„Ich erkenne schon am Nachnamen, ob jemand durchfällt“
von Junias Omollo und Janne Wellner, Kassel
Im Rahmen der #campusrassismus-Kampagne im Dezember 2015 machte die „People of Color Hochschulgruppe Mainz“ auf den alltäglichen Rassismus im Campusleben aufmerksam und rief Studierende auf, ihre Erfahrungen über Twitter, Facebook, Instagram öffentlich zu teilen. Die Aktion hatte zum Ziel, den Austausch über rassistische Argumentationsmuster und Strukturen anzuregen. Dabei handelt es sich um offen diskriminierende Aussagen von DozentInnen: „[…] Ich erkenne schon am Nachnamen, ob jemand durchfällt oder nicht. […]“ oder um Vorwürfe von KommilitonInnen, man habe „den Medizin-Studienplatz nur bekommen, weil man in die Ausländerquote fällt“.
Hochschulen werden oft als vermeintliche Orte der Objektivität und sachlicher Diskussion wahrgenommen, ihnen wie auch anderen Bildungsinstitutionen rechnet man einen reflektierten Umgang mit Rassismus zu. Wie wenig sich der Uni-Campus als sozialer Raum von anderen unterscheidet, zeigt die #campusrassismus-Kampagne anhand von unzähligen Beispielen. Ob zum Beispiel in Büchern der Islamwissenschaften, von westeuropäischen weißen christlichen Männern geschrieben, ob durch die Unterrepräsentation von „People of Color“ in der Besetzung von Lehrstühlen oder mittels Beleidigungen durch DozentInnen in Veranstaltungen – die strukturelle Diskriminierung spiegelt sich im universitären Leben in vielen Bereichen wieder.
Auch unter Studierenden gibt es diskriminierende Verhaltensweisen, nicht selten werden sie als subjektive (Fehl)Empfindung der Unterdrückten deklariert. Außerdem kann auch die Konkurrenz zwischen den Studierenden, welche in bestimmten Studiengängen besonders ausgeprägt ist, Diskriminierung begünstigen und verschleiern.
Wie kommt es, dass es institutionellen Rassismus an den Unis gibt? Das Bildungswesen, welches im Kapitalismus im Wesentlichen einer ökonomischen Verwertungslogik unterworfen ist und zudem ins Besondere bürgerliche Werte und systemkonforme Inhalte vermittelt, dient größtenteils als Herrschaftserhaltungsapparat. Auch der besonders selektive Charakter des deutschen Bildungswesens, welcher bspw. durch das dreigliedrige Schulsystem, die Folgen des Bologna Prozesses, Zulassungsbeschränkungen, sogenannte „Sprachkompetenzen“ oder das verkürzte Abitur (G8) geprägt ist, befördert eine ökonomische Ausrichtung und reduziert Bildung auf ein „Mittel zum Zweck“. Weiterhin ist das momentane Bildungswesen hierarchisch und autoritär geprägt, verwehrt SchülerInnen und Studierenden also demokratische Mitbestimmungsrechte auf vielen Ebenen. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass der gleichberechtigte, kritische und reflektierte Anspruch von Bildung verloren geht, und damit einerseits Gleichgültigkeit gegenüber den Unterdrückungsmechanismen entsteht, und andererseits eine starke Obrigkeitshörigkeit und Konformität erlernt wird.
Universitäten haben den Auftrag, zu gesellschaftlichen Fragen zu forschen und Ergebnisse zu veröffentlichen. Wie ungern jedoch die im Elfenbeinturm sitzenden WissenschaftlerInnen ihren eigenen akademischen Rassismus hinterfragen, ist an der geringen Anzahl von Studien erkennbar. Zu den Ausnahmen gehört Emily Ngubia Kuria (Humboldt-Universität Berlin). Sie befragte in vielen Interviews Studierende zu diesem Thema und bescheinigt mit ihrem Buch „eingeschrieben“ deutschen Universitäten „die Gegenwärtigkeit eines tief verwurzelten Rassismus“. Wassilis Kassis (Universität Osnabrück) formulierte mit seinem Forscherteam Vorurteile im Rahmen von Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie und fragten Studierende nach der Zustimmung bzw. Ablehnung. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Studierende in einem ähnlichen Ausmaß Vorurteile vertreten wie eine allgemeine Bevölkerungsstichprobe.1 Michael Hartmann (ehemals TU Darmstadt) beforschte neben anderen sogenannten Eliten auch deutsche Universitätselite und kommt auch für diese Gruppe zu dem Ergebnis „Die Elite hier ist deutsch und männlich.“2
Der Rassismus an Hochschulen hat wie in allen anderen Bereichen der kapitalistischen Klassengesellschaft System. So führen beispielsweise das teilweise unnötige Verlangen sogenannter „Sprachkompetenzen“ zum Beispiel in der Mathematik dazu, dass der Zugang zu Bildung tendenziell erschwert wird, da eben diese erst durch finanziellen und zeitlichen Aufwand erworben werden müssen. In vielen Seminaren wird wenig moderierend eingegriffen, so etwa wie Redelisten selten geführt, so dass sich Männer und MuttersprachlerInnen gegen Nicht-MuttersprachlerInnen eher behaupten können und so für letztere möglicherweise eine größere Barriere entsteht, sich aktiv zu beteiligen und einzubringen.
Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene dient der strukturelle Rassismus, wie auch Sexismus und andere Formen der Unterdrückung, der Spaltung der arbeitenden Bevölkerung, verhindert einen solidarischen Kampf um gemeinsame Ziele und ermöglicht der herrschenden Klasse das Weiterbetreiben von Sozialabbau, Privatisierung und Profitmaximierung. Rassismus führt auch dazu, dass das Klassenbewusstsein geschwächt und eine Identifikation mit „Volk“ oder „Nation“ gefördert wird. Wut und Entsetzen über soziale Missstände und Krisen werden dadurch auf Minderheiten gerichtet, die keine Schuld daran tragen. Die Teile der Arbeiterklasse, die von strukturellem Rassismus betroffen sind, erfahren Benachteiligung und Ausgrenzung auf allen gesellschaftlichen Ebenen: geringerer Lohn für gleiche Arbeit, höhere Barrieren im Bildungswesen und verstärkte Repression durch Polizei, Justiz und Behörden.
Letztlich ist klar, dass wir nur durch einen gemeinsamen und solidarischen Kampf, jenseits aller Ausgrenzungen, Unterdrückungsmechanismen und Spaltungsversuchen, gleiche Chancen für jedeN in einem inkludierenden, emanzipatorischen Bildungswesen erreichen können. Zwar bietet nur eine sozialistische Gesellschaft, d.h. eine Gesellschaft, in der die Klassengegensätze überwunden wurden, die grundsätzliche Basis zur Überwindung jeglicher Unterdrückungsmechanismen, jedoch liegt hier kein Automatismus vor und wir müssen auch im hier und jetzt daran arbeiten, das Klassenbewusstsein der Unterdrückten zu stärken und allen zu zeigen, dass die Grenzen nicht zwischen Nationen, Völkern oder Geschlechtern, sondern zwischen oben und unten verlaufen!
Um strukturellen Rassismus entgegen zu treten und mit Vielfalt einen reflektierten Umgang im Campusalltag zu unterstützen, fordern wir unter anderem:
- Keine Zulassungsbeschränkungen! Für jedeN einen Ausbildungs- bzw. Studienplatz nach Wahl und die Abschaffung des Bachelor/Master Systems.
- Einführung einer elternunabhängigen Grundsicherung für SchülerInnen und Studierende ab 16 Jahren von 500 € plus Kaltmiete.
- Abschaffung von jeglichen Studiengebühren, Bildung muss für jedeN zugänglich sein!
- Finanzierung durch eine Millionärssteuer und eine drastische Besteuerung von Unternehmensgewinnen
- Verwaltung von Schulen und Hochschulen sowie die Gestaltung der Lehrinhalte durch demokratisch gewählte Komitees von Lernenden und Lehrenden
- Überführung von Banken und Konzernen in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
- Für sozialistische Demokratie weltweit!
1http://www.ramsa-deutschland.org/themen/studie-zu-islamophobie-deutschen-hochschulen-prof-wassilis-kassis-im-interview