Mit 400 BesucherInnen war das Rathaus von Seattle am Montag, dem 4. Januar 2016, zum Bersten gefüllt. An diesem Tag stand die Vereidigung des neuen Stadtrats auf dem Programm. Als einige der StadträtInnen in ihren Antrittsreden auf die Notwendigkeit zu sprechen kamen, das die Wohnungsmisere, das Problem der Obdachlosigkeit und der Polizeigewalt angegangen werden müsse, kam es zu stärkeren Beifallsbekundungen. Der lauteste Applaus war jedoch für Stadträtin Kshama Sawant reserviert.
von Jess Spear, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und SympathisantInnen des CWI in den USA)
Vom Establishment der Konzerninteressen sind hunderttausende von Dollar an Unternehmensgeldern bereitgestellt worden, um in Seattle die Wiederwahl einer sozialistischen Stadträtin zu verhindern. Dieser Versuch ist allerdings gescheitert. Mit eindeutigen 56 Prozent der abgegebenen Stimmen und der überwältigenden Unterstützung aus der Arbeiterklasse, von jungen Leute und dunkelhäutigen Menschen ist Kshama Sawant wiedergewählt worden.
Jede StadträtIn kann sich die Person aussuchen, die den Amtseinführungstext vorlesen soll. Kshama entschied sich für Sahro Farah und Osman Osman entschieden, zwei couragierte Mieter aus einem maroden Wohnhaus mit horrenden Mieten. Ihr Vermieter hatte versucht, die Miete um mehr als 100 Prozent anzuheben, ist aber angesichts des Widerstands der MieterInnen gezwungen worden, davon wieder Abstand zu nehmen. Sahro und Osman selbst geben ein beeindruckendes Beispiel dafür ab, was möglich ist, wenn wir uns nur organisieren.
In den einzelnen Antrittsreden wurde deutlich, wie sehr die bisherige zweijährige Amtszeit von Kshama die Debatte (und die Rhetorik) nach links verschoben hat. In ihrer eigenen Rede tat sich Kshama dadurch hervor, dass sie die arbeitenden Menschen dazu aufrief, sich zu organisieren und für eine bessere, für eine sozialistische Welt zu kämpfen.
Hier die gesamte Rede von Kshama im Wortlaut:
„Sisters and Brothers,
der Sozialismus ist auf dem Vormarsch.
Überall in den USA wie auch global weisen junge Menschen und ArbeiterInnen die konzernfreundliche Politik des Kapitalismus zurück. Sie haben die Nase voll von der heftigen Ungleichheit, dem brutalen Rassismus und der Umweltzerstörung in diesem Gesellschaftssystem.
Auf der Bundesebene fährt Bernie Sanders eine bahnbrechende Kampagne als demokratischer Sozialist. Er ruft dabei zu einer politischen Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre auf.
Doch >was ist Sozialismus?<, fragen sich Millionen von Menschen.
In einer sozialistischen Gesellschaft würden die Menschen über den Profiten stehen, die Umwelt über den Interessen der großen Ölkonzerne. Es geht um eine Gesellschaft, in der die Ressourcen der Großkonzerne in demokratisches und öffentliches Eigentum überführt werden, um sie vernünftig und planvoll im Sinne der Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft einzusetzen.
Was wir in den vergangenen zwei Jahren in Seattle aufgebaut haben, ist ein Beispiel dafür, wie arbeitende Menschen sich organisieren und wehren können gegen das Establishment der Konzerninteressen.
Wir haben nicht alles erreicht. Aber wie unser Erfolg um den Mindestlohn von 15 Dollar gezeigt hat: Wenn wir kämpfen, dann können wir auch gewinnen.
Das politische System in diesem Land und in dieser Stadt ist kaputt. Die ewig selbe, alte Politik kann daran nichts mehr ändern.
Ich nehme die Gefahr, die vom rechten Flügel der >Republikaner< ausgeht, sehr, sehr ernst. Dabei stellen sie nur einen Teil des Problems dar.
Jahrzehntelang ist Seattle von den >Demokraten< dominiert worden, die zugesehen haben, wie sich die Wohnungskrise in dieser Stadt immer weiter zuspitzt, die Einkommensungerechtigkeit immer mehr zunimmt, die größte Einkommenslücke zwischen Mann und Frau im ganzen Land besteht und eine Polizei agiert, die niemandem eine Rechtfertigung schuldig ist.
Es ist Zeit für etwas Neues. Wir arbeitenden Menschen brauchen unsere eigene politische Partei, die unmissverständlich für ihre Interessen kämpfen kann.
Dass ich hier heute stehe, ist der lebende Beweis dafür, dass wir trotz hunderttausender Dollar an Unternehmensgeldern, die gegen uns aufgebracht worden sind, VertreterInnen der Arbeiterklasse ins Amt wählen können. Tausende Menschen haben zehn, 20 oder 50 Dollar gespendet, und zusammen haben wir einen neuen Rekord erzielt, was die Wahlkampfspenden für den Stadtrat von Seattle angeht. Und dabei haben wir keinen einzigen penny von Konzernen angenommen.
Seattle wird weiterhin ein mächtiges Beispiel für die Art von Politik abgeben, die nötig und auch möglich ist.
In dieser schönen Stadt, die durch Einkommensungerechtigkeit und Rassismus verschandelt wird, sollte 2016 das Jahr sein, in dem wir gegen die Gier einiger weniger aufstehen, um somit den Bedürfnissen der Mehrheit zu entsprechen.
Wir können nicht einfach dasitzen und auf ein Gesetz des Bundesstaats Washington warten. Und wir dürfen uns nicht mit einem antiquierten Gesetz dieses Bundesstaats zufrieden geben, das auf eine Entscheidung des Obersten Gerichts aus den 1930er Jahren zurückgeht.
Seattle kann und muss eine Millionärssteuer einführen!
Wir müssen die Reichen besteuern, um die Ressourcen zu bekommen, die wir für Bildung, Verkehr und eine angemessene Daseinsvorsorge brauchen!
Die USA sind das einzige Land in der industrialisierten Welt, das ArbeiterInnen keine Elternzeit zugesteht, was ein wesentlicher Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit wäre. Wir müssen in diesem Jahr zu einer Gesetzgebung kommen, die allen ArbeiterInnen in Seattle ein Minimum von zwölf Wochen Elternzeit zugesteht.
Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und ein Gesetz, das die Rechte von MieterInnen schützt. Die Wohnungskrise wird nicht dadurch gelöst, dass man die Baulöwen dabei unterstützt Profite zu machen.
Es werden kühne soziale Maßnahmen wie etwa eine Mietobergrenze aber auch die Entwicklung einer öffentlichen Alternative zum privaten Immobilienmarkt und damit verbunden der Bau tausender städtischer Wohneinheiten nötig sein.
Wir müssen die Polizeigewalt und das >racial profiling< beenden – und damit auch die Bewegung namens >Black Lives Matter< in die Tat umsetzen. Dazu braucht es ein demokratisch gewähltes Aufsichtsgremium aus den Wohnvierteln mit allen Befugnissen gegenüber der Polizeibehörde, um auch PolizistInnen absetzen und BeamtInnen vorladen zu können.
Wir sollten in die Bildung investieren und in Arbeitsplätze mit angemessenen Löhnen für alle und nicht in ein neues Jugendgefängnis!
Seattle ist auf dem Weg zu einem Mindestlohn von 15 Dollar. Vor drei Tagen ist der Mindestlohn für Beschäftigte bei >McDonald’s< und anderen Großunternehmen auf 13 Dollar angehoben worden. Das ist gut, reicht aber nicht. Denn die KollegInnen brauchen auch eine gerechte und gesetzlich geregelte Arbeitszeit, um den Missbrauch bei der Festlegung von Arbeitszeiten zu beenden.
Ich rufe alle arbeitenden Menschen, die sich gegen die Agenda der Konzerne wehren wollen, dazu auf: organisiert euch!
Werdet wie ich Mitglied von >Socialist Alternative< und kämpft mit uns für ökonomische und soziale Gerechtigkeit.
Lasst mich mit den Worten des großartigen radikalen Kämpfers, Dr. Martin Luther King Jr., enden, der sagte: >Die Übel des Kapitalismus sind so real wie die Übel des Militarismus und die Übel des Rassismus.< Er sagte auch: >Nennt es Demokratie oder nennt es demokratischen Sozialismus, es muss einfach eine bessere Verteilung des Reichtums in diesem Land für alle Kinder Gottes geben.<
Sisters and brothers, jetzt ist es an der Zeit, um sich unserer Bewegung anzuschließen und eine bessere Welt zu schaffen.“