungen in den besonders von der Krise betroffenen Ländern, die unter dem Diktat der Troika gegen die Zerstörung ihrer Gesellschaften kämpfen.

Für die Texte dieser Broschüre wurden auch schon veröffentlichte Artikel verwendet. Darunter auch ein Artikel unseres 2011 verstorbenen Genossen Gaétan Kayitare, der einen wichtigen Beitrag zur europapolitischen Positionierung der SAV geleistet hat.

Wir rufen alle Leserinnen und Leser auf, selbst aktiv zu werden und sich am Kampf gegen die kapitalistische EU und für ein sozialistisches Europa zu beteiligen.

Berlin, am 11. April 2014

Sascha Stanicic

Was ist die EU?

In der politischen Linken und den Gewerkschaften scheiden sich an der Europäischen Union (EU) die Geister. Nach der einen Lesart wurde die europäische Einigung aus dem Entsetzen der Menschen in Europa über die Zerstörungen von zwei Weltkriegen und dem festen Willen geboren, dass sich so etwas nie wiederholen dürfe. Erst in den letzten Jahrzehnten sei dieses Friedensprojekt auf Abwege einer neoliberalen Politik geraten, könne aber wieder auf den richtigen Weg zurückgebracht werden.

Nach der anderen Lesart war die europäische Einigung von Anfang an ein Projekt der Herrschenden, sie war nie im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung, auch wenn die EU in den letzten Jahrzehnten zweifellos neoliberaler und marktradikaler geworden ist.

Diskussion vor 100 Jahren

Diese Auseinandersetzung setzt im Grunde eine Diskussion unter SozialistInnen in Deutschland und international zu Beginn des 20. Jahrhunderts fort, ob sie für die “Vereinigten Staaten von Europa” eintreten sollen oder nicht.

Am 3. April 1911 sagte der SPD-Abgeordnete Georg Ledebour in der Haushaltsdebatte des Reichstags:

„Wir fordern den wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluss der europäischen Staaten. Ich bin fest überzeugt: wenn auch sicher in der Zeit des Sozialismus, so kann es doch auch schon früher dazu kommen, dass wir die Vereinigten Staaten von Europa erleben, wie wir heutigentags den Vereinigten Staaten von Amerika im Wettbewerb gegenüberstehen. Wir stellen wenigstens an die kapitalistische Gesellschaft, an die kapitalistischen Staatsmänner die Forderung, dass sie im Interesse der kapitalistischen Entwicklung in Europa selbst, um Europa später in der Weltkonkurrenz nicht vollkommen unter den Schlitten kommen zu lassen, diesen Zusammenschluss Europas zu den Vereinigten Staaten von Europa vorbereiten.“ (i)

Und der „marxistische“ SPD-Cheftheoretiker Karl Kautsky schwärmte gar:

„Für eine ständige Fortdauer des Friedens, die das Gespenst des Krieges für immer bannte […] gibt es heute nur einen Weg: die Vereinigung der Staaten der europäischen Zivilisation in einem Bunde mit gemeinsamer Handelspolitik, einem Bundesparlament, einer Bundesregierung und einem Bundesheer — die Herstellung der Vereinigten Staaten von Europa. Gelänge dies, so wäre Ungeheures erreicht. Diese Vereinigten Staaten besäßen eine solche Übermacht, dass sie ohne jeglichen Krieg alle andern Nationen, soweit sie sich ihnen nicht freiwillig anschlössen, dazu zwingen, ihre Armeen aufzulösen, ihre Flotten aufzugeben.“ (ii)

Ledebour sprach offen aus, dass ein Zweck der geforderten europäischen Einigung der Konkurrenzkampf gegen die USA war. Genau das war einer der Gründe für konsequente SozialistInnen eine kapitalistische Einigung Europas abzulehnen. So kritisierte Rosa Luxemburg:

„Und die Losung des europäischen Zusammenschlusses kann objektiv innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft nur wirtschaftlich einen Zollkrieg mit Amerika und politisch einen kolonialpatriotischen Rassenkampf bedeuten. Und jedes Mal, wo bürgerliche Politiker die Idee des Europäertums, des Zusammenschlusses europäischer Staaten auf den Schild erhoben, da war es mit einer offenen oder stillschweigenden Spitze gegen die ‚gelbe Gefahr‘, gegen den ’schwarzen Weltteil‘, gegen die ‚minderwertigen Rassen‘, kurz, es war stets eine imperialistische Missgeburt.“ (iii)

Neben der Konkurrenz mit den USA prangerte sie einen anderen Zweck der kapitalistischen Einigung Europas an: die gemeinschaftlich betriebene Ausbeutung der Kolonien, das heißt der Länder, die man heute meist “Dritte Welt” nennt.

Vier Jahre später folgerte der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin:

„Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die ‚fortgeschrittenen‘ und ‚zivilisierten‘ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.“ (iv)

Der reaktionäre Charakter der Versuche, Europa zu einigen, zeigte sich im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Denn diese waren nichts anderes als der Versuch der deutschen herrschenden Klasse, Europa unter ihrer Führung und unter ihrer Knute zu vereinigen. Die Versuche scheiterten. Seit den 1950er Jahren sind wir Zeuge eines friedlichen europäischen Vereinigungspozesses. Dass dieser jemals zu einer tatsächlichen staatlichen Einheit des Kontinents führen wird, ist nicht zu erwarten. Ob die Herrschenden Europas selber daran glauben, eine solche Einigung friedlich zu erreichen ist zweifelhaft. Jedenfalls spricht es Bände, dass die bekannteste vergebene Auszeichnung für Verdienste um die europäische Einigung ausgerechnet der Karlspreis der Stadt Aachen ist – benannt nach Karl dem Großen, dessen europäische Einigungspolitik der in Blut getränkte Eroberungszug des fränkischen Reichs war.

EGKS, Euratom, EWG

Wie sah die europäische Einigung aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg real begann? Sicher gab es bei Millionen Menschen ehrliche Wünsche nach Völkerverständigung. Aber der Motor der europäischen Einigung waren knallharte wirtschaftliche Interessen. 1923 hatte der russische Revolutionär Leo Trotzki analysiert, dass der Erste Weltkrieg zeigte, dass der Nationalstaat zur Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden war. (v) Im 19. Jahrhundert war die Kleinstaaterei zur Fessel für die Entwicklung geworden. Es kam z.B. zur Herausbildung eines deutschen Nationalstaats. Jetzt wurden auch diese Nationalstaaten zu eng für die weitere Entwicklung.

1952 gründeten Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und Deutschland die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion). Ihr Ziel war der möglichst effektive Aufbau der Kohle- und Stahlindustrie in Westeuropa (damals noch der wichtigste Wirtschaftszweig). Dabei ging es nicht um den Weltfrieden. Im Gegenteil war die Montanunion auch ein Mittel zur Stärkung des antisowjetischen Blocks im beginnenden Kalten Krieg zwischen dem kapitalistischen Westen und der Sowjetunion. Immerhin waren ab 1955 alle sechs EGKS-Länder auch in der NATO.

Die europäische Einigung hatte zudem eine ideologische Dimension. Nach dem Krieg war Millionen in Europa die Verantwortung des Kapitalismus für Krieg und Faschismus klar. Selbst die CDU bekannte sich 1946 zum Sozialismus. Um den Kapitalismus zu retten, brauchte es auch ein positives Zukunftsbild im Rahmen des Systems.

1957 wurde die EGKS in den Römischen Verträgen um die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ergänzt. Mitgliedsstaaten waren die gleichen sechs Länder wie bei der EGKS. Ziel waren der Aufbau der Atomenergie bzw. Abbau und dann Abschaffung der Binnenzölle, sowie eine gemeinsame Zoll- und Handelspolitik gegenüber Drittstaaten. Dabei war die Einigung keineswegs eine Erfolgsstory. Es gab Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung: Welche Mitglieder sollten noch aufgenommen werden? Sollte es um die Schaffung gemeinsamer Institutionen gehen oder um Verträge zwischen souveränen Staaten? Dahinter steckte, dass die verschiedenen Regierungen sich oft von den gleichen Maßnahmen entgegengesetzte Effekte erhofften: Der französische Imperialismus hoffte, die wirtschaftlich überlegene deutsche Konkurrenz durch Verträge und gemeinsame Institutionen unter Kontrolle halten zu können. Der deutsche Imperialismus hoffte, seine Überlegenheit erst so richtig ausspielen zu können.

Dabei war die europäische Einigung keineswegs ein geradlieniger Prozess. Ein erster Anlauf zu einer gemeinsamen Währung scheiterte in den 1970er Jahren. In den 1980ern machte die EU vor allem durch das Gefeilsche um Beitragszahlungen von sich reden. Die britische Premierministerin Thatcher bewies damals ein beachtliches Talent als Erpresserin. In den Medien wurde über “Eurosklerose” gejammert oder gespottet.

Von der EWG zur EU

Seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre nahm die europäische Einigung dann einen erstaunlichen Aufschwung. Es gab weitere Schritte zur Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarkts. Die Europäische Union (EU) wurde gegründet (d.h. die in Europäische Gemeinschaft umbenannte Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wurde durch eine “Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik” und Zusammenarbeit bei Polizei und Einwanderungspolitik ergänzt). Die Einführung einer gemeinsamen Währung, des Euro, wurde beschlossen. Die EU wurde um eine ganze Reihe Länder vor allem Osteuropas ergänzt.

Das hieß aber nicht, dass die Konkurrenz unter den EU-Mitgliedsländern aufgehört hätte. Sie wurde nur ergänzt und in den Hintergrund gedrängt durch den gemeinsamen Kampf gegen die große Mehrheit der Bevölkerung in der EU (und außerhalb). Während vorher die EWG bzw. EG vor allem die Politik der Nationalstaaten koordiniert hatte, wurde die EU jetzt gezielt als Rammbock eingesetzt, um neoliberale Politik durchzusetzen, um mühsam erkämpfte Errungenschaften der Arbeiterbewegung (aber auch der Umweltbewegung und von VerbraucherschützerInnen) wieder zu beseitigen.

Einer der Hebel dabei war der Euro. Dabei ging es nicht darum, dass wir im Urlaub kein Geld mehr wechseln müssen (tatsächlich führt die Sozialkahlschlags-Politik der EU dazu, dass sich immer mehr Menschen keinen Urlaub im Ausland mehr leisten können). Es ging vor allem darum, dass die Länder Südeuropas nicht mehr durch Währungsabwertung ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland herstellen können und ihnen nur noch Lohnkürzungen und Sozialkahlschlag bleiben. Nach außen ging es um den Konkurrenzkampf mit den USA, konkret darum, mit dem Euro den US-Dollar als Weltreservewährung herauszufordern.

Grenzen der kapitalistischen Vereinigung

Wir sind Zeuge eines scheinbar unendlichen Einigungsprozesses, der keine Perspektive auf Abschluss hat. Tatsächlich wurden die gegensätzlichen nationalen Interessen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten nicht überwunden und können nicht überwunden werden. Die erfolglosen Versuche der Kapitalisten, Europa zu vereinigen, drücken den Widerspruch zwischen der Notwendigkeit der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte über die Grenzen des Nationalstaats hinaus und die gleichzeitige Unfähigkeit des Kapitalismus diese nationalstaatlichen Grenzen zu überwinden, aus.

Genauso unfähig ist der Kapitalismus, seine Krisenhaftigkeit zu überwinden. Mit jeder Krise nehmen aber auch die Zentrifugalkräfte innerhalb der EU zu. Jeder Schritt zur weiteren Vertiefung der Integration erzeugt neue Widersprüche. Davor warnte der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer schon 1993im Bezug auf den Euro:

„Wenn nur eine Vergemeinschaftung der Geldpolitik stattfindet, alle anderen Politikbereiche aber im wesentlichen bei den Nationalstaaten bleiben, dann ist die Gefahr sehr groß, dass es zu Konflikten kommt, zu einer Divergenz der Entscheidungen und Entwicklungen, die dann die Währungsunion vor eine Zerreißprobe stellen könnten.“ (vi)

Genau das erleben wir verstärkt seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 2007/08 und der darauf folgenden Euro-Krise. Diese hat die Frage auf die Tagesordnung gesetzt, ob Euro und EU in dieser Form überleben werden. Nationalistische und EU-kritische Kräfte wurden gestärkt und üben in vielen Staaten Druck gegen eine weitere europäische Integration aus. In Großbritannien hat die Regierung ein Referendum über den Verbleib in der EU angekündigt. Das ist letztlich Ausdruck der Tatsache, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Struktur des Nationalstaats zu überwinden.

Dazu schrieben wir im Jahr 2002:

„Das kapitalistische System basiert auf dem Nationalstaat. Dieser ist eine historisch gewachsene soziale Einrichtung und hat viele Bestandteile: Geschichte, Tradition, gemeinsame Sprache, Kultur, Territorium usw.

Die Kapitalisten brauchen den Staat, denn er schützt sie sowohl gegenüber dem Widerstand der Arbeiterklasse als auch gegenüber anderen kapitalistischen Konkurrenten. Der Staat dient dazu die Bedingungen zur Profitmaximierung aufrecht zu erhalten. Dazu gehört auch, Aufgaben zu übernehmen, die der Einzelkapitalist nicht bezahlen kann oder die nicht in seinem unmittelbaren Interesse sind. Der Staat hat auch eine Vermittlungsfunktion zwischen den Klassen und zwischen den verschiedenen Einzelkapitalisten und Kapitalfraktionen. (…)

Es gibt heute keine internationalen Einrichtungen oder Strukturen, die staatliche Funktionen übernehmen könnten. Die Kapitalisten greifen weiterhin auf ihren Nationalstaat zurück, wenn sie ihn brauchen.

Und sie brauchen ihn im Kampf mit ihren ausländischen Konkurrenten, wenn es mit der Wirtschaft bergab geht.“ (vii)

Undemokratisch

Die wichtigste EU-Institutionen sind Kommission und Ministerrat. Die Kommissionsmitglieder werden von den nationalen Regierungen vorgeschlagen. Das Europäische Parlament kann nur die Kommission insgesamt bestätigen oder ablehnen. Das Parlament kann keine eigenen Gesetze beschließen, nur Gesetzesvorschläge der Kommission ablehnen. Im Ministerrat sind die einzelnen Mitgliedsländer vertreten (durch Fachminister oder Regierungschefs, ähnlich wie im Bundesrat). Das wichtigste ist aber, dass die Abgeordneten weit weg von ihren WählerInnen sind, aber nah dran an einem Riesenheer von LobbyistInnen, die verschiedene Konzerninteressen vertreten. Die Möglichkeiten durch politischen Druck der Konzernhörigkeit der neoliberalen Parlamentsmehrheit etwas entgegen zu setzen, sind also noch geringer als auf nationaler Ebene. Das macht die EU so geeignet zum Rammbock des Neoliberalismus. Die EU ist damit eine weitgehend undemokratische Institution, in der die Einflussmöglichkeiten der Bevölkerung noch weitaus geringer sind, als in den parlamentarischen Demokratien der einzelnen Nationalstaaten (die auch schon zu Wünschen übrig lassen).

Der Prozess der europäischen Einigung ermöglicht es der einzelnen Regierung, sich bei ihrem Sozialabbau, aber auch bei ihren Steuergeschenken für die Unternehmer, hinter der EU zu verstecken. Aus Sicht der Arbeiterklasse in den Mitgliedsstaaten ist die angeblich die Entscheidungen treffende, aber von niemandem gewählte, EU-Bürokratie in Brüssel weit weg und kaum erreichbar. Dies um so mehr, als die Sozialdemokratie wie auch die Gewerkschaftsbürokratie zu glühenden Befürwortern der Marktwirtschaft geworden sind und nicht gewillt sind, Widerstand gegen die neoliberale Politik zu leisten.

Die EU ist ein Zweckbündnis kapitalistischer Staaten, das sich sowohl gegen äußere Konkurrenten wie die USA, Japan und China richtet, als auch gegen die europäische Arbeiterklasse. Sie gehorcht einzig und allein den Interessen derjenigen, die in den Mitgliedsstaaten mächtig sind. Alle Verträge der EU sind auf eine Verbesserung der Profitbedingungen für die Banken und Konzerne ausgerichtet. Kein Vertrag bringt die Interessen der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten zur Geltung. Diese EU kann nicht einfach durch andere politische Mehrheiten im Europaparlament oder durch die eine oder andere Veränderung in ihrer Verfasstheit zu einer sozialen und fortschrittlichen Institution im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung reformiert werden. Alle Verträge müssten zerrissen werden, alle Gremien und Institutionen aufgelöst werden, um die Voraussetzungen zu einer Vereinigung Europas im Interesse der Menschen zu schaffen.

i G. Ledebour. Verhandlungen des Reichstags. XII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 266. Stenographische Berichte, Berlin 1911, S. 6142/6143
ii „Neue Zeit“ vom 28. April 1911
iii Rosa Luxemburg, Friedensutopien, 1911
iv Lenin, Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, 1915
v Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“
vi Handelsblatt, 1.11.1993
vii Sascha Stanicic, Empire oder Imperialismus, in: Die Ideen von Seattle und Genua, Berlin, 2002

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