Nach außen scheint es so zu scheinen, als würde das „Musterland“ Portugal sich auch bei den Wahlen „mustergültig“ verhalten. Dabei haben vor allem die linken Parteien zulegen können.
von Anne Engelhardt, zur Zeit in Lissabon
Das Bündnis aus PSD („Partido Social Democratica“ – Sozialdemokratische Partei) und die CSD – die Christdemokraten auf etwa 38,6 Prozent. Beide Parteien waren 2011 auf 50 Prozent der Stimmen gekommen und hatten somit die damals allein regierende PS (Partido Socialismo – Sozialistische Partei – SPD nahe) abgelöst. Diese hatte unter Premierminister José Socrates 4 Kürzungspakete im Umfang von jeweils einer Agenda 2010 durchgesetzt. Im März 2011 waren die Jugendlichen und Arbeitenden in Portugal die ersten im Süden Europas, die sich vom Arabischen Frühling inspiriert sahen und gegen die Kürzungen Massenproteste organisierten. Ende März desselben Jahres wurde dadurch die PS-Regierung zu Fall gebracht. Im Mai 2011 wurde Portugal, ähnlich wie Griechenland und Irland unter einen 78 Milliarden Euro schweren „Rettungs“schirm gestellt.
Im Gegensatz zu den anderen Ländern, der europäischen Peripherie hatte Portugal durch den Beitritt in die Eurozone keine besonderen wirtschaftlichen Verbesserungen erlebt. Die Einschnitte, die die Troika in den folgenden Jahren einforderte, umfassen daher vor allem Errungenschaften, die zum Teil noch aus der Portugiesischen Revolution 1974/75 herrühren: Die Privatisierung der Post (CTT), der Lissaboner Metro und unlängst der Flughäfen (TAP) und der Verkauf der Hafenanlagen sind Teil der Troikapolitik. Auch zwei Bankenskandale haben das Land seit der Krise erschüttert: Zum einen das Einbrechen der Nationalbank, die mit über zwei Milliarden Euro vom portugiesischen Staat gerettet wurden und dann für etwa 40 Millionen Euro an ein angolanisches Unternehmen zum Freundschaftspreis verscherbelt wurde. Zum anderen wurde die Bank „Espirito Santo“ erst kürzlich gerettet, der Versuch sie an chinesische Investoren zu verkaufen, scheiterte vor kurzem. Seither bleibt der Portugiesische Staat auf weiteren Milliarden sitzen, was die Staatsverschuldung wieder in die Höhe getrieben hat.
Im Schnitt sind die Löhne um 20 Prozent gekürzt worden. Feste Berufe im öffentlichen Dienst werden mehr und mehr mit flexiblen Niedriglohnjobs ersetzt. Das Gesundheitssystem war bereits vor der aktuellen Regierung in der Krise, da jedes dritte Krankenhaus Insolvenz anmelden musste.
Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell „nur“ noch bei 11 Prozent und nicht mehr bei 17, was vor allem damit zu tun hat, dass seit 2007 über 710.000 Menschen das Land verlassen haben und die Statistiken über die reale Arbeitslosigkeit durch unterschiedliche Tricks geschönt werden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt dennoch weiterhin bei 34 Prozent. Zudem wurden die Vorschulen komplett geschlossen auch viele Grundschulen sind dicht. Daher gab es z. B. auch vor einer Schule am Wahlmorgen Proteste und den Versuch, die Wahl zu boykottieren, denn in einer „Schule in der nicht unterrichtet wird, soll auch nicht gewählt werden“.
Warum konnte die Mitte-Rechts Koalition erneut gewinnen?
Zunächst einmal hat die Koalition 12 Prozent ihrer Stimmen verloren. Sie kann allein nicht mehr die Mehrheit stellen. Über 44 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung sind nicht wählen gegangen. Das hat zum einen damit zu tun, dass dievielen migrierten Portugies*innen zwar weiterhin zählen, eine Briefwahl jedoch enorm verkompliziert wurde. Des Weiteren standen viele vor der Frage: Welche Alternative gibt es denn?
Die PS hatte als Forderung aufgestellt, die Kürzungsvorhaben etwas „zu lockern“. Auch jetzt nach ihrer Wahlniederlage mit ca. 32 Prozent, ändert die Partei ihren Ton nicht und ist sogar bereit eine Minderheitenregierung der PSD-CSD zu tolerieren. Zudem war ihr früherer Vorsitzender Socrates in Korruptionsfälle verwickelt und kürzlich vor Gericht gestellt worden.
Syriza, Podemos, Corbyn?
Es werden derzeit sehr unterschiedliche Gründe genannt, weswegen es kein linkes Erfolgsprojekt, wie in Spanien oder Griechenland gibt. Zum einen verliefen die Streiks und sozialen Bewegungen gegen die Kürzungen und die Troika sehr punktuell. Es kam vor, dass mit einem Mal über eine Millionen Menschen in den Straßen des Landes protestierten und dann wieder verschwanden. Der Linken und den Gewerkschaftsspitzen gelang es nicht, diese Proteste langfristig auszubauen. Eine Hauptschwäche ist dabei vor allem das fehlende deutliche Programm. Die CDU hatte während der Wahlen die Forderung „für ein besseres Leben“ erhoben. Linksblock und PCP waren beide in Proteste involviert, die Titel wie „Que se lixe a troika!“ – zum Teufel mit der Troika – trugen und wenig deutlich machten, was als Alternative zu den Kürzungen gebraucht wird und mit welchen Strategien gearbeitet werden kann. Teilweise hatte auch der zunehmende Einfluss der Führung des Gewerkschaftsdachverbandes der CGTP-IN unter Führung der kommunistischen Partei auf diese Bündnisse einen entdemokratisierenden Effekt. Wie sich das auswirkte, zeigt folgendes Beispiel: 2013 war die rechte Regierung in einer schweren Krise. Bereits im September 2012 gab es soziale Netzwerke, die eine Demonstration in der Größe von über eine Million Menschen in auf die Straße brachten. 2013 bestand die Möglichkeit, daran anzuknüpfen. Es wurde unter anderem vom sozialen Netzwerken und Gewerkschaften dahin mobilisiert, über die zentrale Verkehrsbrücke „Des 25. April“ (Jahrestag der portugiesischen Revolution) zu marschieren und damit den Verkehr lahmzulegen. Die Regierung wollte das mit der Begründung verbieten, dass die Brücke das Gewicht nicht aushalten könnte, was vor dem Hintergrund, dass regelmäßig der Lissaboner Marathon über diese Route verläuft, fadenscheinig ist. Auch die Führung der Gewerkschaften mobilisierte daher weiter. Zwei Tage vor dem Protest änderte sie jedoch ihre Strategie. Statt über die Brücke zu demonstrieren, organisierte sie Busse, die darüber fuhren. Die Zusammenarbeit mit den sozialen Netzwerken wurde damit aufgebrochen. Das nahm dem Protest den Wind aus den Segeln. Die Regierung stabilisierte sich wieder und setzte ihre Angriffe ungehindert fort. Die Chance, sie zu Fall zu bringen, war für dieses Mal vertan. Das führte zu einer bisher anhaltenden Demoralisierung unter sozialen Aktivist*innen.
Klare Wahlsiegerinnen des vergangenen Sonntags waren dennoch das Wahlbündnis aus Kommunistischer Partei und Grünen (CDU – 8,3 Prozent) und Linksblock (BE – 10,2 Prozent). Beide erhielten die höchsten Wahlergebnisse seit 1999. Offensichtlich gab es keine Stimmung, lieber die PS zu wählen, um die Konservativen aus dem Amt zu jagen, vielmehr schienen BE und CDU auf der Linken als Alternative gesehen zu werden. Durch das Mehrheitswahlrecht, das immer die stärksten Parteien eines Bezirkes begünstigt, wird die Anzahl der Mitglieder im Parlament stark verzerrt. Bei Wahlunterschieden von zwei Parteien von 12 Prozent und mehr kann es sein, dass dennoch beide nur eine*n Kanditat*in in das portugiesische Nationalparlament entsenden können. Dennoch bieten die hohen Wahlergebnisse Chancen für Linken.
Zudem gab es zwei linke neue Wahlbündnisse, wovon das eine eine Abspaltung um einen ehemaligen EU-Abgeordneten von BE darstellt und inhaltlich eher schwach auftritt, während das andere Bündnis behauptet, es würde weder links noch rechts stehen. Beide erhielten wenige Stimmen. Die faschistische PNR ( Partido Nacional Renovador) konnte nur 0,5 Prozent einholen und ist damit nicht im Parlament vertreten.
Es wird keine Ruhe geben
Dennoch hatten die Proteste – neben tatsächlichen Zugeständnissen in einigen Sektoren – bisher den Erfolg errungen, sich untereinander stärker zu vernetzen. Beschäftigte des staatlichen Rundfunk und Fernsehens haben als erste unter den Gewerkschafter*innen die Massendemonstrationen und Flashmobs der sozialen Netzwerke unterstützt und bringen sich weiterhin ein. Die Hafenarbeiter*innen Portugals sind in Kampagnen um den Wohnraum involviert. Sie bereiten zudem auch weitere Streiks vor, da der Hafensektor kurz vor den Wahlen an eine türkische Firma verkauft wurde, die kürzlich erst in Oslo für ihre Anti-Gewerkschaftshaltung Aufsehen erregte. Zudem schlägt der VW Skandal auch in Portugal Wellen. Hier besteht zudem die Angst, dass das VW-Werk „Autoeuropa“ demnächst von der Schließung bedroht sein könnte. Laut Schätzungen bringt das Werk Portugal derzeit 2-3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein. Zudem arbeiten bei dem Werk etwa 1.000 Beschäftigte. Es kann sein, dass die Auseinandersetzung um das Werk bedeutend sein werden.
Unsere Genoss*innen von SR (Socialismo Revolutionário) sind ebenfalls involviert in Kampagnen zur Erhaltung von günstigem Wohnraum und diskutieren mit anderen Aktivist*innen aus Netzwerken, Gewerkschaften, und linken Parteien eine Kampagne um den 5 Euro Mindestlohn / Stunde ins Leben zu rufen. Bisher liegt der Mindestlohn bei etwas um die 500 Euro monatlich, was jedoch nicht einbezieht, wie lange eine Person dafür arbeitet.
Zudem ist die aktuelle Regierung im Vergleich zu vorher nun als Minderheitenregierung relativ geschwächt. Es ist unklar, ob sie eine Legislaturperiode durchhält. Das hängt auch davon ab, ob die Linken bereit sind, sich auf die Durchsetzung gemeinsamer progressiver Programmpunkte zu einigen und die Gewerkschaftsführungen der Dachverbände sich ein Beispiel an den Hafenarbeiter*innen und dem Personalrat des RTP nehmen, ihre bürokratische und z. T. undemokratischen Haltungen aufzugeben und bereit sind, einen tatsächlichen Widerstand in Betrieben, Stadtteilen usw. mitzutragen, um Portugal zu einem Musterland des Widerstandes und der Alternativen zur Kürzungspolitik der Troika zu machen.