Der in den USA meistgesuchte Begriff im Jahr 2015 lautet: „Sozialismus“
Kommentar von Kshama Sawant aus der Tageszeitung „The Guardian“
In den USA herrscht eine entschlossene Stimmung des Widerstands. Der status quo wird in Frage gestellt. Die Kampagne von Bernie Sanders ist Ausdruck dieser Stimmung. Es ist keine Überraschung, dass in den USA der Begriff „Sozialismus“ 2015 das meistgesuchte Wort gewesen ist.
Die jungen Leute in Amerika, die heute aufwachsen, tun diese nicht mehr im Schatten des Kalten Kriegs. Wenn die „Republikaner“ heute massiv gegen sozialistische Ideen ins Feld ziehen, so tun sie dies vor allem daran, um ihren eigenen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen. Für die meisten jungen AmerikanerInnen sieht die Zukunft wenig rosig aus: schlecht bezahlte Jobs, eine Eskalation der Schulden von Studierenden und unbezahlbare Wohnungen aufgrund exorbitanter Preise. Seit der „Occupy“-Bewegung ist Sozialismus für junge Leute kein Unwort mehr – ganz anders sieht es mit dem Begriff „Kapitalismus“ aus.
Aufgrund der enormen Ungleichheit und des Rassismus, das diesem System innewohnt, herrscht große Wut. Die Menschen suchen nach politischen Alternativen, mit denen sie ihre Interessen verteidigen können und die nicht dem maßlosen Egoismus der Wall Street entsprechen.
Unser Wahlerfolg in Seattle im letzten Herbst ist ein schlagender Beweis für die herrschende Atmosphäre. Als „Socialist Alternative“ 2013 zum ersten Mal einen Sitz (von insgesamt nur neun Sitzen) im Stadtrat von Seattle gewann, haben das politische und das Wirtschafts-Establishment uns nicht ernst genommen. Aber wir haben gezeigt, dass einE SozialistIn in den USA nicht nur eine Wahl gewinnen sondern auch die politische Agenda einer Großstadt verändern kann. Beim zweiten Mal wurde vom Polit-Establishment und den Großkonzernen eine massive Gegenkampagne gegen uns geführt. Sie haben riesige Beträge in eine Gegenkampagne gepumpt, unehrliche Pamphlete gedruckt und die alte antisozialistische Rhetorik bemüht.
Die meisten führenden Politiker der „Demokraten“ haben meine Gegenkandidatin unterstützt. Doch die meisten „einfachen“ Leute, die sich als Demokraten bezeichnen, haben meine offen sozialistische Kampagne unterstützt. Wir haben mit überzeugenden 56 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. Wir haben einen neuen Rekord aufgestellt, indem wir beinahe eine halbe Million Dollar an Spenden sammeln konnten. Und dies ohne eine einzige Spende aus der Wirtschaft und mit einem durchschnittlichen Spendenbeitrag in Höhe von 50 Dollar.
2013 haben viele Menschen trotz der Tatsache für mich gestimmt, dass ich Sozialistin bin. Bei den Wahlen in diesem Jahren, haben dann mehr Menschen ihre Stimme ganz bewusst für eine sozialistische Alternative abgegeben.
Dasselbe erlebe ich auch in meiner engeren Umgebung. Vor einigen Jahren noch sorgte bei Treffen mit Freunden und Bekannten die Bemerkung, dass ich Sozialistin bin, eher dafür, dass Gespräche beendet wurden. Heute hingegen herrscht starkes Interesse daran, was ich mit Sozialismus meine und man begeistert sich für eine kämpferische politische Kampagne gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre.
Die Kampagne von Bernie Sanders sorgt dafür, dass immer mehr Menschen (weit über Seattle hinaus) für sozialistische Ideen offen sind. Die Geldspenden der Wall Street und von den Milliardären für die Kampagne von Hillary Clinton hat die Unterstützung für die Kampagne von Bernie Sanders nicht abebben werden lassen. Die Kampagne von Sanders ist bislang von zwei Millionen Menschen mit Spenden unterstützt worden. Darunter befinden sich keine Konzerne, und die durchschnittliche Spendenhöhe liegt bei 30 Dollar.
Zwischen der Geschichte der sozialistischen Parteien und Ideen in Europa und den USA gibt es große Unterschiede. In den USA ist der Begriff „Sozialismus“ nicht so negativ besetzt wir in Europa.
Aber auch in Europa herrscht riesige Wut angesichts der harten Kürzungspolitik und Erwerbslosigkeit. Überall in Europa suchen ArbeiterInnen nach Alternativen zu den gescheiterten Politikern und Parteien. Das aktive Engagement bei der Kampagne für die Unabhängigkeit in Schottland im vergangenen Jahr oder aktueller die Wahl von Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der „Labour Party“ – das sind Beispiele, die zeigen, dass die arbeitenden Menschen und die jungen Leute nach einem Ausweg aus der Sackgasse namens Kapitalismus suchen.
Millionen Menschen lehnen die Herrschaft der Milliardäre ab und halten nach sozialistischen Ideen Ausschau. Massenbewegungen der arbeitenden Menschen werden von entscheidender Bedeutung sein, wenn es darum geht, die Menschheit aus dem Sumpf aus Kriegen, Armut, Flüchtlingskrise und Klimakatastrophe zu ziehen und zu einer Gesellschaft zu kommen, in der die Ressourcen dieses Planeten im Sinne eines beständig hohen Lebensstandards für alle eingesetzt werden.
→ http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/dec/19/socialism-definition-most-searched-word-of-2015