Ein Interview mit Anthony Main über den erfolgreichen Widerstand gegen das größte Infrastrukturprojekt der Welt im australischen Melbourne,
Anthony, Du hast aktiv am Kampf gegen den Ost-West-Tunnel in Melbourne teilgenommen und darüber gerade das Buch „Beating the big End of Town“ veröffentlicht. Klingt sehr weit weg, doch auch hier gibt es Megaprojekte wie in Stuttgart – der komplette Neubau eines Bahnhofs mit Verlegung unter die Erde. Statt für marode Schulen und Wohnungsmangel werden hier mehrere Milliarden Euro verpulvert. Worum ging es in Melbourne und was warum wart Ihr gegen den Tunnel?
Das Projekt war ein Mauttunnel, der von Ost nach West unter der nördlichen Vorstadt verlaufen sollte. Die Regierung erzählte uns, dass er das Verkehrsaufkommen reduzieren und Arbeitsplätze schaffen sollte. Aber die Fakten sprachen eine andere Sprache. Als wir es uns genauer anschauten, wurde deutlich, dass es ein Projekt im Interesse der großen Logistikfirmen, Bauunternehmen und Banken war. Die normale Bevölkerung sollte dafür auf verschiedenen Wegen zahlen. In Form einer Maut, um den Tunnel nutzen zu dürfen. Aber auch die Regierung würde das Projekt finanziell unterstützen und Milliarden über Milliarden in Subventionen für die Firmen stecken, die den Tunnel bauen und betreiben sollten. Das war ein schrecklicher Gedanke. Hunderte Häuser hätten weichen müssen, um Platz für den Tunnel zu schaffen, ein historische Park wäre zerstört und Nachbarschaften auseinander gerissen worden. Aus all diesen Gründen entschieden wir uns, eine Kampagne dagegen zu starten.
Wie hoch war das finanzielle Volumen dieses Projekts?
Ich glaube, es entsprach in etwa zwölf Milliarden Euro. Es waren 18 Milliarden australische Dollar allein für die Bauphase. Und das bedeutete offensichtlich Milliarden von Profiten für die Firmen, die die Genehmigung bekamen, die Straße über einen Zeitraum von dreißig Jahren zu betreiben. Als es vorgeschlagen wurde, galt es als das größte Infrastrukturprogramm auf der Welt.
Also der Bau selbst wurde durch öffentliche Investitionen getragen?
Es war eine öffentlich-private Partnerschaft, also gab es Geld von der Staatsregierung, von der Regierung des Bundesstaates und aus dem privaten Sektor. Aber es war eine ziemlich einzigartige Vereinbarung. Sie haben es Verfügbarkeitsmodell genannt. Unabhängig davon, wie viele Autos den Tunnel benutzen würden, garantierte die Regierung eine Zahlung an private Unternehmen in Höhe von 300 oder 400 Millionen Dollar jedes Quartal! Dabei gibt es überall Finanzierungsbedarf, insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr, der eine bessere Alternative zu privaten Maut-Straßen ist. In Wirklichkeit schafft dies mehr Arbeitsplätze und ist viel besser für die Umwelt.
Wie sieht es mit Arbeitsbedingungen aus? Wenn die Regierung sagt, dass das Projekt mehr Jobs schaffen wird, welcher Art wären sie gewesen? Befristete Arbeitsplätze?
Es ist offensichtlich, dass sie versucht haben, so zu argumentieren, da es eine zunehmende Arbeitslosigkeit in Australien gibt. Es herrscht Angst vor Unterbeschäftigung, Gelegenheitsarbeiten und prekärer Arbeit. Und natürlich haben die Leute Angst um ihre Arbeitsplätze. Wir haben gesagt, dass das gleiche Geld in öffentlichen Transportprojekten drei Mal so viele Jobs schaffen könnte, was auch einige Wissenschaftler bestätigten. Die Stellen in dem Projekt waren ausschließlich auf die Zeit während der Arbeiten befristet. Wenn der Tunnel einmal gebaut ist, gibt es nicht mehr viel zu tun. Vielleicht ein wenig Reinigung und das Auswechseln von Lampen, während im Nahverkehr beispielsweise Servicekräfte behalten werden. Es gibt viel mehr Arbeit in diesem Bereich. Wir haben für diese Alternative argumentiert.
Welche Haltung haben die Gewerkschaften zu dem Bauprojekt eingenommen?
Leider sah es in diesem konkreten Fall so aus, dass die meisten Gewerkschaften das Projekt unterstützt haben. Wir glauben, dass sie eine sehr eingeschränkte Sicht auf die Baubranche hatten. Dort wollen sie vor allem neue Jobs für ihre Mitglieder schaffen. Aus der Sicht der gesamten Arbeiterklasse wird das SteuerzahlerInnen und arbeitende Menschen Milliarden von Dollar über Jahrzehnte kosten und weniger Beschäftigung schaffen. Es war ein wenig enttäuschend, dass die Gewerkschaften dies nicht wirklich verstanden. Es gab einige, die es formal ablehnten, aber leider nicht sehr aktiv in der Kampagne waren.
Wie ist die Lage der arbeitenden Bevölkerung in Melbourne?
Die politische Situation in Australien ist sehr ruhig. Australien hat – was in der entwickelten Welt einzigartig ist – einen ununterbrochenen wirtschaftlichen Boom über die letzten 25 Jahre erlebt. Die wirtschaftliche Situation hier wurde vor allem durch die ökonomische Entwicklung in China befördert. Der tragende Bereich der australischen Wirtschaft ist der Bergbau und Export von Rohstoffen nach China. Aber diese Situation beginnt, sich zu verändern. Chinas Wachstum verlangsamt sich und das hat bereits einen Einfluss auf die australische Wirtschaft. Ein Teil, worum es bei diesem Projekt ging, war, dass die Regierung und große Firmen nach anderen Bereichen gesucht haben, wo sie Profite investieren können. Als der Bergbau ins Stocken geriet, forcierten viele Staaten in Australien Straßenprojekte. Ich denke, dass das eine neue Gewinnquelle für sie in den kommenden Jahren sein wird. Dieses Projekt war sehr eng mit den Wirtschaftsplänen der Regierung und großen Firmen verbunden.
Das klingt ganz nach Stuttgart 21. Es wird eine größere Fläche in der Stadt frei gegeben, um neue Bürogebäude und Einkaufscenter zu bauen mit denen sich eine Menge Profit machen lässt.
Ich glaube, die Gemeinsamkeit all dieser Projekte auf der ganzen Welt ist, dass sie von Profitinteressen voran getrieben werden. Sie werden nicht für die einfachen Menschen gebaut. Für Gewöhnlich sind es keine gesellschaftlich sinnvollen Projekte: es geht nur darum, dass Konzerne daran verdienen. Sie machen sich keine Gedanken über die Lebensumstände der Menschen. Sie kümmern sich nicht um die finanziellen Auswirkungen für SteuerzahlerInnen.
Wofür stand die Kampagne noch?
Zuallererst haben wir natürlich gesagt, dass wir gegen dieses Projekt sind. Wir sagten, dass das Geld statt dessen in den öffentlichen Nahverkehr investiert werden sollte, weil wir in Australien eine Situation haben, in der die Bevölkerung wächst. Aber der Dienstleistungsbereich ist nicht in der Lage, damit Schritt zu halten. Der Nahverkehr in Melbourne platzt aus allen Nähten. Das wäre besser für die Umwelt und würde Arbeitsplätze schaffen. Wir bekamen sehr positive Rückmeldungen von den normalen Leuten in Melbourne. So sehr, dass die Regierung eine riesige Propagandakampagne startete, bei der Millionen von Dollar für Werbung, Anzeigen und viele andere Sachen ausgegeben wurden. Aber die Leute verstanden, was wir ihnen sagten und wir bekamen Resonanz dafür, dass wir ein Alternativprojekt vorstellten. Letztendlich vertrauten die Menschen der Regierung nicht, gerade weil das Projekt im Interesse der Konzerne war. Die Regierenden entschieden, die Planung geheim zu halten, was viele skeptisch machte und bezüglich ihrer Absichten verunsicherte. Und das funktionierte schließlich für die Regierung nicht, weil sie dieses Projekt im Wahlkampf nutzen wollte und sagte, dass die Wahlen als Referendum darüber gesehen werden sollten. Sie haben die Wahlen verloren, sie wurden aus dem Amt geworfen und die oppositionelle Labour-Partei kam an die Macht und war durch den Druck der Kampagne gezwungen, das Projekt zu verwerfen. So haben wir am Ende gewonnen.
Wie war der Kampf in den Stadtteilen und im Allgemeinen organisiert?
Es gibt verschiedenen Aspekte des Kampfes. Wir organisierten viele Straßenproteste und Demonstrationen, aber die Hauptsache, die den meisten Druck auf die Regierung erzeugte, war die direkte Aktionskampagne, die wir in den umliegenden Vierteln starteten. Diese direkten Aktionen zielten auf die Vorarbeiten ab. Sie mussten viele Testbohrungen machen, um den Grund zu erforschen und Gesteinsproben unter der Vorstadt zu nehmen, um heraus zu finden, wie sie den Tunnel unter der Stadt bohren können. Das war unser Ziel. Wir stellten Posten auf, um die Pläne der Regierung und deren Vertragspartner zu behindern. Das übte viel Druck aus, da sie einen sehr engen Zeitplan hatten. Und auf der Grundlage von Arbeitsverzögerung durch direkte Aktion, wurde das Problem auf eine politische Ebene gehoben. Es war die Hauptschlagzeile in den Nachrichten über Monate hinweg in Melbourne und Australien.
In Stuttgart gab es brutalste Polizeieinsätze gegen Blockaden. Wie war die Situation bei Euch?
Es gab auch bei uns eine gewaltige Polizeipräsenz. Am Anfang waren sie ein wenig unsicher, wie sie mit uns umgehen sollten, weil wir normale AnwohnerInnen aus der Gegend mobilisierten und sie zögerten sehr, hart vor zu gehen. Das änderte sich jedoch, als der Zeitplan immer mehr drängte. Es waren hunderte von Einheiten eingesetzt, um die Ketten zu durchbrechen. Es gibt eine Schätzung, nach der sie fünf Millionen Dollar für Polizeiressourcen ausgaben und hunderttausende mehr für private Security und andere Sachen, um den Blockadeposten beizukommen. Wir waren jedoch zumindest in der Lage, den Prozess zu verzögern. Das zwang sie zuerst dazu, die Vorarbeiten einzustellen und dann ganz abzusagen. Außerdem rückten die Wahlen näher, die für November 2014 angesetzt waren und sie wollten natürlich das Projekt vorher gestartet haben.
Also würdest Du sagen, dass der entscheidende Faktor, um diesen Kampf zu gewinnen die Organisierung der AnwohnerInnen war? Oder welche anderen Faktoren gab es?
Es war entscheidend, dass wir die Leute organisiert haben, die direkt betroffen waren. Menschen, die ihr Zuhause verlieren würden. Menschen, deren Viertel ruiniert werden würde. Aber unser allgemeines Programm sagte, dass Millionen von Menschen in den Vorstädten betroffen wären. Für die nicht direkt Betroffenen, hatten wir einen Forderungskatalog für mehr Nahverkehr und Arbeit. So waren wir in der Lage, die öffentliche Meinung zu ändern, trotz Millionen von Regierungsgeldern, die in die Propagandakampagne gesteckt wurden. Umfragen ergaben, dass die Mehrheit der einfachen Bevölkerung Investitionen in den öffentlichen Verkehr sehen wollte im Gegensatz zu mehr privater Mautstraßen.
Was kommt jetzt, nachdem der Kampf gewonnen ist? Wird möglicherweise eine andere Regierung in der Zukunft dieses Projekt wieder aufleben lassen?
Das ist auf jeden Fall möglich. Aber wir haben gesehen, dass solche Projekte verhindert werden können, wenn sich normale Leute zusammen tun. Konzerninteressen können zurückgeschlagen werden. Die Hauptsache ist, dass wir unsere Energie jetzt in eine Kampagne für öffentlichen Personennahverkehr und Alternativen stecken. Auf der Strecke, auf der der Tunnel gebaut werden sollte, schlagen wir zum Beispiel vor, eine Eisenbahnstrecke zu bauen, um für eine Entlastung von tausenden von Autos von der Strecke von Osten nach Westen quer durch Melbourne zu schaffen, was effektiver wäre als der Tunnel.
Was war Deine Rolle in der Kampagne?
Dieses bestimmte Projekt wurde seit etwa 2008 groß angekündigt. Und wir haben schon damals dagegen mobilisiert. Wegen der globalen Finanzkrise bekamen sie damals kein Geld von privaten Investoren. Also wurde es erst einmal zurückgestellt. Es kam jedoch schnell wieder auf die Agenda im Jahr 2013. Zu diesem Zeitpunkt begannen wir gegen die Vorarbeiten zu mobilisieren. Meine Aufgabe war die Koordinierung der direkten Aktionen und der Posten in den Vierteln. Dadurch wurde ich oft als Sprecher der Kampagne angesehen.
Warum hast Du zu dieser Auseinandersetzung ein Buch geschrieben?
Überall auf der Welt gewinnen die großen Unternehmen, sie bauen diese Riesenprojekte zu Lasten der normalen Bevölkerung, ruinieren Stadtteile, profitieren davon und bekommen Subventionierungen von kapitalistischen Regierungen. Oft verlieren wir. Aber wenn wir gewinnen, ist es das wert, aufgeschrieben zu werden. Es ist wichtig herauszuarbeiten, was während der Kampagne passiert ist, um die Lehren daraus zu ziehen. Und es soll helfen, um es mit anderen Bewegungen nicht nur in Australien, sondern überall zu teilen.
Das Interview führte René Kiesel.
Das Buch „Beating the big End of Town“ kann für 8 Euro plus Versandkosten unter info@sav-online.de bestellt werden.