Massenwiderstand statt Diplomatie
Als „Ur-Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“ bezeichnen manche bürgerliche Historiker den Ersten Weltkrieg. Doch Kriege passieren nicht einfach, sie sind Ausdruck der kapitalistischen Konkurrenz – „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“, so Jean Jaurès, damals Vorsitzender der französischen Sozialistischen Partei.
von Marc Treude, Aachen
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hatten sich die führenden imperialistischen Mächte die Welt unter sich aufgeteilt und riesige Kolonialreiche in Afrika und Asien geschaffen. Das Deutsche Reich war nach seiner Gründung 1871 zu spät dran, um einen größeren Teil vom Kuchen abzubekommen. Das deutsche Kapital drängte zur weiteren Expansion. Gleichzeitig war in Deutschland durch die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts die mächtigste Arbeiterklasse der Welt entstanden – und hatte sich mit der SPD die stärkste Partei geschaffen.
SozialistInnen gegen Krieg
Zu den Gründern der SPD gehörte Wilhelm Liebknecht (1826-1900). Sein Sohn Karl wurde zur Personifizierung des Protests gegen den Weltkrieg. Als Autor der Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ wurde er 1907 wegen Hochverrats zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, aber trotzdem 1908 zum Landtagsabgeordneten in Preußen gewählt. Seine Verteidigungsreden vor Gericht griffen die Kriegstreiberei des Kaisers scharf an und machten ihn über Nacht in ganz Deutschland berühmt. Ab Januar 1912 in den Reichstag gewählt, machte sich Liebknecht erneut einen Namen, als er Verbindungen zwischen Regierung und Rüstungskonzernen wie Krupp aufdeckte und anklagte.
Rosa Luxemburg wurde 1871 in Polen geboren, und beteiligte sich am Aufbau der polnischen Sozialdemokratie, bevor sie 1898 nach Berlin zog und der SPD beitrat. Nach der ersten russischen Revolution 1905 setzte sich Rosa stärker mit Aktionen gegen den drohenden Krieg auseinander, und betonte die Notwendigkeit von Generalstreik.
Neuaufteilung der Welt
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten wachsende Spannungen zu einer enormen Aufrüstung vor allem von Frankreich, England und dem deutschen Kaiserreich. Die Welt war unter den Mächten aufgeteilt, und das deutsche Kapital wollte mehr an Rohstoffen, Kolonien und Absatzmärkten. Dazu mussten andere Kolonialisten vertrieben werden. Es lief auf eine kriegerische Auseinandersetzung hinaus, die notwendigerweise nicht auf Europa beschränkt bleiben konnte. Es ging um die Neuaufteilung der Welt, bei der das deutsche Kapital gewinnen und die wirtschaftliche und politische Vorherrschaft in Europa wollte. Das führte zum Krieg – das Attentat auf den österreichischen Thronfolger im Juli 1914 diente nur als Vorwand, den Krieg zu beginnen.
Aktivitäten gegen das Schlachten
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg beteiligten sich an vielen Konferenzen gegen die drohende Kriegsgefahr und beide vertraten einen internationalistischen Standpunkt gegen die zunehmende Anpassung der SPD.
1914 wird Rosa zu vierzehn Monaten Haft verurteilt. Sie hatte auf einer Demonstration vor hunderttausenden Menschen gefordert, im Falle des Krieges die Befehle zu verweigern und nicht auf die Klassenbrüder der anderen Armeen zu schießen.
Karl war als Reichstagsabgeordneter sicher, dass sich die SPD-Fraktion nicht auf die Seite von Kaiser und Kapital stellen würde, musste sich am 4. August aber eines Besseren belehren lassen. Die SPD und die von ihr kontrollierten Gewerkschaften stimmten der sogenannten „Burgfriedenspolitik“ zu und erklärten Zustimmung zu den Kriegskrediten und den Verzicht auf Streiks und Demonstrationen. Liebknecht hatte sich der Fraktionsdisziplin gebeugt, da er noch davon ausging, dass dies ein einmaliger Fehler sein würde. Im Dezember verweigerte er dann weitere Kredite und wurde dadurch auch international berühmt.
Am Tag nach dem verheerenden Einknicken der SPD-Fraktion gründete Rosa mit anderen radikalen Linken in der SPD die „Gruppe Internationale“, der sich sehr bald auch Liebknecht anschloss. Mit dieser kleinen Gruppe aufrechter SozialistInnen begann die organisierte Arbeit gegen den Krieg: Diskussionen mit Reichstagsabgeordneten, um diese davon zu überzeugen gegen weitere Kriegskredite zu stimmen, vor allem aber Auftritte auf unzähligen Versammlungen.
Streiks und Revolution
Erst im Sommer 1916 kam es zu ersten größeren Streiks gegen den Krieg, organisiert von den Revolutionären Obleuten, einer gut aufgestellten Gruppe von Vertrauensleuten in den Berliner Großbetrieben. Auf einer dieser Demonstrationen hielt Liebknecht seine berühmte Rede, in der er erklärte, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht. Arbeiter dürften nicht weiter auf andere Arbeiter schießen, die Verantwortung für den Krieg läge bei Kaiser und Kapital. Dafür musste er erneut wegen Hochverrats ins Gefängnis, das er erst im Oktober 1918 verlassen konnte: aufgrund von Streiks und Massendemonstrationen hatte die Reichsregierung politische Gefangene amnestiert.
Anfang November begann mit den Matrosenaufständen in norddeutschen Häfen die Revolution, die schnell auf die Arbeiterklasse und ganz Deutschland übersprang. Der Kaiser musste abdanken und fliehen, der Krieg wurde beendet.
Lehren für heute
Die eigentliche Katastrophe war, dass die SPD ihre Anhängerschaft verraten hatte und den Krieg erst ermöglichte. Umso wichtiger war eine organisierte Opposition, die aber mit der „Gruppe Internationale“ viel zu spät gegründet worden war. Gemeinsam mit den Internationalen Kommunisten wurde zwar am 31. Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands gegründet, aber diese war zu schwach und unerfahren, um der Revolution zum Sieg zu verhelfen. Rosa und Karl bezahlten dafür mit ihrem Leben. Sie wurden am 15. Januar 1919 von rechtsradikalen Freikorps ermordet.
Keine Diplomatie hatte den Krieg stoppen können, sondern nur eine Revolution, die Massen mobilisierte. Das ist die zentrale Lehre für heute. Nicht die Vereinten Nationen, nicht Gespräche auf höchster Ebene, nicht Appelle an die Regierenden können die vor unseren Augen stattfindende Zunahme von Krieg und Militarismus stoppen. Damals wie heute ist das wirkungsvollste Mittel gegen den Krieg der Aufbau von Massenbewegungen und von einer sozialistischen Alternative zum kapitalistischen System.
Marc Treude ist Sprecher des LINKE Ortsverbandes Aachen