von Danny Byrne, CWI („Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
Bei den Parlamentswahlen vom 26. Februar hat die irische Regierungskoalition aus konservativer „Fine Gael“ und ehemals sozialdemokratischer „Labour Party“ eine schwere Niederlage einstecken müssen. Die WählerInnen haben beiden Parteien eine demütigende Niederlage beigebracht. Zurückzuführen ist dies auf die große Wut der Arbeiterklasse angesichts der Austerität der Regierung und vor allem wegen des Verrats der „Labour Party“ an den arbeitenden Menschen. In einigen Wahlkreisen ist die Auszählung zwar noch nicht beendet. Dennoch zeigen die Ergebnisse bereits, dass die Ex-Sozialdemokraten von „Labour“ drei Viertel ihrer Sitze eingebüßt haben und nur 6,6 Prozent der „first preference“-Stimmen gewonnen haben. 2011 kam man noch auf fast 20 Prozent der Erststimmen. „Fine Gael“ (FG) hat mehr als zehn Prozent verloren und muss damit auf über 20 Sitze verzichten. Die politische Landschaft hat sich somit von Grund auf verändert und zersplittert. Dabei ist auch eine neue linkssozialistische Kraft ins Rampenlicht gerückt.
„Die Wiederbelebung in Gang halten“
Die Regierungsparteien haben einen desaströsen Wahlkampf geführt. Obwohl die Umfragen permanent darauf hingedeutet haben, dass es keine eindeutige Alternative zur bisherigen Regierung geben würde, ist die Zustimmung für FG und „Labour“ immer stärker zurückgegangen, je näher der Wahltag rückte. Die beiden Parteien hatten versucht, sich selbst als die einzig tragfähige Option anzupreisen. Ansonsten drohe den WählerInnen das Chaos, da niemand sonst für „Stabilität“ garantieren können.
Demzufolge lautete auch die zentrale Aussage der beiden Regierungsparteien im Wahlkampf: „Die Wiederbelebung in Gang halten“. Die bisherige Regierung habe die Volkswirtschaft Irlands aus der Flaute herausgeholt und müsse nun die Möglichkeit bekommen, ihren Job fortzuführen, so das Credo der beiden Formationen. Und trotzdem war dieses Motto ein Flop durch und durch.
Wie die „Anti Austerity Alliance“ (dt.: „Bündnis gegen die Austerität“) erklärt hat, in der auch die SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Irland, die „Socialist Party“, mitarbeitet, hat dieses Gerede von der tollen Wiederbelebung absolut nichts mit der Realität zu tun und steht schon gar nicht in irgendeinem Zusammenhang mit der Stimmung, die in den Wohnvierteln der Arbeiterklasse des Landes vorherrscht. Während diese Wohnquartiere in der Phase der Rezession mittels Austerität zurechtgestutzt und geschleift worden sind, ist die „Wiederbelebung“ des irischen Kapitalismus regelrecht an ihnen vorbeigezogen. Die Früchte dessen sind dem viel zitierten „einen Prozent der Bevölkerung“ zugute gekommen, während die Lebensbedingungen der Mehrheit vor sich hin dümpeln.
Anstatt den Glauben in die alte Regierungskoalition zu festigen, hat dieses Wahlkampfmotto und die Idee, die dahintersteckt, das Gefühl der Verbitterung und Ungerechtigkeit verstärkt. Schließlich müssen die absolut meisten Menschen jeden Monat kämpfen, um über die Runden zu kommen. Die sogenannte Wiederbelebung fußt auf starker sozialer Ungleichheit.
Das ist der Hintergrund, vor dem die Regierungsparteien ihre Wahlniederlage haben einstecken müssen. Trotz der konstruierten Drohkulisse, die in der Gegenüberstellung „Stabilität oder Chaos“ gipfelte, haben es die Parteien nicht vermocht, den Wunsch nach Veränderung zu relativieren. Die gegen das Establishment gerichtete Stimmung, die in der Arbeiterklasse in Irland spürbar ist, war fest und stark genug, um die Regierung trotz aller Erpressungsstrategien und Panikmache aus dem Amt zu hebeln.
Beispiellose Krise des Polit-Establishments
Diese Wahlen läuten für den irischen Kapitalismus eine schwere politische Krise ein, die eng verwandt ist mit dem, was in anderen krisengeschüttelten Ländern Europas (wie Spanien und Griechenland) vor sich geht. Die bewährten Parteien der kapitalistischen Herrschaft befinden sich in der Krise. Es ist nicht mehr möglich, die politische Macht zwischen ihnen hin und her zu schieben, um auf diese Weise das System der Marktwirtschaft abzusichern.
In Irland hat sich dies historisch in der Existenz zweier rechtslastiger und konservativer Parteien, („Fianna Fail“ und „Fine Gael“) neben der ehemals sozialdemokratischen „Labour Party“ gezeigt. Diese Parteien haben routinemäßig immer rund 90 Prozent der Wählerschaft unter sich aufteilen können. Am Freitag sind „Fianna Fail“ und „Fine Gael“ auf weniger als 50 Prozent der Stimmen gekommen. „Labour“ wurde geradezu vernichtend geschlagen. Das, was an Unterstützung übrig geblieben ist, zersplittert sich zusehends. 30 Prozent haben für unabhängige KandidatInnen und kleinere Parteien gestimmt und weniger als 14 Prozent haben „Sinn Fein“ gewählt.
Das läutet eine ernste politische Krise ein. So, wie es derzeit aussieht, kommt die einzig scheinbar machbare Regierungsmehrheit nur dann zustande, wenn „Fine Gael“ und „Fianna Fail“ zusammengehen. Das wäre eine besondere Form von irischer „Großer Koalition“. Während beide Parteien aus politischen Gründen aktuell noch jede Kooperation ausschließen (man will nicht, dass sich die Stimmung noch stärker gegen das Establishment an sich richtet) wird es immensen (auch innerparteilichen) Druck von Teilen des Establishments geben, um entsprechend zu handeln. Ein wechselnder „Taoiseach“ (Premierminister), den ein Mal die eine und dann die andere Partei stellt, oder eine Minderheitsregierung von „Fine Gael“, die von „Fianna Fail“ geduldet wird, sind weitere Optionen, die diskutiert werden.
Die Alternative wären nur Neuwahlen, die in den nächsten Monaten ausgerufen werden müssten.
„Sinn Fein“ bleibt hinter den Erwartungen zurück
Auch wenn die Partei ihren prozentualen Stimmanteil sowie die Anzahl ihrer Sitze vergrößern konnte, ist „Sinn Fein“ weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Letztes Jahr stand man in den Umfragen noch bei über 20 Prozent, und es schien, als könne man „Fianna Fail“ (FF) auf dem Platz der zweitstärksten Kraft beerben. „Sinn Fein“ hatte sich selbst als potentiellen Führungspartner einer neuen Regierungskoalition dargestellt. Am Ende kam man lediglich auf unter 14 Prozent der Stimmen und blieb damit rund zehn Prozent hinter FF. In einer ganzen Reihe von Wahlkreisen wurde „Sinn Fein“ sogar verdrängt, was auch auf die sozialistische Linke zurückzuführen ist.
Von den etablierten Medien und den entsprechenden Parteien des Establishments ist „Sinn Fein“ geradezu vor sich her gehetzt worden. Es ging dabei um den Umgang mit der Geschichte und Fragen hinsichtlich der Sicherheitspolitik. Die Partei hat diesbezüglich konzertierte Anstrengungen unternommen, um ganz den Wünschen des Establishments zu entsprechen und unter Beweis zu stellen, dass sie „verantwortungsvoll“ ist. Zwar hat man sich als echte linke Alternative dargestellt, das eigene Wahlprogramm jedoch in den „Finanz-Rahmen“ gestellt, der von den restriktiven Vorgaben der EU und der Troika gesetzt worden ist. Im Endeffekt wurde damit jeder Wandel, den die arbeitenden Menschen so dringend brauchen, ausgeschlossen. Zudem hat „Sinn Fein“ die Parteien des Establishments umgarnt, um sich als potentieller Koalitionspartner anzubiedern. Man weigerte sich standhaft, eine Koalition mit der FF auszuschließen (auch wenn die Wahlergebnisse dies nun sowieso nicht mehr hergeben).
Ein wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit der Wasserabgabe, der in den letzten Jahren schließlich zum Abheben der Massenbewegung geführt hat, besteht darin, dass SF von der wirklichen Linken im Land (und dabei vor allem von der AAA) bloßgestellt worden ist. Die bewusstesten ArbeiterInnen und jungen Menschen, die eine aktive Rolle in dieser Massenbewegung gegen die Wassergebühren und die Austerität eingenommen haben, haben sich im Endeffekt für die KandidatInnen entschieden, die diese Bewegung mit aufgebaut und sie geführt haben. Demgegenüber standen diejenigen Politiker von SF, die nur eine schwache, parlamentarische Position eingenommen haben. Ein Beleg dafür sind die Wahlergebnisse und Fortschritte für die „Anti Austerity Alliance“ (AAA) und die „Socialist Party“ (SP) in so bedeutsamen Wahlkreisen wie Dublin West, Dublin South West und Cork North Central.
Sozialistische Linke wird stärker und könnte „Labour“ den Rang ablaufen
Die derzeitige Krise des Kapitalismus führt auch zum Niedergang der „Labour Party“, die einmal von dem Marxisten James Connolly gegründet worden, mittlerweile aber zum nützlichen Mittel der Arbeitgeber und des Marktes verkommen ist. Allerdings kommt dabei auch eine neue Linke zum Vorschein, in der revolutionäre SozialistInnen eine ganz wesentliche Rolle spielen und die bereit ist für weitere Durchbrüche.
Die AAA hat im Bündnis mit dem Zusammenschluss „People Before Profit“ die am meisten ernstzunehmende Herausforderung von links aufgeboten, zu der es in der Geschichte dieses Staates bei Wahlen je gekommen ist. Wir waren in mehr als 30 Wahlkreisen mit KandidatInnen vertreten. Obwohl es in fast einem Drittel der Wahlkreise gar nicht angetreten war, kam dieses Bündnis auf vier Prozent der Erststimmen. Für eine neue, kämpferische und sozialistische Initiative ist das ein ganz hervorragendes Ergebnis.
Zur Zeit, da dieser Artikel geschrieben wird, sieht es so aus, als ob die „Anti Austerity Alliance“ es geschafft hat, dass Ruth Coppinger, die auch Mitglied der „Socialist Party“ ist, im Wahlkreis Dublin West wiedergewählt worden ist. Dasselbe ist offenbar für Paul Murphy in Dublin South West der Fall, der ebenfalls SP-Mitglied ist. Einen beeindruckenden Durchbruch stellt die Tatsache dar, das ein weiteres Mitglied der „Socialist Party“, Mick Barry, in Cork North Central gewählt wurde. In Limerick City fehlen Cian Prendiville anscheinend nur 270 Stimmen, um dort ebenfalls einen Sitz zu bekommen. Das wäre der Schock dieser Wahlen gewesen. All diese Ergebnisse belegen, wie großartig der Wahlkampf geführt worden ist, was auch mit der führenden Rolle zu tun hat, die die „Socialist Party“ und die AAA beim Aufbau der Bewegung gegen die Wasserabgabe gespielt haben.
Zur Zeit, da dieser Artikel geschrieben wird, scheint es, als habe auch das Bündnis „People Before Profit“ drei Sitze gewinnen können. Das bedeutet, dass eine Fraktion mit sechs Abgeordneten eine wertvolle Plattform bilden kann, die mithelfen wird, in der kommenden Zeit soziale Kämpfe gegen jedwede Austeritätsregierung voranzubringen.
Für die Arbeiterklasse in Irland wäre eine Koalitionsregierung aus „Fine Gael“ und „Fianna Fail“ ein Desaster. Für den Fall bräuchte es eine Verdopplung der Massenbewegungen, die die letzte Regierung bereits ins Mark getroffen hat. Die „Socialist Party“ und das Bündnis AAA werden ihr Augenmerk auf den Aufbau genau solcher Bewegungen richten, um sicherzustellen, dass die Wassergebühren endgültig abgeschafft werden und dass es zu einer echten Wiederbelebung im Gesundheitsbereich, bei der Bildung und auf dem Wohnungsmarkt sowie hinsichtlich der Lebensstandards kommt.
Nötig ist, dass die Zielrichtung dieses Kampfes über den von den Kapitalisten und der Troika gesetzten „Finanz-Rahmen“ hinaus ausgeweitet wird. Die Forderung muss aufgestellt werden, dass die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet wird, statt an den Profitinteressen einer kleinen Minderheit. Das funktioniert nur, wenn es zu einer sozialistischen Politik kommt. Die Alternative zur Herrschaft der multinationalen Konzerne besteht darin, die Schlüsselindustrien demokratisch zu verwalten und sie in öffentliches Eigentum zu überführen. Eine solche Politik kann sehr rasch an Zustimmung gewinnen; vor allem, wenn die neue kämpferische und sozialistische Linke entsprechend anpackt, die drauf und dran ist, die zum Ladenhüter verkommene „Labour Party“ zu beerben.