Neue Plattform tritt zu Wahlen in katalanischer Region am 27. September an
Der Gang der politischen Ereignisse im spanischen Staat wird dieses Jahr vom Wahlkalender geprägt. Vorgezogene Wahlen in Andalusien im März, landesweite Kommunal- und in 13 von 17 Regionen Regionalwahlen. Im Dezember wird das nationale Parlament, der Cortes, neu gewählt. Der Regierungschef Kataloniens, Artur Mas, kündigte Anfang des Jahres die Auflösung und somit Neuwahl der Generalitat (Regionalparlament Kataloniens) an. Eine neue Plattform, die viele linke Kräfte umfasst, gab Mitte September ihren gemeinsamen Antritt bekannt.
von René Kiesel, Berlin
Das ganze Jahr über gab es in allen Städten und Communidades, was in etwa Bundesländern in Deutschland entspricht, Diskussionen über einen gemeinsamen Wahlantritt linker und linkspopulistischer Kräfte. Nun scheint es geschafft: die zwei großen alternative Wahlplattformen schließen sich in Katalonien zusammen: CUP-CC (Candidatura d’Unitat Popular – Crida Constituent), welches mit Kandidatur der Volkseinheit – Konstituierender Ruf übersetzt werden kann und Catalunya Sí que es Pot (Katalonien, ja wir können!). Letzteres wird von Podemos, der Vereinigten Linken – Izquierda Unida, Katalanische Grüne Initiative – ICV und den Grünen – EQUO geformt. Die grünen befinden sich in einer Partei mit B’90/Grünen auf europäischer Ebene, sind jedoch nur eine von mehr als einem dutzend ökologischer Parteien mi spanischen Staat und treten mit einem wesentlich kämpferischeren und linkeren Profil zur Wahl an. Bereits früher gab es Ansätze gemeinsamer Kandidaturen auf kommunaler Ebene mit Bündnissen um Podemos und andere linke Kräfte, die sich “Guanyem/Ganemos” (“wir gewinnen”) nannten, oder später beispielsweise “Barcelona en comú”, das für “Barcelona gemeinsam” steht. In der katalanischen Hauptstadt gelang es, mit der Beteiligung der in den Stadtteilen fest verankerten “Plattform für die von Hypothekenschulden Betroffenen” (PAH) deren Sprecherin Ada Colau zur Bürgemeisterin zu machen. Die PAH hat in den letzten Jahren durch organisierte Aktionen in den Nachbarschaften dutzende Zangsräumungen verhindern, womit sich Colau in den börgerlichen Medien einer Hetzkampagne gegenüber sah, die ihr den Titel “Terroristin” gab. Doch das scheinbar Unmögliche passierte: das Wahlbündnis ging als Siegerin im Mai hervor. Ähnliches geschah in Madrid, wo die linke Richterin Manuela Carmela als Spitzenkandidatin des Bündnisses “Ahora Madrid” (Jetzt Madrid!) Bürgermeisterin der Hauptstadt mi spanischen Staat wurde. Grundlage der Erfolges waren vor allem der Unmut mit den traditionellen Parteien, der bürgerlichen PSOE (Sozialistische Partei) und PP (Volkspartei) und das Gefühl, durch linkspopulistische Kandidaturen und Wahlversammlungen in den Stadtteilen etwas mitbewegen zu können. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es zwar Mobilisierungen für Wahlkampf und Wahl gab, jedoch die Führungsebenen äußerst akademisch geprägt sind und keine tief verwurzelte demokratische Organisation entstanden ist, die über punktuelle Asambleas (Versammlungen) hinaus geht.
Auf regionaler Ebene lehnte Podemos zu den Regionalwahlen noch gemeinsame Kandidaturen ab und bekam in Madrid und Umgebung 400.000 Stimmen weniger als das Bündnis, dessen Teil sie waren, in der Stadt selbst. Die Vereinigte Linke war an der Frage vielerorts politisch und teilweise organisatorisch gespalten. Einen krassen Ausdruck bekam dies in Badalona, der Nachbarstadt von Barcelona, wo die bürokratischen Teile der Izquierda Unida einen gemeinsamen Wahlantritt verhinderten und so die Stimmen spalteten. In Badalona erzielte das Bündnis “Guanyem Badalona” zwar ein sehr gutes Ergebnis, verfehlte die Mehrheit jedoch. In einigen Regionen setzte, ausgehend von dieser und anderer Fragen, ein Verfallsprozess der Vereinigten Linken ein. Der Druck von unten, die linken Stimmen nicht zu spalten, war groß und die Führungen von Podemos und Vereinigter Linker wechselten ihren Kurs. Ein Element dabei war die Angst, die Kontrolle über die Entwicklungen zu verlieren, wenn die Basis sich ihren eigenen Weg sucht.
Das „Manifest für den Bruch“
Mitte September gaben die Platfformen in einem gemeinsamen Manifest ihren Wahlantritt bekannt. In dem zweiseitigen Papier wird analysiert, dass es drei grundlegende Krisen gibt: die demokratische, die nationale und die wirtschaftlich-soziale. Die Plattform fasst inhaltlich verschiedene Bereiche zusammen und setzt sich zum Ziel, die Bewegungen der letzten Jahre in die Institutionen zu bringen. Die VerfasserInnen beziehen sich auf die Mareas (Wellen), die sich gegen die Kürzungen und Privatisierungen im öffentlichen Dienst und Bildungssektor in Katalonien wandten oder die Bewegung der Indignados/15M, die landesweit zu Hunderttausenden die Straßen und Plätze aus Protest gegen ein korruptes und undemokratisches System besetzten.
Zwar gibt es nun eine Chance, dass sich der Widerstand auf der Wahlebene niederschlägt. Jedoch konkurrieren die AktivistInnen, von denen der überwiegende Teil ehrenamtlich ist, mit professionellen Medienagenturen der pro-kapitalistischen Parteien im Dauerwahlkampf inklusive der Propagandamaschine, die die Medienlandschaft darstellt und auf Seiten von PSOE und PP steht. Von der persönlichen Erschöpfung abgesehen, beherrscht außerdem die Wahllogik das Geschehen. Protestkundgebungen werden zu Wahlkundgebungen, auf denen kaum eine andere Antwort gegeben wird, als das Kreuz bei der richtigen Stelle zu setzen. Die politische Diskussion in den Organisationen wird überschattet und zum Teil durch kurzfristige taktische oder pragmatische Überlegungen ersetzt. Die Strategie der Führung von Podemos, klassenunspezifische Ausdrücke und Slogans zu verwenden, kommt noch mehr zum tragen. Es wird vor allem nach Parolen gesucht, die eine möglichst breite Mehrheit hinter sich bringen können, wobei der konkrete Inhalt oder politische Klarheit oft auf der Strecke bleibt.
Trotz positiver Ansätze bleibt das Programm sehr allgemein. Es wird von einer Antwort auf die soziale Not gesprochen, vom Bruch mit dem patriarchalem System und einem nachhaltigen Leben. Ein Ende des Schuldendiktats wird ebenso gefordert, wie ein Wiederaufbau einer inklusiven und effizienten Demokratie. Daher wird zum Bruch mit dem bestehenden Regime aufgerufen. Bei diesen Schlagwörtern bleibt es jedoch, wobei die Organisationen der Wahlplattform weitergehende Programme anzubieten haben.
Katalonien und die nationale Frage
In Ländern mit Bevölkerungsgruppen verschiedener Identität (religiös, national usw.) kommt es vor allem in Zeiten der kapitalistischen Krise zu vermehrten Spannungen. Im spanischen Staat gibt es vor allem in Katalonien und im Baskenland jahrelange Spannungen mit der Zentralregierung. Diese wird als Schuldige für die eigene soziale Misere angesehen. Die Unterdrückung der jeweiligen Sprache und Kultur im frankistischen Spanien sorgte für eine Verschärfung dieses Konflikts. Das Bestreben nach nationaler Unabhängigkeit, um der sozialen Krise zu entkommen, wird von lokalen Kapitalisten gezielt genutzt. Sie schüren das Gefühl der Unterdrückung, um es als Faustpfand in Verhandlungen mit der Madrider Zentralregierung zu nutzen und gleichzeitig der Bevölkerung die Illusion einzutrichtern, dass sich in einem unabhängigen Katalonien oder Baskenland unter ihrer Führung alles zum Besseren wenden würde. Dabei geht es ihnen lediglich um einen größeren Anteil am Gewinn, nicht jedoch um das Wohlergehen der Menschen. Während bürgerliche Politiker wie Artur Mas von der Regierungspartei CiU (Convergència i Unió – Übereinstimmung und Einheit) in Barcelona dem Nationalparlament drohen, stimmen sie im Cortes jeder Kürzung zu und setzen sie in der eigenen Region selbst um. Die nationale Frage hat für die Massen einen anderen Charakter und vor allem sozialen Inhalt. Die MarxistInnen von „Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV im spanischen Staat) schreiben, dass es keine soziale Gleichheit ohne das Recht auf Selbstbestimmung geben kann, aber genauso wenig eine wirkliche Unabhängigkeit ohne soziale Gleichheit.
Gerade an dieser Frage könnte das neue Wahlbündnis zerreißen. Während CUP-CC vor allem Kräfte sammelt, die prominent ein unabhängiges Katalonien gefordert haben und deren Kern die seit jeher links-nationalistische CUP bildet, schloss der anderen Teil Gruppierungen ein, die eher autonome Rechte in einem spanischen Staat fordern. Der Kompromiss in ihrem Manifest ist nun ein Bekenntnis zum Einheitsstaat und eine unbestimmte Zukunftsperspektive für die republikanische Entwicklung Kataloniens zu entwickeln. Viele KatalanInnen sind jedoch der Meinung, dass erst die Unabhängigkeit und dann die Revolution kommt. Die bürgerliche Politik der Spaltung entlang nationaler Grenzen im eigenen Staat sowie eine mangelnde Alternative hat den Nationalismus und die Entfremdung der katalanischen von der spanischen Arbeiterklasse befördert.
Ausblick
Das Versprechen ist, nach der Wahl eine „Regierung der Kontinuität“ zu bilden. Damit wäre der verkündete „Bruch“ allein auf den Gang zur Wahlurne beschränkt, da keine Perspektive der weitergehenden Organisierung gegeben wird oder ein Aufruf an eine aktive Unterstützung dieser Regierung ergeht. Gerade in Katalonien, einer der industrialisiertesten Regionen mit einer Arbeiterklasse, die eine sehr kämpferische Tradition besitzt, wird dies ein folgenschwerer Fehler sein. Allein auf die politische Ebene bezogen, Zeit sich deutlich bei Parteien wie Podemos, wie weit das Programm verwässert und nach rechts gehen kann, wenn die Kontrolle und Diskussion durch eine demokratische organisierte Basis fehlt.
Was nach dem Wahltag geschieht, wird Gradmesser für die Parlamentswahlen sein und zeigen, ob die Massen für ein Programm des wirklichen Bruchs auf der Straße, in den Betrieben und den öffentlichen Einrichtungen mobilisiert werden, oder ob es, wie in Griechenland, ein Scheitern der reformerischen Illusionen gibt. Die Herrschenden haben eines klar gemacht: Bei Verhandlungen am Runden Tisch werden sie nicht von ihrem Programm abweichen.
Das schwache Programm, die Unklarheit bei der nationalen Frage und das Scheitern SYRIZAs, inklusive der fortwährenden Unterstützung Pablo Iglesias‘ für Tsipras, drücken auf die Umfragewerte. Dennoch wird das bisherige Regierungsbündnis CiU, die bereits bei den letzten Wahlen 2012 über sieben Prozent verlor, weiter verlieren. Gemeinsam mit der ERC (republikanischen Linken) haben sie das Wahlbündnis „Junts pel Sí“ (Alle für das Ja [zur Unabhängigkeit A. d. A.]) gegründet.
Sie haben jedoch in diesem Jahr an Glaubwürdigkeit eingebüßt, nachdem sie ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens sang- und klanglos absagten, als die Zentralregierung es untersagte. Weder CiU noch ERC wiesen einen wirklichen Weg vorwärts. Zudem ist die alte Regierungspartei in den armen Schichten der Bevölkerung aufgrund der Kürzungen verhasst. Gemeinsam wird ihnen ein Umfrageergebnis von nicht einmal vierzig Prozent vorhergesagt, was weit hinter den letzten Wahlen liegt. Das neue Wahlbündnis könnte auf 20 bis 25 Prozent der Stimmen kommen. Von den bürgerlichen Medien wird die Abstimmung allerdings gezielt als eine Abstimmung pro- oder contra der Unabhängigkeit dargestellt. So wird die linke CUP mit ihrer Postition für die Unabhängigkeit mit der bürgerlichen CiU in einen Topf geworfen, was vor allem die Unterstützung für linke Positionen untergraben und linke Forderungen verwischen soll.
Dennoch ist die Wahlebene nur eine Momentaufnahme und innerhalb kurzer Zeit kann sich die Situation ändern. Wenn die AktivistInnen der linken Parteien es schaffen, die Brücke zu der Gewerkschaftsbasis zu schlagen, wenn es ihnen gelingt, für ein internationalistisches Programm Begeisterung zu schaffen und sie die Verankerung in den Stadtteilen und Betrieben erreichen, wird sich das Blatt wenden. Nicht nur für den Klassenkampf in Katalonien, der sich in den letzten Monaten auf einem niedrigen Level befand. Sondern für alle Kräfte in Europa, die gegen das Schuldendiktat Merkels und der Troika und für eine sozialistische Veränderung Europas kämpfen.