EU und Türkei vereinbaren Grenzschließung

Flüchtlinge Rassismus

Jetzt schließt die EU ihre Tore für Flüchtlinge. Diejenigen, die es bis nach Griechenland geschafft haben, sollen zurück in die Türkei abgeschoben werden. Der Weg über die westlichen Balkanstaaten ist blockiert. Dabei geht der Krieg weiter und das Leid derer, die zur Flucht gezwungen worden sind, hält unvermindert an. Selbiges gilt übrigens auch für die Krise der EU.

von Per-Åke Westerlund

Der EU-Gipfel vom 7. März hat deutlich gemacht, wie tief die Krise der EU in Wirklichkeit schon vorangeschritten ist. Nach Verhandlungen, die in der Nacht vor Beginn des Gipfels noch angedauert haben, präsentierte die wirkliche Führungsperson der EU, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, einen gemeinsamen Vorschlag mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu.

Alle anderen Regierungschefs und Staatspräsidenten wurden somit vor vollendete Tatsachen gestellt: Die Lösung für die Flüchtlingskrise der EU heißt Türkei. Mehr als eine Million Flüchtlinge (was nur etwas mehr als 0,2 Prozent der EU-Bevölkerung entspricht) haben ausgereicht, um heftige Widersprüche zwischen den Regierungen der EU-Mitgliedsländer und damit die schwerste Krise des gesamten EU-Projekts hervorzurufen.

Militarisierung

Die Länder, die wie Österreich und Schweden ihre Grenzen abgeriegelt haben, haben damit die weitere Militarisierung der EU-Außengrenzen erzwungen. Wie die Medienberichte von Dienstag früh durchblicken lassen, besagen die neuen Vorschläge, dass die Türkei mit Unterstützung durch Schiffe der NATO (aus Deutschland, Kanada, Griechenland, der Türkei und Großbritannien) die Menschen, die über das Meer nach Griechenland flüchten wollen, aufhalten soll. Diejenigen, die die Küsten Griechenlands erreichen, werden zurück in die Türkei gebracht. Das bedeutet umfangreiche Militäroperationen. Allein im Januar und Februar sind 132.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa gekommen.

Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, warnte die Flüchtlinge vergangene Woche, nicht in die EU zu kommen. Jetzt fügen er und die EU hinzu, dass es sich bei der Türkei um einen „sicheren Staat“ handelt.

Unterdessen fordert die Türkei, soll sie ihren Teil des Abkommens einhalten, dass die Finanzspritze der EU auf sechs Milliarden Euro verdoppelt wird. Ferner sollen die Verhandlungen über einen Beitritt zur EU wieder aufgenommen werden und türkische Staatsangehörige sollen ohne Visum in die EU einreisen können. Folgt man Angela Merkel und dem, was sie Dienstagabend von sich gegeben hat, so hat die EU diese Forderungen des Regimes in Ankara akzeptiert, das immer mehr einer Diktatur ähnelt und sich in einem kriegsähnlichen Zustand befindet.

Verzweifelte Lage

Aktuell befinden sich in Griechenland mehr als 30.000 Flüchtlinge, von denen sich beinahe 15.000 unter schwierigsten Bedingungen in Lagern an der Grenze zu Mazedonien im Grenzort Idomeni befinden. Stefan Löfven, der schwedische Premierminister, hat zwar gemeint, dass ihr Asylrecht geprüft werden soll. Andere führende Köpfe in der EU haben allerdings klargemacht, dass es zu Abschiebungen kommen wird. Jeder und jede kann sich ausmalen, zu welchen Tragödien solche Massenausweisungen führen werden. Die mazedonische Polizei hat bereits Tränengas gegen die Flüchtlinge eingesetzt.

Vor allem unter den Flüchtlingen, die nicht aus Syrien stammen, wird die Verzweiflung zunehmen. Schlimmer noch: Frauen und Kinder stellen mehr als die Hälfte der Flüchtlinge, die dieses Jahr gekommen sind. Viele von ihnen haben auf eine Familienzusammenführung mit ihren Männern gehofft, die früher schon die Grenze passiert hatten.

Wohin?

Die EU sagt, dass es Flüchtlingen aus Syrien (und allein denen aus Syrien!) gestattet wird, direkt von der Türkei in die EU weiterzureisen. Bisher war die Rede von 300.000 Flüchtlingen über den Zeitraum eines Jahres. Das wäre ein Viertel der Zahl an Flüchtlingen, die im letzten Jahr gekommen sind. Ob die einzelnen Regierungen allerdings darauf vorbereitet sind sie aufzunehmen, ist völlig ungeklärt. Der bisherige EU-Vorschlag, die Flüchtlinge zu verteilen, steht wie ein Denkmal des Scheitern der Staatengemeinschaft.

Von den 66.400 Flüchtlingen, die den alten Plänen zufolge aus Griechenland fortgebracht werden sollten, sind 325 in andere EU-Staaten gebracht worden. Insgesamt sollten 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland, Italien und Ungarn weiterverteilt werden. Doch schon damals stimmten die Regierungen der Slowakei, der Tschechischen Republik, Ungarns und Rumäniens gegen diese Entscheidung. Seither hat sich noch die neue rechts-nationalistische Regierung in Polen den ablehnenden Staaten angeschlossen und fast alle anderen Regierungen haben sich in dieselbe Richtung bewegt.

In unterschiedlichem Ausmaß sind Grenzkontrollen verschärft oder überhaupt wieder eingeführt worden: zwischen Schweden und Dänmark, Norwegen und Schweden, Dänemark und Deutschland, Deutschland und Österreich, Österreich und Slowenien usw. Zwischen Belgien und Frankreich ist es wegen der Wiedereinführung von Grenzkontrollen sogar zu Konflikten gekommen.

Vor etwas mehr als einer Woche lud die österreichische Regierung (eine Koalition aus sogenannten Sozialdemokraten und Konservativen) zu einer Konferenz nach Wien, an der Vertreter von neun Balkanstaaten teilnahmen. Deutschland und Griechenland waren nicht mit dabei. Dann erklärte Österreich, dass pro Tag nicht mehr als achtzig Flüchtlingen erlaubt wird, einen Asylantrag im Land zu stellen. Nach Deutschland werden täglich nur 3.200 Flüchtlinge durchgelassen.

Diese Krise zeigt auch, wie schwach die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind. Schließlich sind es in erster Linie Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Flüchtlinge kümmern. In Idomeni ist es die Organisation „Praksis“, die Lebensmittel zur Verfügung stellt, und die „Ärzte ohne Grenzen“ leisten medizinische Versorgung und soziale Arbeit.

Krise geht weiter

Selbst wenn die Details der Übereinkunft (wie üblich bei EU-Gipfeln) noch abzuwarten sind, so ist es schon jetzt möglich, erste Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Grenzkontrollen der schwedischen Regierung und die verschärfte Vorgehensweise haben die Beschädigung der EU praktisch auf ein neues Niveau getrieben. Das steht im Gegensatz zu den Behauptungen, man würde auf diese Weise andere Regierungen zur Aufnahme von Flüchtlingen bringen.

Zusagen, die Angela Merkel und die Regierung in Deutschland den Flüchtlingen (vor allem aus Syrien) in der Vergangenheit gemacht haben, sind somit vollkommen über Bord geworfen worden. Sie schließen die Grenzen, was als Versuch zu werten ist, verlorengegangene Stimmen zurückzuholen.

Eine Lösung der EU-Krise liegt in weiter Ferne. Nationalistische Parteien gewinnen an Zustimmung, und Flüchtlinge werden mehr und mehr mit Argwohn beäugt. Diese Stimmung kann sich auch gegen das finanzpolitische Konzept der EU richten und definitiv auch gegen den Euro. Der Kollaps, vor dem führende EU-Politiker gewarnt haben, ist immer noch eine real existierende Gefahr.

Der Bau von Grenzzäunen und die Massenabschiebungen werden die Rassisten in Europa und rechtsextreme Nazis stärker machen. In der Slowakei hat die regierende „sozialdemokratische“ Partei auf flüchtlingsfeindliche Propaganda zurückgegriffen und diese zum einzigen Wahlkampfthema gemacht. Dennoch hat sie bei den Wahlen, die vergangenes Wochenende stattgefunden haben, schwere Einbußen hinnehmen müssen. Einer Nazi-Partei bescherte dies einen beträchtlichen Aufschwung. Und das in einem Land, in dem letztes Jahr gerade einmal 350 Asylsuchende angekommen sind, von denen acht Asyl gewährt wurde!

Die Solidarität und der Widerstand gegen den Bau von Grenzzäunen durch die EU gehen weiter und werden noch zunehmen. Selbst das Flüchtlingshilfswerk der UNO (UNHCR) sagt, dass die Krise von der EU selbst in Gang gebracht worden ist. „Amnesty International“ meint, dass es absurd ist, die Türkei zu unterstützen. In Griechenland hält die große Solidarität mit den Flüchtlingen an.

Diese Krise und die jüngsten Entscheidungen zeigen auf´s Neue, welche Rolle die EU in Wirklichkeit einnimmt. Die Flüchtlingskrise ist ein weiterer Beleg für das Scheitern des Kapitalismus. Die Maßnahmen, die gegen Flüchtlinge ergriffen werden, sind Teil derselben neoliberalen Politik, die die Banken gerettet, Privatisierungen von öffentlichen Einrichtungen durchgeboxt, die Erwerbslosigkeit vergrößert, die Arbeitsbedingungen in den Betrieben verschlechtert hat und so weiter und so fort.

Die Alternative besteht im Kampf gegen die rechtsgerichtete Politik und für das Asylrecht, gegen die kapitalistische EU und gegen imperialistische Kriege und die Ausbeutung weltweit. Für Internationalismus und einen echten Kampf von unten. Gegen Kapitalismus, für demokratischen Sozialismus.

Dieser Artikel erschien am 9.3.2016 in „Offensiv“, der Wochenzeitung der „Rattvisepartiet Socialisterna“ (Schwesterorganisation der SAV in Schweden)