Kein Verlass auf Polizei und Justiz
von Steve Hollasky, Dresden
Glaubt man den Darstellungen von CDU, SPD, Grünen und – ausgerechnet – der rassistischen Alternative für Deutschland (AfD), dann ist am Dienstag in Sachsen ein Stück Demokratie gesichert worden. Sie alle sind voll des Lobes für den sächsischen Staatsapparat und stellen klar, er sei über jeden Zweifel erhaben. Am Dienstag morgen, fünf Uhr früh stürmten 200 BeamtInnen der Grenzschutzgruppe 9 (GSG9), des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Landeskriminalamtes (LKA) die Wohnungen von fünf Freitalern, die sich nun einer Untersuchung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegenübersehen. Die fünf zwischen 18 und 37 Jahre alten militanten Rechten waren Mitglieder der Bürgerwehr Freital, die mit dem Namen „Bürgerwehr FTL/360“ versuchte, sich ein möglichst martialisches Auftreten zu geben.
Militante Struktur
Schon seit mehr als eineinhalb Jahren beklagt sich auch die sächsische Polizei über das Entstehen von Bürgerwehren. Dabei treibt sie vor allem die Sorge um, in bestimmten Regionen des Freistaates könnten Parallelstrukturen entstehen. Linke und AntifaschistInnen hingegen erkannten schnell die von diesen Kräften ausgehenden Gefahren.
Gerade in Sachsen ist die Liste rechter Übergriffe in den letzten zwei Jahren auf ein unübersichtliches Maß angewachsen. Angriffe und und Anschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten, Übergriffe auf politische GegnerInnen und Bedrohungen offenbaren ein neues Maß an rechtem Selbstbewusstsein und militantem Auftreten, welches mehr und mehr zur Gefahr wird.
Das Sündenregister der Freitaler Bürgerwehr ist denn auch lang. Zurzeit werden den insgesamt sieben festgenommenen Mitgliedern der rechtsterroristischen Gruppe – zwei Rädelsführer sitzen bereits seit November in Untersuchungshaft – drei Anschläge zur Last gelegt: Zwei Angriffe auf die Unterkunft von Geflüchteten und einen Anschlag auf ein linkes Wohnprojekt, die „Mangelwirtschaft“ in Dresden. Die bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Unmengen von tschechischen Feuerwerkskörpern, die sich laut entsprechenden Anleitungen, die in rechten Kreisen kursieren, zum Bau von Bomben eignen, legen die Existenz weiterer Anschlagspläne nahe.
Vernetzt? Ach, Unsinn…
Noch bis vor wenigen Monaten mussten sich jene, die vor der „Bürgerwehr FTL/360“ warnten, stets dieselbe beleidigende Leier anhören: Sie würden den Ruf von Freital ruinieren. Nun auf einmal vollziehen die etablierten Parteien die Kehrtwende und loben die Ermittlungsarbeit der Polizei und des „Operativen Abwehrzentrums“ (OAZ). Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) frohlockte laut den „Dresdner Neuesten Nachrichten“: „Der Rechtsstaat ist im Kampf gegen rechtsextremistische Gewalttaten handlungsfähig.“ Wenn ein bürgerlicher Politiker seine Freude darüber offenbart, dass der Rechtsstaat dann doch handlungsfähig ist, wenn es gegen militante Rechte geht, müssen eigentlich alle Alarmglocken schrillen. Selbst der CDU-Ministerpräsident Tillich hatte unlängst einräumen müssen, dass Sachsen ein von ihm unterschätztes Problem mit Nazis und Rassisten hat. Und sein Stellvertreter, Martin Dulig, von der SPD, fragte in einem ZEIT-Interview, ob innerhalb der sächsische Polizei nicht vielleicht doch große Sympathien für rassistische Gruppen wie PEGIDA und die AfD existieren könnten. Als seien sie selbst erschrocken, von dem, was sich da unter ihrer Nase zusammengebraut hat.
Nun auf einmal, nach den Razzien und Festnahmen in Freital, scheinen die Bürgerlichen aufzuatmen. Der Rechtsstaat funktioniert noch. Übrigens auch an jedem Montag in Dresden, wenn die PEGIDA-GegnerInnen schikanösen Behandlungen von Polizei und Ordnungsamt unterzogen werden.
Einen ungewollten Offenbarungseid legte denn auch der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf die Bühne. Den Polizeieinsatz in Freital kommentierte er mit den Worten: „Die Basis für den Ermittlungserfolg in Freital wurde in Sachsen gelegt.“ Mitnichten waren es nämlich die sächsischen Behörden, die diesen Großeinsatz in Freital veranlasst haben. Diese ermittelten zwar gegen die „Bürgerwehr FTL/360“, gaben aber die Ergebnisse nicht an den im Falle von rechtsterroristischen Strukturen zuständigen Generalbundesanwalt weiter. Der musste die Akten selbst anfordern und ordnete in letzter Konsequenz den Zugriff an. Einzig DIE LINKE kritisierte dies bislang in der Öffentlichkeit.
All der Jubel und die zur Schau gestellte Zufriedenheit mit dem Polizeieinsatz soll scheinbar vor allem eines tun: Von der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ablenken. Die Frage jedoch bleibt: Wie sehr sind die Freitaler Rechtsterroristen in größere rechte Netzwerke eingebunden. Der Anschlag auf die „Mangelwirtschaft“ erfolgte nicht irgendwann, sondern am Vorabend des 19.10. Am Tag darauf gingen in Dresden 25.000 Menschen gegen PEGIDA auf die Straße und sahen sich – nicht selten schutzlos – Angriffen rechter Hooligans ausgesetzt. Am Dresdner Postplatz attackierten gleich mehrere hundert Rechte eine der angemeldeten Gegenkundgebungen, die daraufhin abgebrochen werden musste. Polizeischutz gab es kaum. Und dennoch vernahm man tags darauf vor allem etwas von linken Ausschreitungen. Der Autor dieser Zeilen war stellvertretender Anmelder dieser Kundgebung und erlebte die Angriffe mit. Bisher hat die Polizei ihre Aussagen, die Kundgebung sei geschützt worden, nicht revidiert.
Und der Angriff der „Bürgerwehr FTL/360 am Abend zuvor? Ein purer Zufall? Ein willkürlich gewählter Termin? Schwer zu glauben. Lutz Bachmann, der Chef von PEGIDA Dresden, der andauernd vor der „Lügenpresse“ warnt, hängte sich in der Vergangenheit eigens einen Presseausweis um, um an einer der Verhandlungen gegen ein Mitglied der Freitaler Rechtsterroristen teilnehmen zu können.
Also alles Zufall? Keine Notwendigkeit weiterer Ermittlungen? Alles wieder im Lot im Lande Sachsen? Wohl kaum!
Die Linke muss handeln, jetzt!
Die sächsische Bevölkerung ist nicht, sozusagen „von Natur aus“, rechter als andere. Wer das behauptet, der übersieht die Hilfsbereitschaft Zehntausender im Angesicht des Elends der hier ankommenden Geflüchteten in den letzten zwei Jahren. Fakt bleibt aber, dass gerade sie sich nicht auf den Staatsapparat verlassen konnten. Wenn sie helfen wollten, standen sie mit den Problemen oft genug allein da. Ebenso wie jene, die politisch gegen rechte und rassistische Kräfte vorgehen wollten. Und schaut man sich das Handeln der sächsischen Behörden an, ist das nicht weiter überraschend.
Aber genau deshalb muss die breite Linke jetzt endlich handeln. „business as usual“ kann und darf es nicht geben. Wir müssen raus auf die Straße, wir müssen SchülerInnen, Studierende Arbeitende und Arbeitslose; Geflüchtete und Hiergeborene zusammenbringen, um gemeinsam gegen rechte Hetze und rassistische Gewalt zu kämpfen. Dazu gehört auch zu sagen, wo all das seinen Ursprung hat: Kapitalismus heiß Konkurrenz zwischen Menschen. Wenn Sozialleistungen gekürzt werden, dann geht es leider oft genug ganz schnell, dass Menschen rassistischen Parolen auf den Leim gehen. Wie oft hörte man in den letzten zwei Jahren in Sachsen Sätze wie: „Bei uns sparen sie und die Flüchtlinge kriegen alles.“ Das ist gelogen. In Dresden gibt es Fälle, wo Geflüchtete zu acht(!) in einer Einraumwohnung dahinvegetieren müssen.
Genau das gilt es zu sagen und genau dagegen gilt es zu kämpfen. Der beste Schutz gegen Rassismus sind soziale Proteste, in denen Hiergeborene und Geflüchtete gemeinsam für Verbesserungen auf die Straße gehen. Nur leider bleibt die breite Linke diese Antwort in Sachsen nach wie vor schuldig.