Was Statistiken aussagen – und was nicht
In den Debatten über die Flüchtlingsfrage wurde das Argument aufgebracht, Migranten seien krimineller als Deutsche. Was ist da dran?
von Jenni Wörl, Aachen
Der Anteil von Nichtdeutschen an den rechtskräftig verurteilten Straftätern lag 2013 laut Wikipedia bei 24,5 Prozent, obwohl der Anteil Nichtdeutscher an der Bevölkerung nur 9,5 Prozent beträgt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Jeder Soziologiestudent kennt auch eine Statistik, nach der ein erhöhtes Aufkommen von Störchen in einer bestimmten Region mit einer erhöhten Geburtenrate in derselben Region einhergeht. Deswegen aber anzunehmen, Störche würden Kinder in die Wiegen legen, ist absurd und entspricht nicht den realen Zusammenhängen.
Die Sache mit der Kausalität
Wie man an dem Beispiel mit den Störchen sieht, ist es relativ einfach, statistische Korrelationen (= das gemeinsame Auftreten verschiedener Merkmale) festzustellen. Das hängt davon ab, welche Merkmale man untersucht. Deswegen weiß man aber noch lange nicht, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen ihnen existiert, also ob das eine oder das andere die Ursache des zu untersuchenden Phänomens darstellt.
Neben der Staatsangehörigkeit wurden auch andere Merkmale untersucht. Zum Beispiel sind Männer häufiger straffällig als Frauen, tauchen junge Menschen, Großstadtbewohner und Menschen mit einem niedrigen Bildungsgrad überdurchschnittlich oft in der Kriminalstatistik auf. Und auch Menschen, die größer als 1,75 Meter sind, werden häufiger straffällig. Was aber ist nun Ursache und was ist Wirkung?
Auf der Suche nach der Ursache
Wenn man weiß, dass hauptsächlich Männer größer als 1,75 Meter sind, wird schnell ersichtlich, dass Kriminalität wohl kaum etwas mit der Körpergröße zu tun haben wird, denn die Größe ist Teil der Variable Geschlecht und bildet somit keine eigenständige Erklärung für Kriminalität.
Ebenso verhält es sich mit der Staatsangehörigkeit. Das Standardprofil eines Kriminellen wäre ein junger, schlecht ausgebildeter Mann, der in der Großstadt wohnt. Und Migration betrifft eben überdurchschnittlich junge Männer mit eher geringem Ausbildungsstand. Schaltet man diese Faktoren in der Untersuchung aus, vergleicht man also die Kriminalität von Deutschen und Nichtdeutschen desselben Geschlechtes, desselben Alters und desselben Bildungsgrades bleibt kein Unterschied mehr übrig. Es verhält sich eher noch umgekehrt, bezieht man die soziale Lage in die Untersuchung mit ein, wie es Rainer Geißler getan hat. Dann weisen Arbeitsmigranten sogar eine größere Gesetzestreue auf als Deutsche (zumal Nichtdeutsche anderen Gesetzen unterliegen, also im Gegensatz zu Deutschen zum Beispiel Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz, das Asylverfahrensgesetz und das Freizügigkeitsgesetz der EU begehen können, was einen wichtigen Teil der Verurteilungen darstellt).
Das Phänomen der „Brutalisierung“
Migration bietet also keine zusätzliche Erklärung für Kriminalität. Na ja, fast keine. Laut André Kuhn, Professor für Kriminologie und Strafrecht an den Universitäten Lausanne, Neuenburg und Genf könne die Staatsangehörigkeit einen kleinen Teil der Kriminalität erklären, nämlich im Falle von Zuwanderung aus Kriegsgebieten. Die erlebte Gewalttätigkeit könne zu einer Enthemmung bei deren Bürgern führen, genauso wie in den USA eine Zunahme der Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit der Einführung der Todesstrafe in bestimmten Bundesstaaten zu beobachten gewesen sei. Das spricht vor allem gegen Krieg und die Todesstrafe, nicht gegen Flüchtlinge.
Wie bekämpft man nun aber Kriminalität?
Es wird wohl niemand vorschlagen, durch zum Beispiel Geburtenkontrolle die Verringerung der Männlichkeit herbeizuführen. Stattdessen muss mehr soziale Gleichheit hergestellt, der Zugang zu Bildungseinrichtungen für alle erreicht und die Zwei-Klassen Gesellschaft überwunden werden.