Ergebnisse verdeutlichen soziale Kluft unter Jugendlichen
Wie tickt die Jugend? Einen groben Gradmesser über aktuelle Stimmungsbilder bietet die nun erschienene Shell-Studie, die sich im Fünfjahrestakt mit Einstellungen und Meinungen von Zwölf- bis 25-Jährigen auseinandersetzt.
von Yannic Dyck, Göttingen
Die herrschende Klasse und ihre Medien nehmen die Shell-Studie zum Anlass, eine wahre Lobeshymne auf die Jugend von heute anzustimmen: „Die Jugend in Deutschland blickt positiv in die eigene Zukunft und in die Zukunft der Gesellschaft, ist mehrheitlich stolz auf das Land, in dem sie aufwächst, hält Familienwerte hoch und bejaht mehrheitlich auch Leistungswerte wie Fleiß und Ehrgeiz“, erfreut sich die konservative FAZ über eine scheinbar zufriedene, glückliche Generation, der alle Türen offen zu stehen scheinen. Besonders gehypt wird dabei der Befund, dass 61 Prozent der Befragten positiv in die Zukunft blicken. Viel interessanter ist jedoch, was WELT, FAZ und Co. uns hierbei verschweigen. Tatsächlich kommt der hohe durchschnittliche Optimismus dadurch zustande, dass vor allem Jugendliche aus privilegierten, bürgerlichen Elternhäusern zu großen Teilen einer rosigen Zukunft entgegenblicken. So stimmten ganze 74 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus der Oberschicht der Aussage zu. Von den Befragten aus der sozial „schwächsten“ Schicht hingegen blickt lediglich ein Drittel optimistisch in die Zukunft. Hinsichtlich der Realisierbarkeit beruflicher Ziele zeigen sich 81 Prozent der Eliten zuversichtlich, während es bei den Kindern und Jugendlichen, die in der Studie zur untersten Schicht gezählt werden, gerade einmal 46 Prozent sind. Hier wird die Klassenspaltung der Gesellschaft sichtbar, zu der die bürgerlichen Medien schweigen.
Die Klassengegensätze haben System
Diese Ergebnisse sind weder eine Überraschung noch Zeugnis einzelner politischer Fehlentwicklungen, sondern logische Folge eines Systems, das auf Leistungszwang, Gewinnstreben, Konkurrenz und wirtschaftlicher Verwertung basiert. Den Kindern wird schnell klar gemacht, dass es nicht darum geht, sich mit sich und der Welt auseinanderzusetzen, Kreativität und Neugier auszuleben und frei nach ihren Bedürfnissen und Interessen zu lernen, sondern darum, im brutalen Selektionsapparat Schule mitzuhalten, besser als andere zu sein. Die Belohnung dafür ist dann die Aussicht auf eine Ausbildung, auf einen Studienplatz, auf einen gut bezahlten Job. Kinder aus privilegierten Elternhäusern können sich dabei meist auf die Unterstützung von zu Hause verlassen, sie bekommen die Möglichkeit sich Nachhilfe finanzieren zu lassen oder teure Privatschulen zu besuchen. Diese Chance haben die meisten Kinder der Arbeiterklasse, von SozialhilfeempfängerInnen oder prekär Beschäftigen nicht. Dass Jugendliche aus diesen Schichten da nicht positiv in die private und berufliche Zukunft blicken, verwundert nicht.
Jugendliche lehnen die herrschende prokapitalistische Politik ab!
Ein weiterer Befund aus der Shell-Studie der medial besonders herausgegriffen wurde, ist das steigende politische Interesse der Mehrheit der Jugendlichen (41 Prozent gaben an sich für Politik zu interessieren). Doch auch hier werden die Klassengegensätze verschwiegen. Denn während die Kinder aus dem Großbürgertum zu 54 Prozent an Politik interessiert sind, liegt der Wert in den sogenannten „unteren Schichten“ bei gerade einmal 24 Prozent. Hinzu kommt, dass der herrschenden Politik seitens der Jugendlichen keinerlei Vertrauen entgegengebracht wird. Die überwältigende Mehrheit ist laut Studie der Meinung, dass sich die PolitikerInnen nicht darum kümmern, was die ganz normalen Leute denken. Diese Ablehnung des bürgerlichen Parteienkartells und ihrer Politik im Interesse der Banken und Konzerne kommt nicht von ungefähr. Während SPD, CDU, Grüne und FDP mit ihrer Politik aus Sozialkürzungen, Stellenabbau, Privatisierungen und Lohndumping das Leben für die Mehrheit der Menschen systematisch verschlechtern, sozialen Abstieg, wachsende Armut und immer stärkere Ausbeutung fördern, profitieren von dieser Politik die Superreichen.
Potenzial der Jugend
Was für ein unglaubliches Potenzial in der Jugend steckt, zeigen dagegen Aktionen in denen SchülerInnen sich vernetzen und politische Kämpfe auf die Straße tragen. Auch die mehr als 250.000 DemonstrantInnen gegen einen vergleichsweise abstrakten Angriff wie das TTIP-Abkommen beweisen das ungeheure Widerstandspotenzial in der Bevölkerung, sobald die gewerkschaftlichen und politischen Massenorganisationen auch nur ansatzweise ihren Aufgaben gerecht werden. Die Shell-Studie belegt unter anderem, dass die Beteiligung von Jugendlichen an Demonstrationen stark zugenommen hat, während der bürgerliche Parlamentarismus sie größtenteils abschreckt.
Zwar bereiten einige Befunde der Shell-Studie durchaus Sorgen. So spricht sich die Mehrheit der Befragten dafür aus, dass die BRD eine Führungsrolle in Europa innehaben solle und gibt an, stolz auf Deutschland und die deutsche Geschichte zu sein. Doch sind solche Ergebnisse auch immer im Kontext einer breiten Perspektivlosigkeit und Unsicherheit zu betrachten. Einerseits werden die herrschende Politik und das kapitalistische System mehrheitlich abgelehnt, andererseits bleiben die Spaltungsmechanismen der Herrschenden entlang nationaler Kriterien für die Arbeiterklasse und die Jugend nicht ohne Wirkung. Hier müssen wir ansetzen, Antworten geben und der falschen Identifikation entlang nationaler Linien eine wirkliche Klassensolidarität entgegensetzen. Die Möglichkeiten dafür sind gegeben. Denn die Mehrheit der Jugendlichen ist, wie die Studie zeigt, für Einwanderung, für die Aufnahme von Geflüchteten und gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr.