Viele Gäste bei Diskussionen zu antideutschen Ideologien und antifaschistischer Theorie und Praxis
Die öffentlichen Mitgliederversammlungen, zu denen die SAV Göttingen an jedem zweiten und vierten Dienstag des Monats in das Weltladencafe einlädt, stoßen auf immer größere Resonanz.
von Heino Berg
Nachdem am 26.1. mehr als 40 Gäste mit den SAV-GenossInnen über die Rolle der antideutschen Ideologie in der Linken diskutiert hatten, ging es am 9.2. um den Charakter der AfD und die Frage, wie und mit wem rechtsradikale Bewegungen bekämpft werden können. Diesmal waren 15 Gäste anwesend, darunter ein Mitglied des Geschäftsführenden Landesvorstands der LINKEN sowie ein Mitglied der DKP, mit der die Göttinger Linke bekanntlich zu den bevorstehenden Kommunalwahlen antreten wird.
Das Einleitungsreferat hielt unser Genosse Yannic Dyck, der zunächst den Faschismus als eine Form bürgerlicher Klassenherrschaft beschrieb, mit dem die organisierte Arbeiterbewegung zerschlagen werden soll und zur der das Kapital nur im äußersten Notfall greift, wenn seine Eigentumsordnung insgesamt bedroht ist.
Die AfD habe sich seit der Abspaltung des neoliberalen Lucke-Flügels und im Zuge der sog. „Flüchtlingskrise“ deutlich nach rechts radikalisiert und dabei wesentliche Teile der Neonazi-Szene integriert. Trotzdem sei sie – ähnlich wie Pegida – noch nicht mit den faschistischen Terrororganisationen der Weimarer Republik vergleichbar, welche die Zerstörung aller demokratischen Rechte offen auf ihre Fahnen geschrieben hatten.
Die ausländerfeindlichen Ressentiments, auf die sich die AfD stützt, würden auch von den anderen bürgerlichen Regierungsparteien bis hin zur SPD geschürt und durch den rasanten Abbau des Asyl- und anderer Grundrechte in die Tat umgesetzt. Deshalb könne der notwendige Widerstand gegen rechtsradikale Parteien und Bewegungen nicht im Bündnis mit diesen Parteien organisiert werden, sondern nur gemeinsam mit einzelnen Mitgliedern oder Gliederungen derselben, wenn Linke in solchen Bündnissen das Recht haben, die sozialen Ursachen beim Namen zu nennen, welche die Rechtsradikalen ansonsten bei ihrer Demagogie gegen die „etablierten Parteien“ ausschlachten könnten.
Diese Fragen standen auch im Mittelpunkt der anschließenden Diskussionsrunden, in denen die historischen Erfahrungen mit dem Widerstand gegen den Faschismus in den Mittelpunkt gerückt wurden. Eine Einheitsfront von Gewerkschaften und den damaligen Arbeitermassenparteien SPD und KPD hätte die Machteroberung Hitlers verhindern können, wenn der qualitative Unterschied zwischen der bürgerlichen Demokratie der Weimarer Republik und der Zerschlagung aller Arbeiterorganisationen im Faschismus von SPD- und KPD-Führungen nicht verschleiert worden wäre. Im Unterschied zu den 30er Jahren werde die Sozialdemokratie heute jedoch nicht mehr als Arbeiterorganisation wahrgenommen. Es sei kein Zufall, dass Massenaktionen wie die Anti-TTIP-Großdemo nicht mit, sondern gegen die SPD organisiert worden sind. Sie sei daher für Linke und AntifaschistInnen nicht einmal ein ernsthafter Aktions-, geschweige denn ein Regierungspartner. Der Rechtsruck in Deutschland und in Europa könne nicht durch Anpassung an prokapitalistische Parteien, sondern nur im Bruch mit ihnen wirksam bekämpft werden.
Diese Göttinger SAV-Veranstaltung hat einmal mehr aufgezeigt, wie aktuell antifaschistische Theorie und Praxis angesichts des Erstarkens der organisierten Rechten und der zunehmenden rassistischen Hetze durch bürgerlicher PolitikerInnen und Medien derzeit ist. Etwa ein Dutzend Mitglieder und Gäste wollen deshalb über Ostern an den Sozialismustagen der SAV teilnehmen, wo unter anderen Theodor Bergmann, der im letzten Jahre seinen 100. Geburtstag feiern konnte, von seinen Erfahrungen im Kampf gegen den Hitlerfaschismus berichten wird.
Auch die Frage, warum Antideutsche nicht links sind, soll auf den Sozialismustagen vertieft werden. Hierzu hatten wir in Göttingen bereits vor zwei Wochen eine Veranstaltung organisiert, die mit über vierzig Gästen besser besucht wurde als alle anderen Veranstaltungen, die im letzten Jahr von der der SAV oder LINKEN in Göttingen organisiert wurden. Im überfüllten Weltladen machte unser Referent Yannic in seiner Einleitung deutlich, dass die Gefahr, die von dieser bellizistischen Strömung ausgeht, vor allem darin bestehe, dass bürgerliche Ideologien in die linke Bewegung hineingetragen werden. Durch Konstrukte wie die Theorie des „strukturellen“ Antisemitismus versuchten „Antideutsche“, antikapitalistische Massenbewegungen zu diskreditieren und eine Kritik an den Profiteuren kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse zu verhindern. Durch ihre Rechtfertigung für imperialistische Kriege oder ihren latenten bis offen antimuslimischen, antiarabischen Rassismus reproduzierten sie genau die herrschende Ideologie, die zur Klassenspaltung und Verschleierung von kapitalistischen Kriegen und neoliberaler Politik eingesetzt wird.
In der Konsequenz schwächten antideutsche Einflüsse die linke Bewegung und nutzten in erster Linie dem Kapital und darüber hinaus auch dem rechten Flügel innerhalb der Linken, der ein Interesse daran hat, linke Grundsätze aufzuweichen, um die LINKE (wie aktuell in Thüringen) in Regierungskoalitionen mit neoliberalen Kürzungsparteien zu führen. Außerdem wurde in der Einleitung der falsch verstandene, bürgerliche „Antifaschismus“ der „Antideutschen“ thematisiert, der von der Kollektivschuldthese ausgehe und durch einen antisozialistischen Charakter gekennzeichnet sei. Hierzu veröffentlichte die SAV Göttingen bereits vor einigen Monaten eine umfassende Analyse, die hier nachzulesen ist .
In der anschließenden Diskussion konstruierten einige Antideutsche aus dem Publikum Antisemitismusvorwürfe gegen die SAV, weil wir uns im Zuge der Bombardierung des Gaza-Streifens solidarisch mit den Opfern der israelischen Kriegs- und Besatzungspolitik gezeigt hatten. Diese haltlosen Vorwürfe, die größtenteils die Kriegspropaganda der rechten Netanjahu-Regierung reproduzierten, konnten leicht durch sachliche Redebeiträge von Mitgliedern der SAV, der Linksjugend und „AK Gerechter Frieden Nahost“ entkräftet werden.
Die nächste öffentliche Mitgliederversammlung der SAV-Göttingen findet am Dienstag, den 23.2. statt. Geplant ist eine Diskussion zur Drogenpolitik, außerdem ein Bericht vom Landesparteitag der LINKEN am 13.2. in Osnabrück, wo Mitglieder der SAV und der Antikapitalistischer Linken wichtige Anträge für das Bleiberecht aller Geflüchteten zur Diskussion stellen.