Nach dem Schock des FPÖ-Erfolgs kommt die Linke zusammen
In Österreich kommen verschiedene linke Kräfte unter dem Titel „Aufbruch“ zusammen und planen ein neues Organisierungsprojekt. Auf einer Konferenz am vergangenen Wochenende kamen eintausend TeilnehmerInnen aus allen österreichischen Bundesländern zusammen und bildeten 25 Regionalgruppen. Wir sprachen (vor der KOnferenz) mit Sebastian Kugler von der Sozialistischen LinksPartei (SLP, Schwesterorganisation der SAV) über diese Initiative. Er lebt in Wien und ist im Übergangskoordinationsrat des „Aufbruch“-Projekts. Eine Stellungnahme der SLP zur Konferenz findet sich hier.
In Österreich gibt es einen „Aufbruch“ unter Linken. Was hat es damit auf sich?
Die ruhigen Zeiten in Österreich sind vorbei. Die hauchdünne Niederlage des rechtsextremen FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer ist nur der vorläufige Höhepunkt der gesellschaftlichen Polarisierung. Wir hatten im letzten Jahr eine massive Bewegung in Solidarität mit Flüchtlingen, mit knapp 100.000 auf der Straße. Mangels Perspektive versickerte sie jedoch, die Regierung marschierte stramm nach rechts und setzte Maßnahmen um, die die FPÖ vor ein paar Jahren nicht einmal zu fordern gewagt hätte. Die SPÖ zeigt Auflösungserscheinungen, die auch der neu eingesetzte aus der Wirtschaft kommende Kanzler Kern nicht aufhalten wird. Sie glaubt, ihren Niedergang durch rechte Politik stoppen zu können und dackelt der FPÖ hinterher, doch das macht jene nur stärker. Seit Sommer 2015 führt die FPÖ in jeder Umfrage deutlich.
Gleichzeitig haben wir eine immer tiefere soziale Krise. Die Arbeitslosigkeit hat die Zehn-Prozent-Marke übersprungen. Mittlerweile haben wir die höchste Arbeitslosigkeit seit 1955. Während die Löhne stagnieren, schießen Preise und Mieten in die Höhe – alleine in Wien stiegen die Mieten in den letzten Jahren um ein Drittel. Der Sozial- und Gesundheitsbereich wird kaputt gespart. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Geld: von den Spitälern bis zur Flüchtlingsbetreuung. Gleichzeitig besitzt das reichste eine Prozent der Bevölkerung über siebenhundert Milliarden Euro. Und die Unternehmerverbände fordern beschleunigte radikale Reformen im Sinne der Eliten, wie die Einführung des Zwölf-Stundentages und die Halbierung der Körperschaftssteuer. Die politische Situation bleibt instabil – es ist unwahrscheinlich, dass sich die Regierung bis 2018 hält.
Vor diesem Hintergrund gründet sich Aufbruch. Aufbruch ist ein Zusammenschluss verschiedener linker Kräfte und Einzelpersonen, die im letzten Jahr Diskussionen über die Aufgaben und Herausforderungen der noch immer sehr isolierten Linken führten. Ins Rollen gebracht wurde dies von den Leuten rund um den „Mosaik-Blog“, ein 2015 gegründeter Blog, auf dem verschiedene AutorInnen aus unterschiedlichen Zugängen zu linken Themen schreiben. Viele, die dabei sind, waren mal in sozialdemokratischen Jugendorganisationen oder bei den Grünen, aber auch Attac-AktivistInnen, linke Gruppen und GewerkschafterInnen tragen den Prozess zur Zeit. Im Februar wurde beschlossen, eine Aktionskonferenz zu organisieren. Diese Konferenz soll eine Organisierungskampagne lostreten, die in ganz Österreich lokale Strukturen aufbaut. Der Vorschlag ist, unter dem Titel „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ Forderungen in den Bereichen Arbeit, Wohnen und Soziales mit der Forderung nach massiver gesellschaftlicher Umverteilung zu verbinden – und diese Forderungen durch Aktionen und Demonstrationen in die Straßen, Bildungseinrichtungen und Betriebe zu tragen. Wir, die AktivistInnen der Sozialistischen LinksPartei, unterstützen diese Herangehensweise. Wenn aus Aufbruch eine in sozialen Kämpfen verwurzelte linke Alternative zum Establishment entsteht, ist das die beste Möglichkeit, den Vormarsch der FPÖ zu stoppen. Deswegen bringen wir uns aktiv in den Prozess ein. Es ist allerhöchste Zeit, endlich eine linke Alternative zu Kürzungspolitik und rechter Hetze aufzubauen.
Wieso ist denn Österreich überhaupt das einzige Land in Westeuropa, wo es keine kraft links der Sozialdemokratie gibt?
Die SPÖ hält seit ihrer Gründung einen Alleinvertretungsanspruch, der niemals gerechtfertigt war, heute aber nur noch grotesk ist. Traditionell hat es die SPÖ immer geschafft, linke Elemente an sich zu binden, ohne selbst dafür nach links zu rücken. So entstand in der Zwischenkriegszeit in Österreich auch keine starke kommunistische Partei – die KPÖ blieb immer eine kleine Splittergruppe, außer in der Zeit von 1934 bis 1945. Im Nachkriegsaufschwung wuchs die SPÖ auf über 700.000 Mitglieder an, das bedeutet fast zehn Prozent der Bevölkerung waren in den 1970er Jahren Mitglied der SPÖ. Es gab überall aktive Basisstrukturen in allen Lebensbereichen. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Seit den 1980ern setzt die SPÖ aktiv neoliberale Politik um und schaufelt sich damit ihr Grab selbst. Was von dem früheren Glanz einer reformistischen Großpartei geblieben ist, ist die Arroganz und die Feindschaft gegen alles, was links von ihr steht. Die spezielle österreichische Situation einer komplett hegemonialen Sozialdemokratie, die in einer Periode mit sehr niedrigem Level an Klassenkämpfen verbürgerlicht, hat dazu geführt, dass die Wut über diesen Verrat nicht von Links aufgefangen wurde, sondern sich vor allem in Apathie und dem Aufstieg der FPÖ, die unter Haider geschickt ihr neues Potential erkannte, ausdrückte. Die Gewerkschaften befinden sich heute immer noch im Würgegriff der SPÖ. Während an der Basis Wut und Verbitterung über die Untätigkeit herrscht und die Mitgliedszahlen seit Jahren aufgrund von Frustration zurückgehen, ist die Bürokratie des ÖGB eng mit der SPÖ-Spitze verwachsen und sehr effektiv darin, Widerstand und das Aufkommen linker Kräfte in den Gewerkschaften zu ersticken. All das erschwerte in der Vergangenheit die Formierung einer linken Kraft massiv. Doch es muss auch auf die Verantwortung der Linken selbst hingewiesen werden. Während die SLP seit zwanzig Jahren die Notwendigkeit einer neuen ArbeiterInnenpartei betont, ignorierten die meisten Kräfte links der Sozialdemokratie diese Frage, biederten sich ihr an oder glaubten, wie im Falle der KPÖ, selbst einen Alleinvertretungsanspruch zu haben. Währenddessen schrumpfte die Linke in der SPÖ, die es nie als organisierte Kraft gegeben hat, auf eine immer kleinere Anzahl an Einzelpersonen zusammen, deren einzige Funktion es ist, als linkes Feigenblatt für diese neoliberale Partei zu dienen. Die SLP beteiligte sich an allen Projekten, die in Richtung des Aufbaus einer ernstzunehmenden linken Kraft wiesen – doch diese waren spärlich gesäht. Viel zu oft versandeten „linke“ Projekte, vor allem Walbündnisse der KPÖ, in programmatischer Beliebigkeit und hatten keine Orientierung darauf, durch Kampagnenarbeit eine Basis aufzubauen.
Was ist aus eurer Sicht Aufgabe und Herausforderung von „Aufbruch“?
Aufbruch hat in mancherlei Hinsicht aus den Fehlern vergangener Projekte gelernt, dennoch ist die Ausgangssituation schwierig. Der Prozess wurde viel zu spät geöffnet – fast ein Jahr fanden Diskussionen nur unter ausgewählten Linken statt. Das erschwert nun den Aufbau demokratischer Strukturen. Genau das braucht Aufbruch jedoch, um das Potential, dass es links von SPÖ und Grünen gibt, freizusetzen. Vor der Konferenz gab es erste offene Treffen in vielen größeren und kleineren Städten – und fast jedes davon war größer als erwartet. Menschen, die sich noch nie politisch engagiert haben, kommen zu Aufbruch-Treffen. Sie können die aktive Basis des Projekts werden. Die sich im Aufbau befindlichen lokalen Gruppen müssen das Herzstück des Projekts werden. Sie müssen durch Delegierte das Programm und die Strategie mitbestimmen können – und nicht nur als BefehlsempfängerInnen auf der Straße für das Projekt laufen. Starke lokale Strukturen können auch garantieren, dass Aufbruch flexibel auf entstehende Kämpfe reagieren kann und diese von Anfang an unterstützen kann. Der auf der Konferenz zur Diskussion stehende Kampagnenplan wird an die sich schnell ändernde Situation angepasst werden müssen. Auch dafür braucht es Demokratie und Transparenz auf allen Ebenen, jederzeitige Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht.
Nur so kann auch der Ansatz einer Organisierungskampagne erfolgreich umgesetzt werden. Aufbruch will nicht nur Medienaktionen durchführen oder Unterschriftenlisten füllen, sondern echte Aktivistenstrukturen aufbauen. Dafür braucht es konkrete Ziele und Etappenpunkte, etwa die Organisation einer Großdemonstration unter dem Motto „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“.
Viele in Aufbruch sehen die Organisierungskampagne und den Aufbau dieser Strukturen als Vorbereitung auf ein Wahlprojekt. Es ist völlig richtig, dass ein Wahlprojekt nicht einfach aus der Luft gegründet werden kann. Wir haben immer argumentiert, dass eine Neue Arbeiterpartei, oder eine Formation, die in diese Richtung geht, aus sozialen Kämpfen geboren werden muss. Da diese aber in Österreich auf einem vergleichsweise niedrigem Level sind, muss Aufbruch von Anfang an versuchen, diese Kämpfe auch selbst zu initiieren – dazu soll die Organisierungskampagne dienen. Doch es wäre falsch, zu glauben, man könne jetzt ein Jahr kampagnisieren, sich eine Basis aufbauen und dann mit der Diskussion über ein Wahlprojekt beginnen. Niemand weiß, was in einem Jahr alles passieren wird – und den Zeitplan der politischen Krise gibt die Linke nicht vor. Auch wenn auch wir gerne mehr Zeit hätten: Wir müssen im Zuge der Organisierungskampagne von Anfang an eine offene Diskussion über ein Wahlprojekt führen, um dann nicht möglicherweise von Neuwahlen überrascht zu werden. Außerdem ist gerade die Perspektive eines in sozialen Kämpfen verwurzelten Wahlprojekts etwas, was viele Leute gerade an Aufbruch begeistert. Diese Leute wollen nicht an der Politik vorbei kampagnisieren oder ohnmächtig Forderungen an sie stellen – gerade die Perspektive, dass daraus eine ernsthafte politische Kraft wird, ist der Antrieb für diese Leute, sich daran zu beteiligen. Sie auf spätere Diskussionen zu dem Thema zu vertrösten bedeutet, viele der vielversprechendsten potentiellen AktivistInnen schon am Anfang vor den Kopf zu stoßen. Außerdem: Die Debatte wird sowieso schon geführt – niemand braucht zu glauben, dass sich knapp tausend Menschen zu einer linken Aktionskonferenz treffen und ein kämpferisches Projekt gründen können, ohne mit der Frage konfrontiert zu sein, ob daraus auch eine politische Formation werden soll.
Es geht also nicht darum, Wahlprojekt und Organisierungskampagne gegeneinander auszuspielen – sondern aufzuzeigen, dass sich beide gegenseitig bedingen. Ohne soziale Kämpfe kein erfolgreiches linkes Wahlprojekt, ohne politischen Ausdruck keine langfristig erfolgreichen sozialen Kämpfe.
Eine weitere zentrale Herausforderung wird es sein, den im Aufruftext formulierten Anspruch, das „System aufzubrechen“ auch zu verwirklichen. Auch wenn es noch kein ausformuliertes Programm gibt, so werden die Forderungen von Aufbruch, ob sie Umverteilung, Arbeit, Wohnen oder Soziales betreffen, nicht nur erbitterten Widerstand von den Herrschenden hervorrufen – sie werden auch innerhalb des krisengeschüttelten kapitalistischen Systems nicht dauerhaft umsetzbar sein. Gerade das Beispiel von Syriza sollte hier eine Mahnung sein: in Zeiten der zugespitzten Krise gibt es keinen Spielraum für reformistische Politik. Entweder man bricht mit dem System, oder man wird zu seinem Verwalter – und damit zum Komplizen des Spardiktats. Aufbruch braucht deswegen eine klar antikapitalistische Ausrichtung, eine klare Absage ans Paktieren mit den etablierten Parteien und an sogenannte „Sachzwänge“. Das bedeutet auch, eine Systemalternative parat zu haben und für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der nicht Profite bestimmen, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt – wir nennen das eine demokratische und sozialistische Gesellschaft.
Gibt es für euch Lehren aus der Geschichte von WASG und LINKE in Deutschland?
Selbstverständlich blicken viele nach Deutschland, doch klarerweise ist unsere Situation eine völlig andere. Zum einen gibt es keine breite soziale Bewegung, aus der eine WASG-artige Formation entstehen könnte. Vielmehr gibt es eine Reihe an kleineren Bewegungen und Kämpfen, die es gilt, in Aufbruch zusammenzuführen, zu stärken und eine übergreifende Perspektive zu geben. Zum anderen gibt es keine PDS, die einen fertigen bürokratischen Apparat mitbringt, der den Charakter des Projekts massiv beeinflusst. Dennoch gibt es natürlich Lehren aus den Erfahrungen in Deutschland, die hierzulande zu beachten sind. Zum einen gilt es vor allem im Formierungsprozess für demokratische Strukturen zu kämpfen – das bedeutet auch, dass Aufbruch nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Organisationen offen sein muss. Es muss innerhalb des Projekts möglich sein, Strömungen, Plattformen und Fraktionen zu bilden, um eine demokratische Debatte zu garantieren. Die Entwicklung des Programms sollte nicht verschlossenen Zirkeln vorbehalten bleiben, sondern Gegenstand einer breiten Debatte sein. Deutschland zeigt uns auch die Wichtigkeit der Verankerung in den Gewerkschaften – das wird aufgrund des monolithischen Charakters des ÖGB und der Todesumarmung durch die SPÖ eine sehr schwierige Aufgabe. Das Beispiel der WASG zeigt auch, dass es falsch wäre zu glauben, gleich beim ersten Wahlantritt müsse die Hürde genommen werden oder das Projekt wäre zum Scheitern verurteilt. Wahlkämpfe können, auch wenn sie keinen unmittelbaren Erfolg bringen, helfen, das Projekt bekannter zu machen und zu stärken. Vor allem in Abwesenheit breiterer gesellschaftlicher Kämpfe ist die Wahlebene nun mal ein Ort, an dem viele gesellschaftliche Widersprüche ihren Ausdruck finden können. Sollte Aufbruch erfolgreich sein, so wird es unverzichtbar, die Lehren aus den Debatten rund um Regierungsbeteiligungen der Linken in Deutschland zu ziehen. Aufbruch muss radikal anders sein als die etablierten Parteien. Positionen in Gemeinderäten, Landtagen oder im Parlament müssen als Sprachrohre für soziale Bewegungen und Widerstand von unten genutzt werden. Sich an der herrschenden Politik in Koalitionen mit prokapitalistischen Parteien „konstruktiv“ zu beteiligen oder „mitzugestalten“ heißt, sich mitschuldig zu machen an Sozialabbau und Rassismus. Deswegen braucht es eine klare Absage an die etablierten Parteien und an Regierungsbeteiligungen, die Kürzungspolitik und Rassismus bedeuten würden.
Alles in allem bleibt zu sagen, dass es sicherlich alles andere als einfach wird. Die sozialistische Linke in Österreich ist nach wie vor schwach. Es gibt keine Garantie, dass Aufbruch das Potential, das es gibt, ausschöpfen kann. Wenn das Projekt scheitert, wird das die Linke in dieser entscheidenden Phase auf schmerzhafte Weise zurückwerfen, Aufbruch hat also auch große Verantwortung zu tragen – und dieser Verantwortung müssen wir uns stellen. Die nächste Zeit wird durch eine vertiefte politische und soziale Krise geprägt sein. Wir müssen es schaffen, eine neue Arbeiterpartei aufzubauen, um ein politisches Kampfinstrument zu haben, das die Angriffe der Bosse und die Hetze der FPÖ zurückschlägt. Es wird sich zeigen, ob Aufbruch ein Schritt in diese Richtung ist. Wir, die SLP, werden uns jedenfalls mit voller Kraft dafür einsetzen.