Was passiert nach den Wahlen?
Nach der Niederlege der prokapitalistisch-konservativen AKP bei den letzten Parlamentswahlen in der Türkei ist noch unklar, wie die neue Regierung zustande kommen soll. Der Einzug der neuen linken Partei der türkischen und kurdischen Linken ( HDP) ins Parlament hat die ganze Parteienkonstellation des bürgerlichen Parlaments durcheinander gebracht. Der Hauptverlierer Erdogan setzt auf Neuwahlen.
von Nihat Boyraz, Ankara
Die Parlamentswahlen am 7 Juni waren historisch, vor allem weil die Alleinregierung der AKP nach 13 Jahren beendet wurde. Außerdem schafft der Einzug der HDP ins Parlament mit einem sensationellen Ergebnis gute Grundlagen für den Aufbau einer neuen linken Massenpartei. Die HDP hat die bei den Wahlen 13 Prozent der Stimmen bekommen und somit die undemokratische Wahlhürde von 10 Prozent überspringen können. Hätte sie es nicht geschafft, wäre dies ein großer Sieg für die Erdogan Pläne gewesen, ein Präsidialsystem einzuführen, um weiterhin alleine das Land regieren zu können. Seit einem Jahr ist er zwar Staatspräsident, dessen Macht ist allerdings, wie in Deutschland, eher eine symbolische.
Erdogans Manöver
Den normalen Prozeduren gemäß sollte der amtierende Staatspräsident gleich nach den Wahlen einen Vertreter einer Partei mit der zügigen Regierungsbildung beauftragen. Nun ist mehr als ein Monat vergangen, ohne dass jemand beauftragt worden wäre. Dahinter steckt Erdogans Taktik, möglichst viel Zeit für weitere Manöver zu gewinnen. Es ist ein Taktikkrieg zwischen den Parteien und Erdogan, was gerade im bürgerlichen politischen System stattfindet.
Normalerweise sollte es unter solchen Umstände nicht das geringste Problem geben, eine neue bürgerlichen Regierung zu bilden. Die AKP und die kemalistische, linksbürgerliche Partei CHP haben mit 41 bzw. 25 Prozent zusammen 64 Prozent der Stimmen. Die Polarisierung in der Gesellschaft, die Erdogan in letzten Jahren vorangetrieben hat, ist so scharf, dass keine Oppositionspartei im Parlament das Risiko eingehen will, mit der AKP eine Regierung zu bilden. Das Haupthemmnis für die Koalition sind die Bedingungen der Oppositionsparteien bezüglich Erdogans Einmischung in das Regierungsgeschäft. Sie verlangen, dass Erdogan sich auf seinen Amtsbereich beschränkt. Außerdem war eines der Wahlsprechen aller Oppositionsparteien, auf die Korruptionskandale vor 2 Jahren bis zum Ende einzugehen. Bei dem als „17/25“ bezeichneten Ereignis geht es nicht nur um die Verstrickungen von vier Ex-Ministern in den größten Korruptionsskandals des Landes, sondern auch Erdogan selbst. Die AKP könnte wohl aus taktischen Gründen die vier Ex-Minister aufgeben. Weil aber der Untergang von Erdogan dem Untergang der gesamten AKP gleichkommen würde, hält diese weiterhin an ihm fest.
HDP
Der eigentliche Wahlsieger HDP bleibt vorerst von all dem verschont. Sie hat von vornherein eine Koalition mit der AKP ausgeschlossen. Ein Block mit bürgerlichen Parteien wird vor allem von der nationalistischen MHP abgelehnt. Sie beschimpft die HDP als Handlanger der PKK und hat sogar bei der Wahl des Parlamentspräsidenten den Kandidaten der CHP nicht gewählt, weil die 50 HDP- Abgeordneten dies getan hatten- aus taktischen Gründen, damit die AKP diese Position verliert. Die MHP hat sich enthalten, was dazu führte, dass der AKP-Kandidat gewählt wurde und die AKP dadurch wieder einen Sieg erringen konnte.
Die „Friedensverhandlungen“ mit der PKK sind für die HDP ein wichtiger Punkt. Auch für die Bevölkerung steht die kurdische Frage im Vordergrund. Bei einer Umfrage sehen 30% der Menschen in der Türkei diese als größtes Problem, die Wirtschaft landete nur auf dem zweitem Platz. Eine mögliche AKP-MHP-Koalition würde das Ende des „Friedensprozesses“ bedeuten.
Alternative zu Erdogan aufbauen
Die Großbourgeoisie verlangt „Stabilität“. Für sie wäre eine Große Koalition von AKP und CHP am besten, aber der Erdogan-Faktor macht dies unmöglich. Es sieht gerade so aus, als gäbe es entweder demnächst keine Regierung und die jetzige AKP-Regierung bliebe als Übergangsregierung bis zu den nächsten Wahlen im November im Amt, oder als gäbe es eine Regierung mit einer kurzen Lebenszeit. Das ist auch der Wunsch von Erdogan, um mit dem Finger auf die Parteien zeigen und sagen zu können, „Seht ihr, ich habe es doch gesagt. Wir brauchen eine starke Führung“.
Ob die Dinge so funktionieren werden, wie er sie sich wünscht, hängt auch davon ab, ob die HDP und die linke Opposition außerhalb des Parlamentes die neue Situation und die Möglichkeiten richtig einschätzen und eine politische Kraft im gegen ihn und sein korruptes System aufbauen, die eine wirkliche Alternative im Interesse die türkische und kurdische Arbeiterklasse darstellt.