Streikende erheben auch Forderung nach mehr Personal – Tarifvertrag dazu bei Charité in Urbabstimmung angenommen
Im Rahmen der bundesweiten TVÖD-Tarifrunde streiken am 25. und 26. April Beschäftigte der Krankenhäuser des landeseigenen Vivantes-Konzerns und der Charité in Berlin. Neben den Lohnforderungen aus der Tarifrunde, war für viele Beschäftigten die Forderung für mehr Personal und gegen Ausgliederung zentral.
Bericht und Interviews von Steffen Strandt und Tom Hoffmann, Berlin
Ver.di fordert unter anderem 6 Prozent mehr Lohn und 100 Euro mehr für Auszubildende. Die Arbeitgeber haben ein „Angebot“ von 0,6 Prozent 2016 und 1,2 Prozent 2017 vorgelegt, das von ver.di als völlig unzureichend abgelehnt wird. In einer ganzen Reihe von Krankenhäusern bundesweit streiken bei dieser Tarifrunde Pflegekräfte mit dem offensiveren Streikkonzept des „Schließungsstreiks“ mit. Wie zuerst bei der Charité erprobt, gibt es dabei nicht nur eine symbolische Beteiligung von einigen Beschäftigten im Rahmen eines Notbetriebes. Vor dem Streik wurden den Arbeitgebern gemeldet, wie viele KollegInnen streiken werden und welche Betten oder welche ganzen Stationen nicht mit PatientInnen belegt werden dürfen.
Bei der streikerprobten Charité waren fünfhundert Beschäftigte im Streik. Die Charité ist nicht direkt Teil des TVÖD, der Haustarifvertrag ist aber an den TVÖD angelehnt, wodurch eine TVÖD-Lohnsteigerung auch zu Lohnerhöhungen bei der Charité führt. In diesem Rahmen nahmen Beschäftigte der Charité im Rahmen eines Partizipationsstreiks an den Warnstreikmaßnahmen teil. Während des Streiks wurde auch die Urabstimmung zu dem Tarifvertrag Mindestbesetzung und Gesundheitsschutz, für den die KollegInnen eine vierjährige Auseinandersetzung geführt hatten und 2015 in einen zehn Tage währenden Erzwingungsstreik gegangen waren, beendet. Bei dieser stimmten 89,2 Prozent für die Annahme des Tarifvertrags, der bundesweit der erste seiner Art ist. Die zuständige ver.di-Sekretärin Meike Jäger sagte dazu: „Wie immer stellt ein Tarifvertrag einen Kompromiss dar – nicht alle unserer Forderungen konnten wir durchsetzen. Dennoch sehen wir in dem Tarifvertrag einen Meilenstein für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Endlich ist es gelungen, dem Abbau von Stellen, insbesondere in der Pflege, Einhalt zu bieten, in dem Personalmindeststandards und verbindliche Orientierungswerte ein Abweichen nach unten begrenzen. Die Umsetzung des Tarifvertrages wird insbesondere von den Beschäftigten in diesen Arbeitsbereichen sehnsüchtig erwartet.“ Die Umsetzung hängt nicht zuletzt an der weiteren aktiven Beteiligung der Beschäftigten, die Überlastungssituationen melden müssen und damit einen im Tarifvertrag festgelegten Konsequenzenprozess einleiten können. Dies wird durch die ver.di-Betriebsgruppe dadurch unterstützt werden, dass die vielen als TarifberaterInnen aktivierten KollegInnen weiter regelmäßig zusammen kommen sollen und offene Versammlungen für die Beschäftigten regelmäßig angeboten werden. Ob der Tarifvertrag ausreichende Maßnahmen einleiten wird und ausreichend Neueinstellungen nach sich ziehen wird, können Betriebsgruppe und Beschäftigte dann bilanzieren und ggf. nach Ablauf der Vertragsfrist in einem Jahr, für weitere Forderungen in den Kampf ziehen. Die Bedeutung dieses vierjährigen Kampfes der Charité-Beschäftigten und der Tatsache, dass erstmals ein Tarifvertrag erreicht wurde, der zu Neueinstellungen führen soll und Gesundheitsschutz regelt, ist nicht zu unterschätzen. Das politische Signal ist laut und deutlich durch die ganze Republik gegangen und bei Krankenhausbeschäftigten angekommen. In verschiedenen Kliniken im ganzen Land haben sich Gewerkschaftsgruppen und KollegInnen auf den Weg gemacht, diese Auseinandersetzung ebenfalls aufzunehmen.
Zusätzlich streikten einige GewerkschaftsaktivistInnen der CFM (Charité Facility Management) im Solidaritätsstreik. Die ausgegliederte und teilprivatisierte Tochtergesellschaft der Charité kämpft für einen Tarifvertrag und die GewerkschafterInnen nutzten die Streiktage um für die anstehende Tarifauseinandersetzung zu mobilisieren.
Die Beschäftigten von Vivantes erprobten zum ersten Mal einen Schließungstreik, dabei weigerte sich der Arbeitgeber im Vorfeld eine Notdienstvereinbarung zu unterzeichnen. Trotz dieser Drohung beteiligen sich vierhundert KollegInnen der verschiedenen Vivantes-Häuser am Warnstreik. Neben den Lohnforderungen der TVÖD-Runde spielten die Forderungen nach der Eingliederung der Tochtergesellschaften, die weit unter TVÖD bezahlen eine wichtige Rolle für die Streikenden. Für diese Forderung, sowie für die Forderung nach einer Mindestpersonalbesetzung werden die Vivantes-KollegInnen in weiteren Tarifauseinandersetzungen zu kämpfen.
Wir veröffentlichen hier Interviews mit Streikenden, sowie Fotos und ein Video der Rede von Stefan Gummert auf der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor.
https://goo.gl/photos/VWczR4PLwpvDW2Zx7
Oikonomou Anastasios – Seit Januar 2015 als Krankenpfleger bei der Charité – Campus Virchow-Klinikum – Kardiologie
Als was arbeitest du und wie sind die Arbeitsbedingungen für dich?
Ich arbeite als Krankenpfleger auf einer kardiologischen Station. Wir sind nicht genügend Pflegekräfte. An manchen Tagen geht es, aber andere Tage sind eine Katastrophe, da schaffen wir unsere Arbeit gar nicht.
Heute ist die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes – ihr streikt in der Charité im Partizipationsstreik.
Wir streiken für mehr Geld, aber wir streiken auch für mehr Personal im Krankenhaus. Generell wird im Moment bei der Gesundheit gespart. Ich denke, mit Gesundheit darf man nicht spielen. Sie muss immer an erster Stelle stehen und man darf keine Profite mit der Gesundheit machen. Es geht uns nicht nur um mehr Geld, sondern auch um bessere Arbeitsbedingungen. Das ist auch die Meinung der meisten Kollegen.
Du bist erst seit kurzer Zeit bei der Charité, wie hast du von dem Streik erfahren und warum streikst du mit?
Ich bin eine aktive Person. Wir sind jeden Tag zusammen auf der Arbeit. Da bin ich kollegial und natürlich dabei, wenn alle mitstreiken. Für mich ist Solidarität ein wichtiger Punkt. Auch die Patienten verstehen, warum wir den Streik machen und wissen, wie die Situation hier im Krankenhaus ist. Die sind auch solidarisch.
Es gab jetzt ein „Angebot“ von den Arbeitgebern, was denkst du dazu?
1,6 Prozent Lohnerhöhung und 0,6 Prozent dieses Jahr ist einfach nur komisch. Was sollen 30 Euro mehr bringen? Die Lebenshaltungskosten steigen immer mehr. Ich bin erst seit drei Jahren hier in Berlin, aber kriege mit wie die Mieten steigen. Da sind 2 Prozent Lohnerhöhung gar nichts.
Was sollte passieren, wenn es kein besseres Angebot geben wird um den Streik zu gewinnen?
Mehr Streik. In Griechenland machen wir das auch so.
Ihr streikt heute mit Vivantes zusammen und morgen streiken die BSR (Stadtreinigung) und die Berliner Wasserbetriebe. Was sagst du zu den getrennten Streiktagen?
Wir sollten zusammen streiken. Wenn der ganze öffentliche Dienst streiken würde und eine große Demonstration in Berlin Mitte machen würde, wäre das ein viel stärkeres Zeichen.
Sybille – Therapeutin in einem Vivantes-Krankenhaus
Wie sind die Arbeitsbedingungen in deinem Bereich?
Wir sind im Moment von 6 Therapeuten nur 2, weil die anderen krank sind, vielleicht auch aus Überlastung.
Heute ist die TVÖD-Tarifrunde, warum streikst du persönlich?
Natürlich wegen dem Gehalt. Die nicht-akademischen sozialen Berufe sind ja unterbezahlt und da können wir mehr Geld gebrauchen. Weil die Lebenshaltungskosten steigen und weil wir für unsere Arbeit mit dem geringen Gehalt keine Anerkennung bekommen. Außerdem müssen die Tochtergesellschaften abgeschafft werden. Die verdienen dort noch weniger und sind nicht im TVÖD, kriegen also keine Gehaltserhöhung. Das sind Kollegen die die gleiche Arbeit machen, die gleiche Qualifizierung haben und dafür deutlich weniger verdienen. Das ist eine Katastrophe. Jetzt sollen 2017 eventuell alle Therapeuten ausgegliedert werden. Dagegen müssen wir uns wehren und darum bin ich auch hier.
Was sagst du zu dem „Angebot“ des Arbeitgebers?
Es ist zu niedrig, da muss es mehr Verhandlungen geben, sonst kann man nicht zustimmen. Wenn das nicht erfolgreich ist, müssen wir wieder streiken.
Wie ist die Beteiligung bei euch beim Streik?
Nicht so gut. Viele haben auch Angst um ihren Arbeitsplatz und die Dienste müssen ja trotzdem stattfinden. Wir konnten bei uns im Krankenhaus auch keine Betten sperren lassen.
Robert Huke, seit 1980 in der Charité – Campus Virchow-Klinikum Kardiologie
Wofür streikt ihr heute?
Wir streiken unter anderem für 6 Prozent mehr Lohn. Für mich ist es aber auch wichtig für ein niedrigeres Renteneintrittsalter, oder für Altersteilzeit zu streiken.
Was sagst du zum Angebot der Arbeitgeber?
Das Angebot ist einfach lachhaft und geht gar nicht. Deshalb streiken wir auch gegen diese lächerliche Abspeisung.
Wenn die Arbeitgeber nicht nachlegen, was wäre dann nötig?
Wenn die Verhandlungen nicht in die richtige Richtung gehen, muss aus dem Warnstreik eben ein Vollstreik werden.
Es läuft im Moment die Urabstimmung für den Tarifvertrag zur Personalbemessung und Gesundheitsschutz, was sagst du zu dem Abschluss?
Die Verhandlungen laufen nach dem Erzwingungsstreik ja schon einige Monate, und wir werden nach dem Abschluss das erste Krankenhaus in Europa mit einem Tarifvertrag zu Personalbemessung sein. Ich denke, dass die meisten für den Tarifvertrag abstimmen. Wenn der Arbeitgeber auch unterschreibt, ist so ein Tarifvertrag erstmal Neuland. Es wird sich spätestens nach ein paar Monaten zeigen, wie die vereinbarten Mindestbesetzungen in der Praxis umgesetzt werden.
Torsten Martin – seit 15 Jahren an der Charité – Campus Virchow Klinikum Thorakale Chirugie
Du bist ja jetzt schon ziemlich lange mit dabei an der Charité. Wie haben sich die Arbeitsbedingungen über die letzten Jahre entwickelt?
Also ich glaube nicht, dass sich Leute diesen Beruf aufgrund der tollen Arbeitsbedingungen aussuchen. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, weil es zu wenig Leute gibt. Ich denke auch, dass sie sich in den letzten Jahren verschlechtert haben. Wenn die Leute heute Abitur machen, dann studieren sie und tun sich das nicht an. Da gibt es Jobs, die besser bezahlt werden.
Da sprichst du schon den nächsten Punkt an. Ihr seid ja im Partizipationsstreik, weil ihr an den TVÖD nur angeschlossen seid. Warum streikst du heute?
Wir solidarisieren uns mit den Kollegen, sind – wie schon gesagt – an den TVÖD angeschlossen. Und wir wollen natürlich mehr Geld haben, weil wir auch unsere persönlichen Kosten decken müssen. Der Beruf wird sowieso schon nicht gut bezahlt. Ein Grund dafür ist, dass der Pflegeberuf als „Frauenberuf“ einfach nicht so gut bezahlt wird.
Jetzt gibt es ja ein sogenanntes „Angebot“ vom Arbeitgeber. Was hältst du davon?
Das erste Angebot war eine Frechheit. Da sehe ich mich nicht ernstgenommen, das war einfach dreist. Jetzt hat man uns 3 Prozent angeboten. Das hätte ich mir mindestens als erstes Angebot gewünscht. Das reicht natürlich immer noch nicht aus, aber als Grundlage ist das in Ordnung.
Angenommen der Arbeitgeber geht auf eure Forderungen nicht ein. Was wäre deiner Meinung nach notwendig, um eure Forderungen durchzusetzen?
Wenn den Forderungen nicht nachgekommen wird, wird man diese Maßnahmen erweitern. Wenn man das Gefühl hat, dass das nicht ausreicht, muss man sich das einfordern. Es ist ja nicht so, dass wir das hier aus Jux und Dollerei machen. Wir bringen mit diesem Streik unsere Unzufriedenheit zum Ausdruck.
Letztes Jahr habt ihr ja hauptsächlich für mehr Personal gestreikt – als Erste überhaupt in Deutschland. Parallel zum Warnstreik läuft gerade die Urabstimmung zum betreffenden Tarifvertrag. Bist du mit dem zufrieden?
Es hat lange gedauert, aber es ist sehr erfolgreich. Es ist mit dem Tarifvertrag möglich, die Bemessungen realistischer zu gestalten. Wichtig ist auch, dass in dem Vertrag Maßnahmen wie die Gesundheitskommission enthalten sind, die festlegen, was passiert, wenn es nicht zu der Aufstockung kommt. Auf dem Vertrag kann man sicherlich in den nächsten 10 Jahren aufbauen. Ich bin sehr glücklich, das wir das mit den Kollegen so geschafft haben.
Heute streiken die Krankenhausbeschäftigten und morgen die BSR und die Berliner Wasserbetriebe, was sagst du dazu?
Für uns ist das streiken ja eher ungewohnt, wenn man bedenkt, das Patienten zu uns kommen, die von uns abhängig sind und auch ein Recht darauf haben von uns versorgt zu werden. Sonst haben die Leute von der BSR und die Busfahrer immer für uns mit gestreikt. Jetzt finde ich es gut, dass nicht mehr nur andere Leute für uns streiken.