Sanders ruft zur politischen Revolution gegen die Milliardäre auf. Unabhängige Partei für ArbeiterInnen dringend nötig.
Vorbemerkung der Redaktion von socialistworld.net: Ende April erklärte der sich als Sozialist verstehende unabhängige Senator aus Vermont, Bernie Sanders, seine Kandidatur für das Amt des US-Präsidenten. Seine Ankündigung hat sofort die Unterstützung zehntausender US-AmerikanerInnen mobilisiert. Seine Forderung nach einer “politischen Revolution” gegen “die Milliardäre” hat den Nerv getroffen. Allerdings hat Sanders erklärt, er kandidiere für die Nominierung der Demokratischen Partei und er werde den Kandidaten bzw. die Kandidatin der Demokraten unterstützen, wer auch immer das sein werde. Das sagte er, obwohl er seine politische Laufbahn als Gegner der Demokraten und der Republikaner begonnen hatte. Vor dieser Erklärung hatte die Socialist Alternative, die Organisation der UnterstützerInnen des Komitees für eine Arbeiterinternationale in den USA, Sanders wiederholt aufgerufen als Unabhängiger zu kandidieren und dem Beispiel von Kshama Sawant zu folgen, die mit über 90.000 Stimmen zur sozialistischen Stadträtin in Seattle gewählt wurde.
Wir veröffentlichen hier einen Artikel von Philip Locker von Socialist Alternative in Seattle zur Frage, was für eine Politik die Arbeiterklasse in den USA braucht.
Indem er mutig und entschlossen zu einer „politischen Revolution“ gegen die „Milliardäre und Oligarchen“ aufgerufen hat, die das politische System gekapert hätten, hat Bernie Sanders anlässlich des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs eine rebellische Kampagne losgetreten. Als einziger Abgeordneter im Kongress, der sich selbst als Sozialist bezeichnet, hat Sanders gegenüber ABC News seine Entscheidung verkündet, für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen. Dabei sagte er: „Wir brauchen eine politische Revolution in diesem Land, an der die Millionen von Menschen beteiligt sind, die bereit sind aufzustehen und zu sagen ‚genug ist genug‘. Ich will dabei helfen dieses Vorhaben mit anzuführen.“
Obwohl viele Zyniker der Ansicht sind, US-AmerikanerInnen seien hoffnungslos teilnahmslos und konservativ, hat die Ankündigung von Sanders zu einer wahren Welle der Begeisterung geführt. Am ersten Tag seiner Kampagne haben 100.000 Menschen auf Sanders’ Internetseite unterschrieben, dass sie sich an seinem Wahlkampf beteiligen wollen, 35.000 Personen spendeten dafür bereits 1,5 Millionen US-Dollar. Das ist mehr als jeder andere Präsidentschaftskandidat am ersten Tag zusammengebracht hat. Am vierten Tag nach seiner angekündigten Kandidatur hatten schon unglaubliche 75.000 Menschen drei Millionen Dollar an Spenden zusammengebracht. Im Schnitt hat demnach jedeR SpenderIn 43 Dollar überwiesen. Mehr als 99 Prozent der Spenden, die an Sanders gingen, beliefen sich auf 250 Dollar oder weniger pro Einzelüberweisung.
Unter den Millionen Menschen, die mit der konzernfreundlichen Politik unzufrieden sind, weil die Reichen dadurch immer reicher werden, während die Lebensbedingungen für den Rest von uns immer mehr hinterherhinken, kann diese Wahlkampagne auf ein breites Echo stoßen. Das ist schließlich auch der Grund dafür, weshalb zuerst die „Occupy“-Bewegung und jetzt der Kampf für einen Mindestlohn von 15 Dollar im ganzen Land so viel an Unterstützung erfahren haben. Genauso darauf zurückzuführen ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen offener werden für die Idee von einer „dritten Partei.“ Zudem erklärt es auch, wie Kshama Sawant auf beinahe 100.000 Stimmen kommen konnte, als sie 2013 als Sozialistin in den neunköpfigen Stadtrat von Seattle gewählt worden ist.
Wir bedauern sehr, dass Sanders trotz der Tatsache, dass er seit 25 Jahren als unabhängiger Abgeordneter dem US-amerikanischen Kongress angehört, erklärt hat, er wolle die Nominierung durch die „Democratic Party“ anstreben. Das ist ein Schritt, gegen den sich Socialist Alternative in den letzten Jahren immer wieder ausgesprochen hat.
Sanders fordert höhere Steuern für Reiche und Konzerne, ein öffentliches Programm im Umfang von einer Billion Dollar zur Schaffung von 13 Millionen neuen Arbeitsplätzen, den Mindestlohn von 15 Dollar, ein für alle geltendes Gesundheitssystem, den Stopp der „Trans-Pacific Partnership“ (TPP) sowie anderer konzernfreundlicher Freihandelsabkommen, eine Stärkung gewerkschaftlicher Rechte und dass die Netto-Lücke bei den Löhnen zwischen Männern und Frauen geschlossen wird.
Seine Wahlkampagne steht in scharfem Gegensatz zum Geschwafel und den leeren Worten einer Hillary Clinton und anderer Politiker des Establishments. 2001 gehörte Sanders zu den wenigen Kongressabgeordneten, die gegen den „Patriot Act“ gestimmt haben. Er fordert das Ende des für die USA geltenden NSA-Spionageprogramms, steht für ein energisches Handeln gegen den Klimawandel, plädiert für einen raschen Wechsel von den fossilen Energieträgern hin zu mehr Energieeffizienz und erneuerbaren Energien.
Seinen Widerstand gegen Konzernmacht und das viel zitierte „eine Prozent der Bevölkerung“ hebt Sanders dadurch hervor, dass er dazu aufruft, „Citizens United“ (Gesetz zur Deregulierung von Wahlkampfspenden; Erg. d. Übers.) zu kippen, und sagt, dass sein Wahlkampf ohne die Hilfe von Milliardären auskommt. Unter der erforderlichen Impressum-Angabe auf der Internetseite seiner Wahlkampagne steht der Zusatz zu lesen: „Finanziert durch Bernie 2016 – nicht durch die Milliardäre.“
Die Politik von Sanders
„Socialist Alternative“ begrüßt die Entscheidung von Sanders, als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen antreten zu wollen und auf diese Weise dabei zu helfen, wie er selbst sagt, „eine unabhängige Stimme zu haben, die für Arbeitnehmerfamilien kämpft“, um „den Kampf bis vor die Haustür der Gebrüder Koch, der Konzerne in Amerika und die Wall Street zu tragen.“ Sein Wahlkampf wird das Spektrum der politischen Debatte erweitern und für Hillary Clinton die Herausforderung darstellen, die sie verdient. In die zunehmend surreal und abgehoben erscheinenden offiziellen Wahl-Diskussionen, die äußerst begrenzte Themen umfassen, wird plötzlich die Realität Einzug halten, mit der die Arbeiterschaft tagtäglich konfrontiert ist.
Angesichts der überwältigenden Empörung über die vorhandenen Politiker im Land und aufgrund der Schwäche unabhängiger linker Kräfte hat die Wahlkampagne von Sanders das Potential, Millionen von Menschen gegen das Polit-Establishment und seine Choreografen, die Milliardäre, zusammenzubringen.
Aus unserer Sicht macht Sanders allerdings einen fundamentalen Fehler, wenn er damit auch bei den Vorwahlen der „Democratic Party“ antreten will. Im Gegensatz dazu haben wir uns dafür eingesetzt, dass er als unabhängiger Kandidat antritt. Auf diesem Wege hätte er eine politische Alternative zu den beiden politischen Parteien aufbauen helfen können, die sich im Grunde im Besitz der Konzerne befinden. Es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen Sanders’ Aufruf zur politischen Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre und seiner Idee, diese Revolution über eine Partei durchführen zu wollen, die von genau dieser Klasse der Milliardäre kontrolliert wird.
Dieser Widerspruch wird spätestens dann ganz deutlich zutage treten, wenn er bei den Vorwahlen der „Demokraten“ verliert. Sanders selbst hat gesagt, dass er für diesen Fall den am Ende von der Partei Nominierten unterstützen wird. Dabei wird es sich aber entweder um Hillary Clinton oder – sollte sie noch ins Stolpern geraten – einen anderen „Demokraten“ handeln, der ganz klar auf Seiten der Konzerne steht. Am Ende soll also denjenigen, die von Sanders mobilisiert werden konnten, gesagt werden, sie müssten nun einen konzernfreundlichen „Demokraten“ unterstützen. Das wäre das exakte Gegenteil einer „Revolution gegen die Milliardäre und Oligarchen“ und würde zur Demoralisierung all derer führen, die sich von der Idee haben leiten lassen, den Kampf gegen die Macht der Konzerne aufzunehmen. Wir hätten es mit einer verpassten historischen Gelegenheit zu tun.
Trotz seiner Fehlentscheidung, auf dem Ticket der „Democrats“ fahren zu wollen, gibt es – für den Fall, dass ihn die Partei-Maschinerie blockiert – noch einen zweiten Weg, den er gehen kann. In dem Fall sollte Sanders nämlich als Unabhängiger bei den Wahlen antreten und den arbeitenden Menschen die Möglichkeit bieten, eine Alternative zu Hillary Clinton und dem Kandidaten der noch rechteren „Republikaner“ zu haben. Würde er so vorgehen, dann wäre damit ein völlig neues Kapitel in der Geschichte der US-amerikanischen Politik aufgeschlagen. Dem Aufbau einer neuen politischen Kraft, die die viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ vertritt, würde das enormen Auftrieb verleihen.
Ein solcher Schritt widerstrebt jedoch der von Sanders erklärten Absicht und seiner grundsätzlichen politischen Herangehensweise, gänzlich ausgeschlossen werden kann er aber noch nicht. Alles hängt davon ab, wie sich die Dinge entwickeln werden und wie groß der Druck seiner eigenen Anhängerschaft auf Sanders sein wird, seine Kandidatur weiter zu verfolgen statt vorzeitig zur Wahl von Clinton aufzurufen.
Grundsätzlich geht Sanders in die richtige Richtung. Als SozialistInnen würden wir aber weiter gehen. So fordert Sanders beispielsweise die Zerschlagung der großen Banken der Wall Street. Das wäre eine radikale Reform, die wir natürlich unterstützen. Besser wäre es hingegen, die großen Banken der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten zu unterstellen und sie in öffentliches Eigentum zu überführen.
Während Sanders sich selbst auf ein Programm beschränkt, mit dem der Kapitalismus nach dem Muster Westeuropas reformiert würde, setzen wir uns für eine grundlegende sozialistische Transformation der Gesellschaft ein. Die europäische Arbeiterbewegung konnte in der Nachkriegszeit zwar umfassende Reformen durchsetzen. Damit ist der Kapitalismus jedoch nicht abgeschafft worden. Unter mächtigem Druck stehend haben die kapitalistischen Klassen in Europa umfangreiche Zugeständnisse gemacht. Auf diese Weise wollten sie ihre gesellschaftliche und politische Macht absichern. Seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs haben sie aber eine unerbittliche neoliberale Offensive gestartet, um diese Reformen wieder rückgängig zu machen.
Was Sanders betrifft, so sollte er sich viel stärker auf die unmittelbaren politischen Themen kaprizieren und sich beispielsweise klar und deutlich für die „Black Lives Matter“-Bewegung und somit gegen Polizeigewalt und Massenverhaftungen einsetzen. Auch wenn Sanders hoch anzurechnen ist, dass er Widerstand gegen den „Patriot Act“ und die Invasion im Irak geleistet hat, so hat er bei verschiedenen Gelegenheiten auch für den Einsatz des Militärs gestimmt. Bedauerlicherweise hat er sich nicht gegen den Krieg in Afghanistan gestellt und es ebenso unterlassen, seine Stimme gegen den jüngsten Überfall der israelischen Regierung auf den Gazastreifen zu erheben.
Trotz all dieser politischen Defizite wird sich der Wahlkampf von Sanders grundlegend vom Auftreten aller anderen Präsidentschaftskandidaten unterscheiden, die nichts anderes als ein „Weiter so“ wollen. Für einen großen Teil der Bevölkerung, der in den letzten 25 Jahren volljährig geworden ist, ist er „weiterhin der radikalste Politiker der Linken, den sie je erlebt haben.“
Der Schlüssel liegt im Aufbau von Massenbewegungen
Um die Forderungen, auf denen Sanders seinen Wahlkampf aufbaut, umsetzen zu können, müssen mächtige Massenbewegungen der arbeitenden Menschen aufgebaut werden. Will er seine Wahl-Plattform wirklich realisieren, dann muss sich Sanders’ Wahlkampf strategisch darauf ausrichten, diese Basis-Bewegungen stärken zu helfen.
Sanders selbst hat ganz ähnliche Vorstellungen in einem Interview mit John Nichols in „The Nation“ geäußert. Darin spricht er davon, dass „ein Wahlkampf mehr sein muss als nur der Versuch, gewählt zu werden. Er muss genutzt werden, um die Menschen weiterzubringen, um die Menschen zu organisieren. Wenn wir das schaffen, dann können wir in den nächsten Jahren die ganze Dynamik der Politik verändern. Wenn 80 Prozent oder gar 90 Prozent der Menschen in diesem Land von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen würden, wenn ihnen klar ist, worum es geht […] Washington und der Kongress würden ganz anders aussehen als der Kongress von heute, der vom großen Geld beherrscht wird und sich nur mit Themen befasst, die die Konzerne ihm vorgeben.“
Sanders wies auch darauf hin, dass „wir die beste Person der Welt zum Präsidenten wählen können, diese Person aber aufgesogen werden wird, wenn es keinen Aktivitätsgrad an der Basis gibt, der beispiellos zum heutigen ist.“
Von daher ist es aus sozialistischer Perspektive wichtiger, die Kämpfe für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit zu stärken als die Frage, wer 2016 neuer Präsident wird. Der Schlüssel wird darin bestehen, die Wahl im kommenden Jahr zu nutzen, um den Organisationsgrad, die Zuversicht und das Selbstvertrauen der ArbeiterInnen und sozialen Bewegungen stärken zu helfen.
Die Erfahrungen um die Wahl von Kshama Sawant stehen beispielhaft dafür, was nötig ist, um die Kräfte aufzubauen, die es braucht, um den stärkstmöglichen Wahlkampf durchzuführen und die eigenen Forderungen umsetzen zu können. Kshama Sawant und „Socialist Alternative“ haben eine Basis-Macht aufgebaut, die seit 100 Jahren die erste Sozialistin ins Amt gewählt hat. Als Kshama erst einmal gewählt war, wurde der Schwung, den ihr Wahlsieg mit sich gebracht hat, genutzt, um die Kampagne „15 Now!“ aufzubauen. Dabei handelt es sich um eine Basis-Struktur, die in ganz Seattle hunderte von AktivistInnen mobilisiert und im Bündnis mit Gewerkschaften zusammengearbeitet hat, um den höchsten Mindestlohn durchzusetzen, den es zum damaligen Zeitpunkt in den USA gab.
Die Erfahrung hat aber ein ums andere Mal gezeigt, dass es sich bei der „Democratic Party“ um das Grab der sozialen Bewegungen handelt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir erleben mussten, wie die „Occupy“-Bewegung brutal von der Polizei angegangen worden ist. Fakt ist, dass dies vor allem in Städten passierte, in denen „demokratische“ Bürgermeister amtieren, und dass dies in Zusammenarbeit mit dem FBI geschah, der unter einem „demokratischen“ Präsidenten namens Obama agiert. Ebenso schlimm war, wie die „Occupy“-Bewegung politisch von Leuten demobilisiert worden ist, die an die „Demokraten“ angebunden sind und 2012 ständig dazu aufgerufen haben, Obama gegen die „Republikaner“ zu unterstützen. 2004 wurde die Antikriegsbewegung systematisch dadurch unterwandert, dass sie hinter den Karren des Wahlkampfes von John Kerry, dem Präsidentschaftskandidaten der „Demokraten“, gespannt wurde, der ja gar nicht gegen den Krieg war.
Die Bewegung „Black Lives Matter“, der Kampf um einen 15-Dollar-Mindestlohn wie auch die Bewegung „Occupy Wall Street“ haben die politische Landschaft stark verändert, indem sie den Rassismus und die wirtschaftliche Ungleichheit zum Thema gemacht haben. Man mag das nur einmal damit vergleichen, was von der Linken an Energie und Ressourcen in den Wahlkampf für Barack Obama und die „Demokraten“ gesteckt worden ist … nur, um am Ende wieder eine Regierung zu haben, die den Interessen der Wall Street entspricht!
Joel Bleifuss, Herausgeber des linken Magazins „In These Times„, ist der Ansicht, dass „ein Präsidentschaftskandidat namens Sanders den Progressiven in Amerika die Möglichkeit bietet, die nötige Infrastruktur für künftige progressive Wahlkämpfe zu etablieren […] Ganz im Gegensatz zu den Vorwahlen der >Demokraten< des Jahres 1988, bei denen Jesse Jackson in elf Bundesstaaten die Mehrheit bekam, nur damit sein Wahlkampfteam danach im politischen Abseits landete, kann der Wahlkampf um Sanders eine Bewegung aufbauen, die auch darüber hinaus noch Relevanz hat. Sanders hat begriffen, dass die Organisation, die sich um ihn aufbauen wird, auch nach der Wahl weiter existieren und von Dauer sein muss.“
Wir stimmen zu, dass das nötig und auch möglich ist. Allein die Wünsche von Bleifuss werden nicht ausreichen, um die angestrebten Ergebnisse zu erzielen. Um zu verhindern, dass auch Sanders’ „Wahlkampfteam danach im politischen Abseits“ landet, wird es nötig sein, dass er bis zum Schluss als Kandidat zu den Wahlen antritt und nicht denselben Fehler macht, den Jesse Jackson 1984 und 1988 begangen hat, als er nach seiner Niederlage bei den Vorwahlen den Kandidaten der „Demokraten“ unterstützte. Das ist die einfache Lehre, die man aus den Wahlkämpfen von Jackson ziehen muss, die ja samt und sonders Schiffbruch erlitten haben. Wir müssen also dafür kämpfen, dass der Wahlkampf von Sanders nicht auf denselben Fehlern aufbaut.
Das Establishment der „Demokraten“ und seine Herausforderer von links
Wenn es darum geht zu erkennen, dass des Establishment der „Democratic Party“ gegen Bernie Sanders ist und somit sicherstellen wird, dass er nicht als Sieger aus ihren Vorwahlen hervorgeht, dann müssen die AktivistInnen bitte realistisch bleiben. Wenn es diesem Establishment nötig erscheint, dann werden sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gegen Sanders aufbringen: ihren Zugriff auf das große Geld, die Massenmedien, die ganze Autorität berühmter Politiker und ihre Kontrolle über die Parteistrukturen.
Den Beweis für diese These liefern sämtliche KandidatInnen, die gegen das Establishment der „Democratic Party“ angetreten sind. Bei den Wahlkämpfen von Jesse Jackson der Jahre 1984 und 1988 hat es sich um die stärksten linken Wahlkämpfe im Zusammenhang mit den Vorwahlen der „Democratic Party“ in der jüngeren Vergangenheit gehandelt. Jacksons radikale, populistische Kampagnen haben große Unterstützung bekommen – wahrscheinlich mehr als Sanders für sich zu gewinnen in der Lage sein wird. Ab einem gewissen Zeitpunkt schien es so, als wäre Jackson tatsächlich kurz davor gewesen, die Vorwahlen der „Demokraten“ für sich entscheiden zu können. Genau aus diesem Grund ist dann das Establishment der „Demokraten“ dazu übergegangen, ihn zu verhindern.
Wie Ron Jacobs es im „Counterpunch“ darstellt, „haben Spender, die anti-palästinensisch eingestellt waren und von Seiten der Konzerne kamen, wie auch Kommentatoren aus den Medien damals eine im privaten Raum gemachte Bemerkung von Jackson aus dem Kontext gerissen und diese auf allen Seiten und Bildschirmen Amerikas verbreiten lassen. Plötzlich waren im Zusammenhang mit Jacksons Namen bekannte rassistische Codes zu vernehmen. Und schon bald war seine Chance auf die Nominierung durch die ‚Democratic Party‘ dahin. Stattdessen stolperte die Partei in jenem Sommer [1984] von San Francisco aus mit einem gewissen Walter Mondale als unterliegendem ‚Cold War liberal‘-Kandidaten durch den Wahlkampf.“
Es ist noch gar nicht so lange her, 2004 war es, da bemühten sich wesentliche Teile des Establishments der „Demokraten“ darum, den Aufstieg des populistischen Antikriegsaktivisten Howard Dean zu stoppen. An seiner Stelle wurde der Kriegsbefürworter John Kerry als Kandidat durchgesetzt, der im selben Jahr dann gegen einen gewissen George Bush bei den Präsidentschaftswahlen scheiterte.
Die Beispiele zeigen, wie die „Demokraten“, die den Konzerninteressen verhaftet sind und die Partei unter Kontrolle halten, viel entschlossener vorgehen, wenn es darum geht, arbeitnehmerfreundlichere KandidatInnen in der eigenen Partei zu verhindern, als sich dafür einzusetzen, die noch rechteren „Republikaner“ zu schlagen.
Gleichzeitig gilt, dass Sanders – solange er keine wirkliche Chance darauf hat, die Vorwahlen der „Demokraten“ für sich zu entscheiden – mit offenen Armen aufgenommen werden und sogar zur Kandidatur ermutigt werden wird. Selbst eine Hillary Clinton hat begriffen, dass Sanders Begeisterung auslösen und die ganze Aufmerksamkeit auf die Vorwahlen der „Demokraten“ lenken wird. Er wird den Abläufen einen progressiven Anstrich verleihen. Clinton geht davon aus, dass die „Republikaner“ an Zuspruch auf der Wahlebene verlieren werden, wenn ein Vorwahl-Kandidat namens Sanders die politische Debatte auf das Problem der enormen Ungleichverteilung des Reichtums lenken wird.
Wenn Sanders nach seiner voraussehbaren Niederlage bei den Vorwahlen der „Demokraten“ Clinton (oder für wen auch immer sich das Partei-Establishment letzten Endes entscheidet) unterstützen wird, dann wird die ganze Energie, die seine Wahlkampagne entfacht haben wird, in „sichere Bahnen“ gelenkt werden. Die Konzerne in Amerika werden also nichts zu befürchten haben. Was das angeht, wird Sanders’ Wahlkampf von Clinton als willkommenes „linkes Feigenblatt“ genutzt werden, um am Ende auch die Stimmen der Gewerkschaftsmitglieder und AktivistInnen zu bekommen, die von der konzernfreundlichen Politik eigentlich die Nase voll haben.
Tragisch wäre es, wenn Sanders’ Wahlkampagne nur darin münden würde, genau diese Rolle zu übernehmen. Leider macht er den Eindruck, als wolle er jeden Kandidaten unterstützen, der am Ende die Vorwahlen der „Demokraten“ für sich entscheidet. Es gibt aber eine andere Möglichkeit, für die sich „Socialist Alternative“ stark machen wird. Wir werden Sanders dazu drängen, mit all denen in die Diskussion einzutreten, die seine Kandidatur unterstützen.
Wir meinen, dass Sanders sich nicht mit dem eng gestrickten Rahmen der „Demokraten“ abfinden sollte. Anstatt am Ende Hillary Clinton zu unterstützen, sollte er seine Kandidatur bis zum Wahltag aufrechterhalten. Denn das wird der Zeitpunkt sein, an dem sich die Mehrheit der ArbeiterInnen und jungen Leute am stärksten mit diesem Thema beschäftigen wird.
Auch wenn Sanders „nur“ eine Hillary Clinton bei den Vorwahlen der „Demokraten“ ernsthaft herausfordern will, dann wird er auch für diesen Fall eine unabhängige Basis an UnterstützerInnen aufbauen müssen. Das bedeutet den Aufbau einer Kampagne, die bei den Menschen ansetzt, welche von den konzernfreundlichen Politikern nicht vertreten werden. Es geht darum, die Menschen zu organisieren, die vom Kongress die Nase voll haben. In den Wohnvierteln, den Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen (wie „Black Lives Matter“ oder „Fight for $15“) müssen Kampagnen-Räte ins Leben gerufen werden.
Sanders’ Wahlkampf kann eine Schlüsselrolle dabei einnehmen, wenn es darum geht, diese einzelnen Bestandteile zu einer gemeinsamen Kraft zusammenzubringen, die demokratisch diskutiert und debattiert, mit welcher Art von Politik die Interessen der Arbeiterklasse am besten verteidigt werden können und wie derartige Kämpfe zu unterstützen sind. Eine solche Kraft ist nötig, um die Kampagne auch anlässlich der Präsidentschaftswahlen und darüber hinaus fortzuführen. Andernfalls werden die Möglichkeiten, die durch Sanders’ Kampagne eröffnet werden, „ins politische Abseits“ führen.
Was das angeht, kann Sanders’ Wahlkampf eine ganz wesentliche Rolle dabei spielen mitzuhelfen, die Grundlage für eine neue politische Partei, eine dritte Partei, zu schaffen, die eine Alternative zu den immer unbeliebter werden „Republikanern“ und „Demokraten“ bieten kann. Bei einer derartigen breit angelegten linken Partei bzw. einer Partei der Arbeiterklasse müsste es sich um eine Organisation handeln, mit der die verschiedenen Kämpfe zusammengeführt werden. Eine solche Partei müsste die gemeinsamen Interessen, die sich in diesen sozialen Kämpfen ausdrücken, hervorheben und sie in einem gemeinsamen politischen Programm zusammenfassen.
Sanders selbst hat gegenüber John Nichols auf einen derartigen Ansatz hingewiesen: „Es steht außer Frage, dass die ‚Democratic Party‘ ganz allgemein gesprochen viel zu sehr abhängig ist von den Interessen des großen Geldes, das nicht besonders stark für Familien aus der Arbeiterklasse kämpft […] Radikaler wäre es, als unabhängiger Kandidat anzutreten. Wenn man das macht, dann kandidiert man nicht nur für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten sondern um eine neue politische Bewegung in Amerika aufzubauen – was vermutlich dazu führen würde, dass andere KandidatInnen außerhalb der ‚Democratic Party‘ kandidieren würden. Im Grunde geht es um den Beginn einer dritten Partei.“
Plünderei?
Einige VertreterInnen der Linken werfen ein, dass ein solcher Ansatz nur dazu führen würde, den Kandidaten der „Demokraten“ zu schwächen, und somit den „Republikanern“ zum Wahlsieg zu verhelfen. Die Sorge, dass es erneut zu einem Präsidenten kommt, der den „Republikanern“ angehört, ist real und nachvollziehbar. „Socialist Alternative“ stimmt voll und ganz darin überein, dass ein „republikanischer“ Präsident verhindert werden muss. Wir wollen auf gar keinen Fall, dass diese Partei gewählt wird.
Die Gefahr, dass ein unabhängiger linker Kandidat eine knappe Wahl entscheidet und für einen Sieg der „Republikaner“ sorgt, wird allerdings bei weitem von der dringenden Notwendigkeit überlagert, dass die arbeitenden Menschen damit beginnen müssen, sich ihre eigene politische Stimme zu verschaffen, durch die sie sich selbst vertreten wissen kann.
Abgesehen davon haben die konzernfreundlichen Politiker der „Demokraten“ ein ums andere Mal bewiesen, dass sie nicht in der Lage sind, die rechte Politik einer in zunehmendem Maße ins Wanken geratenen „Republican Party“ zu verhindern. Wir dürfen nicht vergessen, dass trotz der „Hoffnung“ und trotz des „Wandels“, der 2008 in Obamas Wahlkampf so sehr beschworen wurde, derselbe Obama, als er erst einmal an der Macht war, mit seiner konzernfreundlichen Politik den Boden bereitet hat, auf dem die „Republikaner“ 2010 und 2012 wieder Erfolge feiern konnten. Der Grund dafür war, dass die Progressiven demoralisiert waren und es einer „Tea Party“ somit möglich wurde, auf demagogische Weise die Wut gegen die „Demokraten“ als an der Macht befindliche Partei anzuzapfen.
Sanders greift diesen Punkt an der Stelle auf, als er Nichols gegenüber Folgendes sagt: „Die meisten Leute glauben nicht mehr an die politischen Prozesse […] Sie denken, dass sie keinen Grund haben, sich an Wahlen zu beteiligen und für [… Hillary Clintons] gemäßigte Politik zu stimmen […] Das ist nicht die Art von Politik, die wir brauchen. Und es wird sicherlich nicht die Politik sein, mit der heute die Millionen von Menschen zusammengebracht werden können, die durch und durch entfremdet und empört sind über den Ist-Zustand.
Eine Sache, die ich mit am verstörendsten finde […] ist, dass die ‚Democrats‘ jetzt eine bedeutende Anzahl an Stimmen von Menschen aus der Arbeiterklasse verlieren. Wie kann das sein? Wenn es da eine ‚Republican Party‘ gibt, die ‚Social Security‘, ‚Medicare‘, ‚Medicaid‘ usw. zerstören will, warum gibt es dann so viele Menschen, die entgegen ihren eigenen ökonomischen Interessen stimmen? Das passiert deshalb, weil die ‚Democrats‘ nicht stark darin waren klarzumachen, auf welcher Seite sie stehen. Sie haben sich nicht stark genug gegen die Wall Street und das Amerika der Konzerne gestellt.“
Wir müssen aus dem Kreislauf der Unzufriedenheit mit den „Demokraten“ heraus. Schließlich führt das nur zu Wahlerfolgen der „Republikaner.“ Stattdessen müssen wir mit dem Aufbau einer politischen Alternative für die Arbeiterklasse zu den „Demokraten“ und „Republikanern“ beginnen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Im Laufe des kommenden Jahres wird der Wahlkampf von Sanders die wichtigste Arena für Diskussionen und Debatten gegen konzernfreundliche Politik liefern. All die Kräfte, die erkannt haben, wie dringend nötig eine unabhängige linke Politik ist, müssen sich jetzt auf das breite Publikum orientieren, das sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Bernie Sanders herum versammeln wird.
Wenn er sich entscheiden muss, ob er den von den „Demokraten“ nominierten Kandidaten unterstützt oder seine Kandidatur bis zum Wahltag aufrecht erhält, dann läuft Sanders’ Wahlkampagne 2016 auf eine politische Krise hinaus. Die Aufgabe von SozialistInnen besteht darin, unter den AnhängerInnen von Sanders die stärkstmögliche Basis aufzubauen, um für diese Debatte entsprechend gewappnet zu sein. Eine starke linke Strömung kann AnhängerInnen von Sanders für die Forderung gewinnen von ihm zu verlangen, dass er seine Kandidatur aufrecht erhalten soll. Eine Alternative bestünde darin, den Wahlkampf so weit wie möglich weg von den „Demokraten“ zu führen, sollte Sanders am Ende tatsächlich Clinton unterstützen.
Historische Chance für eine linke Politik
Das politische System in den USA hat abgewirtschaftet. Selbst die Strategen der Kapitalisten (wie etwa die Herausgeber der Zeitungen New York Times, Washington Post oder von The Economist) stimmen darin überein, dass ihr politisches System nicht mehr rund läuft. Laut Meinungsforschungsinstitut „Gallup“ schrappte die Zustimmungrate für den Kongress mit nur noch 15 Prozent 2014 nur knapp am Allzeit-Tief vorbei. Rekordwerte heimsen hingegen Unabhängige ein.
Sanders führt aus: „Was die althergebrachten politischen Prozesse angeht, so macht sich in der amerikanischen Bevölkerung eine grundlegende Empörung bemerkbar […] die Frustration und Empörung über den Ist-Zustand ist noch wesentlich größer […] als es viele ‚Experten‘ in diesem System überhaupt zu verstehen in der Lage sind.“
Die Offenheit gegenüber einer unabhängigen linken Politik ist so groß, dass sie schon als historisch bezeichnet werden muss. Ein Beleg für diese Aussage ist, was 2013 geschah, als Kshama Sawant als Kandidatin von „Socialist Alternative“ mit fast 100.000 Stimmen in den neunköpfigen Stadtrat von Seattle gewählt wurde. Zum selben Zeitpunkt scheiterte Ty Moore, ein anderer Kandidat von „Socialist Alternative“, wegen gerade einmal 229 fehlender Stimmen nur knapp am Einzug in den Stadtrat von Minneapolis. Diese beschriebene Offenheit stellt sich in diesem Jahr erneut unter Beweis, da die Basiskampagne zur Wiederwahl von Sawant gerade mit Begeisterung ihren Anfang genommen hat (vgl.: www.KshamaSawant.org).
2014 kam Howie Hawkins bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat New York auf beinahe fünf Prozent. Das war der höchste Stimmanteil dort für einen linken Kandidaten seit 1920. Auch bei den Bürgermeisterwahlen von Chicago in diesem Jahr zeigte sich, wie offen die Leute dafür sind, die übliche konzernfreundliche Politik herauszufordern. Tragischer Weise war Karen Lewis, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft von Chicago, die als Kandidatin unabhängig von den beiden Parteien angetreten war, aufgrund von gesundheitlichen Problemen nicht in der Lage, ihre Kandidatur aufrecht zu erhalten. Sie hätte es vermocht, Rahm Emanuel, den „Bürgermeister des viel zitierten einen Prozents der Bevölkerung“ zu schlagen. Und dennoch hat in der Arbeiterbewegung Chicagos eine echte Diskussion darüber begonnen, welche Art von Vertretung die abhängig Beschäftigten eigentlich brauchen. Diese Wahl hat den Gewerkschaften – ganz im Gegensatz zu ihrer ansonsten devoten Haltung gegenüber den konzernfreundlichen „Demokraten“ – gezeigt, welches Potential sie haben, um eine einflussreiche Rolle spielen zu können.
In den USA gibt es Millionen von Menschen, die schon jetzt bereit sind für eine „politische Revolution“ zu kämpfen, mit der den Konzernen der Wind aus den Segeln genommen werden kann. Anstatt diese Kräfte zu spalten, indem man einige von ihnen, die für einen umfassenden Wandel sind, zurück in die Arme des Establishments der „Demokraten“ treibt und somit gleichzeitig einen anderen Teil abstößt, der von beiden Parteien die Nase gestrichen voll hat, könnte eine unabhängige Wahlkampagne um einen kompromisslosen Kämpfer für die Interessen der Arbeiterklasse zu der Art von Einheit führen, die nötig ist, wenn man die kapitalistische Oligarchie herausfordern will. Schließlich ist es genau diese Klasse, die unserer Gesellschaft die Luft zum Atmen nimmt.
Wenn Sanders als Unabhängiger seine Kandidatur bis zu Ende führt, dann würde das enorme Möglichkeiten eröffnen. Unsere Bewegung ist nicht stark genug, um bei den Wahlen im nächsten Jahr einen unabhängigen Kandidaten wie Sanders zum Präsidenten wählen zu können. Umso wichtiger aber ist es, dass eine unabhängige Wahlkampagne um einen Kandidaten Sanders die politische Landschaft in den USA für immer verändern helfen kann. Damit könnte die Basis gelegt werden für eine neue dritte Partei, die für Millionen von Menschen ein mächtiges Mittel zur Selbst-Organisation gegen die Wall Street wäre.
Wenn du/wenn Sie darin übereinstimmen, dann helft Kshama Sawant und „Socialist Alternative“ sicherzustellen, dass diese historische Chance nicht vertan wird. Gemeinsam mit den AnhängerInnen von Sanders werden wir gegen die konzernfreundlichen Politiker in den Wahlkampf ziehen, dabei aber dafür eintreten, dass Sanders seine Kandidatur bis zum Wahltag im November 2016 aufrecht erhält. Das wäre ein Schritt, um eine unabhängige politische Alternative für die arbeitenden Menschen aufzubauen.