Junge MigrantInnen unter Generalverdacht – Wie hängen Rassismus und soziale Missstände mit der Bedrohung durch den rechten politischen Islam zusammen?
Jeder islamistisch motivierte Anschlag in Europa wird vom „Sicherheitsapparat“ und seiner politischen und medialen Lobby für den Ruf nach der Ausweitung der Befugnisse dieses Apparats genutzt. Die veröffentlichten Zahlen über sogenannte Dschihad-Touristen und Dschihad-Rückkehrer dienen oft zur Rechtfertigung der Forderungen von Polizei und Geheimdiensten. Zudem sind sie Wahlkampfmaterial für rechtspopulistische Parteien, die unter anderem mit der „inneren Sicherheit“ punkten wollen. Insofern ist auf diese Zahlen kein Verlass. Niemand weiß genau, wie häufig sich muslimische Jugendliche zu Islamisten entwickeln, welcher Anteil zum Dschihad übergeht und wie viele Dschihadisten zu politisch motivierter Gewalt bereit sind.
von Sarah Moayeri, Berlin
Mangels verlässlicher Zahlen müssen also nicht-repräsentative Informationen über Einzelfälle für die Analyse herhalten. Ja, es gibt Jugendliche mit (und ohne) Migrationshintergrund, die zu Islamisten werden. Und es gibt welche, die zum Beispiel über die Türkei nach Syrien reisen, um am dortigen Dschihad teilzunehmen.
Ursachen für den Schritt zum Islamisten
Hier gilt es, die Heuchelei der Herrschenden, die sich um die „Bekehrung in Deutschland geborener Jugendlicher“ sorgen und gleichzeitig für das Schicksal von Millionen Opfern der Kriege im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika verantwortlich sind, zu enthüllen. Wenn eben diese imperialistischen Staaten, die aktiv mit Waffenlieferungen und Militär an Kriegen beteiligt sind, nicht einmal bereit sind, einen angemessenen Anteil der Millionen Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Terror fliehen, senden sie ganz bewusst ein Signal an die Adresse von Teilen der Bevölkerung mit Bindungen an die vom Krieg verwüsteten Länder. Dieses Signal ist im besten Fall eines der Gleichgültigkeit, im schlimmsten des Rassismus.
Die bürgerliche Presse schürt dabei unter dem Deckmantel der „Verteidigung der Meinungsfreiheit“ rassistische Ressentiments gegen muslimische Communities. Junge MigrantInnen werden unter Generalverdacht gestellt und der Islam per se als gewalttätigere Religion im Gegensatz zu „jüdisch-christlichen“ Werten stigmatisiert. Es wird nicht zwischen Begriffen wie „Islam“, „Dschihad“ und „Islamismus“ differenziert und damit die persönliche Religionsfreiheit mit dem rechten politischen Islam, beispielsweise den Methoden des Islamischen Staates, gleichgesetzt.
Auch wenn die Angst vor jungen Islamisten in Deutschland überwiegend rassistisch motiviert ist, muss sich die Linke dafür interessieren, wie junge Menschen vor einem Gedankengut zu warnen und zu schützen sind, das dem herrschenden Rassismus religiöse Intoleranz reaktionärer Färbung entgegensetzt und die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen instrumentalisiert.
Das, was sich in den Köpfen dieser jungen Menschen abspielt, wird durch die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem eigenen Umfeld hervorgerufen.
Armutsrisiko
Menschen mit Migrationshintergrund gehören weiterhin zu den ärmsten in Deutschland. Die Armutsgefährdungsquote ist laut dem Migrationsbericht der Bundesregierung vom Oktober 2014 bei Menschen mit Migrationshintergrund mit 26,8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei denen ohne Migrationshintergrund. Dies wird durch die Tatsache noch verschärft, dass im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden und Migrantinnen und Migranten deshalb auf gering bezahlte und/ oder befristete Stellen angewiesen sind. Daraus resultiert eine Diskriminierung der Kinder in der Schule, die, nach sozialem Status selektiert, schlechte Chancen bei der Ausbildungsplatzsuche haben und denen Arbeitslosigkeit droht.
Unternehmen sortieren oft Bewerbungen aufgrund des ausländisch klingenden Nachnamens aus.
Laut der Heinrich-Böll-Stiftung haben „Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund schlechtere Chancen, nach der Grundschule eine Gymnasialempfehlung zu bekommen und sind institutioneller Diskriminierung entlang von sogenannten „Normalitätserwartungen“ ausgesetzt. Diese orientiert sich an der Schul- und Sprachfähigkeit von deutsch-einsprachigen und christlich sozialisierten „Mittelschichtskindern“. Jungen Flüchtlingen wird überhaupt der Zugang zu Bildungseinrichtungen verwehrt oder im besten Falle massiv eingeschränkt.
Was tun?
Also ist das Eintreten gegen die soziale Ungleichheit und gegen die rassistische Diskriminierung in Deutschland das entscheidende Mittel gegen die Verheißungen menschenverachtender Ideologien. Kostenlose Bildung muss für alle möglich sein. Statt Schulen, Bildungsinstituten, Kultureinrichtungen und Jugendbetreuung kaputt zu sparen, muss Kindern und Jugendlichen jeder sozialer Herkunft der Zugang zu diesen Angeboten ermöglicht werden. Die von der Bundesregierung viel gerühmte schwarze Null geht auf Kosten der sozialen Absicherung, der Bildung und der Chancengleichheit. Für ihren neoliberalen Kurs nehmen die Herrschenden soziale Kollateralschäden in Kauf, zu denen das Abdriften eines Teils der Jugend in dschihadistische Organisationen gehört.
Die Linke muss auch für die Trennung von Kirche und Staat eintreten. Religiös-reaktionäre Ideen gedeihen im Schatten der Sonderrechte, die in Deutschland dem Christentum, zu dem auch fundamentalistische Ideen gehören, eingeräumt werden. Die sowieso schon verschuldeten Bundesländer zahlen der Katholischen und der Evangelischen Kirche für Enteignungen im 19. Jahrhundert 460 Millionen Euro jährlich. Hinzu kommen Zuschüsse für diakonische Einrichtungen, Kirchen- und Katholikentage, Papstbesuche et cetera; bestimmte Religionsgemeinden sind von verschiedenen Steuern und Gebühren befreit.
Religiöse Indoktrination wird heute in dem einen Fall heuchlerisch bekämpft, Jugendliche dabei bevormundet, und im anderen geduldet und gefördert. Die Spaltung von Kindern und Jugendlichen entlang konfessioneller Grenzen ist ein weiteres Mittel der herrschenden Klasse zur Spaltung und Diskriminierung.
Im Zuge des Kampfes gegen Rassismus und Sozialabbau kann unter allen Jugendlichen, unabhängig ihrer Konfession und Herkunft, ein gemeinschaftliches und solidarisches Bewusstsein entstehen, das eben jene Spaltung aufheben kann. Das Interesse an einem gemeinsam organisierten und nicht nach kapitalistischer Logik ökonomisierten Schulsystem ist nur ein Beispiel für Ziele, die Jugendliche vereinen und links politisieren können.
Als SozialistInnen ist es daher unsere Aufgabe, Jugendorganisationen wie Linksjugend-[’solid]-Strukturen auszubauen und dort mit unseren Ideen, die Jugendlichen eine Alternative zum Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse anbieten, aufzutreten. Wichtig ist dabei die eigenständige Bewusstseinsentwicklung der Jugendlichen in Kämpfen durch Aufgabenverteilung und Verantwortung.