Der Widerstand gegen das konservative Establishment nimmt zu
Das „Ja“ beim Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe zeigt, wie stark die Idee unterstützt wird, Menschen aus der LGBTQ-Community mit den gleichen Rechten auszustatten und zu Fortschritt und gesellschaftlichem Wandel zu kommen. In Dublin und anderen Städten waren die Straßen voll mit Menschen, die einen Sieg feierten, der auf den jahrzehntelangen Kampf der Menschen aus der LGBTQ-Community zurückgeht (LGBTQ steht für „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer“; dt.: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Queer; Erg. d. Übers.).
von Conor Payne, Socialist Party Irland
Der folgende Beitrag vom Aktivisten Panti Bliss auf „facebook“ fasst ziemlich gut zusammen, welchen Wandel dieses Referendum eingeleitet hat, und bringt das damit verbundene Gefühl der Befreiung zum Ausdruck: „Bin gestern, zwei Tage nach dem Referendum, durch Dublins Stadtzentrum gelaufen. Es war außergewöhnlich und großartig so viele LGBT-Pärchen zu sehen, die ganz zwanglos Händchen halten. Mag es lange anhalten. Alles hat sich verändert. Vollkommen verändert!“.
Dass so viele Menschen mit „Ja“ gestimmt haben, war beeindruckend und hat ganz klar gezeigt, dass die Einstellungen sich geändert haben. In den letzten Jahrzehnten ist es in der irischen Gesellschaft zu einem echten Wandel gekommen. Wir sprechen von einem Land, in dem Homosexualität bis ins Jahr 1993 hinein kriminalisiert worden ist! Jetzt haben 62,1 Prozent mit „Ja“ und 37,9 Prozent mit „Nein“ gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei 60,5 Prozent. Damit war es die höchste Wahlbeteiligung bei einem Referendum seit der Abstimmung über das Scheidungsrecht im Jahr 1995. Ein Gegenbeispiel liefert das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe, das 2008 im US-Bundesstaat Kalifornien abgehalten wurde und bei dem sich 52 Prozent dagegen ausgesprochen haben. Während es in der Vergangenheit bei Referenden zum Beispiel zur Frage des Scheidungsrechts oder des Rechts auf Abtreibung zu knappen Ergebnissen gekommen ist (wobei die Resultate in Dublin ganz anders ausfielen als im Rest des Landes), gab es diesmal nur einen Wahlbezirk, in dem sich eine Mehrheit gegen die „Ehe für Alle“ ausgesprochen hat. Selbst die ländlichen Bezirke, die traditionell eher als konservativ angesehen werden, haben sich jetzt mehrheitlich für die „Ehe für Alle“ entschieden. Die stärkste Zustimmung kam dabei von jungen Abstimmungsberechtigten, Frauen und in den Bezirken zustande, die von der Arbeiterklasse geprägt sind.
Dieses Ergebnis wäre nicht möglich gewesen, ohne dass sich ein gewisser Grad an Politisierung entwickelt und eine Bewegung herauskristallisiert hätte, an der sich all die bekannten Gruppen und vor allem die jungen Menschen beteiligt haben. Sie konnten so breit mobilisieren, dass am Ende eine derart hohe Zustimmung zustande kam. 66.000 in erster Linie junge Menschen trugen sich in die zusätzlich angefertigten Wahlregister ein, um noch am Referendum teilnehmen zu können. Viele von ihnen hatten sich erst in den Monaten kurz vor der Abstimmung registrieren lassen. Im Bezirk Fingal trugen sich 4.207 Personen in die Listen ein. Am Tag des Referendums beteiligten sich dann tatsächlich unglaubliche 96 Prozent der neuen Registrierten an der Abstimmung. Der „Hashtag“ #HomeToVote (dt.: „zum Wählen nach Hause kommen“) befasste sich mit dem Phänomen einer großen Anzahl von in erster Linie jungen AuswandererInnen, von denen viele aufgrund der wirtschaftlichen Lage zum Verlassen Irlands gezwungen worden waren. Bis zu 50.000 von ihnen waren zurück nach Irland gekommen, um mit „Ja“ zu stimmen.
Zu Hunderten hatten sich Menschen aktiv an Tür-zu-Tür-Mobilisierungen und anderen Kampagnen beteiligt, zu denen es in den letzten Wochen vor dem Referendum noch gekommen war. In Dublin wie im ganzen Land waren die „Yes“-Banner allgegenwärtig. Zehntausende Menschen hatten darüber bewusst ein gut sichtbares Zeichen gesetzt. Darüber hinaus wird eine große Zahl an Personen im Freundes- und Familienkreis für ein „Ja“ beim Referendum geworben haben. Dies war eine gesellschaftliche Bewegung – die zweite große Bewegung, die Irland in nur einem Jahr durchgeschüttelt hat. Bei der anderen Bewegung handelt es um den Kampf gegen die Wasser-Abgabe.
Hohe Beteiligung der Arbeiterklasse
Anlässlich des Referendums hatte die Seite, die sich für ein „Nein“ stark gemacht hatte, versucht, die Abstimmung als Projekt einer „liberalen Elite“ darzustellen. Gleichzeitig drückte Aodhan O’Riordain, der „Minister für Gleichstellungsfragen“ von der sozialdemokratischen „Labour“-Partei, seine Sorge darüber aus, dass WählerInnen, die aufgrund der Wasser-Abgabe wütend sind, mit „Nein“ stimmen könnten. Dabei zeigte sich seine Einschätzung, nach der die Menschen aus der Arbeiterklasse naiv und rückschrittlich sind. Er sagte: „Ich glaube, wenn die Zahlungsaufforderungen eintreffen und die Kampagnenführer an die Tür klopfen, nun, dann kann ich mir vorstellen, dass die Leute uns schon sagen werden, wohin sie uns wünschen. Sie werden uns sagen: ‚Macht erstmal eine Referendum zur Wasser-Abgabe. Da werde ich dann mitmachen!‘. Das Ausmaß des Widerstands, den die Politik im Allgemeinen entfacht hat, könnte dazu führen, dass die Menschen gegen einen sehr aufrichtigen Ansatz stimmen, der mit Gleichberechtigung und dem Menschenrecht zu tun hat“.
Trotz dieser Stereotype, mit denen die Menschen aus der Arbeiterklasse belegt wurden, waren es ausgerechnet die am meisten benachteiligten und vernachlässigten Viertel der Arbeiterklasse, die landesweit den größten Anteil an „Ja“-Stimmen aufzuweisen haben. Wie in der „Irish Times“ berichtet, stimmten beispielsweise in Dublin Coolock 88 Prozent mit „Ja“. In Jobstown waren es 87 Prozent, in The Liberties 88 Prozent, in Cherry Orchard 90 Prozent. In Limerick stimmten im Stadtteil Moyross 70 Prozent für die „Ehe für Alle“ und in South Hill 72 Prozent. Gerade die Menschen, die durch die Bewegung gegen die Wasser-Abgabe mobilisiert und politisiert worden sind, haben sich registrieren lassen, um ein mächtiges Statement im Sinne ihrer Freunde, Familienangehörigen und NachbarInnen abzugeben, die zur LGBT-Community gehören. Sie alle wollen gleiche Rechte und gesellschaftlichen Wandel. Grainne Healy, Sprecherin von „Marriage Equality“ und stellvertretende Geschäftsführerin der größten Kampagne für die Gleichstellung („Yes Equality“) erklärte höchstselbst: „Als wir in Gegenden wie (dem Dubliner Vorort; Erg. d. Übers.) Finglas von Tür zu Tür gezogen sind, war die Stimmung für ein ‚Ja‘ überwältigend. Als wir dann nach Glasnevin kamen, stießen wir schon auf größeren Widerstand. Es schien ganz so, als seien die Menschen mit Einfamilienhaus und zwei PKW vor der Tür und einer Menge mehr Geld weniger offen für ein ‚Ja’“ („Irish Times“, 24/05/15).
Die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe wird den gleichgeschlechtlichen Paaren in Irland, die heiraten wollen, echte Vorteile bringen. Die Abstimmung ging jedoch über diese Fragestellung hinaus. Trotz der Retorik von Seiten der „Yes“-Kampagne darüber, dass die Ehe das „Fundament einer stabilen Gesellschaft“ sei, ging es bei diesem Referendum zu allererst um die Bestätigung der gleichen Rechte für Menschen aus der LGBTQ-Community. Außerdem wurde damit die ganze Bigotterie und Engstirnigkeit sowie die rückwärts gewandte Version einer Gesellschaft zurückgewiesen, wie sie von der „No“-Seite vertreten worden ist. Das Ergebnis des Referendums hat gezeigt, dass es ein großes Verlangen nach einer gleichberechtigten, fortschrittlichen und säkularen Gesellschaft gibt.
Im Laufe der Kampagne vor dem Referendum hatte die „Nein“-Seite versucht, Zweifel und Ängste zu streuen. Dabei ging es vor allem um Menschen aus der LGBT-Community und die Frage, ob sie Kinder großziehen sollten. Aber auch Themen wie Leihmutterschaften wurden aufgegriffen. Das Argument, dass Kinder „das Recht auf eine Mutter und einen Vater haben, die miteinander verheiratet sind“, entsprach überhaupt nicht der Realität und wirkte auf irische Familien, die diesem angeblichen Ideal gar nicht mehr entsprechen, wie eine Beleidigung. Man machte auch großes Aufhebens daraus, sich in der Rolle der Opfer darzustellen, die angeblich zum Schweigen gebracht worden seien. So stellte man sich selbst als diejenigen dar, die sich gegen das Establishment wehren würden. Mit diesen Argumenten war man aber nicht in der Lage, Boden gutzumachen oder auch nur in die Nähe einer Mehrheit zu kommen. Von „zum Schweigen gebracht“ oder einer Dämonisierung kann gar keine Rede sein. Fakt ist, dass die „Nein“-Seite von der Mehrheit des Establishments mit Samthandschuhen angefasst wurde. Das fing damit an, dass der staatliche Sender RTE sich entschied, rund 80.000 Euro an Mitglieder des konservativen „Iona Instituts“ zu zahlen, nachdem dieses im Sender als „homophob“ bezeichnet worden war.
Das Eingreifen der katholischen Kirchenhierarchie, die das Thema weitgehend mit geprägt hat, wurde ebenfalls verächtlich zurückgewiesen. Die Kommentare von Kevin Doran, dem Bischof von Elphin, dass es sich bei Schwulen mit Kindern nicht um Eltern handeln würde, waren für die Haltung der „Nein“-Seite symptomatisch. Am Sonntag vor dem Referendum wurden noch massenweise Hirtenbriefe des Bischofs von den Kanzeln des Landes verlesen, die dazu aufriefen, mit „Nein“ zu stimmen. Es gab einige Berichte, nach denen es überall im Land dazu gekommen ist, dass solche Erklärungen MessgängerInnen zum Verlassen des Gottesdienstes veranlasst haben. Die Kommentare des Erzbischofs Diarmuid Martin nach dem Referendum, dass die Kirche einen „Realitätscheck braucht“ und „vollkommen den Anschluss an die jungen Menschen verloren hat“ widerspiegelt die tiefe Krise der Kirche, deren Autorität steil bergab gegangen ist.
Dass das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe so eindeutig ausgefallen ist, zerstört den Mythos von der von Hause aus konservativen „schweigenden Mehrheit“ und deutet darauf hin, dass es Kräfte gibt, die in der irischen Gesellschaft für Wandel und Fortschritt stehen. Außerdem wird damit endgültig klar, dass die Ursache für den konservativen Charakter des irischen Staates im Establishment zu suchen ist und nicht auf mögliche Haltungen der Bevölkerungsmehrheit zurückzuführen sind. Darüber hinaus deutet das Ergebnis darauf hin, dass eine „Yes“-Kampagne, die weniger zurückhaltend agiert hätte, möglicher Weise zu einem noch klareren Ergebnis hätte führen können. Wir haben unglaublich positive Rückmeldungen auf unsere Plakataktion von der „Anti Austerity Alliance“ (AAA; dt.: „Bündnis gegen Austerität“) bekommen. Viele meinten, dass unser Plakat mit der der Aufschrift, „Discrimination Damages Lives“ (dt.: „Diskriminierung schadet dem Leben“), der Slogan der „Yes“-Kampagne war, der die Leute am stärksten angesprochen hat, weil er am meisten unter die Haut ging. AAA war auch die einzige politische Kraft, die sich mit der Regenbogenflagge auf unseren Plakaten auf die LGBT-Kultur bezogen hat. Das stand in starkem Kontrast zu den Plakaten von „Labour“, auf denen der Spruch, „Let’s treat everyone equally“ (dt.: „Lasst uns alle gleich behandeln“), zu lesen stand und auf denen Personen abgebildet waren, von denen niemand den Anschein machte, irgendwie mit der LGBTQ-Community in Verbindung zu stehen.
Der Gesundheitsminister Leo Varadkar bezeichnete das Ergebnis des Referendums als „soziale Revolution“. Das steht für den umfassenden Wandel, der stattgefunden hat, ist aber auch ein Versuch so zu tun, als sei die Gleichberechtigung nun erreicht und die Probleme im Großen und Ganzen gelöst. Tatsache ist, dass das Ergebnis des Referendums für das Verlangen nach Wandel steht, und die politische Energie, die die „Yes“-Kampagne entfacht hat, nicht so schnell wieder entweichen wird. Wir haben in Irland nun die unfassbar widersprüchliche Situation, dass einE LehrerIn, die/der der LGBT-Community angehört und an einer kirchlichen Schule unterrichtet, jetzt heiraten kann, dafür aber Gefahr läuft ihren/seinen Job zu verlieren, weil damit ja die Auffassung der Kirche verletzt wird. Wenn es um Blutspenden geht, dann werden Homosexuelle und Bisexuelle weiterhin diskriminiert. Die Regierung verfolgt weiterhin ihr „Gender Recognition Bill“ (dt.: „Gesetz zur geschlechtlichen Anerkennung“), das in hohem Maße mit Fehlern gespickt ist und die Bedürfnisse der Transgender-Community einfach ignoriert. All diese Punkte haben das Potential, zum Ausgangspunkt für neue Kampagnen zu werden. Grundsätzlich betrachtet existiert ein Verlangen danach, den konservativen Charakter des irischen Staates herauszufordern. Wir befinden uns nicht plötzlich auf dem sicheren Weg in Richtung stetigen Fortschritts und grenzenloser Toleranz. Diejenigen Kräfte, die gegen den Wandel sind, haben immer noch großen gesellschaftlichen Einfluss.
Trotz der Tatsache, dass sie uns ständig die „moralischen Lehren“ beibringen will, stattdessen aber zurückgewiesen worden ist, hat die katholische Kirche aufgrund ihrer Kontrolle über die meisten Grund- und weiterführenden Schulen im Land weiterhin enorme Macht. Sie ist ferner der größte private Grundbesitzer usw. Die Kirche kann diese Position nutzen, um gesellschaftlichen Wandel zu blockieren. Das können wir an „Absatz 37“ des „Gesetzes zur arbeitsrechtlichen Gleichstellung“ festmachen, der es von Religionsgemeinschaften geführten Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäusern erlaubt, dort beschäftigte Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung zu diskriminieren. Wir sehen das auch daran, mit welcher Unbeugsamkeit die Kirche ihre Hand über die Lehrpläne und Schulprogramme hält. Das bedeutet, dass die meisten jungen Menschen, die zur LGBT-Community zählen, keine gleichberechtigte Bildung genießen (wozu schließlich auch die Sexualerziehung zählt). Das aber prägt ihr ganzes weiteres Leben. Die Forderung nach einer säkularen Gesellschaft und der Trennung von Staat und Kirche wird jetzt zu einem ganz wesentlichen Thema werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Initiative der ParlamentarierInnen zu verstehen, die der AAA zuzurechnen sind und die eine Gesetzesvorlage eingebracht haben, mit der besagter „Absatz 37“ für nichtig erklärt werden soll.
Am drängendsten stellt sich durch dieses Referendum nun die Frage, wie es mit der möglichen Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes und der schmachvollen Tatsache weitergeht, dass es in Irland kein Recht auf Abtreibung gibt. In einer Umfrage haben sich 56 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, den 8. Verfassungszusatz abzuschaffen und nur 19 Prozent waren demnach für die Beibehaltung dieses Passus. Seit Jahrzehnten sitzt das politische Establishment nur da und tut nichts, obwohl es zu Skandalen wie dem um Savita Halapannavar, „Frau Y“ und schlimmen Missbildungen bei Föten gekommen ist. Die Ausrede lautet jedes Mal, dass die Menschen „nicht bereit“ seien und ein Referendum nicht zu gewinnen sei. Dieses Argument hat sich erledigt. Der Ausgang des jetzigen Referendums zeigt sehr klar, dass das Problem beim Establishment liegt und nicht bei den Wählerinnen und Wählern. Eine Kampagne zur Durchführung eines entsprechenden Referendums kann durchaus gewonnen werden. Die Sozialdemokraten von „Labour“ versuchen jetzt, sich selbst mit diesen Fragen in Verbindung zu bringen und stellen in Aussicht, dass sie sich für eine entsprechendes Referendum zur Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes einsetzen werden, wenn sie Teil der nächsten Regierung sind. Doch diese Wahlversprechen klingen sehr unglaubwürdig, wenn man weiß, dass „Labour“ (neben den Konservativen von „Fine Gael“, „Fianna Fáil“ und „Sinn Féin“) schon mehrere Male gegen Gesetzentwürfe gestimmt hat, mit denen der 8. Verfassungszusatz aufgehoben werden sollte. Dasselbe gilt für überaus abgeschwächte Vorschläge zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Die Tatsache, dass „Labour“ und „Sinn Féin“ nun die Forderung nach einer Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes übernommen haben, ist auf den Druck zurückzuführen, den die Bewegung dafür aufgebaut hat. Hinzu kommt der Wandel, der im öffentlichen Diskurs stattgefunden hat. Dieser Druck muss aufrechterhalten werden, um am Ende wirklich zu einem Referendum zu kommen. Was die Kampagne ganz klar gezeigt hat, ist, dass der Wandel von unten kommt. Von daher muss jetzt massiver Druck auf alle Parteien aufgebaut werden – aber vor allem auf die, die sich plötzlich im Sinne eines solchen Referendums äußern. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass es tatsächlich dazu kommt und dass es auch in Irland ein Recht auf Abtreibung gibt.
Dass das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe so eindeutig ausgefallen ist, sollte allen, die sich an Kampagnen für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit beteiligen, Zuversicht geben und sie motivieren. Dieser Erfolg weist aber auch darauf hin, dass eine Strategie her muss, mit der der gesellschaftliche Wandel tatsächlich erreicht werden kann. Für den Sieg bei diesem Referendum war es unerlässlich, die Mobilisierungskraft und den Druck aufrecht zu erhalten. Es war aber genauso wichtig, einer kapitalistischen Politik in Irland die Grenzen aufzuzeigen. Als er am Tag der Auszählung vor die Presse trat, wies Eamon Gilmore auf die aktive Beteiligung der jungen Leute bei dieser Kampagne hin und sagte: „Demokratie ist keine Geschichte, bei der man passiv daneben stehen kann“. Das ist völlig richtig. Es ist aber das genaue Gegenteil von dem, was wir das ganze letzte Jahr über von der Regierung zu hören bekommen haben, die die politische Aktivität von Menschen aus der Arbeiterklasse geradezu verteufelt hat, weil sie außerhalb des „offiziellen“ politischen Rahmens stattgefunden hat. Diese Aktivität wurde als „faschistisch“ und „bedrohlich“ gebrandmarkt.
Ein konservatives Establishment
Die Tatsache, dass alle Parteien für ein „Ja“ beim Referendum eingetreten sind, könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass das Establishment sich gewandelt hat und den Fortschritt in puncto sozialer Fragen nun akzeptiert oder diesen gar befördert. Wie die Wirklichkeit aussieht, machte hingegen die Krise deutlich, die bei „Fianna Fáil“ eingesetzt hat. Dort sieht alles danach aus, als gäbe es in der Mitgliedschaft breiten Widerstand gegen die „Ehe für Alle“ und eine Abneigung, in dieser Frage wirklich Position zu beziehen. „Fianna Fáil“, „Fine Gael“, „Labour“ und „Sinn Féin“ haben sich im letzten Jahr bei Abstimmungen im Parlament, bei denen es um eine extrem begrenzte Ausweitung des Rechts auf Abtreibung ging, immer gegen diese Gesetzentwürfe entschieden. Alle Parteien sind weiterhin gegen das Recht auf Abtreibung und treten im besten Fall für das Recht abtreiben zu dürfen ein, wenn sehr spezielle Umstände vorliegen (wie fatale Missbildungen am Fötus oder im Falle einer Vergewaltigung bzw. von Inzest).
Die Frage der Gleichberechtigung war bei dieser Kampagne zum Referendum zwar entscheidend, wir leben aber immer noch in einer Gesellschaft, die in vielerlei Hinsicht überhaupt nicht gleichberechtigt ist. Das gilt sowohl auf sozialer wie auf ökonomischer Ebene. Dies reicht von der anhaltenden rechtlichen Diskriminierung gegen Menschen aus der LGBT-Community und gegen Frauen über den Skandal des “direct provision” (Asylsuchende erhalten in Irland ausschließlich Sachleistungen anstatt Geld, Erg. d. Ü), bis hin zur immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich in Irland und weltweit. Alle diese Problemstellungen hängen direkt mit dem Kapitalismus in Irland zusammen. Der Kapitalismus basiert auf Ungleichheit und treibt die Spaltung zwischen den Menschen voran, um seine Herrschaft zu verteidigen und beizubehalten. In Irland hat sich das an sich schwache kapitalistische Establishment, das nicht in der Lage ist, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, die Ideologie der katholischen Kirche zu Nutze gemacht und es Bestandteil dessen geworden, um die eigenen Machtansprüche zu rechtfertigen. Das Phänomen der Homophobie hat weiterhin seinen festen Platz in der Gesellschaft – nicht nur in den Gesetzestexten oder auf kirchlicher Ebene sondern auch in der Realität, die von homophoben Ansichten und Unterstellungen geprägt ist. Das bekommen die Menschen, die zur LGBT-Community gehören, jeden Tag zu spüren. Ein kapitalistisches System, das mit Ungleichheit und Konservatismus einhergeht, kann dagegen nichts ausrichten.
Was wir brauchen ist eine Bewegung, die gegen jede Form von Unterdrückung und Ungerechtigkeit vorgeht und die sich selbst in den Dienst der Solidarität zwischen den Menschen aus der Arbeiterklasse, den Frauen, Menschen aus der LGBTQ-Community und MigrantInnen stellt. Wir brauchen eine sozialistische Gesellschaft, die auf Gleichheit und Solidarität aufgebaut ist und in der einer privilegierten Minderheit der Reichtum und die Macht entzogen wird. In einer solchen Gesellschaft wäre kein Platz mehr für Engstirnigkeit, Bigotterie und Unterdrückung.