Augenzeugenbericht aus Irland vor den Wahlen
Am Freitag finden in Irland die allgemeinen Parlamentswahlen statt. Die irische Schwesterorganisation der SAV kandidiert in mehreren Wahlkreisen im Rahmen des Wahlbündnisses der Anti-Austerity Alliance und People Before Profit. Vier Mitglieder der SAV sind oder waren in Irland, um den Wahlkampf dort zu unterstützen. Wir veröffentlichen hier einen Augenzeugenbericht von Tim aus Berlin und ein Interview der Freiheitsliebe mit Sebastian Rave aus Bremen.
Politische Krise in Irland
Irland kurz vor der Wahlen: Es gilt als Vorzeigeland der Troika, denn seine Bevölkerung hat die bitter, aber alternativlose Medizin glücklich geschluckt. Und es hat sich bewährt: Reiche und Unternehmen machen wieder große Profite. Doch hat Irland auch die größten Bewegungen seit Jahrzehnten gegen diese Medizin gesehen und nach Spanien wird auch hier nach den Wahlen das traditionelle Parteiensystem Geschichte sein.
von Tim Brandes, Teilnehmer am Wahlkampf in Dublin
„Ich weiß, wen ich nicht wähle. Labour, Fianna Fail, Fine Gael!“ Das hörte man in fast jedem Gespräch. Denn es herrscht enormer Unmut in der Bevölkerung, die etablierten Parteien werden als korrupt und Big Business hörig gesehen. Der Wiederaufschwung, der von Medien und Politik hoch und runter beschworen wird, kommt allein den Unternehmen zugute. Auf der anderen Seite der Medaille sieht es nämlich nicht so rosig aus: Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, immer neue Steuern und eine tiefgehende Krise im Gesundheitssystem sind die Kosten, die die große Masse dafür aufbringen muss. Das Establishment hat keine Lösung für diese Probleme. Abwechselnd haben die beiden konservativen Parteien Fine Gael, Fianna Fail und die sozialdemokratische Labour Partei Austerität und Kürzungen vorgenommen. Insbesondere Labour Abgeordnete werden als Verräter gesehen und werden den Großteil ihrer Sitze verlieren. Hatten die drei Parteien bei der Wahl 2011 noch 75 Prozent haben sie in aktuellen Umfragen gerade mal 50 Prozent, während Sonstige, bestehend aus unabhängigen Kandidaten und kleineren Organisationen bis zu 30 Prozent haben. Das Wahlbündnis aus Anti Austerity Alliance und People Before Profit liegt teilweise sogar vor Labour.
Neue Bewegungen und das Entstehen der Anti Austerity Alliance
Nach Jahren der Austerität und des Verzichts entwickelte sich aus Unmut irgendwann Widerstand. So entfachte sich erstmals an der Haushaltssteuer 2012 als Hunderttausende sich weigerten sie zu bezahlen. Leider haben die Gewerkschaften einen faulen Kompromiss geschlossen und die Anti-Austeritätsbewegung erlebte 2013 vorerst Rückschläge. Doch mit den Wassergebühren, welche sich auf mehrere Hundert Euro pro Haushalt belaufen werden, kam sie zurück und mit ihr die riesige Boykott-Bewegung. 57 Prozent zahlten die erste Rechnung nicht. Doch die Regierung hielt an ihren Plänen fest und aus der Einsicht, dass auch Labour die Menschen nicht mehr vertritt, kamen AktivistInnen aus den Kampagnen und der Socialist Party (Schwesterpartei der SAV) zusammen und gründeten die Anti Austerity Alliance (Anti Kürzungs Bündnis). Das war der Wendepunkt der Bewegung und die AAA errang bei den Kommunalwahlen Ende 2014 14 Stadtratssitze in Dublin, Cork und Limerick und im Anschluss wurden noch zwei als historisch zu bezeichnende Nachwahlen in Dublin gewonnen, wodurch die beiden Socialist Party Mitglieder Ruth Coppinger und Paul Murphy Joe Higgins ins irische Parlament nachfolgten. Vor allem die Entschlossenheit, die die Socialist Party und die AAA dabei an den Tag legten, führte zu den Siegen. Paul gewann nicht durch die besseren Argumente in einem Wahlkreis in dem sämtliche Kommentatoren Sinn Fein als klaren Favoriten bezeichneten, sondern in dem eine Bewegung auf der Straße aufgebaut wurde, in dem Straßentreffen organisiert wurden und vor allem mit der Kampagne „We won’t pay“ (Wir zahlen nicht), bei der zum Boykott der Wassergebühren ausgerufen wurde.
Wassergebühren und Repression
An dem Tag an dem Paul gewählt wurde, demonstrierten 100.000 Menschen in Dublin gegen die Wassergebühren. Für sehr viele Menschen war das der erste Protest. Aus Angst vor der gefährlichen Kombination aus radikalen Ideen und dem Unmut der Massen hat das Establishment eine riesige Hetz Kampange mit dem berücksichtigen „Jobstown protest“ gegen die AAA und den „Mob“ losgetreten. In Jobstown haben 700 aufgebrachte AnwohnerInnen die stellvertretende Premierministerin einige Stunden lang an der Weiterfahrt gehindert. Paul und weitere Aktivisten wurden dann der Freiheitsberaubung angeklagt, was jahrelange Gefängnisstrafen nach sich ziehen kann. Die tagelange Hetze hat anfangs durchaus Wirkung gehabt. Doch die standhaften AAA-Abgeordneten, die den Protest kompromisslos verteidigten, waren ein Schock für das Establishment. In einer der meist gehörten Radiosendungen gab Ruth scharfe Antworten und stellte zum Beispiel die Frage, was die Ministerin denn erwarte, wenn sie in einer Gegend angetanzt kommen, die von der Arbeiterklasse bewohnt und die von der Austerität verwüstet worden ist – etwa „Blumengirlanden“?
Die Repression hat die Bewegung nur stärker zusammengeschweißt und die AAA zu ihrem kämpferischen Vertreter gemacht. Auch wenn nach der großen Angstkampagne die Boykottrate etwas zurückgegangen ist, so bezahlen immer noch mehr als 50 Prozent ihre Rechnungen nicht.
Bewegung für Gleichberechtigung und Frauenrechte
Die Bewegung um den Volksentscheid zur Gleichgeschlechtlichen Ehe politisierte ebenfalls viele Menschen, vor allem junge Frauen. 66.000 in erster Linie Jugendliche ließen sich neu zum Wählen registrieren. Am höchsten und deutlichsten lag die Wahlbeteiligung in benachteiligten und vernachlässigten Vierteln der Arbeiterklasse. Die Kirche hat noch großen gesellschaftlichen Einfluss, der entschlossene Widerstand gegen die Nein-Kampangen scheint aber erst der Anfang zu sein. Nicht nur das Aufheben des Abtreibungsverbot auch weitergehende Forderung nach Trennung von Kirche und Staat wurden bei den Protesten laut und bieten Potential für weitere Bewegungen der Jugend.
Wahl und Perspektive
Vergangen Samstag den 20. Februar demonstrierten wieder bis zu 100.000 Menschen gegen die Wassergebühren und übertrafen die Erwartung. Verglichen zur Einwohnerungszahl von circa fünf Millionen ist das enorm und zeigt das die Bewegung nicht tot ist und das Thema weiterhin aktuell und wahlentscheidend ist. Die vielen lokalen Bündnisse existieren noch, jedoch dominierten auf der Demo die linkspopulistisch-nationalistische Partei Sinn Fein und das Right2Water-Bündnis mit ihrer Taktik, auch bürgerliche Kräfte einzubeziehen und nicht aktiv zum Boykott aufzurufen. Es zeigt aber das ungemeine Potential für eine kämpferische Bewegung. Welche Richtung sie einschlagen wird, hängt vor allem daran ab, wie die Wahl ausgeht und die unterschiedlichen Kräfte sich danach verhalten. Wenn Sinn Fein in der Opposition bleibt, kann sie vielleicht weiterhin eine gewisse Unterstützung genießen, auch wenn sie keine glaubwürdige Alternative bieten kann und sogar in Nordirland in der Regierung Kürzungen durchsetzt. Sollte Sinn Fein sich an der Regierung beteiligen, wird sie zwar einige Zeit ihre Manöver ausführen können, aufgrund der kapitalistischen Sachzwänge weitere Austeritätsmaßnahmen ausführen müssen und sich selbst entlarven.
Die AAA steht in einem Wahlbündnis mit der Organisation „People Before Profit“ (Menschen vor Profit), welches von der Socialist Workers Party dominiert wird. Die Chance ist hoch, dass sie bis zu sieben Sitze erlangen. Das würde ihr die Möglichkeit geben eine Fraktion zu bilden, was mit mehr Redezeit und anderen Rechten verbunden wäre. Damit können sie den Druck von der Straße ins Parlament tragen und mehr Leute erreichen. Vor allem aber kann es eine Plattform sein um verschiedenen Bewegungen aus Jugend, Arbeiterklasse und LGBT- und Frauenbewegung zu verbinden, um das Potential für die Bildung einer vereinten Kraft der Linken besser nutzen zu können. Die Wahl ist nur ein Schritt. Veränderung kommt nicht durchs Parlament, sondern durch den Druck auf der Straße. Es geht darum die Bewegungen aufzubauen, zu verbinden und mit einer sozialistischen Perspektive auszustatten. Aber auch die Vernetzung und theoretische Stärkung der Strukturen der AAA und der Socialist Party wird wichtig sein, um sich auf zukünftige Kämpfe politisch vorzubereiten. Sie sind sehr gut positioniert, um in zukünftigen Bewegungen eine führende Rolle zu spielen.
Irland: Enormer Widerstand gegen Kürzungen und die Regierung – Im Gespräch mit Sebastian Rave
Am kommenden Freitag wird in Irland gewählt und es dürfte sich einiges verändern, denn die Wut auf die Regierung, wegen der von dieser durchgesetzten Kürzungen, ist enorm, wie die Massendemonstrationen gegen Wassergebühren am vergangenen Samstag gezeigt haben. Wir haben mit Sebastian Rave, Mitglied im Landesvorstand der Linken Bremen und der SAV, über die Situation vor Ort und die Erwartungen für die Wahlen gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Am 26.2 wird in Irland gewählt, momentan regiert eine Regierung aus Sozialdemokraten und Konservativen. Sind die Menschen zufrieden mit der Regierung?
Sebastian Rave: Nein, es herrscht eine große Wut, besonders über Labour. Die wurden in der Wahl 2011 vor allem von ArbeiterInnen gewählt, in der Hoffnung auf soziale Verbesserungen. Aber Labour hat diese Hoffnungen nicht nur enttäuscht, sondern geradezu verraten. Das Ergebnis ist, dass Labour jetzt vor einer historischen Wahlniederlage steht, die sich auf europäischer Ebene nur mit PASOK in Griechenland vergleichen lassen wird. Ihr Regierungspartner Fine Gael wird wahrscheinlich auch verlieren, wenn auch nicht so stark. Ihre soziale Basis sind wohlhabendere und konservativere Menschen auf dem Land, wo Fine Gael von einer enormen Vetternwirtschaft profitiert.
Die Freiheitsliebe: Was siehst du als größte Fehler der Regierung?
Sebastian Rave: Dazu muss ich kurz erklären, was die Vorraussetzungen waren, unter denen die Regierung jetzt an die Macht gekommen ist: Nachdem die massive Immobilienblase im Zuge der Eurokrise geplatzt war und die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund gerissen hatte, gab es eine große Wechselstimmung bei den Wahlen 2011. Die Menschen wollten Fianna Fáil abstrafen, die mit dem schlimmsten Ergebnis in ihrer Geschichte dann auch nur dritte Kraft wurde – nach Fine Gael und Labour. Labour konnte ihre Stimmen sogar verdoppeln. Die Wähler hatten gehofft, dass sich jetzt etwas ändert. Aber es wurde noch schlimmer: Die Antwort der Regierung auf die Krise und das riesige Haushaltsloch, das die Bankenrettung hinterlassen hatte, war ein hartes Austeritätsprogramm. Es gab auf der einen Seite massive Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, vor allem im Gesundheitswesen und beim öffentlichem Wohnungsbau, was zu einer schlimmen Krise in beiden Bereichen geführt hat. Die Obdachlosigkeit hier ist erschreckend. Auf der anderen Seite hat die Regierung versucht, die Einnahmen durch Steuern zu erhöhen. Allerdings nicht etwa, in dem die Reichen und Multis besteuert wurden. Dazu muss man wissen, dass Irland eine der größten Steueroasen in Europa ist, hier sitzen Amazon, Apple, eBay und so weiter, weil sie kaum Steuern zahlen müssen. Was die Regierung also gemacht hat, ist sich neue Massensteuern auszudenken. Einmal die Eigentumssteuer, also die Besteuerung von Hauseigentum. Hört sich links an, ist aber in Wirklichkeit eine Massensteuer. Fast alle haben hier ein kleines Eigentumshäuschen, und zahlen sich dumm und dämlich an den Krediten, die sie dafür aufnehmen mussten. Gegen diese Steuer gab es schon ersten Widerstand. Eine gestartete Boykott-Kampagne ist aber gescheitert, der Staat hat im Endeffekt die Steuer direkt vom Lohn abgezogen.
Anders war es dann aber bei der Einführung von Wassergebühren. Bisher wurde das Leitungswasser hier durch Steuern finanziert. Es gab schonmal in den neunzigern einen Versuch, Gebühren auf Wasser zu erheben, das ist damals schon an einer starken Boykott-Bewegung gescheitert. Die wurde damals angeführt von der Socialist Party (der Schwesterorganisation der SAV in Irland), die sich auf positive Erfahrungen mit einer massenhaften Boykottkampagne gegen Thatchers Kopfsteuer in Britannien berufen konnte. Der Aufruf zum Boykott wurde auch dieses Mal sehr stark aufgegriffen. Im ganzen Land sind Anti-Wassergebühren-Initiativen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Es gab teilweise militanten Widerstand aus scheinbar spießigen Nachbarschaften gegen die Installation von Wasserzählern. Und die Leute haben sich selbst organisiert: Über soziale Medien, in lokalen Initaitven, etc. Das ganze gipfelte in zwei Großdemos, beide mit historischen Ausmaßen von bis zu 100.000 TeilnehmerInnen. Und als Gegner wurde ganz klar eine Partei ausgemacht: Labour. Die hatten versprochen, einen sozialen Neustart zu machen – und haben alles schlimmer gemacht als es vorher war.
Die Freiheitsliebe: Du beteiligst dich am Wahlkampf der „Anti-Austerity Alliance–People Before Profit“, aus wem besteht dieses Wahlbündnis?
Sebastian Rave: Die Anti-Austerity Alliance wurde von der Socialist Party als breiteres Projekt gegründet, weil das Bedürfnis nach einer politischen Vertretung für die Massenbewegungen gegen die Austerität klar war. Ähnlich ist es mit „People Before Profit“, die von der SWP (irische Schwester von Marx21) gegründet wurde, auch als Antwort auf eine allgemeine Parteienverdrossenheit. Beide haben sich jetzt zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen, auch um die Chancen zu erhöhen nach der Wahl einen Fraktionsstatus zu bekommen.
Die Freiheitsliebe: Was sind ihre Ziele?
Sebastian Rave: Eigentlich lässt sich das ganz gut an den Namen ablesen: Gegen die Kürzungspolitik (Austerität), und für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse von Menschen vor den Profiten von Banken und Konzernen stehen. Erste Schritte wären neben der Rücknahme der Kürzungen und Massensteuern endlich eine ordentliche Besteuerung von Konzernen. Mit dem gesellschaftlichen Reichtum, der hier herrscht, kann man ein gutes Sozial- und Gesundheitswesen finanzieren. Außerdem sollen die Banken, die ja die Krise verursacht hatten, in öffentliche Hand überführt werden und demokratisch Kontrolliert werden. Auf Dauer stellt sich natürlich die Frage, ob das im Rahmen der EU oder gar im Kapitalismus geht. Die Antwort darauf wäre, dass ein vernünftiges Leben der Menschen wichtiger ist, als der Kapitalismus und seine Institutionen – und wenn ein vernünftiges Leben in der EU und im Kapitalismus nicht möglich ist, man eben beides hinter sich lassen muss.
Die Freiheitsliebe: Wollen sie diese über Wahlen umsetzen oder weiterhin auf Bewegung fokussieren, wie bisher?
Sebastian Rave: Die Wahlen werden hier im Prinzip nur als Anlass genommen, eine wahnsinnige Kampagne zu führen, die den Widerstand gegen Kürzungen, Wassergebühren etc. auf die politische Bühne bringt. Wenn man sich anguckt, wie unsere KandidatInnen in Talkshows auftreten, merkt man, dass es nicht darum geht, gute Ideen zu präsentieren wie man das System gut managen kann, sondern darum, der Bewegung eine Stimme zu geben, aber auch, die politisierte Stimmung zu nutzen, um radikalere Ideen voran zu bringen. In den Hausbesuchen, eine gute politische Tradition hier, bestärken wir die Leute auch immer darin, den Gebührenboykott aufrecht zu erhalten, zu den Demos zu kommen, und aktiv zu werden. Dadurch erreichen wir Menschen, die weniger zum studentisch-linken Mileu, also zur „linken Szene“ gehören, sondern zur guten, alten Arbeiterklasse. Die Offenheit für uns in diesen Gegenden, also den Arbeitervierteln, ist erstaunlich. Es wäre zum Beispiel möglich, dass wir in Dublin West, einem Stadtteil mit hohem Migrationsanteil, der Labour-Chefin und Sozialministerin Joan Burton den Parlamentssitz wegschnappen. Das wäre ein riesiger Sieg für die Bewegung gegen Kürzungen und Massensteuern, die Burton immer verteidigt hat.
Die Freiheitsliebe: Warum wirbst du als Mitglied der Linken nicht für Sinn Fein, die sich ebenfalls gegen den Neoliberalismus stellen?
Sebastian Rave: Sinn Féin wird wahrscheinlich gut abräumen bei den Wahlen, sie profitieren davon, eine nationale Kraft zu sein, und haben ein gewisses Anti-Establishment-Image. Sie sind aber auch sehr nationalistisch. Natürlich ist Nationalismus in Irland was anderes als in Deutschland. Hier gab es historisch einen recht progressiven Kampf gegen die britische Monarchie und ihre Besatzung Irlands, bis zur Unabhängigkeit jedenfalls. Sinn Féin setzt aber zum Beispiel nicht auf die Einheit von unten, von Menschen mit katholischem und protestantischem Background, sondern auf die Idee, dass „Irland“ irgendwie eine Schicksalsgemeinschaft wäre, zu der Protestanten nicht so richtig dazugehören. Zu der Frage halten sie sich aber seit dem Friedensprozess eher zurück.
Neben dem Nationalismus gibt es aber ein noch größeres Problem: Sinn Féin sitzt in Nordirland mit in der Regierung, und betreibt da die gleiche neoliberale Kürzungspolitik, die sie hier vorgeblich bekämpfen. Und so richtig aktiv sind sie im Kampf auch nicht. Zu den Wassergebühren sagen sie zum Beispiel, dass sie nicht für den Boykott sind, sondern dafür, sich wählen zu lassen – wenn sie dann in der Regierung sind, schaffen sie die Gebühren ab. Dazu kommt noch, dass sie betont haben, sich mit allen Parteien eine Koalition vorstellen zu können… Also auch mit Labour, Fine Gael und Fianna Fáil. Das riecht mir doch sehr danach, um jeden Preis an die Macht zu kommen.
Die Freiheitsliebe: Glaubst du an eine Veränderung nach der Wahl, die „Anti-Austerity Alliance–People Before Profit“ haben eine Regierung mit den Konservativen und den Sozialdemokraten ausgeschloßen, nicht jedoch mit Sinn Fein, wäre das eine Option für Irland?
Sebastian Rave: Trotz allem was ich gerade gesagt habe – ich glaube ja. Die Menschen hier wollen eine andere Politik, und haben die Schnauze voll von Kürzungen und Armut. Wenn Sinn Féin es ernst meint mit dem Widerstand gegen Neoliberalismus können sie nur mit uns koalieren. Wir werden dann dafür sorgen, dass die Menschen weiterhin aktiv bleiben. Ich glaube, mit einer prinzipienfesten Linken in der Regierung kann man durchaus was erreichen, wenn man die Position dafür nutzt, die Bewegung weiter voran zu treiben. Eine linke Regierung wird schnell an die Grenzen von dem kommen, was im Rahmen des Kapitalismus möglich ist. Man muss dann konsequent sein und sagen: „Die EU will weitere Kürzungen, wir aber nicht – dann muss die EU uns halt rausschmeißen“ oder „den Konzernen gefällt’s hier nicht mehr und sie wollen woanders hin – dann werden sie halt enteignet, die Fabriken und Büros bleiben hier und werden von den ArbeiterInnen weiter geführt“. Das wäre dann nicht nur eine interessante Option für Irland, sondern für ganz Europa. Dann könnte man nämlich zeigen, dass eine Linke in der Regierung nicht den Weg von Syriza gehen muss, und dass es doch eine Alternative zu Kürzungen und Kapitalismus gibt. Aber ganz ehrlich: Ich fürchte Sinn Féin wird sich darauf nicht einlassen.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.