Politisches Vakuum bringt Metallgewerkschaft FIOM dazu, die Initiative zu ergreifen
von Marco Veruggio, „ControCorrente“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Italien)
In den ersten Monaten dieses Jahres gab es verschiedene Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass sich die Krise, die Italien seit 2009 fest im Griff hat, entspannen könnte. Im ersten Quartal sollte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Jahren der Rezession wieder um einen Bruchteil eines Prozents ansteigen. Im Dezember kam es zu einem kleinen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit und die Konsumerwartungen (nicht die Geschäfte) hellten sich auf. Die Kluft zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen ging auf unter 100 Punkte zurück.
Die Bedeutung einiger dieser Daten ist eher nachrangig. So ist eine leichte Entspannung auf dem Arbeitsmarkt im Sommer und am Jahresende normal und hängt mit den Sommer- bzw. Weihnachtsferien zusammen. Andere Indikatoren weisen höchstens auf eine „Erholung“ hin, die – zumindest bis jetzt – den katastrophalen Trend nicht beendet hat. Seit 2007 ist das italienische BIP um zehn Prozentpunkte zurückgegangen und die industrielle Produktion sank um 25 Prozent. Die Erwerbslosigkeit liegt bei 13 Prozent, wobei die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 45 Prozent rangiert. Die Schulden sind im Verhältnis zum BIP in den Jahren, da die Austeritätsregierung die Geschicke des Landes leitet, von 120 Prozent auf 133 Prozent angewachsen.
Einige ÖkonomInnen prognostizieren, dass 2015 das vierte Rezessionsjahr in Folge sein wird. Das wäre eine in der Geschichte beispiellose Entwicklung. Für die Regierung sind die oben angesprochenen Zahlen hingegen nichts anderes als der Beweis, dass die „Reformen“ Italien aus der Krise herausholen werden.
Auf der anderen Seite würde selbst ein eventuelles Wachstum des BIP nach den letzten Jahren der kapitalistischen Umstrukturierungen nicht automatisch zu einer signifikanten Erholung auf dem Arbeitsmarkt oder zu höheren Löhnen führen.
Die Regierungen, die auf Berlusconi folgten, haben in der Tat hinbekommen, was Berlusconi in 20 Jahren nicht geschafft hat: die landesweiten Tarifverträge zu demontieren und Entlassungen zu erleichtern. Was das angeht, ist die Verbindung zwischen BIP auf der einen und Beschäftigung und Löhnen auf der anderen Seite aufgebrochen worden. Wenn dann noch eine steuerliche Belastung hinzu kommt (vor allem in den Bereichen Arbeit und Kleingewerbe), können wir daraus ableiten, dass es selbst mit dem Mittel des „Quantitative Easing“ schwer werden wird, die Binnennachfrage zu steigern und zu neuen Investitionen im Bereich der Produktion zu kommen. Das könnte Italien in die sogenannte „Liquiditätsfalle“ treiben, an den Punkt, der eigentlich eine Abwertung der eigenen Währung nötig machen würde.
Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Krise sich wie in Griechenland zuspitzen wird. Auch ein möglicher Austritt aus der Eurozone scheint noch vollkommen ausgeschlossen. Trotz der schweren Schläge die von den letzten drei Regierungen ausgegangen sind, gibt es immer noch bestimmte Schutzmechanismen und Sozialleistungen. Auch existiert immer noch ein beträchtlicher Schutz für die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Das kompensiert weiterhin teilweise die Folgen der Austerität.
Politische Enttäuschung
Gleichzeitig wächst jedoch – wie im Rest Europas auch – die Wut auf sämtliche politischen Parteien, die Banken und die EU. In den letzten Monaten hat Beppe Grillo (Gründer der 5-Sterne-Bewegung; Erg. d. Übers.) sich von einer Kritik am Euro abgewendet und fordert nun ein Referendum über den Ausstieg aus der Eurozone. Die „Lega Nord“, der italienische Verbündete von Marine Le Pen, legt enorm zu. Einer Umfrage von „Eurispes“ zufolge fühlen sich 36 Prozent der ItalienerInnen keiner politischen Richtung angehörig. Die Institutionen, denen die ItalienerInnen mehr Vertrauen schenken, sind der Papst (87 Prozent) sowie die Polizei und die Carabinieri (67 Prozent). Am Ende der Liste erscheinen das Parlament (sieben Prozent) und die Parteien (drei Prozent). Die Gewerkschaftbünde kommen nicht wesentlich besser weg. Die CGIL landet bei 17 Prozent und CISL sowie UIL bei 14 Prozent.
Renzi und die regierende sozialdemokratische PD, die in einem Jahr rund 450.000 ihrer 550.000 Mitglieder verloren hat, überlebt nur deshalb, weil es keine wirkliche Opposition gibt. Auf der Wahlebene führt dies zu einem beispiellosen Anstieg bei den Wahlenthaltungen. Bei den Europawahlen haben sich nur 59 Prozent der Stimmberechtigten am Urnengang beteiligt. Bei den Regionalwahlen in der Emilia Romagna (traditionell eine Hochburg der „kommunistischen“ PCI und dann der PD) haben sich nicht mehr als 38 Prozent an den Wahlen beteiligt (2010 waren es noch 68 Prozent). Der Kandidat der PD wurde dort mit 49 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Regionalpräsidenten gewählt und ist damit nur durch 20 Prozent der Wahlberechtigten in seinem Amt „legitimiert“.
Renzi zieht einen Vorteil aus der Situation, weil er skrupellos vom Mittel des „transformismo“ Gebrauch macht. Das ist eine Taktik, zu der die alte Christdemokratie gegriffen hatte und mit der die politischen Kräfte lagerübergreifend zusammengeführt werden. In einem Jahr war er somit in der Lage, sich bei jeder zur Abstimmung stehenden Maßnahme auf „ad hoc“-Mehrheiten stützen zu können. Der sogenannte „Nazareno Pakt“ mit Berlusconi zur Reform des Wahlsystems und des Senats erzürnte die Opposition der sogenannten „PD-Linken“ (zumindest auf verbaler Ebene). Renzi bekam bei der Wahl des neuen Präsidenten der Republik (Mattarella) eine komfortable Mehrheit, weil er die Unterstützung von Mitte-rechts (mit Ausnahme von Berlusconi) und dem „linken“ Nichi Vendola sowie seiner Partei SEL erhielt. Mattarella ist ein alter Mann der Christdemokraten (DC), dessen Vater zusammen mit De Gasperi die DC gegründet hatte. Und schlussendlich gibt es da noch Beppe Grillo, der sich – aufgrund des Populismus von Renzi selbst mit Problemen kämpfend – nun sogar zum Dialog über eine Reform des Staatsfernsehens und die Einführung eines „Bürgereinkommens“ mit der PD bereiterklärt.
Mitte-rechts
Beim Bruch des „Nazareno Pakts“, zu dem es nach der Wahl Mattarellas, dem „alten Feind“ von Berlusconi, kam, scheint es sich eher um eine Folge der zunehmenden Spannungen innerhalb der Partei „Forza Italia“ zu handeln als um einen durchdachten Schritt des ehemaligen „Cavaliere“ Berlusconi. Fitto, der ehemalige Gouverneur der Region Puglia, hält für den alten Parteiführer bereits eine neue Herausforderung bereit. Er beschuldigt ihn, die Interessen der Partei auf dem Altar der Verabredungen mit Renzi geopfert zu haben – im Interesse seiner eigenen Familie und seiner eigenen Unternehmen. Andererseits handelt es sich beim „Nazareno Pakt“ nicht einfach nur um eine Vereinbarung zwischen zwei Parteichefs sondern auch um die Übersetzung von miteinander verwobenen materiellen Interessen auf die politische Ebene. Das tritt mit jeder neuen Nachrichtenmeldung immer deutlicher zu Tage.
Im Zusammenhang mit dem Skandal der „Mafia Capitale“ in Rom wurden Verträge offengelegt, die sowohl mit Vertretern der PD als auch von „Forza Italia“ zu tun haben. Im Gegenzug flossen Schmiergelder an eine kriminelle Organisation, die von einem früheren neofaschistischen Terroristen und einem Manager der „roten Kooperativen“ geleitet wird. Letzterer erklärt in einem aufgezeichneten Telefonat unter lautem Lachen, dass „du mehr Geld damit verdienst, Einwanderern zu helfen als Heroin zu verkaufen“.
Bei der Kandidatenkür der PD, die in Liguria stattfand, gewann Raffaella Paita, die Wunschkandidatin Renzis, gegen den ehemaligen CGIL-Sekretär Cofferati. Dies konnte nur mit Hilfe der Unterstützung bestens bekannter Mitglieder des Mitte-rechts-Flügels und einem ganzen Block von Stimmen gelingen, die von chinesischen und marokkanischen ImmigrantInnen sowie der sizilianischen Gemeinde in Genua kamen. Die Gerichte wie auch die Anti-Mafia-Abteilung haben in diesem Zusammenhang Untersuchungen eingeleitet.
Vor kurzem haben der frühere Spezi von Berlusconi, Ennio Doris (von der „Banca Mediolanum“), und Renzis führender Geldbeschaffer Davide Serra („Fondo Algebris“) eine Geschäftspartnerschaft angekündigt. Nach der Wahl von Mattarella zum Staatspräsidenten hat Berlusconi einige umfassende geschäftliche Operationen durchgeführt: Die Übernahme des staatlichen Fernsehens und von RCS durch sein Verlagsunternehmen„Mondadori“. Bei RCS handelt es sich um das zweitgrößte Verlagshaus, das u.a. die große Tageszeitung „Corriere della Sera“ herausgibt. Dazu brauchte es übrigens die Zustimmung der Regierung.
Der neue Star von Mitte-rechts ist Matteo Salvini, der Sekretär der „Lega Nord“. Jung, talentiert und als viel gefragter Gast in den Talkshows hat Salvini es hinbekommen, eine „Lega Nord“ zu restrukturieren und wiederzubeleben, die vor einigen Jahren noch durch die Skandale um ihren damaligen Vorsitzenden Bossi schwer gebeutelt war. Gleichzeitig hat er aus einer regional-nationalistischen und sezessionistischen Partei aus dem Norden des Landes einen festen Bestandteil der national gesinnten Rechten gemacht, ganz nach dem Modell des französischen „Front National“. Er hat Bündnisse mit Parteien auch in Zentral-Italien geschmiedet (mit der „Fratelli d’Italia“ von Giorgia Meloni, einer ehemaligen Ministerin unter Berlusconi, und den Neofaschisten von „Casa Pound“) und sogar in Süditalien eine neue Wahlplattform ins Leben gerufen, die sich „Noi con Salvini“ nennt.
Auf diese Weise ist die „Lega Nord“ schnell zum italienischen Pendant der Französin Marine Le Pen geworden und hat damit begonnen sowohl von den alten Parteien von Mitte-rechts als auch von desillusionierten WählerInnen der 5-Sterne-Bewegung (M5S) Stimmen abzugreifen. Zumindest in den Umfragen ist die „Lega Nord“ mit 15 Prozent nun die führende Partei von Mitte-rechts.
Neben dem Slogan „Kein Euro“ hat Salvini sich auch dem „Problem“ der Immigration verschrieben. Man thematisiert die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak genauso wie man die Angst vor dem islamischen Terrorismus schürt. Letzteres gilt vor allem nach den Anschlägen von Paris und Kopenhagen sowie dem Auftauchen von ISIS in Libyen. Salvini greift aber auch soziale Fragen auf. Er lässt Unterschriften sammeln gegen die Rentenreformen von Monti und steht hinter einem Referendum, das der Gewerkschaftsbund CGIL gezwungen war zu unterstützen, welches aber nicht stattfinden wird, weil es vom Verfassungsgericht geblockt worden ist. Desweiteren hat er eine Kampagne zur Einführung einer Minimal-Einkommenssteuer (i.H.v. 15 Prozent) gestartet, die in erster Linie die untere Mittelschicht ansprechen soll.
Abgesehen davon handelt es sich bei Salvinis „Lega Nord“ möglicherweise nur um ein vorübergehendes Phänomenon, das einige eindeutige Schwächen aufzuweisen hat. Die Demonstration vom 28. Februar in Rom, der erste Testlauf der „Lega Nord“ außerhalb von Padania im Norden des Landes, lief nicht schlecht, war mit 10.000 bis 15.000 Teilnehmern dann aber doch reichlich begrenzt. In Veneto, der Region, die von der „Lega Nord“ regiert wird, haben die anstehenden Regionalwahlen zu einer Spaltung zwischen dem aus dem Amt ausscheidenden Gouverneur und dem Kandidaten der „Lega Nord“, Zaia, geführt, der von Salvini unterstützt wird. Auf der anderen Seite steht der Bürgermeister von Treviso namens Tosi, der von Salvini aus der Partei ausgeschlossen wurde und nun mit eigener Liste bei diesen Wahlen antreten wird.
Neue Kräfte
M5S, die „5-Sterne-Bewegung“, scheint sich von dem enttäuschenden Abschneiden bei den Europawahlen immer noch nicht erholt zu haben. Zwei Jahre, nachdem man ins Parlament eingezogen ist, hat Grillos Bewegung nichts getan, um die Lebensbedingungen ihrer Wählerschaft (ArbeiterInnen, junge Leute und die untere Mittelschicht) zu verbessern. Seit dem Rückschlag bei den Europawahlen hat sie eine Herangehensweise angenommen, die noch mehr von politischem Kalkül gekennzeichnet ist. Damit hat sie sich genau das Vorgehen der alten Parteien angeeignet, das sie doch immer so sehr kritisiert hatte. Auf der einen Seite steht das Bündnis im Europaparlament zusammen mit der britischen UKIP und der parlamentarischen Verschleppungstaktik im eigenen Land, auf der anderen Seite sind da die Versuche, einen Platz am Tisch von Renzi zu ergattern, um einige konkrete Ergebnisse zu erzielen. Alle diese Ansätze sind bislang erfolglos geblieben. Am Ende hat Grillo es geschafft, jede und jeden zu vergrällen. Selbst innerhalb der Bewegung laufen die Dinge nicht besser. Mehr als 25 Parlamentsmitglieder haben M5S verlassen. Auf kommunaler Ebene haben sich bereits viele wieder verabschiedet oder warten auf den passenden Moment um dies zu tun.
Vor diesem Hintergrund sollte Raum genug vorhanden sein, um eine neue Partei der Linken aufzubauen, die in der Lage ist, ArbeiterInnen und junge ProletarierInnen zu repräsentieren. Die soziale Krise, die in Verruf geratenen etablierten Parteien (vor allem, was die regierende PD angeht) sowie der Bruch, zu dem es zwischen der PD und der Führung des Gewerkschaftsbunds CGIL gekommen ist (der im vergangenen November zum ersten Mal in seiner Geschichte gegen eine Mitte-links-Regierung auf die Straße gegangen ist), sollten die nötigen Zutaten liefern, die es braucht, um eine neue linke Kraft zu etablieren – auch, wenn es momentan keine Anzeichen für eine linke Abspaltung von der PD gibt. Dieser vorteilhaften Gemengelage steht jedoch die Tatsache gegenüber, dass es an Kräften und Führungspersönlichkeiten fehlt, die glaubwürdig und in der Lage sind eine Alternative zu schmieden. Hinzu kommt noch die allgemeine Stagnation im Klassenkampf. Seit Monaten ist es zu keinen bedeutenden gewerkschaftlichen Kämpfen mehr gekommen.
Schwache Opposition
Die Demonstrationen der CGIL haben – auch wenn sie durchaus interessant waren – mehr den Anschein gemacht, als seien sie „Paraden“ gewesen, Macht-Demonstrationen gegenüber der Regierung aber ohne glaubwürdiges Bühnenprogramm. Die Folge davon ist, dass die Arbeitsrichtlinie nun Gesetzeskraft hat und CGIL eine Niederlage einstecken musste.
Die betrieblichen Aktionen der letzten Jahre (z.B. bei „Fincantieri“, ILVA, FIAT) waren eher Verteidigungskämpfe anlässlich der ersten Runde der Restrukturierung, zu der es im Laufe der Krise gekommen und die nun wahrscheinlich abgeschlossen ist. Weil die großen Konzerne keine konkrete Bedrohungslage gegen die ArbeiterInnen aufbauen, gibt es auch keine Abwehrkämpfe mehr. Demgegenüber sorgt die fortdauernde Krise dafür, dass auch offensive Kämpfe eher unwahrscheinlich sind.
Sogar unter den Studierenden ist die Atmosphäre als ruhig zu bezeichnen. Die Regierung Renzi hat bisher keine nennenswerten Angriffe auf Schulen oder Hochschulen durchgeführt und seit Jahren ist es zu keiner größeren Bewegung unter den Studierenden mehr gekommen. Die politische Debatte in Italien befasst sich nun in erster Linie mit verfassungsrechtlichen Fragen: Mit dem Wahlsystem und der Reform des Senats, dem Staatsfernsehen und der Reform des Rechtssystems. Dies steht eher für einen Konflikt zwischen den dominierenden gesellschaftlichen Klassen und weniger dafür, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen diesen und der Arbeiterklasse kommt.
Der Erfolg von „Syriza“ in Griechenland ist unter ArbeiterInnen und jungen Leuten bisher nur auf wenig Interesse gestoßen. Begeisterung hat das lediglich bei italienischen Tsipras-AnhängerInnen, pensionierten Intellektuellen und Mitgliedern der PD-Linken gefunden. Sie haben auf der „Tsipras Liste“ KandidatInnen zu den Europawahlen ins Rennen geschickt. Im Januar reiste eine Delegation dieses Horror-Kabinetts, die selbsternannte „Kalimera Brigade“, nach Athen, um an der Endphase des Wahlkampfes und der Wahlparty teilzunehmen. Das einzige, was wir zu dieser Episode feststellen können, ist, dass es sehr schade ist, dass sie danach wieder zurückgekommen sind!
Die ersten Fehltritte von Tsipras könnten aber auch zum Problem für sie werden, und es ist wahrscheinlich, dass sie schnell dazu werden übergehen müssen, auf Podemos zu setzen. Bei den kommenden Regionalwahlen könnte es einige „tsipristische“ KandidatInnen geben, die aber – wie vergangenes Jahr in der Emilia Romagna – allesamt unfähig sind, sich selbst als glaubwürdige Alternative anzubieten. Was den Rest angeht, so sind alle drei Europaabgeordneten, die über die Liste „L’altra Europa per Tsipras“ (dt.: „Ein anderes Europa für Tsipras“) gewählt worden sind, von der Bildfläche verschwunden, sobald sie in Brüssel angekommen waren.
Die FIOM und die „soziale Koalition“
Vor kurzem hat Landini, Generalsekretär der FIOM (Metallarbeitergewerkschaft) und einziger glaubwürdiger Vertreter der Linken, ein Interview gegeben, in dem er erneut das Fehlen einer politischen Repräsentanz der Arbeiterschaft bemängelt und zum Aufbau einer „sozialen Koalition“ aufgerufen hat, die auch die Gewerkschaft mit einbeziehen muss. Die Medien haben dies (wie schon in der Vergangenheit) als Eintritt Landinis und der FIOM in die Politik interpretiert (etwas, das laut gewerkschaftlichen Richtlinien in Italien gar nicht möglich ist). Der FIOM-Sekretär hat dies jedoch dementiert. Susanna Camusso, Generalsekretärin von CGIL, reagierte auf Landini insofern, als dass sie über diese Initiative nicht informiert worden sei und dass CGIL diesem Ansatz auch nicht folgen würde.
Diese politischen Interventionen zeugen in Wirklichkeit von der schwierigen Lage, in der sich der FIOM-Vorstand befindet: In den letzten Jahren hat er couragiert gekämpft und unter den ArbeiterInnen sowie der Linken insgesamt an Ansehen gewonnen; dabei jedoch – um bei der Wahrheit zu bleiben – keine signifikanten Ergebnisse erzielt. Für FIOM besteht das Problem darin, dass es auf der einen Seite objektive Probleme gibt, um eine langfristige gewerkschaftliche Strategie zu entwickeln, und ihre Führungsriege andererseits politisch extrem verwirrt ist.
Als Reaktion auf die Niederlagen auf betrieblicher Ebene und in Form eines „surrogate“ für eine Linke, die nicht existiert, ist das Auftreten von Landini im Fernsehen und der Versuch des politischen Lobbyismus durchaus verständlich. Es birgt allerdings auch die Gefahr, Illusionen in eine derzeit allein dastehende Vorhut zu schüren, die in der Lage wäre, Millionen von Menschen eine Stimme zu geben.
FIOM kann eine Rolle spielen, aber nicht die ganze Verantwortung für den Wiederaufbau der Linken in Italien schultern. Dass bestimmte Teile in der FIOM (und in gewissem Ausmaß auch in der Dachorganisation CGIL) bereit sind, den Kampf aufzunehmen, kann zu neuen entwicklungen führen. Das reicht ganz offenbar aber nicht, um als erster Schritt hin zum Aufbau einer neuen politischen Partei der ArbeiterInnen zu dienen. Das ist ein längerer Prozess, bei dem die Gewerkschaft eine Rolle spielen kann. Diesen Prozess wird sie aber nicht initiieren und auch nicht dahin führen in der Situation, wie wir sie beschrieben haben: Das Problem ist die Vereinzelung auf der Linken und die soziale Stagnation. Es ist zwar überlebenswichtig, für den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei mit einem klaren Programm und antikapitalistischen Forderungen einzutreten, für deren Entwicklung ist in der Praxis aber eine neue Welle des Klassenkampfes nötig.