oder: Warum aus kleineren Übeln meist größere Übel werden
Nach den Wahlerfolgen der AfD in Sachsen-Anhalt und den entstandenen unklaren Mehrheitsverhältnissen wartet Gregor Gysi mit dem Vorschlag auf, über Koalitionen zwischen CDU und LINKE nachzudenken. Der Erfolg der AfD und von Rechtsparteien anderswo in Europa erfordere, „dass alle springen, von der Union bis zur Linken“, so Gysi. Ich bin wahrscheinlich nicht die einzige in der Partei, die bei dem Gedanken an Bündnisse mit der Union die Assoziation hat, lieber von der Brücke zu springen ….
Von Lucy Redler
Viele Parteimitglieder der LINKEN fragen sich angesichts solcher Vorschläge wahrscheinlich, ob Gysi eigentlich noch alle sieben Sinne beisammen hat.
Ich befürchte: Ja. Denn der die gesamte Parteilinke provozierende Vorschlag entspringt der – wenn auch falschen – Logik, dass man sich an kleineren Übeln beteiligen müsse, um größere Übel zu verhindern.
Erst zum Jahreswechsel (und zuletzt erneut in der vergangenen Woche) schlug Gysi vor, DIE LINKE müsse Koalitionen mit SPD und Grünen eingehen, um die Union in die Opposition zu schicken, damit diese dort die AfD überflüssig mache.
Diese Argumentation folgt der in der LINKEN beliebten Logik für Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen, die man eingehen müsse, weil sie das kleinere Übel zu Großen Koalitionen oder Schwarz-Gelb seien. Diese Idee hält sich erstaunlicherweise, selbst wenn Sigmar Gabriel wieder mal versucht, die CDU rechts zu überholen.
Zieht man Bilanz, haben sich viele vermeintlich kleinere Übel, als größtmögliche Übel entpuppt: 1998 wurde uns Rot-Grün als solches verkauft. Gerhard Schröder hat aber die weitreichendsten Verschlechterungen und die ersten Kriegseinsätze der Bundeswehr zu verantworten, die Helmut Kohl kaum gegen den Widerstand von Gewerkschaften hätte durchsetzen können. Dazu war das „kleinere Übel“ nötig, das vor allem den Widerstand schwächt. Die „sozialistische“ Regierung unter Hollande in Frankreich versucht derzeit etwas ähnliches durchzusetzen und provoziert damit Massenproteste. Und trotzdem gibt es auch Fälle, in denen die SPD das kleinere Übel im Vergleich zur CDU sein mag. Nur – und hier kommt Gysis Vorschlag ins Spiel: Die CDU erscheint im Vergleich zur AfD auch als das kleinere Übel. Genau diese Idee hat Gregor Gysi nun also radikal zu Ende gedacht.
Das kleinere Übel bleibt aber ein Übel. Niemand braucht DIE LINKE um rechte Politik zu bekommen. Alle Erfahrung zeigt, dass die Partei in Koalitionen mit kleineren oder größeren Übeln ihre Glaubwürdigkeit und politische Unabhängigkeit einbüßt und zur Vollstreckerin von kleineren oder größeren Verschlechterungen wird.
All jene die nun zu Recht der Meinung sind, dass Gysis Vorschlag grundfalsch ist, sollten also die Position der Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen als kleinerem Übel mal bilanzieren.
Nun werden Genossinnen und Genossen vielleicht einwenden: Aber die AfD ist eine so große Gefahr, da muss man sich ja zusammen schließen. An der Stelle möchte ich mit einer Stelle aus einem der drei Leitanträge des Parteivorstands an den kommenden Parteitag antworten: „Die Union feiert sich für das „schärfste Asylrecht aller Zeiten“. Teile von ihr befinden sich in einem Überbietungswettbewerb mit den Rechten. Bis auf eine kleine Minderheit trägt auch die SPD diesen Kurs mit. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass dieser Wettbewerb regelmäßig zu Gunsten der Rechtspopulisten ausgeht.“
Oder in anderen Worten: Es ist die Politik der Prekarisierung, der Verschärfung von Hartz IV, der selbst organisierten Wohnungsnot, des staatlichen Rassismus, die SPD, CDU und Grüne jahrelang betrieben haben und die nun die AfD stärkt.
Wenn DIE LINKE nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken will, muss sie eine unmissverständliche und kämpferische Opposition gegen CDU, SPD, Grüne und AfD betreiben. Sonst droht das, was ein alter Freund und Genosse von mir kürzlich auf Facebook kommentierte: eine Linke ohne LINKE.
Lucy Redler ist Mitglied im BundessprecherInnenrat der Antikapitalistischen LINKEN (AKL) und der SAV-Bundesleitung.