Bund und Länder wollen Zuwanderer integrieren. Dazu werden zurzeit überall „Integrationsgesetze“ erlassen.
von Ianka Pigors, Hamburg
Seit Monaten jagt ein ausländerrechtlicher Gesetzesentwurf den nächsten: Asylpaket I, II und III, das „Köln-Gesetz“ zur erleichterten Ausweisung bei Straftaten und jetzt das „Integrationsgesetz“. Das Asylpaket I hat unter anderem den gesamten Balkan zu „sicheren Drittstaaten erklärte und die Ankündigung von Abschiebungen verboten. Das Asylpaket II führte Schnellverfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen ein und erleichterte die Abschiebung Schwerkranker. Das „Köln-Gesetz“ erklärt Straftaten wie beispielsweise „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ zu schwerwiegenden Ausweisungsgründen, zumindest, sofern sie (wie dies bei einem Delikt, das nach dem Strafgesetzbuch nur durch Gewalt oder Drohung verwirklicht werden kann, auch immer zu bewerkstelligen sein soll) mit „List“ begangen wurden. Mit dem Asylpaket III soll nun auch ein Land wie Algerien als „sicheres Herkunftsland“ und die Türkei als „sicherer Drittstaat“ gesetzlich festgeschrieben werden.
Trotz des klagvollen Namens lassen die bisherigen Gesetzesänderungen in Bezug auf das nun geplante „Integrationsgesetz“ Böses ahnen.
Der Blick in den Referentenentwurf vom 29. April entkräftet – dies muss man ihm zumindest lassen – immerhin die Befürchtung, dass auf Bundesebene der Versuch unternommen werden könnte, einen Abklatsch des bayrischen „Integrationsgesetzes“ einzuführen.
Wer integriert wen?
Artikel 1 des bayrischen Gesetzes lautet: „Bayern bekennt sich zu seiner Verantwortung gegenüber allen, die aus anderen Staaten kommen und hier nach Maßgabe der Gesetze Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Es ist Ziel dieses Gesetzes, diesen Menschen für die Zeit ihres Aufenthalts (!) Hilfe und Unterstützung anzubieten, um ihnen das Leben in dem ihnen zunächst fremden und unbekannten Land zu erleichtern (Integrationsförderung), sie aber zugleich auf die im Rahmen ihres Gastrechts unabdingbare Achtung der Leitkultur zu verpflichten und dazu eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen (Integrationspflicht). Das soll zugleich einer Überforderung der gesellschaftlich-integrativen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes entgegenwirken.“ In Art. 2 Absatz 1 des Gesetzes erfindet die bayrische Landesregierung dann kurzerhand eine neue Definition des Wortes „Migrant“. Für das bayrische Integrationsgesetz sind „Migranten“ Nicht-Deutsche mit legalem Aufenthalt und einer asylrechtlichen Aufenthaltsperspektive, solange sie keine Schweizer oder EU-Bürger sind.
Alle Anderen sind „Migranten“. Allerdings gilt die Integrationspflicht des Absatzes 1 nicht für alle „Migranten“. Wer sich hier zum Zwecke der Erwerbstätigkeit aufhält, aus einem der visumsbefreiten G7- Staaten stammt, oder mit einem Deutschen verheiratet oder verpartnert ist, kann von den Segnungen der Integrationsförderung betroffen werden, nicht aber von der „Integrationspflicht“. Allerdings ist zu beachten, dass gem. Art. 17 des Gesetzes kein Rechtsanspruch auf irgendwelche Integrationsförderungsmaßnahmen besteht so dass alle Leistungen des Gesetzes frei nach Gutdünken der bayrischen Regierung bzw. Verwaltung vergeben werden.
Gesinnungsjustiz
Integrationspflichtige Migranten können gem. Art. 13 Abs. 1 und 2 zum Beispiel wegen „Verunglimpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ oder des Gewaltmonopols des Staates zur Teilnahme an einem „Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ verdonnert werden. Wer den Kurs nicht besucht oder dessen Durchführung ( vermutlich durch Tuscheln in der letzen Bank oder das Werfen von Papierkügelchen auf den Lehrkörper) behindert, wird mit einer Geldstrafe belegt.
Wer als integrationspflichtiger Migrant öffentlich dazu auffordert, „die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu missachten und stattdessen einer mit ihren Grundsätzen nicht zu vereinbarenden anderen Rechtsordnung zu folgen“ wird gem. Art. 14 mit Geldbuße bis zu 50.000 Euro bestraft.
Kurz gesagt: US-Amerikaner und Süd-Koreaner dürfen in Bayern kostenfrei zum Sturz des Kapitalismus aufrufen, Angolaner und Nord-Koreaner müssen dafür Strafe zahlen.
Abschiebungen erleichtert
Das „Intergrationsgesetz“ des Bundes verzichtet auf solche absurde Gesinnungsjustiz, die aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin durch das Bundesverfassungsgericht unterbunden werden muss.
Statt dessen wartet es für einige Migranten (im herkömmlichen Sinne), an deren Aufenthaltsrecht selbst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine ernsthaften Zweifel hegen kann, mit geringfügigen Erleichterungen beim Zugang zu Ausbildungsplätzen und zum Arbeitsmarkt auf. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge – zum Beispiel Menschen aus den inflationär zunehmenden „sicheren Herkunftsstaaten“, Personen, die nicht aktiv an ihrer Abschiebung mitarbeiten und Leute, denen nur vorübergehender Schutz vor Krieg und Gewalt gewährt werden soll – muss weitere Verschlechterungen hinnehmen. Insbesondere gilt, dass zahlreiche Verstöße gegen das Gebot, die eigene Abschiebung mit allen Mitteln zu fördern, mit der Kürzung von Sozialleistungen bis weit unter das Existenzminimum bestraft werden sollen.
Die Zugeständnisse für die glückliche Minderheit müssen teuer erkauft werden. Ein Beispiel: Nach dem neuen § 60a Abs. 4 AufenthG dürfen die Ausländerbehörden ausreisepflichtigen Ausländern eine Duldung erteilen, wenn sie vor Vollendung des 21sten Lebensjahres eine qualifizierte Berufsausbildung beginnen und nicht aus einem „sicheren Herkunftsland“ stammen. Ein Rechtsanspruch besteht jedoch nicht. Wenn alles gut läuft und die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird, besteht unter Umständen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre, wenn die Bundesagentur für Arbeit nicht einwendet, dass arbeitsmarktpolitische Gründe gegen eine Übernahme oder den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages sprechen. Wird innerhalb dieser zwei Jahre eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen, soll diese Aufenthaltserlaubnis nach dem neuen Gesetz zwingend widerrufen werden. Praktisch heißt das, dass Arbeitnehmer mit dieser Art von Aufenthaltserlaubnis ihren Arbeitgebern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Ein interessanter Nebeneffekt der Neuregelung wäre, dass z.B. einem Großteil der „Straftäter von Köln“ (der zu einem erheblichen Teil aus den neuen „sicheren Herkuftsstaaten“ stammte) der Beginn einer Ausbildung und damit der Ausstieg aus einem kriminellen Milieu gesetzlich verboten werden würde.
Arbeitgeberwillkür
Was sich die Bundesregierung unter Integration vorstellt, zeigt auch der neue § 12 a AufenthG: Nach dieser Regelung soll es den Behörden erlaubt werden, Menschen, die offiziell als Flüchtlinge anerkannt wurden, für drei Jahre zu verpflichten, ihren Wohnsitz an einem Ort zu nehmen, der den Behörden aus wohnungs- und arbeitsmarktpolitischen Gründen genehm ist, und an dem nicht zu befürchten ist, dass „der Ausländer Deutsch nicht als wesentliche Verkehrssprache nutzen wird.“
Diese Regelung würde es den Behörden erlauben, Menschen bei entsprechender Nachfrage von Arbeitgebern oder Vermietern im gesamten Bundesgebiet herumzuschieben, ohne dass sie ein Mitspracherecht hätten.
Weder die bayrische Gesinnungsjustiz, noch der an der Verwertung von Humankapital orientierte Ansatz der Bundesregierung hat irgendetwas mit Integration zu tun. Solidarität entsteht aus der Erkenntnis, gemeinsame Interessen zu haben. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bedeutet dies, eine anständige Wohnung, einen Job, mit dem man sich und die Kinder ernähren kann und das Recht, das übrige Leben ohne sinnlose, staatliche Einmischungen gestalten zu dürfen.
Gleiche Rechte für Alle, ungehinderter Zugang zu Bildung und Ausbildung, um sich in dieser Gesellschaft zurecht zu finden und die Möglichkeit , sich dort, wo man lebt, ohne Angst vor Abschiebung und Diskriminierung „einzuleben“ sind die einzigen Integrationsvoraussetzungen, die tatsächlich ein konfliktfreies Miteinander ermöglichen.
Ianka Pigors ist Anwältin mit den Interessenschwerpunkten Arbeitsrecht und Ausländerrecht und Mitglied der SAV