Die Fußball-Europameisterschaft: Unbegrenzte Party für alle?

Fanfoto beim Spiel Albanien-Frankreich Foto: https://www.flickr.com/photos/degust/ CC BY-NC-ND 2.0
Fanfoto beim Spiel Albanien-Frankreich Foto: https://www.flickr.com/photos/degust/ CC BY-NC-ND 2.0

Kommerz, Proteste und Repression bei der EM

Am 10. Juni startete die Fußball-Europameisterschaft der Männer (EM oder Euro 2016) in Frankreich und 24 Mannschaften werden um den Sieger-Pokal kämpfen. Viele Menschen und vor allem Fußball-AnhängerInnen hierzulande und in aller Welt freuen sich auf das Event. Nicht wenige meinen auch, dass Politik und Fußball nichts miteinander zu tun haben. Doch ist das so und ist die EM eine vierwöchige Party ohne Begleiterscheinungen?

von Patrik Schulte, Bremerhaven

„Ein Fußballfest für alle – das ist es, was wir uns wünschen“, meint Anne Hidalgo, die regierende Bürgermeisterin von Paris. Doch nach den Anschlägen vom 13. November 2015 ist in Paris nichts mehr wie es war. Ganz in der Nähe des Stade de France führten dschihadistische Terroristen einen Anschlag aus, 130 Menschen starben dabei. In den Monaten danach war das Leben in Paris nicht mehr dasselbe. Die Lebensfreude ist aus der Stadt gewichen. Und die herrschenden Politiker um Präsident Hollande und Premierminister Manuel Valls haben Angst, dass sich die Anschläge bei der EM wiederholen könnten und haben ein gewaltiges „Sicherheitspaket“ geschnürt, dass die französische Bevölkerung Millionen Euro kosten wird. Das Budget für die „Fan-Zones“ wurde von 12 auf 24 Millionen Euro erhöht. Anti-Terror-Übungen sind an der Tagesordnung, Wachpersonal und Überwachungskameras werden verstärkt eingesetzt. „Das alles nur für den Fußball?“, mag sich mancher verwundert fragen. Dabei geht es den Herrschenden weniger um die Sicherheit der Menschen, die die Zeche zahlen müssen, sondern vielmehr um die EM als gigantisches Prestige-Projekt im Sinne der Politik und der Banken und Konzerne. Gleichzeitig sind die sozialen Probleme im Land riesig. Alleine die Arbeitslosenstatistik spricht von 3,5 Millionen Menschen ohne Arbeit und die Jugend hat wenig Perspektiven.

Repression gegen Proteste

Sicher ist eine gewisse Angst vor Terror-Attacken begründet, jedoch wird der Wunsch nach Sicherheit missbraucht, um den staatlichen Repressionsapparat weiter auszubauen.

Stahlarbeiter bei der Großdemonstration in Paris am 14. Juni
Stahlarbeiter bei der Großdemonstration in Paris am 14. Juni

Was der französischen Regierung aber genauso viel Angst macht, ist der Umstand, dass sich Frankreich seit Wochen im politischen Ausnahmezustand befindet. Eine gewaltige Streikwelle hat das Land erfasst, nachdem eine neue Arbeitsmarktreform beschlossen wurde. Am Dienstag streikten und demonstrierten eine Million Menschen auf den Straßen von Paris. Im ganzen Land waren zusammen 1,3 Millionen dabei. Mit Tränengas und Wasserwerfern (einer der ersten Einsätze seit den 70er Jahren) gingen sie gegen die Proteste vor. Wieder schwebt eine Person in Lebensgefahr, die von einer Kartusche getroffen wurde.

Ein Ende der Proteste ist nicht abzusehen und es drohen auch bei der EM erhebliche Beeinträchtigungen im Verkehrswesen und in anderen Bereichen des täglichen Lebens. Für die Menschen, die von der Arbeitsmarktreform betroffen sind, gibt es nichts zu feiern, stattdessen herrscht die Furcht vor einer weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes vor, die sich nun in Widerstand verwandelt hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Austragung der EM nicht dazu führt, dass sich die Proteste abschwächen oder gar zum Erliegen kommen. Für den 23. und 28. Juni sind jedoch weitere Proteste angesetzt.

Internationale Solidarität

Daher ist eine Solidarisierung mit den Protestierenden auch während der EM notwendig um der ganzen Welt zu zeigen, dass sich Widerstand lohnt und es wichtig ist, für seine Rechte auf die Straße zu gehen. Das sollte bei allem Trubel um den schwarz-weißen Ball nicht vergessen werden.

Hierzulande gibt es andere Probleme im Zusammenhang mit der Euro 2016. In Deutschland werden Fußball-Großereignisse gerne benutzt um soziale Schweinereien im Bundestag durchzusetzen beziehungsweise von den sozialen Problemen im Land abzulenken. Das könnte auch in diesem Jahr wieder so sein. So ist zum Beispiel eine weitere Verschärfung des Asylrechts im Bundesrat geplant. Wer abgelenkt ist, hat halt wenig Zeit zum Demonstrieren. Das wissen auch die Herrschenden hierzulande.

Nationalismus?

Zudem hat die AfD eine Debatte um das „Deutschtum“ in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft entfacht. Frauke Petry beschwert sich über Mesut Özil, weil dieser ja die Nationalhymne nicht mitsinge und Alexander Gauland, möchte „einen Boateng nicht als Nachbarn haben“. Konkret geht es den AfD-Spitzen darum infrage zu stellen, dass Spieler mit Migrationshintergrund in der Nationalmannschaft spielen dürfen. Damit machen sie deutlich, dass ein Deutscher mit Migrationshintergrund in ihren Augen kein Deutscher ist. Diese Äußerungen haben eine Welle der Empörung ausgelöst, zeigen aber ganz klar den rassistischen Charakter der AfD auf, dem klar und deutlich etwas entgegengesetzt werden muss.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der „Deutschland-Hype“, der regelmäßig zu großen Turnieren durch die Republik schwappt. Viele Linke sprechen von offen zur Schau gestelltem Nationalismus und Patriotismus und lehnen daher Fan-Kulturen, National-Fahnen und nationale Symbole und Merchandise-Artikel ab. Dazu muss man jedoch sagen, dass sicher nicht allen Fußball-Fans, die in den Farben „ihrer Mannschaft“ auftreten, Nationalismus unterstellt werden kann, so wie es die Grüne Jugend tut. Natürlich nutzt insbesondere die deutsche Regierung den Hype, um die Nation und den Staat in ein günstiges Licht zu rücken und freut sich, wenn sich Menschen in schwarz-rot-gold kleiden und sicher fühlen sich auch viele der Nation und der Regierung verbunden, verallgemeinern kann man dies aber nicht. Aus unserer Sicht sollte der nationale Taumel sicher kritisch gesehen werden, aber Vorverurteilungen sind dabei wenig hilfreich.

Wichtig ist es jedoch nicht wegzusehen, wenn beispielsweise Nazis auf den Fan-Meilen auftauchen und versuchen „ihre Nation“ über andere zu stellen. Friedliches, gemeinsames Feiern ist das eine, nationalistische Sprüche und Gesten das andere. Mit diesem Artikel möchte ich niemandem den Spaß an der EM vermiesen, sondern nur zu einer kritischen Betrachtungsweise anregen. Natürlich hoffe ich, dass Terror-Anschläge und Nazi-Attacken ausbleiben, würde mich aber über weitere Proteste in Frankreich durch die Streiks auch während der EM freuen. Keine Panik, der Ball wird trotzdem rollen. Aber die Protestierenden könnten die EM als Bühne für die Präsentation ihrer berechtigten Forderungen sicher gebrauchen.