Establishment-KandidatInnen abgestraft – Bernie Sanders zeigt Potenzial für eine linke Bewegung
Die Ergebnisse liegen auf dem Tisch. Im Bundesstaat Iowa haben sowohl bei den Demokraten als auch den Republikanern die ersten Vorwahlen stattgefunden. Die Wunschkandidaten des Establishments haben jeweils ein Schlappe erlitten.
Von Joshua Koritz, „Socialist Alternative“ USA
Die Vorwahlen bei den Demokraten sind derart knapp ausgegangen, dass keiner der Kandidaten ein Stimmenmehrheit zu verzeichnen hat. Die „New York Times“ schreibt, dass „das knappe Ergebnis Frau Clinton und ihren Mann, den Ex-Präsidenten Bill Clinton, wie auch ihren Beraterstab schwer aus der Fassung gebracht hat, von denen in den letzten Tagen einige ihre Zuversicht zum Ausdruck gebracht hatten, sie seien nun richtig in Schwung gekommen […]“. Dieses politische Aufbegehren gegen die konzernfreundliche Parteiführung wird weitergehen und der Wahlkampagne von Sanders noch mehr Auftrieb verleihen.
Für den Kandidaten Bernie Sanders, der sich ganz offen als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet und vor einem Jahr noch vierzig Punkte hinter Clinton lag, ist dieses Resultat ein echter Sieg. Sein Aufruf zur „politischen Revolution gegen die Klasse der Milliardäre“ hat die angebahnte Krönung von Clinton, die an der Spitze der von der Wall Street dominierten Partei steht, jäh unterbrochen. Die Wahlkampagne von Sanders motiviert junge Leute und die Menschen aus der Arbeiterklasse, aktiv zu werden und dafür zu kämpfen, dass ein Kandidat gewählt wird, der für ihre Interessen einsteht.
Bei den Republikanern ist Ted Cruz, ein Favorit der rechten „Tea Party“-Bewegung, mit 27,6 Prozent auf Platz eins gelandet und hat damit auch Donald Trump auf die Plätze verwiesen. Der einzige Kandidat des Establishments, der die Erwartungen übertroffen hat, ist Marco Rubio. Er macht den Anschein, sich vom Rest der Bande abgesetzt zu haben, und hat mit 23 Prozent knapp den dritten Platz erreicht. Dieses starke Abschneiden wird er nutzen, um sich selbst als bester Mann des konzernfreundlichen Flügels der Republikanischen Partei zu gerieren.
Dass die Wahlbeteiligung wie vorab prophezeit, vor allem bei den Republikanern, hoch ausfallen würde, hat sich im Großen und Ganzen bestätigt. Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass die starke Wahlbeteiligung vor allem auf Trumps und Sanders´ Anhängerschaft zurückzuführen ist, die ausdrücklich Außenseiter als Kandidaten wollten. Das ist ein erneuter Beleg für die Begeisterung, die Trump auf der Rechten und Sanders auf der Linken entfachen.
Diese Polarisierung kann man nicht nur in Iowa nachvollziehen. Überall in den USA halten arbeitende Menschen nach Alternativen zum kaputten politischen System Ausschau. Auf der Rechten bedeutet die Zunahme von sexistischen, rassistischen und ausländerfeindlichen Ansichten eine echte Bedrohung, die einer angemessenen Antwort bedarf. Allerdings geht es trotz der beständigen Aufmerksamkeit, die die Medien den Ergebnissen von Trump und Sanders widmen, in der US-amerikanischen Gesellschaft allgemein um einen Schwenk nach links. Diese Tendenz, die in der letzten Zeit festzustellen ist, lässt sich auch an der massiven Bedeutung der „Black Lives Matter“-Bewegung, den Erfolgen der LGBTQ-Bewegung und den Fortschritten der Kampagnen im Kampf für einen Mindestlohn von 15 Dollar festmachen.
Wie geht es nun mit den Vorwahlen bei den Demokraten weiter?
Der Einfluss der Vorwahlen von Iowa und der voraussichtliche Sieg von Sanders bei den nächsten Vorwahlen im Bundesstaat New Hampshire kommende Woche werden Auswirkungen auf die nachfolgenden Vorwahlen haben. Die übliche Lesart der Medien besteht darin, Sanders bei den hernach anstehenden Wahlgängen in Nevada und South Carolina (dort wird noch vor dem „Super Tuesday“, an dem gleichzeitig in einer Vielzahl der Bundesstaaten Vorwahlen zur Kandidatur stattfinden; Anm. d. Übers.) schlechtere Chancen zuzuschreiben, weil es dort einen größeren Anteil an „Nicht-Weißen“ in der Bevölkerung gibt als in Iowa und New Hampshire. Dabei gewinnt Sanders in der schwarzen Bevölkerung immer mehr an Unterstützung, was sich mit der stärker werdenden Revolte gegen das Establishment der Demokraten überschneidet, das vorgibt, eine antirassistische Agenda zu vertreten. Dabei finden zur Zeit unter einem „demokratischen“ Präsidenten Massenverhaftungen statt und es kommt unvermindert zu Polizeigewalt. Hinzu kommt, dass die Umfragen darauf hindeuten, dass Sanders vor allem unter jungen Leuten und gerade bei jungen Frauen Popularität genießt. Die zunehmende Unterstützung, die Sanders von diesem Teil der Bevölkerung bekommt, der vor ein paar Monaten noch als Hochburg von Clinton galt, ist lediglich ein weiteres Symptom der umfassenden Skepsis und der Wut gegenüber dem konzernfreundlichen politischen System und seinen konzernfreundlichen Kandidaten. Ums kurz zu machen: Sanders hat wirklich die Möglichkeit, bei einer ganzen Reihe von weiteren Vorwahlen gut abzuschneiden.
Starke Ergebnisse für Sanders werden das Establishment der Demokratische Partei in zunehmendem Maße zu offen feindseligen Maßnahmen ihm gegenüber veranlassen. Damit wird bereits begonnen. Da Sanders nun Wahlmänner gewinnt und die Medien gezwungen sind, auf seriöse Art und Weise über seine Wahlkampagne zu berichten, wirken Ansätze wie der Kampf um einen Mindestlohn von 15 Dollar für viele AmerikanerInnen plötzlich gar nicht mehr so utopisch und scheinen viel eher umsetzbar zu sein, obwohl es die feindselige Abneigung des Establishments und Attacken von Seiten der liberalen Kommentatoren wie Paul Krugman, Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist bei der „New York Times“, dagegen gibt .
Wir sollten aber keinerlei Illusionen haben, wie schwer es für Sanders sein wird, gegen die enormen Mittel, die das Establishment der Demokraten zur Verfügung stellt, und die konzernfreundlichen Medien die Nominierung dieser Partei zu gewinnen. Um diesem Druck standhalten zu können, bedarf es des Aufbaus einer Bewegung, die wirklich unabhängig vom Parteiapparat der Demokraten agiert. Bedeutsam ist, dass die Umfragen darauf hinweisen, Sanders würde Trump mit deutlicherem Abstand besiegen als Clinton. Das lässt ihre Behauptung, sie sei für viel mehr Menschen wählbar, in einem ganz anderen Licht erscheinen. Doch die Führung der Demokratische Partei und das Establishment werden keinen Kandidaten akzeptieren, der es ablehnt, Spenden von Unternehmen anzunehmen, und der für wesentliche Reformen im Interesse der arbeitenden Menschen steht. Im Gegenteil werden sie alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um diese Möglichkeit zu verhindern. Gerade diese Woche hat Nancy Pelosi (die ehemalige Sprecherin der Demokraten im Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten; Erg. d. Übers.) gesagt, dass Elizabeth Warren (Senatorin der Demokraten, die sich für Verbaucherrechte einsetzt; Erg. d. Übers.) nicht die Demokratische Partei vertritt. Pelosi begründete dies mit Warrens Aussage, die Partei habe nicht genug getan, um die „Wall Street“ zu zähmen.
Das Establishment der Demokraten wird darauf verweisen, dass Trump und Cruz eine echte Gefahr darstellen und man sich daher hinter Clinton aufzustellen habe. Einhergehen wird dies mit permanenten Angriffen auf Sanders, der demnach nicht wählbar sei und für liberale Vertreter wie Paul Krugman viel zu weit links steht. Um gegen diese Einwände angehen zu können, müssen die AnhängerInnen von Sanders, die wollen, dass sein Programm gewinnt und dass er die Nominierung bekommt, sich unabhängig vom Establishment der Demokratische Partei organisieren. Nur so können sie für die „politische Revolution“ von Sanders kämpfen. Lasst uns gemeinsam die Bewegung #Movement4Bernie aufbauen, die von der sozialistischen Stadträtin von Seattle, Kshama Sawant, und von „Socialist Alternative“ ins Leben gerufen worden ist. Diese Bewegung ist unabhängig von Unternehmensspenden und unabhängig vom Parteiapparat der Demokraten.
Republikaner erleben Polarisierung auf dem rechten Flügel
Was die Republikanische Partei angeht, so hat die Rechtsentwicklung an ihrer Basis dazu geführt, dass Cruz, Trump, Carson und Paul zusammen die Establishment-Kandidaten mit insgesamt 66 Prozent zu 27 Prozent dezimiert haben. Das zeigt, in welchem Umfang dem Establishment der ganze Prozess bei dieser Partei aus den Händen geglitten ist. Am deutlichsten tritt dies in der Person Jeb Bush zu Tage, der als Liebling der Konzernvertreter gilt und mehr als hundert Millionen Dollar an Unternehmensspenden bekommen hat. Er kam auf lächerliche drei Prozent der Stimmen und wurde somit von Außenseitern wie Ben Carson und Rand Paul geschlagen. Es scheint, als ob die WählerInnen in Iowa Rubio als den konzernfreundlichen Kandidaten der Republikaner an Bush vorbeigeschoben haben. Die führenden Kreise der Partei werden sich nun wohl hinter Rubio positionieren. Dieser hat in Iowa beträchtlich zugelegt und wenn die Anti-Establishment-Stimmen sich weiterhin zwischen Trump und Cruz aufspalten, dann kann das im Endeffekt den Weg für Rubio und das Establishment der Republikaner ebnen. Um es aber ganz klar zu formulieren: Bei Rubio handelt es sich absolut nicht um einen „moderaten“ Vertreter. So ist er selbst im Falle einer Vergewaltigung oder bei Inzest gegen das Recht auf Abtreibung und hat versprochen, die Regelungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wieder rückgängig machen zu wollen.
Ted Cruz feiert indes einen Überraschungserfolg, der in Iowa auf einen starken Wahlkampf an der Basis zurückzuführen ist. Er kalkulierte damit, dass man ihn und seine religiös-fundamentalistische Haltung wählen würde. Interessanterweise hat Cruz zwar bei den regelmäßigen TeilnehmerInnen der Vorwahlen punkten können, während Trump viel beliebter bei denen war, die zum ersten Mal an den Vorwahlen teilgenommen haben. Letztere haben die Priorität darin gesehen, für einen „Außenseiter“ zu stimmen. Republikaner, die sich im Bundesstaat Iowa für die Vorwahlen registrieren lassen, sind traditionell konservativ und religiös. Sie sorgen häufig dafür, dass die Debatte um die Vorwahlen bei den Republikanern eine Wendung erhält – im Sinne ihrer gesellschaftlichen Schicht. Dennoch sind die Gewinner der Iowa-Vorwahlen bei den Republikanern bei früheren Wahlen oft gescheitert, am Ende auch die Nominierung der Partei zu bekommen. 2008 gewann Mike Huckabee zwar in Iowa, während 2012 Rick Santorum knapp gegen den letztlich nominierten Mitt Romney siegte. In den bundesweiten Umfragen liegt Trump immer noch mit 15 Prozent vor Cruz.
Große Möglichkeiten für eine unabhängige Politik
Die „einfachen“ Menschen in Iowa haben gesprochen und der konzernfreundlichen Mainstream-Politik in weiten Teilen eine Abfuhr erteilt. Für die Linke bietet sich immer mehr Raum, den sie für den Aufbau einer unabhängigen Partei nutzen muss, welche für die arbeitenden Menschen kämpft, ohne sich dafür zu entschuldigen. Geschieht dies nicht, wird die Gefahr von rechts, mit ihrer Frauenfeindlichkeit, dem Rassismus und ihrem konzernfreundlichen Populismus immer größer.
Wenn Sanders – wie die Umfragen andeuten – nächste Woche in New Hampshire gewinnt, dann könnte seine „politische Revolution gegen die Klasse der Milliardäre“ über das beeindruckende Abschneiden in Iowa hinaus wirklich Fahrt aufnehmen. Während sich junge Leute und progressive ArbeiterInnen immer mehr für Sanders zu interessieren beginnen, wird das Polit-Establishment seine Attacken gegen ihn und seine Wahlplattform ausweiten. Das Establishment der Demokratische Partei wird durch sein Verhalten unter Beweis stellen, dass man die Anhängerschaft von Sanders nicht über die Mittel und Wege gewinnen kann, die der Partei zur Verfügung stehen. Damit würde eine neue Generation, die in zunehmendem Maße nach Antworten außerhalb des Zwei-Parteien-Systems sucht, nur noch weiter entfremdet.
Deshalb rufen „Socialist Alternative“ und die Bewegung #Movement4Bernie dazu auf, eine neue Partei aufzubauen, die im Sinne der viel zitierten „99 Prozent“ agiert. Während Sanders wiederholt und fälschlicherweise sagt, er wolle Clinton unterstützen, wenn er verliert, sehen wir in seiner Wahlkampagne die ersten Konturen einer dringend nötigen neuen linken politischen Kraft in der amerikanischen Gesellschaft.