In Deutschland kaufen sich eine Million Männer jeden Tag Sex
von Katia Hancke, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Irland)
Vor kurzem hat „Amnesty International“ erklärt, dass „Prostitution ein Menschenrecht“ ist. „Amnesty“ reiht sich dabei lediglich in eine ganze Reihe von Institutionen, prominenten Einzelpersonen und sogar Regierungen ein, die von dem Druck beeinflusst sind, die Sex-Industrie in den Rang der Normalität zu erheben. Es handelt sich hierbei um eine Agenda, die von den Zuhältern und einer wachsenden, weltweiten, mehrere Milliarden Dollar schweren Branche gepusht wird – schließlich ist sie es, die Ende davon profitiert.
Mit dem postmodernen Dogma, das die Prostitution ihres realen Kontextes enthebt, wird versucht, die damit verbundenen komplizierten Zusammenhänge zu einer abstrakten Frage umzuformulieren, die da lautet: Wer sind wir denn, dass wir den Menschen vorschreiben könnten, was sie mit ihrem Körper anstellen dürfen? Oder (noch schlimmer): Was fällt uns eigentlich ein, überhaupt eine Meinung zu diesem Thema zu haben? Sind wir, die wir gegen Prostitution als Form der Unterdrückung der Frau sind, zu Opfern der viktorianischen Moralvorstellungen geworden, die mit den liberalen Ansichten der 21. Jahrhunderts nichts mehr zu tun haben?
Die Sex-Industrie macht die Frau zum Objekt
Wir orientieren uns an der traurigen Realität. Und Fakt ist, dass die Ausbeutung mittels Sex und aufgrund des Geschlechts in einer Gesellschaft zunimmt, in der die Degradierung der Frau zum Objekt mittlerweile ein Riesengeschäft darstellt und Gewalt gegen Frauen von einer Milliarden Dollar schweren Pornoindustrie mit entsprechenden Videospielen, Medien und dergleichen nicht nur gerechtfertigt sondern auch noch vorangetrieben wird. In diesem Kontext muss die Prostitution betrachtet werden. Denn was sonst ist der Verkauf des Körpers eines Menschen als die Endgültige Degradierung des Menschen zum Objekt? – Ob es sich dabei um den Körper der Frau oder des Mannes handelt, ist letztlich egal. Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass die überwältigende Mehrheit derer, die sich prostituieren, Mädchen und Frauen sind, darunter auch transsexuelle Frauen.
Wenn dieser Degradierung der Frau und ihrer Herabwürdigung zum Objekt kein Ende gesetzt wird, dann werden wir alle davon betroffen sein, da auf diese Weise die Ungleichbehandlung der Geschlechter verstärkt wird. Wir müssen ja auch nicht Teil der LGBTQ-Community sein, um für die gleichgeschlechtliche Ehe zu stimmen, oder Trans, um Gesetze zu unterstützen, die Transsexuellen das Recht auf Selbstbestimmung einräumen. In Irland sind gerade die Menschen aus den Arbeitervierteln in Scharen in die Wahllokale geströmt, um mit „ja“ zu stimmen. Das war ein Akt der Solidarität mit der LGBTQ-Community. Abgesehen davon ist uns natürlich klar, dass es sich beim Kapitalismus um eine System handelt, in dem Spaltung und Diskriminierung ganz hervorragend gedeihen.
Wie stark wird Prostitution akzeptiert?
Ebenso sollten wir über die krasse Realität sprechen, die hinter dem Diskurs von der „glücklichen und befreiten Sex-Arbeit“ steht. Folgt man der Erklärung von „Amnesty“, so bedeutet „Sex-Arbeit per Definition, dass Sex-ArbeiterInnen, die kommerziell Sex betreiben, eingewilligt haben, dies zu tun“. Doch wie einvernehmlich findet Prostitution tatsächlich statt? Eine aktuelle Metaanalyse, die sich mit den Erfahrungen von Sex-ArbeiterInnen in neun Ländern befasst und auf den Aussagen von 845 Untersuchungspersonen basiert, zeichnet das folgende Bild: 60 Prozent der Prostituierten arbeiten unter Bedingungen, die als Sklaverei zu bezeichnen sind. Weitere 38 Prozent sind der Ansicht, dass es für sie keinen Ausweg gibt, weil sie in einem komplizierten Netz aus Armut, Rassismus, Mangel an Möglichkeiten und Sexismus stecken. Nur zwei Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich in der Lage sähen die Branche zu verlassen, wenn sie den Wunsch danach verspüren würden. Der Grad der Freiwilligkeit scheint demnach nicht besonders hoch zu sein.
Ein Menschenrecht, Sex zu kaufen?
Entkriminalisierung der Sex-Arbeit sollte unterstützt werden. Das schwächste Glied, die Prostituierten, in einer ganzen Kette namens Sex-Industrie zu kriminalisieren, gibt den Zuhältern nur noch mehr Macht über diejenigen, die von ihnen ausgebeutet werden, und ist in keinem Fall hinzunehmen. Eine Menschenrechtsorganisation, die verkündet, dass es sich bei der Prostitution um ein Menschenrecht handelt, vermittelt den Eindruck, dass Prostitution heute ohne Ausbeutung auskommen könnte. Tatsächlich ist die Positionierung von „Amnesty International“ unter dem Strich zu sagen, dass es um ein Menschenrecht für Männer geht, Sex zu kaufen. Schließlich sind die Freier fast immer Männer, was allgemein in der Gesellschaft symptomatisch für die Unterdrückung der Frau ist. Demnach wäre es in Ordnung, die Unterdrückung der Frau zu einem profitablen Geschäft zu machen.
Die Forschung in Deutschland und den Niederlanden zeigt, dass diejenigen, die davon profitieren, dass andere Menschen ihren Körper verkaufen, die Zuhälter, am meisten von der Legalisierung der Sex-Industrie profitieren. Der Handel mit Sex hat in diesen Ländern in der Tat zugenommen. Die Mehrheit der Prostituierten lebt weiterhin unter illegalen Bedingungen und ist so gefährdet wie eh und je, was sexuelle und körperliche Gewalt sowie andere Formen des Missbrauchs angeht. Allein im Rotlichtviertel von Amsterdam arbeiten 7.200 Sex-ArbeiterInnen unter illegalen Bedingungen, unter der Knute eines Zuhälters. Trotz der Tatsache, dass dort jedes Jahr mehr als 220.000 „Geschäftsabwicklungen“ stattfinden, sind davon weniger als 100 Berichte in den Polizeiakten zu finden.
Handelt es sich bei Sex also um ein Menschenrecht? Ja, das ist es, wenn es um Sex unter Gleichberechtigten geht. Möglicherweise würden wir die nächste Generation weniger verwirrt und frustriert zurücklassen, wenn wir in Bildung und Erziehung ein wenig offener mit den Themen Masturbation und Sex im Allgemeinen umgehen würden. Doch wenn man Sex mit jemanden haben möchte, dann sollte dies im Einklang mit dem eigentlichen Sinn des Begriffs geschehen: zwischen zwei Gleichberechtigten, die einander in beiderseitigem Respekt verbunden sind. Nicht in dem Sinn, dass dieses System mit seinem wilden Streben nach Profit selbst dieses menschliche Grundbedürfnis in ein „profitables Geschäft“ verwandelt.
Fakten zum Thema Prostitution
- 71 Prozent der Prostituierten haben in der Prostitution physische Gewalt erlebt.
- 62 Prozent sind vergewaltigt worden.
- 89 Prozent wollen raus aus der Prostitution, sehen aber keinen Ausweg oder eine andere Möglichkeit zu überleben.
- 65 Prozent bis 95 Prozent derjenigen, die sich prostituieren, sind als Kind Opfer sexueller Übergriffe geworden
- Mehr als 50 Prozent sind als Minderjährige in die Prostitution geraten.
(Quelle: Metaanalysen zur Prostitution weltweit von Melissa McFarley: https://linksfeminisme.wordpress.com/2014/03/21/prostitution-the-swedish-or-the-dutch-model/)