Putin greift auf Seiten Assads ein – kein Ende des Konflikts in Sicht
Mit dem russischen Eingreifen in Syrien wurde eine neue Stufe in diesem blutigen Stellvertreterkrieg eingeleitet. Die New York Times berichtet, dass syrische „Rebellen“ innerhalb kurzer Zeit neue Luft- und Panzerabwehrgeschosse aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten mit Genehmigung der USA erhalten haben.
von Claus Ludwig, Köln
Die westliche Kritik an Russland, die Bombenangriffe würden sich nicht auf den IS beschränken, ist heuchlerisch. Putin tut was er sagt, durchaus im Unterschied zu Obama. Er will das Assad-Regime retten und die bewaffnete Opposition schwächen. Russische Jets bombardieren demnach nicht nur den IS, sondern auch die FSA, Al-Nusrah, Al-Sham, die lslamische Front usw.
Als der türkische Präsident Erdogan im Juli behauptete, er würde auch gegen den IS in den Kampf ziehen, einige symbolische Bomben auf die Dschihadisten abwarf, vor allem aber unablässig Stellungen der PKK in der Türkei und Irak bombardierte, schwiegen die USA und die EU zur Verlogenheit ihres NATO-Partners.
Dass Putin tut was er sagt, macht sein Handeln keineswegs besser. Die russischen Bomben töten ZivilistInnen. Sie vertiefen die Gräben in Syrien, treiben die sunnitische Bevölkerung weiter in die Arme der Dschihadisten. Das wird auch Auswirkungen auf die Nachbarländer und Gebiete um und in Russland haben, deren Bevölkerung mehrheitlich Sunniten sind.
Spaltung des Landes?
Die kombinierte syrisch-iranisch-russische Offensive könnte zur Sicherung eines alawitisch dominierten Kern-Syriens zwischen Mittelmeerküste und Damaskus führen, zur endgültigen Spaltung des Landes, zu Vertreibung und Bevölkerungsaustausch. Dies wäre die Saat für zukünftige blutige Konflikte. Die offizielle Spaltung des Landes würde direkt zur Verschärfung des türkisch-kurdischen Konfliktes führen.
Mit seinem Schachzug hat Putin dem Westen das Agieren in Syrien schwieriger gemacht. Die Diskussion, ob man neben dem IS auch Assad attackieren müsse, ist vorerst in einer Sackgasse, weil die Herrschenden in USA und EU kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit dem russischen Militär haben.
YPG als Bodentruppen?
Die USA haben inzwischen ihre Taktik abgewandelt. Der Aufbau von loyalen Milizen durch den CIA ist gescheitert. Jetzt sollen vor allem die Selbstverteidigungseinheiten der (der PKK nahestehenden) kurdischen YPG noch stärker im Kampf gegen den IS unterstützt werden. Umfangreiche Waffenlieferungen sollen die YPG und mit ihr verbündete Milizen inzwischen erreicht haben.
Diese erweiterte Kooperation kann zu einer tödlichen Falle für die YPG und die kurdische Bewegung werden. Die YPG transportierte bisher die Idee der Selbstverteidigung von Gemeinden, die von reaktionären Kräften angegriffen werden. Die kurdische Bewegung betonte, für die demokratischen Rechte aller Völker einzutreten und Minderheiten zu schützen. Dies unterschied sie von allen anderen Kräften im Bürgerkrieg.
Diese Haltung würde zur Makulatur, wenn sich die YPG an einer US-unterstützten Offensive gegen den IS tief in das überwiegend sunnitisch bewohnte Gebiet Richtung Raqqa beteiligen würde. Sie wäre Partei in einem ethnisch-religiösen Konflikt. Es wäre der kurdischen Bewegung unmöglich, dazu beizutragen, die dringend notwendige multiethnische und multireligiöse Bewegung der Unterdrückten in der Region aufzubauen.
Viele Sunniten hassen und fürchten den IS, aber sie fürchten Assads Milizen und Fassbomben, die US-Bomber, die schiitischen Milizen und Irak, noch mehr. Assads Bomben haben weitaus mehr Menschen getötet als die Halsabschneider des IS.
Blick in den Abgrund
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die USA und Russland angesichts des Blicks in den Abgrund Vereinbarungen treffen, die zu einer Entspannung führen. Allerdings sind konkrete Ansätze dafür nicht sichtbar. Der britische Journalist Patrick Cockburn schreibt zur Lage in Syrien:
„Der Konflikt ist zu einer mittelöstlichen Version des 30jährigen Krieges geworden, der vor 400 Jahren in Deutschland tobte. Zu viele Beteiligte bekämpfen sich gegenseitig aus zu vielen verschiedenen Gründen, um sie alle gleichzeitig dazu zu bringen, sich mit den Bedingungen eines Friedens zu arrangieren und die Waffen niederzulegen. Einige denken immer noch, sie könnten gewinnen, andere wollen nur ihre Niederlage verhindern.“
Das russische Eingreifen markiert aller Wahrscheinlichkeit nach die nächste Etappe in einem in die Länge gezogenen Konflikt. Dieser „30jährige mittelöstliche Krieg“ hat nicht im Frühjahr 2011 in Syrien begonnen, sondern spätestens mit dem US-Einmarsch in den Irak im März 2003. Die vorherigen Golfkriege, der Afghanistan-Krieg und die Konflikte im Libanon und Israel-Palästina waren der Prolog.
Angesichts des Agierens des Erdogan-Regimes ist es möglich, dass die Türkei noch tiefer hinein gesogen wird. Die Konflikte in den zerfallenden Staaten Libyen und Jemen können noch stärker zusammenwachsen mit dem Syrien-Krieg. Eine direkte Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran wird wahrscheinlicher.
Wir erleben derzeit wohl nicht die Endphase des Syrien-Krieges, in der alle bewaffneten Parteien noch einmal alles geben, um sich für einen anstehenden Waffenstillstand zu positionieren, sondern sind mitten drin, vielleicht sogar noch am Anfang dieses alptraumhaften Konfliktes.
Syrien bleibt auf absehbare Zeit der Ground Zero der aktuellen Flüchtlingskrise und die Verkörperung der Barbarei, des Zerfalls und der mörderischen Konfrontation der Völker und Religionen. Russland, Iran und Assad sind kein Teil der Lösung, sondern ebenso Teil des Problems wie die USA, Saudi-Arabien, die Türkei und die dschihadistischen Banden in Syrien.
Es sind die Opfer der Barbarei, die ArbeiterInnen und Bauern, die Armen und Unterdrückten, welche die einzige potenzielle Kraft darstellen, aus diesem Dilemma zu entkommen. Die Bedingungen dafür sind in Syrien extrem schwierig. Die Ansätze dazu müssen wahrscheinlich in den sozialen Kämpfen der Nachbarländer entstehen. Aus solchen Kämpfen kann sich die einzige Perspektive für einen dauerhaften Frieden und für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in der Region entwickeln: eine freiwillige sozialistische Föderation der Länder des Nahen und Mittleren Ostens.