„Dritte industrielle Revolution“ und ihre Bedeutung für die Zukunft
Neue technologische Innovationen haben große Auswirkungen auf das kapitalistische System – dieses Thema wird in einem aktuellen Buch untersucht: „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ von Jeremy Rifkin.
von Peter Taaffe
„Aber selbst heute, in der Anfangsphase, wird bereits deutlich, dass das kapitalistische System […] seinen Höhepunkt überschritten hat und im Niedergang begriffen ist. […] Es ist der immanente Widerspruch in jener treibenden Kraft im Herzen des Kapitalismus, die ihn erst in schwindelnde Höhen hat aufsteigen lassen und ihn jetzt zu Tode hetzt. […] Denken wir uns mit anderen Worten ein Endspiel, bei dem intensivster Wettbewerb zur Einführung immer schlankerer Technologien führt und damit die Produktivität auf einen optimalen Punkt zwingt, an dem jede zusätzlich zum Verkauf gebrachte Einheit Grenzkosten von ‘nahezu null’ entgegengeht. Anders gesagt, die Produktionskosten jeder weiteren Ausbringungseinheit liegen – wenn wir die Fixkosten mal außen vor lassen – im Grunde bei null, was das Produkt nahezu kostenlos macht. Falls es tatsächlich dazu kommen sollte, blieben der Profit und damit der Lebenssaft des Kapitalismus aus.“
Der Hauptpunkt von Jeremy Rifkin in diesem wichtigen und faszinierenden Buch ist die Vorhersage des Untergangs des Kapitalismus durch, unter anderem, die weitverbreitete Technologienutzung, welche die Menge an menschlicher Arbeit in jeder Einheit immer kleiner und kleiner bis ‘nahezu null’ werden lässt. Hier verteidigt Rifkin unbewusst Karl Marx’ – den er häufig zustimmend zitiert – Idee des längerfristigen tendenziellen Falls der Profitrate. Nichtsdestotrotz gibt es auch eine Reihe von “gegenläufigen Tendenzen”, die, wie Marx erklärt, den Fall der Profitrate verzögern können und verzögern, manchmal über eine längere historische Phase. Tatsächlich gibt es in der momentanen Krise eine Profitübersättigung – ein Berg von Bargeld – das aus Sicht der Kapitalisten keine profitable Verwendung finden.
Der Autor nähert sich als Nicht-Marxist bestimmten Phänomen, in diesem Fall Technologie, nicht in einer allumfassenden Art und Weise. Ein Trend wird betont: Die kolossalen Effekte von technologischem Fortschritt. Aber Rifkin sieht diese Entwicklung linear. Der Kapitalismus hat jedoch den ihm innewohnenden ökonomischen Entwicklungen nie einen vollendeten Ausdruck gegeben und diese zu einem Abschluss gebracht. Zum Beispiel kann sich aus dem Wettbewerb heraus ein Monopol im Binnenmarkt entwickeln, während gleichzeitig die Kapitalisten auf dem Weltmarkt verstärktem Wettbewerb entgegensehen können. Rifkin tendiert in ähnlicher Weise dazu, die Möglichkeiten des Kapitalismus zu unterschätzen, temporär einen Weg aus der Situation herauszufinden, auch aus einer vermeintlich hoffnungslosen ökonomischen Situation.
Es ist auch wichtig zu wiederholen, dass es keine „finale Krise“ des Kapitalismus gibt. Wenn die Arbeiterklasse günstige Möglichkeiten verpasst, die Gesellschaft zu verändern, dann kann der Kapitalismus ein neues instabiles Gleichgewicht schaffen, und zwar auf dem Rücken der Arbeiterklasse: Durch Schwächung der Arbeiterbewegung, erhöhte Armut, Arbeitslosigkeit und so weiter. Das Vernichten von Werten durch eine ökonomische Rezession oder Krise, was in gewisser Weise auch momentan passiert, erzeugt die Bedingungen für eine höhere Profitrate, für neue Investitionsmöglichkeiten und für einen neuen Wachstumszyklus. Aber das führt zu Widerstand der Arbeiterklasse gegen diesen Prozess, welcher noch weiter zu Arbeitslosigkeit und Elend beitragen wird.
Außerdem wäre es falsch, die Möglichkeiten des Systems zu unterschätzen, Innovationen zu schaffen und neue Märkte zu erschließen: Das Aufkommen von Mobiltelefonen und die dadurch entstanden Märkte haben dies bewiesen. Ob dies jedoch genug ist, um den Zusammenbruch älterer Industrien und die daraus resultierenden Arbeitsplatzverluste zu kompensieren, das ist eine andere Frage. Trotz dieser Einschränkungen und unserer Ablehnung mancher von Rifkin gezogenen Schlüsse ist dies ein wertvolles Buch, das die Aufmerksamkeit auf die großen Gefahren lenkt, die sich der Arbeiterklasse und ihrer historischen Errungenschaften stellt. Gleichzeitig können wir daraus positive Schlüsse für die Zukunft ziehen, wenn neue Technologien für den Wohlstand der Mehrheit genutzt werden können.
Das Aufkommen der Roboter
Die Prozesse, die Rifkin beschreibt, sind bereits bekannt und haben große Auswirkungen auf die Jobaussichten in denjenigen Industrien, zum Beispiel der Musikindustrie, in welchen das Produkt umsonst – im Internet – erstanden werden kann. Popbands und andere MusikerInnen, aber auch die Musikindustrie an sich, haben keine Möglichkeit, das zu verhindern und die „Kompensation“ ihrer Arbeit stammt mittlerweile aus Nebenprodukten wie Auftritten oder Merchandise. Unter den momentanen Bedingungen ist der technologische Fortschritt bereits jetzt ein „Jobkiller“ auf massiver Ebene. ÖkonomInnen wie Robert Gordon aus den USA sagen voraus, dass 47 Prozent aller Arbeitsplätze, viele davon Reservat der Mittelschicht, im Laufe der nächsten Jahre durch die Anwendung neuer Technologien verschwinden werden.
Die Arbeitsplätze von LehrerInnen und DozentInnen, genau wie die von ArchitektInnen, sind bedroht durch die Masseneinführung von Onlinekursen, genau wie die Buchproduktion durch e-books, mit weiterführenden Effekten auf den Buchhandel, AutorInnengehälter usw. Das selbe gilt für die medizinischen Berufe, wo durch die Einführung von sehr ausgeklügelten Robotern schon jetzt PflegerInnen, ÄrztInnen, TechnikerInnen usw. verdrängt werden.
Die USA sind auf diesem Gebiet weiterhin führend, die Verkäufe von Robotern sind in 2011 sowohl in den USA wie auch in der EU um 43 Prozent gestiegen. Das bringt, so Rifkin, den “verarbeitenden Sektor noch näher Richtung arbeitsfreie Produktion, oder, wie es die Industrie nennt, ‘bedienerlose Produktion’”. China jedoch leistet, wie bei den meisten Dingen in der “unterentwickelten” Welt, Pionierarbeit bei der Massenanwendung von Industrierobotern. Bis jetzt hat ausländisches Kapital wegen der bereitstehenden Versorgung von billiger Arbeit noch nicht stark in Roboter investiert. Aber die Löhne sind in den küstennahen Provinzen gestiegen, und das hat das ausländische Kapital dazu gebracht, günstigere, profitablere Einnahmequellen zu suchen: Kambodscha, Laos, Thailand und noch nicht angezapfter Nachschub von billiger Arbeitskraft in China selbst. Nichtsdestotrotz wird die Robotik auch eifrig angenommen. Foxconn, der große chinesische iPhone-Fabrikant, plant in den nächsten Jahren eine Million Roboter anzuschaffen, die einen Großteil der Belegschaft ersetzen werden. Der Foxconn Chef, Terry Gou, konnte seine Zufriedenheit damit nicht verheimlichen: „Weil Menschen ja auch Tiere sind, verursacht die Verwaltung von einer Million Tiere Kopfschmerzen bei mir.“ Keine Streiks mit Robotern!
Natürlich ist es keine neue Sache, dass Arbeitsplätze durch Automatisierung gefährdet sind. Selbst entschiedene kapitalistische Ökonomen – zum Beispiel John Maynard Keynes – erkannten, dass die Anwendung neuer Technologie in den 1930er Jahren die Perspektive einer Verkürzung der Arbeitswoche auf 19 Stunden bot. Die Einführung neuer Technologie während der großen Weltwirtschaftskrise jedoch konnte nur weiter zu den Problemen des Kapitalismus beitragen, indem sie die Reservearmee an Erwerbslosen weiter vergrößerte, was eine konstante Gefahr für das kapitalistische System bedeutete. Dies war ein Grund dafür, dass die existente Technologie zurückgehalten wurde und erst während des Zweiten Weltkriegs und vor allem danach voll angewendet wurde. Das führte zu einem massiven Aufschwung in neuen Industriesegmenten, wie Gummi, Plastik, usw. als eine in die Höhe schießende Steigerung der Produktion stattfand.
Die momentane Situation hat mehr Ähnlichkeiten mit den 1930er Jahren als mit dem großen Boom von 1950 bis 1975. In der Nachkriegszeit, vor allem in den 50ern und 60ern, war der Kapitalismus massiv in der Lage, die technologischen Fortschritte im größten, jemals gesehenen Boom nutzbar zu machen. Wir sind heutzutage natürlich in einer ganz anderen Situation, das ist Rifkin bewusst, und er liefert reichlich Details in einer beeindruckenden Art und Weise dafür.
Mittlerweile sind die Kosten gepurzelt und das wird sich weiter beschleunigen. In den letzten paar Jahrzehnten war die Angst vor neuen technologischen Entwicklungen, zusammen mit dem Outsourcing von Arbeitsplätzen in Orte wie China, ein Kennzeichen der Diskussion darüber, ob es eine Zukunft für die Fertigung in den entwickelten Industrieländern gibt. Und obwohl viele Industrien und Arbeitsplätze nach China verlagert wurden, was zu deutlicher Deindustrialisierung in der entwickelten kapitalistischen Welt geführt hat, ist die Anzahl der in der Fertigung beschäftigen ArbeiterInnen auf weltweiter Ebene ziemlich konstant geblieben. Das hat sich nun durch die zusätzliche Gefahr, die die massenhafte Robotisierung für Arbeitsplätze darstellt, geändert. Das gilt nicht nur für Großindustrien.
Der Independent berichtete jüngst, dass rücksichtslose VermieterInnen vorgeschlagen haben, mit Kameradrohnen über die Dächer ihres Eigentums zu fliegen, um nötige Reparaturen festzustellen und so ohne Zweifel Arbeitsplätze von DachdeckerInnen zu bedrohen. Sogar die Financial Times hat über die große Gefahr durch Roboter gegrübelt, als sie Berichte mit dem Tenor „wir müssen die Roboter bekommen bevor sie uns bekommen“ veröffentlicht hat. Rifkin argumentiert, dass, wenn die momentane Rate der technologischen Verdrängung im verarbeitenden Sektor so weitergeht – und er erwartet eine weitere Beschleunigung – dann „arbeiten 2040 von den 163 Millionen Menschen im Jahre 2003 gerade mal einige wenige Millionen in der Fabrik, was das Ende der Massenfabrikarbeit auf dem Planeten markiert.“ Um durch was ersetzt zu werden? Die Kapitalisten haben darauf keine Antwort, so wie sie keine Lösung für die momentane Weltwirtschaftskrise haben.
Unendliche Möglichkeiten
Es war Karl Marx, der zusammen mit Friedrich Engels als Erster den enorm revolutionierenden Effekt des Kapitalismus durch Einführung von neuen Technologien aufgezeigt und verstanden hat, welche dann, erstmals in der Geschichte, die Grundlage für die Befriedigung der weltweiten Bedürfnisse legen könnte. Unendliche Möglichkeiten für die Menschheit würden sich daraus ergeben. Das galt natürlich unter der Bedingung, dass eine sozialistische Revolution die Hindernisse weiteren Fortschritts beseitigen würde: Kapitalistisches Privateigentum an Industrie und Gesellschaft auf der einen Seite und der Nationalstaat auf der anderen Seite.
Rifkin bezieht sich auf Marx, wenn er den Prozess des Kapitalismus nachzeichnet, der anfänglich einen „auf Wettbewerb beruhenden, freien Markt“ entwickelt hatte. Daraus entwickelt sich die Tendenz, Wettbewerb durch die Bildung von Oligo- oder Monopolen auszuschalten. Sobald sie eine dominante Position erreicht haben, wird der Drang der Kapitalisten zu arbeitssparenden Technologien, zu erhöhter Produktivität und zu günstigeren Preisen zurückgehalten, weil die Monopolisten versuchen, die Preise künstlich hoch zu halten. All das wurde in der bisherigen Geschichte des Kapitalismus bis heute bestätigt.
Trotzdem zeigt Rifkin auf, dass neue, zunächste kleine, kapitalistische Gruppen eine Nische etablieren können, von der aus sie den Zugriff der Monopolisten lockern, überwinden und dann oft eliminieren können. Die Prozess führt jedoch, Wiederholung um Wiederholung, zu der unausweichlichen Bildung von neuen Monopolen. Aber diese Prozesse werden nicht bis zum Ergebnis reiner Monopole durchgeführt. Monopole können auf nationaler Ebene existieren, dann aber von einem ökonomischen Rivalen mit einem “größeren Anteil” auf Weltebene untergraben werden. Das selbe gilt für das Zurückhalten der Nutzung von Technologie wie in den 1930ern.
Rifkin bringt einige gute Beispiele wie Monopole sogar von den Predigern des “freien Markts” beworben werden. Der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers zum Beispiel, hat sich zusammen mit dem Ökonom J. Bradford DeLong, als er sich auf die sich entwickelnden Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologien bezogen hat, im Allgemeinen gegen Regierungsinterventionen ausgesprochen, wohl aber für kurzzeitige “natürliche Monopole”. Sie argumentierten, dass „vorübergehende Macht und Profite von Monopolen die notwendige Belohnung sind, um private Betriebe in ihrem Bestreben nach solcherlei Innovation anzutreiben.“ Rifkin merkt an, dass die beiden „erstaunlicherweise einräumen“, „‘die richtige Betrachtungsweise dieses komplexen Problembereichs ist unklar, klar ist jedoch, dass das Wettbewerbsparadigma nicht ganz und gar angemessen sein kann … nur wissen wir noch nicht, wie das richtige Ersatzparadigma auszusehen hat.’“
Rifkin sieht eine „dritte industrielle Revolution“ kommen, welche sich aus der zweiten industriellen Revolution am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert entwickelt hat, und schon im Gange ist. Die Entdeckung von Energiequellen, vor allem Öl, die Erfindung des Verbrennungsmotors und die Einführung des Telefons haben einen neuen Kommunikations- und Energiekomplex hervorgerufen, welcher sich aufmachte, das 20. Jahrhundert zu dominieren. Seine “dritte Revolution” ist mit dem “Internet der Dinge” [IdD, im Englischen “internet of things”, IoT; A.d.Ü.] verbunden, welches in seiner Vision „eines Tages alles und jeden verbinden [wird], und das in einem integrierten, weltumspannenden Netz. Natürliche Ressourcen, Produktionsstraßen, Stromübertragungs- und logistische Netze, Recyclingströme, Wohnräume, Büros, Geschäfte, Fahrzeuge, ja selbst Menschen werden mit Sensoren versehen […].“ Roboter und Technologie können Menschen nicht komplett ersetzen. Zur Zeit „fehlt es ihnen an Gefühlen“, die Menschen besitzen: „Wenn dein Finger so groß wie die Erde wäre, könnte er den Unterschied zwischen einem Auto und einem Haus fühlen.“ (New York Times)
Rifkins ökonomische Annahme scheint jedoch gestärkt worden zu sein durch die beeindruckende Entwicklung von 3D-Druckern, welche „unendliche Möglichkeiten“ eröffnen. Durch 3D-Druck erhalten Maschinen die Möglichkeit, sich selbst zu reproduzieren. Es klingt wie Science Fiction, ist aber Realität. Das ist ein zentraler Bestandteil von dem, was der Autor das „Produktionsmodell der dritten industriellen Revolution“ nennt. Er behauptet, diese „wächst – exponentiell – zusammen mit den anderen Komponenten der IdD-Infrastruktur“. 3D-Drucker produzieren schon jetzt Produkte von Schmuck über Flugzeugbauteile bis hin zu menschlichen Prothesen. Sie können ihre eigenen Ersatzteile drucken, ohne dass in teure Neuaustattung und die damit einhergehende Zeitverzögerung investiert werden muss.
Ein grundsätzliches Versagen des Kapitalismus
Das wird tatsächlich eine Art Revolution sein, aber keine, die von der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten geführt wird, argumentiert Rifkin. Seine Alternative ist nicht der Sozialismus, sondern irgendwas dazwischen. An dem Punkt verrät er seine Wurzeln als Sohn eines Kleinunternehmers, der immer eher versucht hat, Produktion und Technik zu erhöhen als über „Profit“ zu reden. Er sieht die Unzulänglichkeiten der Großkonzerne, aber er sieht nicht die potentielle Macht der Arbeiterklasse und der Armen.
Uns soll glaubhaft gemacht werden, dass durch einen langwierigen Prozess, einen schleppenden Wettbewerb zwischen einem absterbenden System, dem Kapitalismus, und dem, was er und andere „kollaboratives Gemeingut“ nennen, es einen Sieg von Letzterem geben wird. Dies wäre ein Hybridsystem aus wachsender Kollaboration, welche auch heute schon gibt, zwischen Menschen, Kooperativen, kleinen grünen Unternehmen, usw., und welches anstreben würde, sich die „besten Eigenschaften“ des „Marktes“, des Kapitalismus, zu eigen zu machen. Dieses würde den Kapitalismus schrittweise verdrängen. Diese Perspektive, das gibt der Autor zu, sieht nicht vor, über Mahatma Gandhis Swadeshi Konzept hinauszugehen, welche Gandhi beschrieb als „‘Massenproduktion, sicher, aber nicht Massenproduktion basierend auf Gewalt, sondern Massenproduktion bei den Menschen zu Hause.’“
Es ist ein unrealistisches Ziel, den „Gigantismus“ des Kapitalismus zu ersetzen, indem man das Rad der Geschichte zu einer gewissen lokalen und Kleinproduktion zurückdreht. Sein Schema imitiert die Produktionsformen, die dem richtigen Kapitalismus vorangegangen sind, welche auf kleinteilig verstreuten ProduzentInnen, deren Waren von Aufsehern oder Kapitalisten eingetrieben werden, und die mit massiver Überarbeitung von ganzen Familien einhergehen, basieren. Das bezeugt die heutige Situation in Indien, wo kleinere ProduzentInnen wie Kleinbauern – und bäuerinnen nicht in der Lage sind mit einer zunehmend monopolisierten Wirtschaft mitzuhalten. Die Folge sind Massensuizide von LandwirtInnen aus Protest gegen ihre Vernichtung durch Schulden; weltweit gibt es jährlich 800.000 Suizide, was zweifellos die katastrophalen sozialen Folgen des Kapitalismus widerspiegelt.
Trotz des utopischen Charakters vieler seiner Alternativen kreiert Rifkin hier eine faszinierende Glanzleistung über die Tragweite von Technologie und die Notwendigkeit, diese in einer friedvollen, fortschrittlichen Art und Weise zum Vorteil der gesamten Menschheit zu nutzen. Tatsächlich sind die Anzeichen für die Unfähigkeit des Kapitalismus, seine eigenen Erzeugungen zu nutzen, so offensichtlich, dass dieses Buch fairerweise „die kommende sozialistische Revolution“ genannt werden sollte, abgesehen von der Tatsache, dass Rifkin Sozialismus als Alternative ablehnt. Diese Formulierung hat Engels benutzt, um den Prozess der Verstaatlichung – der Verstaatlichung einzelner Industrien – Ende des 19. Jahrhundert zu beschreiben, der auf das Versagen des Kapitalismus hinwies und die sozialistische Zukunft ankündigte.
Die „Demokratisierung von allem“
Trotzdem erkennt Rifkin unbewusst die günstigen Bedingungen für Sozialismus und einige der Kräfte, die ihn erreichen können, an. Obwohl er das nicht so sagt, wird er durch das grässliche Erbe des Stalinismus davon abgehalten, diesen Schluss zu ziehen. Aber eine Wiederholung einer von oben organisierten, bürokratisch dominierten Gesellschaft ist in der gebildeten, kulturell fortgeschrittenen heutigen Gesellschaft nicht möglich, gerade in den USA.
Er erläutert korrekt: „Die Kollaboratisten [in Wahrheit die KapitalismuskritikerInnen] befinden sich auf dem Vormarsch, die Kapitalisten sind gespalten.“ Ebenso betont er mit Wohlwollen die Anti-WTO-Bewegung in Seattle im Jahr 1999, die den Weg für die Occupy-Bewegung ebnete. Das wiederum führte zum Wahlsieg von Kshama Sawant, der ersten sozialistischen Stadträtin in Seattle seit 100 Jahren. Diese neue Generation, deren politische Perspektive sich bereits vor Beginn der momentanen verheerenden Krise ausgeprägt hatte, ihr edelmütiger Geist und ihre Solidarität mit den Unterdrückten hatte ganz offensichtlich eine starke Auswirkungen auf Rifkin und andere und zeigt sich in vielen der Beobachtungen, die er macht.
Die Idee von dem, was er die „Gemeingüter“ oder die „Kollaboratisten“ nennt, ist teilweise aus der Geschichte entnommen, in der die Rechte, die die Massen in England im Übergang zwischen Feudalismus und Kapitalismus genossen, dann aber in diesem Übergang zerstört wurden. Er will daran anknüpfen mit einer Philosophie des Teilens durch die dritte industrielle Revolution, die zu „Konsumenten, die ihre eigenen Produzenten geworden sind“ führt. Diese neuen „Prosumenten“ würden vermehrt durch Verteilung von Waren und Dienstleistungen in weltweit verteilten, vernetzten Gemeingütern und unter nahezu null Grenzkosten zusammenarbeiten, womit sie die Arbeitsweise der kapitalistischen Märkte durcheinande rbringen würden. In dem sich entwickelnden ökonomische Konflikt zwischen diesen Kräften und den Kapitalisten „manifestiert sich ein kultureller Konflikt, der vermutlich in den kommenden Jahren das Wesen der menschlichen Entwicklung neu definiert. Und wenn es ein Thema gibt, das dem sich abzeichnenden kulturellen Narrativ zugrunde liegt, dann ist es die ‚Demokratisierung von allem‘.“
Allerdings: Wie kann diese „Demokratisierung von allem” wirklich durchgeführt werden, wenn der Kapitalismus mit seinen riesigen Monopolen mit ihren Größenvorteilen unberührt bleibt? Rifkin beschäftigt sich beispielsweise ausführlich mit dem Internet und dem „Internet der Dinge“ und betont gleichzeitig die Herangehensweise einer neuen Generation von WissenschaftlerInnen, die ihre neuesten Entdeckungen mit anderen WissenschaftlerInnen teilen und kostenlos verbreiten, ohne sich zuallererst um finanzielle Belohnung zu bemühen. Das steht in markantem Gegensatz zu den großen Pharmakonzernen die nur dann in Produkte investieren und sie bewerben, wenn sich damit Profit machen lässt. Es gäbe keine großen Gewinne durch die Entwicklung eines Gegenmittels gegen das Ebola-Virus, da das in erster Linie arme Menschen und Nationen betrifft. Das ändert sich neuerdings, da die jüngste Epidemie die entwickelte Welt gefährdet.
Rifkin verurteilt Ungleichheit und stellt heraus, was sogar kapitalistische Zeitungen neuerdings erkannt haben: dass es dort wo sich Klassenspaltung entlang des Einkommens stärker ausdrückt als in anderen Ländern auch mehr Missgunst und Klassenfeindschaft gibt. In London gibt es mehr sogenannte „ultrahigh net worth individuals“ [im Deutschen würden wir Superreiche sagen, die am nächsten kommende Übersetzung wäre “sehr hochvermögende Personen”; A.d.Ü.] pro Kopf als irgendwo sonst auf diesem Planeten. Diese sind definiert als Personen mit Vermögenswerten von mehr als 21 Millionen Pfund [30 Millionen Dollar, ca. 28 Millionen Euro im November 2015; A.d.Ü.] abzüglich ihres Hauptwohnsitzes. London hat Hongkong als teuerste Stadt der Welt überholt, und das vor dem Hintergrund von fallendem Einkommen für den großen Teil der britischen Bevölkerung, explodierenden Mieten und Hypotheken sowie sinkenden Löhnen.
Rifkin stimmt mit SozialistInnen darin überein, dass wir eine Gesellschaft schaffen können – ein „nachhaltiges Füllhorn“, um seinen Ausdruck zu benutzen – nicht nur voll Wohlstand, sondern voll Überfluss, wenn alle gesellschaftlichen Ressourcen für das Wohle aller eingesetzt würden. Er sieht jedoch den Niedergang, der sogar innerhalb der Mittelschicht eingesetzt hat: „Die Vereinigten Staaten […] [konnten] sich in den 1960er-Jahren noch der robustesten Mittelschicht der Welt rühmen […]. 2012 schließlich bekamen die Vereinigten Staaten die zweifelhafte Auszeichnung, von 30 OECD-Ländern auf Platz 28 zu landen, was die Einkommensdisparität – die Lücke zwischen Arm und Reich – angeht. Nur Mexiko und die Türkei schnitten noch schlechter ab.“
Systemwechsel
Wie lässt sich diese Situation zum Wohle des Großteils der arbeitenden Bevölkerung und sogar der Mittelschicht ändern? Rifkins Lösung ist, die Gesellschaft durch Diskussion und die Macht des Beispiels zu ändern – effektiv also „hinter dem Rücken der Gesellschaft“, wie Marx mal in Bezug auf die großen sozialistischen UtopistInnen wie Robert Owen meinte. Das zeigt sich, wenn er [Rifkin, A.d.Ü.] sich mit seinen letzten Bemerkungen an diejenigen wendet, die „fest im Sattel des kapitalistischen Systems sitzen und entsprechend Angst davor haben, die aufkommende Nahezu-null-Grenzkosten-Gesellschaft könnte der Ruin für sie sein.“
Er versucht sie zu beschwichtigen, indem er herausstellt, dass die durchschnittliche Lebensdauer eines Fortune 500-Unternehmens nur rund dreißig Jahre beträgt. Das läuft darauf hinaus, dass er die ängstlichen Kapitalisten zu überzeugen versucht, ihren eigenen Untergang stillschweigend zu akzeptieren. Das wird mit den Großkapitalisten nicht funktionieren. Ein ehemaliges Führungsmitglied der Labour Party war da schon realistischer, als es sagte „Keine privilegierte Gruppe verschwindet von der Bühne der Geschichte ohne einen Kampf, üblicherweise einer ohne Kompromisse.“
Die Kapitalisten werden ihr Schicksal nicht stillschweigend akzeptieren und Platz machen für Leute wie Rifkin, deren Vorstellung auf einen „Mittelweg“ zwischen Kapitalisten auf der einen und der mobilisierten Massenbasis der Arbeiterklasse auf der anderen Seite hinausläuft. Es ist jedoch möglich und sogar wahrscheinlich, dass es Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse geben wird, bei denen der intelligentere und weitsichtigere Teil die Aussichtslosigkeit ihres Systems erkennen und nach einem neuen System, das die Gesellschaft voran bringt, Ausschau halten wird. Das gilt besonders für die jüngeren Schichten, Studierende außerhalb elterlicher Kontrolle, die sich den Marxismus zu eigen machen können.
Damit das allerdings nachhaltig bleibt, braucht es nicht nur eine Kritik am Kapitalismus – die Rifkin auf eine gewisse Art und Weise hat – sondern auch eine klare Vorstellung über Sozialismus als Alternative und den Aufbau der Kraft, die ihn erreicht: eine Massenpartei mit einer weitsichtigen Führung. Die Macht und der Reichtum der Kapitalisten, ihr Eigentum an den Produktionsmitteln und die Kontrolle über die Gesellschaft, wird ihnen durch eine Massenbewegung weggenommen werden müssen. Der Vorstellung, dass der Widerstand gegen die Kapitalisten das Internet unbegrenzt nutzen können wird, wird schon jetzt durch die Eingriffe widersprochen, die die Kapitalisten und Staaten in diese „freie Ressource“ vorgenommen haben. Man sehe sich nur den Maulkorb an, der dem Internet in China, in der Türkei usw. verpasst wurde.
Vieles in diesem Buch ist nützlich, ja sogar bewundernswert. Es zeigt die große ökonomische Gefahr von neuer Technologie für die Arbeiterklasse, aber auch für die Kapitalisten. Es droht der Ausbruch einer Massenbewegung, die Grundrisse davon können wir in Schottland, Großbritannien und in ganz Südeuropa sehen, in dem was auf einen massenhaften Aufstand der Arbeiterklasse und die Folgen eines scheiternden, kranken Systems hinausläuft.
In dieser Situation ist der neue „Maschinenstürmer“ [Bewegung englischer TextilarbeiterInnen gegen die Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts, die auch Maschinen zerstörten; A.d.Ü.] nicht die Arbeiterklasse, sondern der Kapitalismus – dessen HistorikerInnen die Ansichten der ursprünglichen Maschinenstürmer verzerrt dargestellt haben. Das kapitalistische System kann die großen potentiellen Vorteile, die den neuesten technischen Entwicklungen entspringen, nicht vollständig nutzen.
Nur eine geplante Wirtschaft, die auf nationaler und internationaler Ebene zu demokratischen Sozialismus führt, kann das tun und dabei das Verlangen nach echter Veränderung von Leuten wie Jeremy Rifkin und der neuen Generation zufriedenstellen.
Peter Taaffe ist Generalsekretär der Socialist Party in England und Wales und Mitglied des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI). Der Artikel erschien zuerst in Englischer Sprache in der Novemberausgabe (Nr. 183) im Jahr 2014 des Theoriemagazins Socialism Today.