Dieser Artikel erschien zuerst am 12. Oktober auf der Webseite der englischsprachigen Webseite socialistalternative.org
Wahlkampf von Hillary Clinton gerät zunehmend unter Druck
von Jess Spear, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und SympathisantInnen des CWI in den USA)
Die aufsässige Wahlkampagne, die Bernie Sanders führt, um die Nominierung der „Democratic Party“ für die Präsidentschaftswahlen der USA zu bekommen, bringt das Establishment der „Demokraten“ echt ins Schwitzen. Im Bundesstaat Iowa liefert Sanders sich seit Ende September in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Clinton. Im Bundesstaat New Hampshire liegt er sogar 16 Punkte vor ihr! Bundesweit ist Clintons Vorsprung von 34 Prozent auf 15 Prozentpunkte geschrumpft – sollte der amtierende Vizepräsident Biden noch seine Kandidatur anmelden, dann sinkt dieser gar auf sieben Prozent. Sanders’ Aufruf zur „politischen Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre“ in Verbindung mit seiner Ablehnung, Spenden von Konzernen anzunehmen oder sich vom Geld der „Super PAC“ (Organisation, die die Parteispenden koordiniert; Erg. d. Übers.) abhängig zu machen, fällt mit der gesellschaftlichen Unzufriedenheit und Empörung über das politische Establishment zusammen, welches nur im Sinne der Konzerne agiert.
In Kombination damit, dass er auch einen Mindestlohn von 15 Dollar und ein staatliches Gesundheitssystem fordert sowie das Handelsabkommens namens „Trans-Pacific Partnership“ (TPP) ablehnt, hat dies dazu geführt, dass Sanders schon früh die Unterstützung der Gewerkschaft „National Nurses United“ (Pflegepersonal) und einer ganzen Reihe von Einzelmitgliedern auch aus anderen Gewerkschaften bekommen hat.
Abgesehen davon hat Sanders auch sein Programm ganz erheblich verbessert. Dies betrifft z.B. die Themen Antirassismus, Polizeigewalt und Massenverhaftungen. Ließ er diese Punkte anfangs noch unkommentiert (was wir als Fehler bezeichnet haben), so kommt er mittlerweile regelmäßig auf diese Probleme zu sprechen. Unterdessen zeigt er auch wesentlich mehr Eigeninitiative, wenn es um das Aufzeigen der Unterschiede zwischen ihm und Hillary Clinton geht. Dies gilt u.a. für die Haltung zur Frage des Aufbrechens der Banken von der Wall Street und der Wiederinkraftsetzung des Gesetzes namens „Glass-Steagall Act“ (Trennung zwischen Einlagen- und Kreditgeschäft während der „Großen Depression“ der 1930er Jahre; Erg. d. Übers.).
Sanders weist auch auf die wichtige Abstimmung hin, mit der 2003 der Angriff auf den Irak besiegelt worden ist, um zwischen sich und Hillary Clinton zu unterscheiden. Dass er dem massiven Druck eines beinahe durchgängigen Trommelns für den Krieg nicht nachgegeben hat, ist bemerkenswert. Wir sind jedoch ganz und gar nicht damit einverstanden, wie er sich bei früheren Abstimmungen verhalten und dabei für den Krieg in Afghanistan sowie gegen das ehemalige Jugoslawien gestimmt hat. Vor allem seine im Großen und Ganzen kritiklose Unterstützung für den israelischen Staat, die er trotz der systematischen Unterdrückung der PalästinenserInnen aufrechterhält, ist ungeheuerlich.
Hunderttausende werden aktiv
Gleichwohl ändern diese Positionen nichts an der Tatsache, dass hunderttausende von „einfachen“ Menschen durch seine Wahlkampagne radikalisiert werden. Für diese Hunderttausenden (darunter eine große Zahl an jungen Leuten) steht Bernie Sanders als Möglichkeit, sich gegen die Klasse der Milliardäre zur Wehr setzen und für grundlegenden Wandel kämpfen zu können. Wir haben immer wieder darauf gedrängt, dass SozialistInnen und linke AktivistInnen Teil seiner Bewegung werden und nicht dastehen und alles nur aus der Ferne beobachten sollten.
Vor allem sollten wir auf die große Frage eingehen, der sich diese Bewegung stellen muss: Wie können die Hauptaspekte aus Sanders’ Programm, die die Lage der abhängig Beschäftigten verbessern würden und die so viele in ihren Bann ziehen, wirklich umgesetzt werden?
Sanders sagt – und darin stimmen wir mit ihm überein –, dass „der einzige Weg zum Erfolg darin besteht, dass Millionen von Menschen aufstehen und sich dafür entscheiden selbst aktiv zu werden“. Aber um was für eine Art von Aktivität soll es dabei gehen? Muss man einfach nur der „Democratic Party“ beitreten und wählen gehen? Wir meinen, dass eine Massenbewegung nötig ist, die auf die Straße geht, und der Aufbau einer neuen politischen Kraft, die unabhängig ist von den „Demokraten“.
Es wird ernst
Der grundsätzliche Widerspruch, der Sanders’ Kandidatur innewohnt (er tritt gegen die Klasse der Milliardäre an und bewegt sich dabei innerhalb der Strukturen einer Partei, die vollständig von dieser finanziert wie auch kontrolliert wird) führt direkt zu der Frage, die – sollte Sanders zu einer echten Bedrohung werden – nicht mehr lautet, ob sondern wann es wirklich ernst werden wird.
Einen Vorgeschmack bot schon die Erklärung eines „Super PAC“, das für Clinton arbeitet. Darin wurde Sanders dafür attackiert, den Sozialisten Jeremy Corbyn in Großbritannien zu unterstützen (vgl. entsprechende Artikel zu Corbyn und der britischen „Labour Party“ auf dieser Webseite) und Verhandlungen mit der Regierung von Venezuela unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chavez geführt zu haben, um billiges Heizöl für die arbeitenden Menschen im Bundesstaat Vermont zu beziehen. Sollte Bernie Sanders in den ersten Bundesstaaten tatsächlich die Vorwahlen der „Demokraten“ für sich entscheiden können, so wird die Partei-Maschinerie dabei nicht tatenlos zusehen.
Der Mangel an Debatten ist bereits ein Indiz dafür, dass die Parteiführung versucht, den Ablauf der Vorwahlen unter Kontrolle zu halten. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass am Ende einE KandidatIn Erfolg hat, die/der nicht dafür sorgt, dass Millionen von Menschen animiert werden, gegen die Wall Street aufzubegehren. Sollte Hillary Clinton für diese Rolle zu verwundbar erscheinen, so könnte es sein, dass Teile des Establishments sich für Joe Biden einsetzen, damit dieser noch seinen Hut in den Ring wirft und somit von Sanders, dem Herausforderer, ablenkt.
Die „Democratic Party“ wird niemals eine politische Revolution gegen die Klasse der Milliardäre durchführen. Die Vorwahlen werden vom Geld der Konzerne und der Partei-Maschine der „Demokraten“ beherrscht, die enge Verbindungen zur Wall Street unterhält. Nicht einE SenatorIn der „Demokraten“ unterstützt Sanders, und die sogenannten „super delegates“ (ParteivertreterInnen und gewählte VertreterInnen) sind bereits gegen ihn in Stellung gebracht worden.
Je besser Sanders in der Öffentlichkeit ankommt, desto stärker wird dies zu Tage treten. Sanders sollte nicht in der Zwangsjacke der „Democratic Party“ bleiben, die seine politische Revolution bei der nächstbesten Gelegenheit abwürgen wird.
Sollte er die Vorwahlen verlieren, dann wäre es ein Riesen-Fehler, wenn Sanders seine UnterstützerInnen auf Hillary Clinton oder irgendeineN andereN „DemokratIn“ einschwört, die/der am Ende die Nominierung der Partei erhält und unter der Kontrolle der Wall Street bleibt. In dem Fall ist es die beste Option, an Sanders’ Programm für den 15-Dollar-Mindestlohn und ein staatliches Gesundheitssystem anzuknüpfen. Außerdem sollte das weitere Ziel darin bestehen, in ihrem ureigenen Interesse die arbeitenden Menschen zu aktivieren. Dann sollte Jill Stein von den „Grünen“, die wahrscheinlich die wichtigste alternative Kandidatin sein wird, unterstützt werden.
Sollte Sanders trotz aller Steine, die ihm noch in den Weg gelegt werden, wie auch immer die Nominierung erhalten, so würde er unmittelbar die unermüdliche Feindseligkeit des Parteiapparats der „Demokraten“ zu spüren bekommen. So oder so ist es dringend geboten, Sanders’ Wahlkampagne dazu zu nutzen, die ersten Schritte in Richtung dessen zu unternehmen, was wir wirklich brauchen: eine neue politische Kraft aufbauen, die unabhängig von der „Democratic Party“ ist und Verbindungen zu den Massenbewegungen auf der Straße herstellt (wie etwa zur Kampagne für den 15-Dollar-Mindestlohn und der Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“). Auf diesem Weg können wir tatsächlich eine politische Revolution einläuten, die das Potential hat, nicht nur Erfolge für Sanders’ progressive Plattform sicherzustellen sondern auch den Würgegriff der Konzerne zu lösen, in dem sich unser politisches System befindet.