von Steffen Strandt, Berlin
250.000 Menschen zogen am Samstag gegen das Freihandelsabkommen TTIP vom Berliner Hauptbahnhof bis zur Siegessäule. Damit wurden die Erwartungen der Veranstalter von 50.000 TeilnehmerInnen deutlich übertroffen. Seit den Protesten 2004 gegen die Agenda 2010 waren es die größten Sozialproteste in Deutschland. Damit war die Demo am Samstag sogar größer als die Proteste gegen Atomkraft nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011.
Breite Beteiligung von Gewerkschaften
Auffällig war auf der Demo die große Beteiligung von GewerkschafterInnen. Viele Betriebsgruppen und lokale Gewerkschaftsgliederungen aus dem gesamten Bundesgebiet haben in den letzten Monaten für die Demo mobilisiert und sind sichtbar als Gruppen zu den Protesten gefahren. Die Demo gegen TTIP war für viele eine Möglichkeit, um gegen die Macht der Konzernspitzen aktiv zu werden. Es wurde sichtbar, welches Potential der DGB und seine Mitgliedswerkschaften haben, wenn sie ihre Möglichkeiten zur Mobilisierung der Mitglieder nutzen. Doch trotz der massiven Gegnerschaft von GewerkschafterInnen, lehnen die Spitzen von DGB und Einzelgewerkschaften sowie der Europäische Gewerkschaftsbund die Freihandelsabkommen nicht grundsätzlich ab. Die Gewerkschaftsführung schürt Illusionen, dass in den Verhandlungen Umwelt- und Arbeitnehmerschutzrechte verteidigt werden könnten. 2014 gab es sogar noch ein gemeinsames Papier vom DGB-Vorsitzenden Hoffmann mit Sigmar Gabriel, indem sie sich gegen die Schiedsgerichte positionierten. Wenn Funktionäre vor allem davor warnen, dass die angeblich durchweg besseren europäischen Standards den schlechteren US-amerikanischen geopfert werden könnten, lenken sie die Kritik in nationalistische Bahnen und verschweigen, dass auch Konzerne wie Daimler, Bosch, BASF Standards absenken wollen.
Rolle der LINKEN
Mit verantwortlich für den großen Erfolg der Aktion sorgte auch die Partei DIE LINKE. Sie mobilisierte bundesweit Mitglieder und SympathisantInnen nach Berlin und brachte das Thema TTIP auch parlamentarisch immer wieder an die Öffentlichkeit. Außerdem unterstützten viele LINKE-AktivistInnen das europäische Bürgerbegehren, indem sie viele der 3 Millionen Unterschriften gegen TTIP sammelten. Mit einem eigenen Block war die Partei auf der Demo stark vertreten. Als Riexinger auf der Bühne gefragt wurde, wie TTIP gestoppt werden kann, war seine erste Antwort, dass DIE LINKE im Bundesrat gegen die Umsetzung von TTIP stimmen werde. Das ist zwar notwendig, setzt aber eine völlig falsche Betonung. Er hätte betonen müssen, dass TTIP nur durch eine Steigerung der Bewegung und weitere internationale Massenmobilisierungen gestoppt werden kann.
Linksjugend [’solid] Berlin-Kreuzkölln organisierte einen eigenen Lautsprecherwagen und Jugendblock. Auf dem Lautsprecherwagen wurde in den Reden wurde klar gemacht, das kein „gerechter Welthandel“ im Kapitalismus möglich ist, und der Kampf für TTIP mit dem Kampf für Sozialismus verbunden werden muss. Dafür wurden 5.000 Flyer zur Mobilisierung an Schulen und auf der Demo verteilt. Außerdem kündigte [’solid] Berlin -Kreuzkölln den Auftakt der Kampagne „Wohnen. Bleiben. Fluchtursachen bekämpfen. Die Reichen sollen zahlen!“ vom Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke in [’solid] an.
Wie weiter im Kampf gegen TTIP?
Die riesige Demo gegen TTIP ist ein großer Erfolg für die Bewegung gegen TTIP und die Macht der Banken und Konzerne. Doch wird damit TTIP vom Tisch sein? Alle beteiligten PolitikerInnen, allen voran Sigmar Gabriel haben bisher klargestellt, dass sie TTIP weiter durchsetzen wollen. Dabei versuchen sie durch Zugeständnisse an die KritikerInnen eine Ausweitung des Widerstands zu verhindern. So hat Gabriel am Samstag in einer Zeitungsanzeige versprochen, dass die Schiedsgerichte nicht Teil von TTIP sein werden, und keine Sozialstandards abgesenkt werden. Auch die EU Kommission sagt, dass sie sich in den nächsten Verhandlungen am 19.10. für die Einhaltung von europäischen Standards einsetzen will. Es ist möglich, dass in nächster Zeit ein „TTIP-light“ vorgelegt und verabschiedet wird, dass ohne Schiedsgerichte und ohne größere Eingriffe in bisherige Sozial- und Umweltstandards auskommt. Doch damit sind die Angriffe durch TTIP keineswegs abgewandt. Das Abkommen kann als sogenanntes „living agreement“ im Laufe der Zeit um weitere Punkte erweitert werden und größere Verschlechterungen von Sozial- und Umweltstandards in der EU oder in den USA erst später in internationales Recht gießen. Solche schleichenden Verschlechterungen sind dann für eine Bewegung deutlich schwieriger zu stoppen. Deshalb ist jetzt eine Bewegung notwendig, die TTIP grundsätzlich ablehnt.
Auf der Abschlusskundgebung wurde am Ende immer wieder bekräftigt, dass die Demo nur ein Auftakt zum Widerstand sein kann. Dieser Ankündigung müssen jetzt auch Taten folgen. Um wirklichen Druck für ein Ende von TTIP zu machen muss es eine Ausweitung der Kampagne von Gewerkschaften geben. Zum Beispiel sollte der Widerstand auf ganz Europa ausgedehnt werden.. Es ist bereits eine europaweite Demonstration in Brüssel in den nächsten Monaten in Planung. Das kann ein wichtiger Anfang sein. Hier muss der Europäische Gewerkschaftsverband eine reale Mobilisierung für starten.
Auch in Deutschland muss TTIP noch ratifiziert werden. Die Bundesregierung ist entschlossen das Abkommen noch durchzusetzen und wird nicht ohne weiteres davon abzubringen sein. Um den Druck über die bisherigen Demonstrationen hinaus zu steigern, sind betriebliche Aktionen und koordinierte Arbeitsniederlegungen durch den DGB nötig. Die Demo am Samstag hat gezeigt, dass GewerkschafterInnen bereit sind zu kämpfen. Dafür muss aber die Führung der Gewerkschaften ihren Kurs ändern und sich grundsätzlich gegen TTIP und nicht nur gegen Schiedsgerichte aussprechen und für transparente Verhandlungen eintreten. Dieses Abkommen kann nicht im Sinne von Beschäftigten reformiert werden.