„Ende Gelände“ in der Lausitz

Foto: https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/ CC BY 2.0
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Tagebau Welzow-Süd lahmgelegt // Kraftwerk „Schwarze Pumpe“ blockiert // 3500 Menschen beteiligen sich

von Christian Walter, Aachen

„Auf geht’s! Ab geht’s! Ende Gelände!“ – dieser und viele weitere Sprüche waren rund um das Pfingswochenende in Teilen der Lausitz zu hören. Im Lausitzer Braunkohlerevier wird im großen Stil Braunkohle abgebaggert. In Kraftwerken wird sie dann verfeuert, um daraus Strom und Fernwärme zu gewinnen. Braunkohle zählt zu den ineffektivsten Energieträgern, ihre Verstromung ist zudem extrem umweltschädlich und befeuert den Klimawandel.

„Ende Gelände“ 2015

Dagegen gibt es schon länger Proteste. Lange waren sie auf Demonstrationen oder Appelle an „die Politik“ beschränkt. Daneben gab es oft sehr kleine, regional begrenzte Aktionen, die die Kohleindustrie behindern sollten.

2015 gab es erstmals eine bundesweite Massenaktion zivilen Ungehorsams. Ziviler Ungehorsam bedeutet, bestehende Gesetze zu übertreten, um legitimen Forderungen Nachdruck zu verleihen oder sie auch selber durchzusetzen. Im rheinischen Braunkohlerevier (zwischen Köln und Aachen) beteiligten sich letztes Jahr 1500 Menschen, etwa 1000 von ihnen besetzten trotz massiver Gewalt durch Security und Polizei den Tagebau Garzweiler. Alle Kohlebagger wurden abgeschaltet, die Kohleförderung erfolgreich unterbrochen.

Klimacamp

Für 2016 wurde dann das Lausitzer Braunkohlerevier ausgewählt. Auch wenn die Kohlereserven hier deutlich kleiner sind als im rheinischen Revier, wird auch hier massiv abgebaggert, CO₂ in die Luft geblasen, die Umwelt mit Chemikalien belastet und ganze Dörfer ausradiert. Seit 2011 gibt es Klimacamps dagegen: Hier gibt es sowohl politischen Austausch, aber es werden auch praktische Aktionstrainings gegeben. Und die Camps sind Ausgangspunkt von Aktionen. In den vergangenen Jahren kratzten die Camps an der Marke von 100 TeilnehmerInnen. 2016 kamen 3500.

Aktionstrainings, Plena und Workshops

Bereits eine Woche vor den Aktionen zivilen Ungehorsams startete das Klimacamp. Es gab ein breites Programm an politischen Workshops und Diskussionen, Vorträge, Kultur und natürlich praktische Aktionstrainings. Außerdem konnten sich TeilnehmerInnen die Umgebung schon einmal genauer in Augenschein nehmen, um für Aktionen vorbereitet zu sein.

Das Camp selber wurde zwar von einer großen Vorbereitungsgruppe organisiert, die Durchführung vor Ort wurde aber über Plena organisiert: Jeden Abend, und auch oft zwischendurch, fanden diese Versammlungen im Plenumszelt statt. Hier wurden aktuelle Infos weitergegeben, aber auch Dienste und Schichten eingeteilt. Diese Methode wirkt sehr einbeziehend. Sie ist aber auch zäh, und insbesondere wenn schnell Entscheidungen getroffen werden müssen wären gewählte Leitungsstrukturen effektiver.

Aktionskonsens

Für die Aktionen hatte das Bündnis „Ende Gelände“ einen Aktionskonsens erarbeitet. Ein Aktionskonsens ist die Grundlage, an die sich alle TeilnehmerInnen einer Aktion halten sollen. Es war klar formuliert, dass das Ziel sei mit friedlichen Massenblockaden die Kohleinfrastruktur lahmzulegen. Dabei sollte von uns keine Eskalation ausgehen. Unser Ziel sei die Kohleinfrastruktur (also Tagebaue, Kohlebagger, Schienen, auf denen die Kohle transportiert wird etc.), nicht die Polizei, der Wachdienst oder ähnliches. An diese Ansage haben sich – mit sehr wenigen Ausnahmen – alle TeilnehmerInnen gehalten.

Freitag: Massenaktionen im Tagebau…

Ich bin mit einer Gruppe AachenerInnen erst Freitag morgen angekommen, also am Tag vor der angekündigten Massenaktion. So wie uns ging es vielen, die wegen Arbeit, Schule oder anderen Verpflichtungen nicht die Möglichkeit hatten, am Camp vorher teilzunehmen. Es wurde vorher darauf gedrängt, spätestens Donnerstag Abend anzureisen, aber auch das war für viele nicht möglich.

Dennoch beteiligten sich Freitag Mittag bis zu 2000 Menschen. In drei Kolonnen ging es Richtung Tagebau. Einer dieser „Finger“ orientierte auf die Schienen, um den Transport der Kohle Richtung Kraftwerk zu verhindern. Die beiden anderen drangen an verschiedenen Stellen in den Tagebau ein, besetzten Bagger, ein Förderband und andere Infrastruktur. Weder Polizei noch Wachschutz stellte sich ihnen ernsthaft entgegen, der Betrieb war schon vor der Aktion „aus Sicherheitsgründen“ eingestellt worden.

…und Kraftwerksblockaden

Das Kohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ wird von drei Tagebauen mit Kohle beliefert. Zeitnah zu den erfolgreichen Aktionen im Tagebau Welzow-Süd blockierten kleine Gruppen gut vorbereiteter AktivistInnen den Nachschub aus den beiden anderen Richtungen: An dem einen Nachschubweg ketteten sich Menschen auf den Gleisen fest, am anderen wurde ein Tripod aufgebaut. Das ist ein pyramidenförmiges Gestell, in der Regel mit einer Plattform in mehreren Metern Höhe. Dort blockieren dann Menschen. Diese Art der Blockade ist nur sehr aufwendig zu räumen, wenn das Leben der AktivistInnen nicht gefährdet werden soll.

Samstag: Auf zum Kraftwerk

Foto: https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/ CC BY 2.0
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Viele AktivistInnen machten sich am Abend auf den Rückweg zum Camp. Hunderte harrten aber auch über die Nacht aus, besetzten weiter Bagger und Schienen.

Am Samstag dann ging es, wieder in drei Fingern, früh los: Ein Finger – mehrere hundert Menschen mit Fahrrädern – wollte die Nachschubschienen aus dem Süden blockieren. Eine zweite Gruppe, in der auch wir AachenerInnen unterwegs waren, macht sich zu Fuß auf den Weg, einen weiteren Blockadepunkt auf den Schienen aus dem besetzten Tagebau zu errichten (zusätzlich zu der immer noch bestehenden Schienenblockade vom Vortag). Und ein dritter Finger fuhr eine Strecke mit Bussen, um sich dann auf die Schienen aus dem Norden durchzuschlagen.

Mein Finger erreichte nach knapp zwei Stunden ihr Ziel. Wieder gab es kaum Polizeipräsenz. Dort angekommen wurde in mehreren Plena entschieden, dass der Großteil weiter ziehen wollte, um eine Blockade deutlich näher am Kraftwerk zu unterstützen. Diese Stelle machte besonders Sinn, weil hier zwei Versorgungslinien zusammenliefen und somit besonders effektiv blockiert werden konnte. Hier war bereits die Fahrradkolonne angekommen und hatte mit der Blockade begonnen.

Alles blockiert

Noch weiteren knapp zwei Stunden Fußmarsch waren wir endlich dort angekommen, wieder ohne Polizeipräsenz. Aber mehr als eine kurze Pause war nicht drin – bald wurde ein Delegiertenplenum einberufen. Zu diesen Plena kann jede Bezugsgruppe – also Gruppen von etwa fünf Menschen, die sich kennen und gemeinsam teilnehmen – eine Person entsenden. Diese Methode ist deutlich effektiver, als Versammlungen mit allen AktionsteilnehmerInnen einzuberufen.

Bisher wurden bereits riesige Erfolge erreicht: Der Tagebau lahmgelegt und besetzt, alle Zufahrtswege zum Kraftwerk abgeschnitten. Das Kraftwerk selber hat einen Kohlespeicher, der für etwa 24 Stunden bei Normalbetrieb ausreicht. Im Laufe der Aktion wurde der Lagerbestand so knapp, dass die Leistung auf 20 Prozent gedrosselt wurde, um Kohle zu sparen.

Sofort abschalten!

Doch obwohl mehrere tausend Menschen in verschiedensten Aktionen ihren Protest zeigten und Widerstand leisteten, konnte das Kraftwerk weiter laufen. Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits mehr als die vorher formulierten Ziele von Ende Gelände erreicht. Aber wir hatten Energie, und wollten die Abschaltung erzwingen. Auf dieser Grundlage, und weil immer noch kaum Polizei sichtbar war, wurde entschieden, auf das Kraftwerksgelände vorzudringen. Die Überlegung dahinter war, dass das Kraftwerk aus Sicherheitsgründe abgeschaltet werden müsste, sobald sich AktivistInnen auf dem Gelände befänden. Also machte sich etwa 700 Menschen auf den Weg.

Panischer Wachschutz, prügelnde Polizei

26994840846_b734d1db86_kDas Kraftwerk hatte eine lächerliche Sicherheit aufzubieten. Ein äußerer Maschendrahtzaun und ein innerer, etwas robusterer Zaun. Sollten Terroristen Infrastruktur lahmlegen wollen, hätten sie hier ein leichtes Spiel. Zwei Polizeiautos begleiteten uns filmend. Beide Zäune wurden nieder gerissen, nach wenigen Minuten waren wir im inneren Kraftwerksbereich. Nur wenige Securities machten halbherzige Versuche, uns zu hindern, die Polizei beschränkte sich aufs Filmen. Vorher wurde festgelegt, sich – auch aus Sicherheitsgründen – unbedingt nur im Freien aufzuhalten. Einzelne rannten trotzdem schnell zu den Türen der Anlagen auf beiden Seiten – alle waren unverschlossen. Ab dem Moment wurden Wachschutz-MitarbeiterInnen panisch, rasten in ihren Autos von A nach B, bedrohten AktivistInnen mit Elektroschockern und Pefferspray und an einer Türe gab es auch einer Auseinandersetzung mit Verletzten.

Nach fünf bis zehn Minuten kamen dann einige Mannschaftswagen Polizei angerast, die BeamtInnen versuchten uns zu spalten. Dabei verteilten sie großzügig Pfefferspray und Schläge mit ihren Knüppeln. Doch auch jetzt noch waren es einfach zu wenige. Es hatte aber die Wirkung, dass unsere Gruppe unkoordiniert in alle Richtungen lief und somit angreifbarer wurde. In der Zeit rückte weitere Polizei an.

Ein weiterer Zaun – diesmal mit Nato-Draht obendrauf – wurde ausgerissen, sodass wir drunter durch konnten. Hier knüppelte die Polizei zwar hart auf Fliehende ein, lies aber noch alle entkommen.

Foto: https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/ CC BY 2.0
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Die AktivistInnen versuchten dann teils sehr hektisch vom Gelände zu entkommen. Dabei wurden einige von PolizistInnen übel verprügelt. Es gab Szenen, wo ein Aktivist mit dem Kopf gegen ein Metallschild geschlagen, ihm das Knie in den Bauch gerammt und ihm mit der Faust hart ins Gesicht geschlagen wurde, bis er zu Boden ging. Dann sprangen zwei PolizistInnen ihm in den Rücken, um ihn so festzunehmen.

Nach unterschiedlichen Angaben soll es dort bis zu 120 Festnahmen gegeben haben. Den Festgenommenen wurden grundlegende Rechte verweigert – sie mussten die Nacht im Polizeibus verbringen, bekamen weder Essen noch Trinken, durften nicht zur Toilette und auch Anwälte wurden nicht durchgelassen. Die Abschaltung vom Kraftwerk konnte durch diese Aktion nicht erzwungen werden.

Überlegungen zur Polizeistrategie

Während der ganzen Aktionen – mit Ausnahme der Erstürmung des Kraftwerks – hielt sich die Polizei extrem zurück, war kaum vor Ort. Eine Polizeisprecherin wurde zuvor von der taz mit den Worten „Wir sind nicht der Werkschutz von Vattenfall“ zitiert. Der Tagebau werde nicht von der Polizei gesichert, Szenen wie 2015 im Rheinland werde es nicht geben. Woran lag das?

2015 hagelte es Kritik an der Polizei und ihrer Führung. Sie hatte AktivistInnen hart verprügelt und dabei zugesehen, wie RWE-Securities das gleiche taten. Und doch hatte sie vor allem das versucht, was ihre eigentliche Aufgabe ist: Den kapitalistischen Normalbetrieb und die Profite der Konzerne zu sichern.

Sicherlich haben die vielen dokumentierten Übergriffe 2015 einiges an Druck aufgebaut. Aber bei Blockupy-Protesten beispielsweise hat sie das nicht von wiederholten Prügel-Orgien abgehalten. Möglicherweise kommt hinzu, dass diesmal kein deutscher Konzern geschützt werden sollte. Eigentümerin der Lausitzer Kohle- und Energieindustrie ist mit Vattenfall ein schwedisches Staatsunternehmen. Nachdem der Kohleausstieg in Schweden beschlossen wurde, wird gerade der Verkauf an ein tschechisches Unternehmen durchgeführt.

Die Sensibilität für Umweltzerstörung wächst. Es gibt keinen Planet B, und Kohleverstromung ist einer der Öfen der Klimaerwärmung. Immer mehr Menschen sind bereit, sich der Zerstörung unserer Zukunft für Profite einiger Konzerne auch direkt in den Weg zu stellen. Nicht nur in Deutschland: Wenige Wochen zuvor wurde in Wales ein Tagebau in einer ähnlichen Aktion lahmgelegt. In vielen Ländern gibt es bereits positive Beispiele oder sind Grundsteine dafür gelegt.

Eine Überlegung, in in der Nachbereitung diskutiert werden sollte: Die Abwesenheit an Polizei war wie eine Einladung an militante Gruppen. Sie hätten in großem Maßstab randalieren und Sabotageakte verüben können. Dazu ist es nicht gekommen. So wird jetzt versucht, die Erstürmung des Kraftwerks zu einer solchen Aktion umzudichten, was an den Haaren herbeigezogen ist. Dennoch hagelte es nach der Aktion Distanzierungen – nicht nur aus der Politik, sondern auch aus der lokalen Bevölkerung. Das wird dem Aufschwung der Bewegung möglicherweise einen Dämpfer verpassen.

Ausgepowert?

In die Vorbereitung der Aktionen ist viel Zeit und Kraft geflossen. Man merkte, dass das Bündnis im Vorfeld verschiedene Szenarien intensiv diskutiert hatte. Es gab zu fast jeder Gelegenheit Menschen, die Verantwortung übernommen haben. Sie kannten sich gut im Gelände aus und waren zu jedem Zeitpunkt mit den anderen Aktionen oder Infopunkten in Verbindung. Diese gute Vorbereitung hatte viel Einfluss auf die Stimmung. Nicht wenige unerfahrene Menschen beteiligten sich. Ihnen wurden durchdachte Konzepte und aknüpfungsfähige Aktionsformen geboten. Sie waren in Stufen aufgebaut, einige Erfolge waren fast garantiert.

Nachdem alle Gleise zum Kraftwerk mit starken Blockaden dicht waren, war jedoch der Saft raus. Es gab keine weiteren Pläne mehr in Petto. Sicherlich war auch das Bündnis von der enormen Resonanz überwältigt – kaum jemand hat mit 3500 Menschen gerechnet. Sonst hätte es möglicherweise vorbereitete Aktionen geben können, weitere Tagebaue in der Region lahmzulegen.

Das hat sich auch bei der Erstürmung des Kraftwerks gezeigt. Es war einigermaßen spontan, im Plenum bei der Blockade ausdiskutiert, in der speziellen und unerwarteten Situation, dass wir sehr viele und die Polizei quasi nicht vor Ort war. Aber sobald wir drin waren, gab es keinen Plan, was genau wir dort wollten. Hätten sich 700 dort hingesetzt und einen Bereich blockiert, wäre zumindest die Strafverfolgung Einzelner erschwert, Es hätte vermutlich weniger Verletzte gegeben. Stattdessen gab es Hektik und Panik, und das Gefühl, dass diese Aktion nicht wirklich viel gebracht hat.

Demonstration

Auch am Samstag gab es eine Demonstration, organisiert von von Gruppen wie Campact und den Naturfreunden. Dort wurden vor allem Reden von PolitikerInnen gehalten, die für einen „geregelten“ Ausstieg plädieren. Beispielsweise die Grünen stellen die kapitalistische Logik nicht infrage. Sie akzeptieren massive Überproduktion als Folge der Konkurrenzwirtschaft, die Kriegsindustrie wird durch sie erst so richtig angekurbelt. Doch würden solche Energiefresser beseitigt, würde der Bedarf drastisch reduziert werden. Würde dazu ein massiver Ausbau an Anlagen zur regenerativen Energiegewinnung kommen, würden wichtige pro-Kohle-Argumente ausgehebelt werden. Diese Demo zog etwa 3000 Menschen an, ein Teil von ihnen besuchte später eine der Blockaden.

IG BCE

Die Industriegewerkschaft Bergbau – Chemie – Energie spielt in dieser Auseinandersetzung eine fatale Rolle. 2015 mobilisierte sie – zusammen mit den Kohlekonzernen – 15.000 Menschen zu einer Demonstration gegen den Kohleausstieg nach Berlin. Sie gibt an, die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen. Und natürlich wollen diese ihre Jobs nicht verlieren. Aber auch nicht ihre Heimat, die weggebaggert wird. Die Aufgabe der Gewerkschaft wäre es, gesellschaftliche Lösungen zu propagieren, wie Umschulungen und garantierte Ersatzarbeitsplätze für alle Beschäftigten im Kohle- und Energiesektor. Und wenn es zu wenige Jobs geben sollte, könnte die vorhandene Arbeit auf alle umverteilt werden, zu mindestens gleichen Löhnen. Finanziert werden könnte das beispielsweise mit den Milliardengewinnen der Energiekonzerne.

Neonazis

Immer wieder versuchten Neonazis zu provozieren. Mit Megafonen riefen sie Beleidigungen gegen Blockierende, in der Nacht wurden sogar Flaschen und Böller geworfen. Würden sie glauben, was in der Region befürchtet wurde – dass „linke Krawallchaoten“ anreisen würden – hätten sie sich das sicher nicht getraut: Kleine Grüppchen, die versuchen eine große Gruppe zu attackieren, die oben auf einer Brücke voller Steine (aus dem Gleisbett) ist. Hätte es Gegenwehr der AktivistInnen gegeben, wäre es den Neonazis schlecht ergangen.

Bei unserer Abreise stand eine kleine Gruppe von etwa 20 vor allem jungen Männern mit einem Transparent mit der Aufschrift „Unsere Lausitz“ am Straßenrand. Ich zeigte mit dem Daumen nach unten – etwa fünf von ihnen unvermittelt, in Anwesenheit der Polizei, den Hitlergruß.

Die Neonazis zeigten hier deutlich, auf welcher Seite sie stehen: Im Zweifelsfall auf der Seite des (in diesem Falls schwedischen bzw. tschechischen) Kapitals, selbst wenn dieses ihre Heimat wegbaggert.

Klimawandel stoppen: Mit Betroffenen, nicht gegen sie!

Vermutlich ist niemand für die Zerstörung unseres Planeten. Es gibt ein paar ewig gestrige in der AfD und manchen Sekten, die den Klimawandel leugnen. Das ist genauso unwissenschaftlich, wie zu behaupten, die Erde sei eine Scheibe. Es ist erwiesen, dass die Klimaerwärmung dramatische Ausmaße annimmt und die Zeitspanne, in der der Prozess umkehrbar ist, schrumpft. Es ist ebenso erwiesen, dass die Verbrennung von Braunkohle eine wesentliche Rolle dabei spielt.

Warum lassen sich dann 15.000 Menschen für den Erhalt von Tagebauen und Kohlekraftwerken mobilisieren?

In der Lausitz hängen etwa 8000 Jobs daran. Viele der Beschäftigten ernähren mit ihrem Einkommen ihre Familien. Für sie alle droht mit dem Kohleausstieg à la Grüne Arbeitslosigkeit und Armut. Leider fallen viele „Ende Gelände“-AktivistInnen auf diese Falle rein und erwarten ein moralisches Bekenntnis gegen Umweltzerstörung – und im Zweifel gegen den eigenen Job.

Revolutionäre Antworten

MarxistInnen gehen davon aus, dass die Menschheit sich grundlegend in Klassen teilt, und nicht in „gut“ und „böse“. Wir sehen hinter den verschiedenen Forderungen nicht „Dummheit“ oder „Ignoranz“, sondern Interessen. Und unsere Antworten sind in der Lage, die Interessen der derzeit bei Vattenfall Beschäftigten voll zu befriedigen – und die Umweltfrage zu lösen!

Sie haben kein Interesse an Umweltzerstörung, sondern an Jobs, um ihren Lebensstandard halten zu können. Würden die massiven Vermögen der (Energie-)Konzerne verwendet werden, um die dramatischen sozialen und ökologischen Probleme zu lösen, könnten schnell die nötigsten Investitionen getätigt werden. Es könnte beispielsweise massiv in Ausbau und Verbesserung von Anlagen zur bedarfsdeckenden Erzeugung und Speicherung erneuerbarer Energien investiert werden. Das würde viele Jobs schaffen – und zwar in einem sehr sinnvollen Bereich. Man sollte aber nicht in der Logik verharren, dass ein vollwertiger Job mindestens 40 Stunden Wochenarbeitszeit braucht. Es gibt es gewisses Maß an Arbeitszeit, die gesamtgesellschaftlich geleistet werden muss, um einen gewissen Standard zu erreichen oder zu halten. Mit technischem Fortschritt schrumpft dieser Bedarf.

Eine sozialistische Welt ist nötig!

Auf kapitalistischer Grundlage ist das für viele eine Horror-Vorstellung, bedroht das doch ihren Job und damit ihren Lebensstandard. Würde man jedoch die verfügbare gesellschaftliche Arbeitskraft auf die zu erledigenden Aufgaben verteilen, würde man schnell feststellen, dass niemand mehr 40 Stunden in der Woche arbeiten müsste. Arbeitswillige Erwerbslose könnten mit einbezogen werden. Man sollte auch sinnlose Branchen wie die kommerzielle Werbe-Industrie oder die Kriegsindustrie abschaffen. Weitere Ressourcen würden frei, wenn für Bedürfnisbefriedigung statt in Konkurrenz für Profite produziert würde. Wenn die Entscheidung darüber demokratisch von allen getroffen wird, die den gesellschaftlichen Wohlstand erschaffen, verbrauchen oder davon betroffen sind, sprechen wir von einer sozialistischen Gesellschaft.

Ist „Ende Gelände“ die neue Umweltbewegung?

Foto: https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/ CC BY 2.0
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„Ende Gelände“ ist sehr weit davon entfernt, solche Gesellschaftsentwürfe zu skizzieren. Aber die Aktion befindet sich im Aufwind, und bei vielen TeilnehmerInnen gibt es ein Grundverständnis, dass im Rahmen des Kapitalismus die Probleme nicht lösbar sind. Aber die Alternativen dazu sind mehr als diffus – Konsumverzicht, regionales Wirtschaften, Individualismus.

Auch wenn 3500 TeilnehmerInnen eine große Menge ist, spricht die Aktion doch bisher nur kleine Schichten an. Das Bündnis muss Fragen wie die nach den Arbeitsplätzen oder der Finanzierung beantworten, um wachsen zu können. Es braucht mehr als die paar zehntausend Menschen in Deutschland, die sich als links öder radikal-ökologisch verstehen. Es braucht die Menschen, die heute die „Räder im System“ sind und gesellschaftliche Werte schaffen. Es braucht den Kindergärtner und die Stahlarbeiterin, die von einem Teil der aktuellen AktivistInnen als „Räder im System“ eher skeptisch angesehen werden. Es braucht die 250.000 Menschen, die 2011 gegen Atomkraft auf der Straße waren. Es braucht die vielen „normalen“ Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen. Um sie zu erreichen, muss das Bündnis seine Forderungen konsequent zu Ende denken und in Positionen und Aktionen anknüpfungsfähiger für Arbeitende werden.

Politische Schwächen

Genau dem geht es gerade leider aus dem Weg. Es gibt unter den AktivistInnen eine hohe Identifikation mit den Slogans und Symbolen des Bündnisses. Das liegt auch ein stückweit daran, dass es manche umstrittene Fragen ausklammert. Aber das ist weit ausgeschlagen hin zu einer Parteien- und Organisationsskepsis oder sogar -feindlichkeit. Die einzigen sichtbaren Partei-Logos waren die der parlamentarischen BeobachterInnen (und eine Fahne der kurdischen PYD). Das Bedürfnis Einiger, sich nicht von Parteien oder Organisationen „vereinnahmen“ zu lassen, muss ernst genommen werden. Aber das darf nicht umschlagen in ein allgemeines Verbot solcher Symbole. Wie wertvoll wäre es, wenn die beteiligten Gruppen ihre Fahnen, Transparente und vor allem Vorschläge (auf Flyern, Zeitungen oder ähnliches) einbringen würden. Nach außen hin würde sich zeigen, wie breit der Protest eigentlich aufgestellt ist, wie viele Organisationen dahinter stehen. Nach innen würde es eine starke Politisierung geben.

Wie wertvoll wäre es, wenn 20 IG BCE-Fahnen bei den Blockaden dabei gewesen wären! Das Bündnis sollte sich dringend bemühen, auf linke, oppositionelle Gruppen in der Industriegewerkschaft zuzugehen und mit ihnen gemeinsam anknüpfungsfähige Forderungen für Beschäftigte zu entwickeln. In anderen DGB-Gewerkschaften könnten ebenso Positionierungsanträge zur Frage eingebracht werden.

Der LINKE-Jugendverband linksjugend [’solid] hat bei den Protesten eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Vor allem aus den umliegenden Landesverbänden Brandenburg, Berlin und Sachsen haben etwa 40 GenossInnen teilgenommen, was sicherlich steigerungsfähig ist. Einzelne GenossInnen haben aber in der Aktionsdurchführung zentrale Aufgaben übernommen und so maßgeblich zu Erfolgen beigetragen. Aber auch hier wurde politisch nicht wesentlich über den Rahmen der Bündnisforderungen hinaus argumentiert, auch nicht in eigenen Mobilisierungsmaterialien.

2017: Massenaktionen im rheinischen Braunkohlerevier

Für 2017 sind wieder Massenaktionen im rheinischen Braunkohlerevier geplant. Wann und was genau steht noch nicht fest. Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich die Teilnahme dieses Jahr aber mehr als verdoppelt. Vieles spricht dafür, dass es 2017 weiter wachsen könnte. Mit radikaleren Forderungen, die auch die Beschäftigten mitnehmen, ist noch mehr Luft nach oben.